Baurecht

Wiederaufgreifen eines Verfahrens zur einem Dritten erteilten Genehmigung

Aktenzeichen  AN 11 K 18.00883

Datum:
10.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12626
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 51
VwGO  § 42 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
4. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung an die Beigeladene.
I.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage gemäß § 113 Abs. 5 VwGO zulässig. Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kläger klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO ist. An der Klagebefugnis fehlt es nur dann, wenn unter Zugrundelegung des Vorbringens des Klägers offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise dessen subjektive Rechte verletzt sein können (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2003 – 3 C 15.03 – NJW 2004, 698; U.v. 7.5.1996 – 1 C 10/95 – BVerwGE 101, 157, juris Rn. 22 m.w.N.). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger das Wiederaufgreifen eines Verfahrens begehrt, durch das der Beigeladenen ein begünstigender Verwaltungsakt – eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung – erteilt wurde, so dass letztlich die Konstellation einer Drittanfechtung gegeben ist. Alleine die klägerische Geltendmachung der fehlenden Privilegierung der Beigeladenen nach § 35 BauGB führt nicht zur möglichen Verletzung einer drittschützenden Norm, denn § 35 BauGB hat keine allgemein nachbarschützende Funktion (BVerwG, B.v. 3.4.1995 – 4 B 47.95 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 28.7.2017 – 22 ZB 16.2119 – juris Rn.15). Erforderlich für eine Klagebefugnis ist eine wehrfähige Position, die schützenswert ist und die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots (§ 35 Abs. 3 BauGB) zu berücksichtigen ist. Der Kläger macht neben der fehlenden Privilegierung geltend, dass er aufgrund des Vorhabens der Beigeladenen unzumutbaren Umwelteinwirkungen in Form von Immissionen ausgesetzt ist (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG), da die zu Grunde zu legende Geruchsstundenhäufigkeit nach der Geruchsimmissions-Richtlinie überschritten sei. Unabhängig von der Frage, welche Werte zu berücksichtigen sind und ob im konkreten Einzelfall die Zumutbarkeitsschwelle unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände, insbesondere der Schutzwürdigkeit des klägerischen Anwesens, tatsächlich überschritten ist, so macht der Kläger mit diesem Vortrag geltend, in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf Rücksichtnahme verletzt zu sein, so dass von einer Klagebefugnis auszugehen ist. Diese geltend gemachte Verletzung ist nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, da der Kläger aufgrund der Situierung seines Grundstücks vom Vorhaben der Beigeladenen ausgehenden Immissionen ausgesetzt sein kann, die über die Zumutbarkeitsgrenze hinausgehen.
II.
Die Klage ist im Hauptantrag unbegründet. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinn nach Art. 51 Abs. 1 – 4 BayVwVfG liegen nicht vor, so dass kein gebundener Anspruch des Klägers darauf gegeben ist. Der klägerische Antrag ist weder zulässig (s. unten 1. und 2.) noch begründet (s. unten 3.). Zu beachten ist, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rechtsinstitut der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens eine typische Ausprägung der Konfliktsituation zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit zu sehen ist. In diesem Rechtsinstitut wird um des Grundsatzes der materiellen Gerechtigkeit willen das Prinzip der Rechtssicherheit durchbrochen. Dabei wirkt sich jedoch dieses Prinzip dahin aus, dass die Durchbrechung an eine eng begrenzte Anzahl besonderer Ausnahmetatbestände gebunden ist (vgl. BVerfG, B.v. 13.2.2019 – 2 BvR 2136/17 – NJW 2019, 1590, juris Rn. 20). Art. 51 BayVwVfG trifft eine verfahrensrechtliche Regelung zu den Voraussetzungen für die Durchbrechung der Rechtskraft. Dabei handelt es sich um einen notwendigen Zwischenschritt auf dem Weg zum eigentlichen Ziel des Betroffenen: der Korrektur des unanfechtbaren Verwaltungsakts durch eine neue, ihm günstigere Verwaltungsentscheidung (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2021, § 51 VwVfG Rn. 5). Maßgeblich ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. Falkenbach in BeckOK VwVfG, Stand 1.1.2022, § 51 Rn. 64).
