Baurecht

Voraussetzungen für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts durch eine Gemeinde

Aktenzeichen  M 1 K 15.1222

Datum:
12.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayNatSchG BayNatSchG Art. 1, Art. 39
BNatSchG BNatSchG § 1, § 2 Abs. 2
BGB BGB § 469
VwGO VwGO § 114 S. 2

 

Leitsatz

1. Liegen Rechtfertigungsgründe für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts im Sinne von Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG vor, ist das auszuübende Ermessen regelmäßig naturschutzrechtlich intendiert. Deshalb ist es zulässig, ein im Bescheid angelegtes Ermessen gem. § 114 S. 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren durch Vortrag weiterer Ermessenserwägungen und Rechtfertigungsgründe zu ergänzen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Erwerb von Ausgleichsflächen ist als Rechtfertigungsgrund zur Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts anerkannt, wenn der Naturzustand auf den Flächen verbessert werden kann. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein die Tatsache, dass ein Grundstück die Merkmale des Art. 39 Abs. 1 BayNatSchG erfüllt, reicht zur Rechtfertigung der Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts nicht aus, auch wenn eine gewisse tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass auf solchen Flächen die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege besonderes Gewicht haben. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es kann von der allgemeinen Erfahrungstatsache ausgegangen werden, dass Grundstücke im Eigentum einer Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts dem Zweck, gegenwärtig oder zukünftig Belangen des Naturschutzes oder der Landschaftspflege zu dienen, mit größerer Sicherheit und damit besser Rechnung tragen als Grundstücke in der Hand von Privatpersonen, deren privatnützige Interessen eher mit den Interessen der Allgemeinheit in Konflikt geraten können. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Über die Klage konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
2. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 10. März 2015, mit dem das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht zu Gunsten des Beigeladenen zu 2) ausgeübt wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.1 Die formell-rechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß Art. 39 Abs. 1 und Abs. 2 Bayerisches Naturschutzgesetz (Bay-NatSchG) sind gegeben. Nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG steht u.a. den Gemeinden ein Vorkaufsrecht beim Verkauf von Grundstücken zu, auf denen sich oberirdische Gewässer befinden oder die daran angrenzen. Am 7. Oktober 2015 schlossen die Beigeladene zu 1) als Eigentümerin des am … Bach gelegenen Grundstücks FlNr. … Gemarkung … und die Klägerin einen notariellen Kaufvertrag und vereinbarten u.a. einen Kaufpreis in Höhe von 4.000,- EUR. Gründe, die gegen die Wirksamkeit des notariellen Kaufvertrags sprechen könnten, wurden weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgte auch rechtzeitig innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 39 Abs. 7 Satz 1 BayNatSchG. Der Lauf der Frist beginnt gemäß Art. 39 Abs. 7 und Abs. 3 Satz 3 Bay-NatSchG i.V.m. § 469 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit der Mitteilung des Vertragsinhalts gegenüber der Kreisverwaltungsbehörde. Hier ging der Kaufvertrag am 19. Januar 2015 beim Landratsamt ein. Die Vorkaufsrechtsausübung durch Bescheid vom 10. März 2015 erfolgte daher fristgerecht.
Die Ausübung des Vorkaufsrechts zu Gunsten des Beigeladenen zu 2) als Gemeinde ist in Art. 39 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 4 BayNatSchG gesetzlich geregelt und rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beigeladene zu 2) hat die Ausübung des Vorkaufsrechts zu seinen Gunsten vom Landratsamt mit Schreiben vom 30. Januar 2015 verlangt. Damit war dieses gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 4 BayNatSchG gegenüber dem Beigeladenen zu 2) zur Ausübung des Vorkaufsrechts verpflichtet.
Zudem hat das Landratsamt im angefochtenen Bescheid hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass es von einer im Ermessenswege zu treffenden Entscheidung ausgeht. Dieses Ermessen ist jedoch regelmäßig naturschutzrechtlich intendiert, wenn Rechtfertigungsgründe i.S.v. Art. 39 Abs. 2 Bay-NatSchG (hierzu unter 2.3) für die Ausübung eines Vorkaufsrechts vorliegen (Fischer-Hüftle in Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, Naturschutzrecht in Bayern, Stand 1.4.2015, Art. 39 BayNatSchG Rn. 22). Deshalb ist es zulässig und im vorliegenden Fall auch in ausreichendem Umfang geschehen, dass die zur Ausübung des Vorkaufsrechts zuständige Behörde das im Bescheid angelegte Ermessen gemäß § 114 Satz 2 VwGO im gericht lichen Verfahren durch Vortrag weiterer Ermessenserwägungen und Rechtfertigungsgründe ergänzt (BayVGH, B.v. 27.1.2014 – 14 ZB 13.1552 – juris Rn. 10).
Der Einwand der Klägerin, die vom Beigeladenen zu 2) genannten Erwerbsgründe seien vorgeschoben, da es ihm in Wirklichkeit um den Erwerb von Ausgleichsflächen gehe, ist unbehelflich. Zum einen ist nicht belegt, dass dieser Umstand der allein ausschlaggebende Erwerbsgrund des Beigeladenen zu 2) ist. Im Übrigen wäre auch dieser Erwerbsgrund von der obergerichtlichen Rechtsprechung als Rechtfertigungsgrund zur Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts anerkannt, wenn der Naturzustand auf den Flächen verbessert werden kann (BayVGH, U.v. 22.5.1995 – 9 B 92.1183 – NuR 1995, 554; Tausch, BayNatSchG, 2007, Art. 34 a.F. Rn. 11).
2.2 Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BayNatSchG sind ebenfalls gegeben. Bei der streitgegenständlichen Fläche handelt es sich um ein Grundstück, das an oberirdische Gewässer angrenzt. Der … Bach stellt ein solches Gewässer dar.
2.3 Die Vorkaufsrechtsausübung ist auch gerechtfertigt. Nach Art. 39 Abs. 2 Bay-NatSchG darf das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn dies gegenwärtig oder zukünftig Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur rechtfertigen. Erforderlich ist eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls unter dem Aspekt des Art. 1 BayNatSchG i.V.m. den § 1 und § 2 Abs. 2 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Allein die Tatsache, dass ein Grundstück die Merkmale des Art. 39 Abs. 1 BayNatSchG erfüllt, reicht zur Rechtfertigung nicht aus, wenn auch eine gewisse tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass auf solchen Flächen die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege besonderes Gewicht haben (VG Augsburg, U.v. 10.4.2014 -Au 2 K 13.965 – juris Rn. 24, m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Beklagten gerechtfertigt. Nach den Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid in Anlehnung an die Ausführungen im Schreiben des Beigeladenen zu 2) vom 30. Januar 2015 sollen mit der Überführung der Fläche in die öffentliche Hand die vielseitige naturbelassene Uferbepflanzung des Bachlaufs mit seinen zukünftigen Ausschwemmungen und Bepflanzungen zur Verbesserung des Habitats für die Fisch- und Insektenfauna geschützt werden. In den ergänzenden Ausführungen zur Rechtfertigung der Ausübung des Vorkaufsrechts hat das Landratsamt vorgetragen, es sei in nicht ferner Zukunft mit der Ansiedlung von Bibern zu rechnen, deren Verhaltensweise erfahrungsgemäß zur Beeinflussung sowohl der Gewässerdynamik als auch der Ufervegetation führen könne. Diese Zielsetzung entspricht den in Art. 1 BayNatSchG i.V.m. § 1 und § 2 Abs. 2 BNatSchG normierten Zielen und Grund-sätzen des Naturschutzes und der Landschaftspflege (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2001 – 9 ZB 01.1937 – juris Rn. 6 f. zu Art. 34 Abs. 2 BayNatSchG a.F.). Da das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht schon dann ausgeübt werden kann, wenn der Naturzustand auf den Flächen verbessert werden kann, genügen die auf Grundlage der naturschutzfachlichen Vorgaben im Bescheid wiedergegebenen Ziele und Maßnahmen jedenfalls den Anforderungen für die Annahme einer Rechtfertigung. Die vom Beklagten ergänzend vorgetragenen Gründe bestätigen die bereits im Bescheid genannten, zur Rechtfertigung der Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts ausreichenden naturschutzbezogenen Gründe. Dies gilt hier umso mehr, als die genannten Ziele und Maß nahmen nach vom Landratsamt in zulässiger Weise nachgeholter naturschutzfachlicher Bewertung dem Arten- und Biotopschutzprogramm dienen. Einer weiteren Konkretisierung der Vorstellungen über die Verbesserungen bedarf es nicht (BayVGH, U.v. 22.5.1995 – 9 B 92.1183 – NuR 1995, 554/556).