1. Der Verwaltungsakt, dessen Änderung oder Aufhebung der Kläger begehrt, die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 2. August 2016, ist für den Kläger nicht unanfechtbar im Sinne von Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG. Die Frage der Unanfechtbarkeit ist nicht allgemein, sondern bezogen auf den jeweiligen Betroffenen zu klären. Relevant ist, ob der Verwaltungsakt für ihn unanfechtbar ist. Der Grund der Unanfechtbarkeit ist nicht erheblich (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 51 Rn. 79, 87). Unanfechtbar bedeutet, dass der Verwaltungsakt nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angreifbar ist (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 51 VwVfG Rn. 36). Der Kläger hatte Klage gegen den Bescheid vom 2. August 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach (AN 11 K 16.1742) erhoben. Diese Klage wurde mit Urteil vom 8. Februar 2017 abgewiesen. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 7. Mai 2021 zurückgewiesen (22 B 18.2192). Gegen dieses Urteil hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt, die derzeit noch anhängig ist. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Gerichts ist somit der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung der Kläger begehrt, Gegenstand eines anderweitig rechtshängigen Rechtsstreits und nicht unanfechtbar. Damit fehlt eine notwendige Voraussetzung für ein Wiederaufgreifen nach Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG. Dem vom Klägerbevollmächtigten vorgebrachten Einwand, bei einem anfechtbaren Verwaltungsakt müsse erst recht ein Wiederaufgreifen möglich sein, kann nicht gefolgt werden, da der Wortlaut des Art. 51 BayVwVfG – vor allem auch unter Berücksichtigung der anderslautenden Formulierung in Art. 48, 49 BayVwVfG – eindeutig ist.
2. Zudem scheitert die Zulässigkeit des Antrags des Klägers auf Wiederaufgreifen auch an der Präklusionsvorschrift des Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG. Danach ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Schon durch den Wortlaut „insbesondere durch Rechtsbehelf“ wird deutlich, dass unter Verfahren in diesem Zusammenhang nicht der Begriff des Verwaltungsverfahrens nach Art. 9 BayVwVfG zu verstehen ist, sondern das gesamte Verfahren bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts. Hieraus folgt auch die Verpflichtung, neue Tatsachen und Beweismittel mit noch möglichen Rechtsbehelfen geltend zu machen (vgl. NdsOVG, B.v.10.8.1988 – 21 B 423/88 – NVwZ-RR 1989, 276, 277). Der Kläger trägt vor, dass die Frage der Privilegierung der Beigeladenen nicht ausreichend geprüft worden sei. Dies habe er im Rahmen einer Akteneinsicht beim Beklagten Ende des Jahre 2017 festgestellt. Zudem liege tatsächlich keine Privilegierung der Beigeladenen vor. Die Frage der Privilegierung der Beigeladenen machte der Kläger schon im Rechtsmittelverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geltend, der sich in seinem Urteil vom 7. Mai 2021 eingehend damit auseinandersetzt (Rn. 56). Der Kläger nutzte daher die ihm zustehende Möglichkeit, die im streitgegenständlichen Verfahren vorgebrachten Gründe, die aus seiner Sicht gegen den Fortbestand des Genehmigungsbescheids sprechen, im förmlichen Rechtsbehelfsverfahren geltend zu machen. Er konnte sie vorbringen und hat sie auch tatsächlich vorgebracht. Damit ist die Voraussetzung des Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG nicht erfüllt.