2.4 Die Auffassung der Klägerin, die Ausübung des Vorkaufsrechts sei nicht notwendig und damit unverhältnismäßig, weil sie das Grundstück aus ideellen Gründen erwerben und in keiner Weise wirtschaftlich bzw. landwirtschaftlich und auch nicht für die Freizeitgestaltung nutzen wolle, ist nicht geeignet, die Rechtsmäßigkeit der Vorkaufsrechtsausübung in Frage zu stellen. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann von der allgemeinen Erfahrungstatsache ausgegangen werden, dass Grundstücke im Eigentum einer Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts dem vom Gesetz vorausgesetzten Zweck, gegenwärtig oder zukünftig Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege zu dienen, mit größerer Sicherheit und damit besser Rechnung tragen als Grundstücke in der Hand von Privatpersonen, deren privatnützige Interessen eher mit den genannten Interessen der Allgemeinheit in Konflikt geraten können. Daran vermögen auch ernstgemeinte Absichtserklärungen und rechtliche Sicherungen, wie sie die Klägerin im Laufe des verwaltungsbehördlichen und -gerichtlichen Verfahrens vorgetragen bzw. angeboten hat, nichts zu ändern.
Bewirtschaftungsvereinbarungen, wie etwa der von der Klägerin eingewandte Vertragsnaturschutz, können den Eigentumserwerb der öffentlichen Hand nicht ersetzen, denn die Laufzeit der Verträge gewährleistet keine Sicherheit auf Dauer. Weder können ihr Abschluss oder eine Verlängerung erzwungen werden noch sind spätere Erwerber an derartige Vereinbarungen gebunden. Der Vorteil, weder auf die Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen durch den Vertragspartner noch auf die rechtlichen Verbote und Kontrollmöglichkeiten zur Durchsetzung solcher vertraglicher Pflichten angewiesen zu sein, ist durch kein milderes Mittel zu ersetzen (BayVGH, B.v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 -juris Rn. 10). Während der private Grundstückseigentümer im Interesse des Naturschutzes und der Landschaftspflege Beschränkungen passiv zu dulden hat, sind Staat und Gemeinden kraft Verfassungsauftrags aus Art. 141 Abs. 3 Satz 3 Bayerische Verfassung (BV) und Art. 20a Grundgesetz (GG) verpflichtet, zu diesem Zweck aktiv zu werden (vgl. BayVGH, U.v. 11.8.1989 – 9 B 86.02748 – BayVBl 1990, 277/278; B.v. 13.8.2009 – 14 ZB 08.1621 – juris Rn. 5). Die Behörde braucht sich nicht auf das Angebot der Klägerin verweisen zu lassen, (auch) künftig für die Einhaltung der naturschutzrechtlichen Anforderungen auf dem Grundstück Sorge zu tragen (Fischer-Hüftle in Engel-hardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, Naturschutzrecht in Bayern, Stand 1.4.2015, Art. 39 BayNatSchG Rn. 21b). Positive Veränderungen, Optimierungen und Verbesserungen sind nur mit Innehaben des Eigentums durch die öffentliche Hand sicher zu gewährleisten (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – juris Rn. 8; U.v. 22.5.1995 – 9 B 92.1183 u.a.-NuR 1995, 554/555 f.; HessVGH, U.v. 18.1.1996 – 3 UE 2544/93 – NuR 1996, 412 – juris Rn. 21). Das Eigentum eröffnet den Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts zudem die Möglichkeit, eventuellen Fehlentwicklungen vorzubeugen (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2001 – 9 ZB 01.1937 – juris Rn. 6). Der Vorteil, weder auf rechtliche Verbote noch auf Kontrollmöglichkeiten angewiesen zu sein, ist nicht durch ein milderes Mittel zu ersetzen, denn die Ausübung des Vorkaufsrechts ist nicht subsidiär zu anderen rechtlichen Möglichkeiten eines wirksamen behördlichen Naturschutzes (HessVGH, U.v. 18.1.1996 a.a.O.).
Aus diesen Gründen bestehen gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Beklagten zu Gunsten des Beigeladenen zu 2) auf Grund der im Bescheid genannten Rechtfertigungsgründe in der Fassung der mit Schreiben vom 23. September 2015 vorgenommenen Ergänzung keine rechtlichen Bedenken. Die von der Klägerin im Einzelnen vorgebrachten Einwände zu den tatsächlichen (baulichen) Verhältnissen auf dem streitgegenständlichen Grundstück (Zaun, Holzhaus, Treppe) und die Erwähnung solcher baulicher Anlagen im naturschutzfachlichen Gutachten stehen dem nicht entgegen.
3. Die Klage war aus diesen Gründen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, ist es angemessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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