3. Zudem liegt keiner der in Art. 51 BayVwVfG abschließend genannten Wiederaufgreifensgründe vor, so dass der Antrag auf Wiederaufgreifen des Klägers auch unbegründet ist. Allein in besonders gravierenden Fällen wird das Zurücktreten materieller Gerechtigkeit gegenüber der Bestands- bzw. Rechtskraft von Hoheitsakten als so unerträglich angesehen, dass das Gesetz den Konflikt zugunsten des Prinzips der materiellen Gerechtigkeit löst und dem Betroffenen einen Anspruch auf neue Sachentscheidung zugesteht (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1994 – 2 C 12/92 – NJW 1995, 388). Wiederaufgreifensgründe nach Art. 51 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG entsprechend § 580 ZPO wurden vom Kläger weder geltend gemacht noch sind diese ersichtlich. Ebenso wurden vom Kläger keine neuen Beweismittel nach Art. 26 BayVwVfG vorgelegt (Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG). Eine nachträgliche Änderung der dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage (Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG) wurde ebenso wenig geltend gemacht. Insbesondere reicht hierfür nicht aus, dass eine bereits vor dem Erlass des Verwaltungsakts gegebene Sach- oder Rechtslage nachträglich bekannt wird (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 51 Rn. 90). Schon nach dem klägerischen Vortrag liegt keine Änderung der Sachoder Rechtslage in diesem Sinne vor. Denn es wird geltend gemacht, dass die Beigeladene nicht privilegiert sei, dass noch nie eine Privilegierung vorgelegen habe. Es wird gerade nicht erklärt, dass sich die Umstände der Privilegierung geändert hätten. In diesem Zusammenhang ist auch das Vorbringen, dass keine ordnungsgemäße Prüfung der Privilegierung durchgeführt worden sei, nicht durchgreifend. Dies schon deswegen, da – bei Wahrunterstellung dieses Vortrags – diese Sachlage schon vor dem Erlass des Genehmigungsbescheids vorgelegen hätte und lediglich nachträglich bekannt geworden wäre. Es liegt damit kein Sachverhalt vor, der es rechtfertigen könnte, die (derzeit noch nicht eingetretene) Rechtskraft des Genehmigungsbescheids mit einem Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne zu durchbrechen.
III.
Der Hilfsantrag, der darauf gerichtet ist, dass der Beklagte rechtsfehlerfrei unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über den Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen zu entscheiden hat, ist unbegründet. Die zulässige innerprozessuale Bedingung ist eingetreten, da der Hauptantrag des Klägers keinen Erfolg hat (s. oben, I.).
Die Kammer legt den Hilfsantrag gemäß § 88 VwGO i.V.m. §§ 133, 157 BGB dahingehend aus, dass das klägerische Begehren gerichtet ist auf ein sogenanntes Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne nach Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG und damit auf eine ermessensgerechte Ausübung der Aufhebungsbefugnis (vgl. zur Begrifflichkeit Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 51 Rn. 16). Nach Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG bleiben die Vorschriften des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 und des Art. 49 Abs. 1 unberührt. Für ein Wiederaufgreifen in diesem Sinne sind die Voraussetzungen des Art. 51 BayVwVfG nicht zu prüfen (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 15.08 – juris). Eine Behörde ist befugt, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen und in der Sache zu entscheiden, auch wenn die strengen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nicht vorliegen (vgl. Müller in Huck/Müller, VwVfG, 3. Auflage 2020, § 51 Rn. 19). Mit der im Ermessen der Behörde liegenden Befugnis zum Wiederaufgreifen eines rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gem. Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG korrespondiert ein Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. BVerwG, U.v. 21. 3. 2000 – 9 C 41/99 – juris Rn.10, NVwZ 2000, 940). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass mit dem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne die Änderung eines einen Dritten begünstigenden Verwaltungsaktes, nämlich die der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, begehrt wird. Diese Genehmigung ist rechtmäßig (vgl. BayVGH, U.v. 7.5.2021 – 22 B 18.2192), so dass sich die Möglichkeit der Aufhebung nach Art. 49 BayVwVfG richtet. Nachdem es sich bei der Genehmigung um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung handelt, ist Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG nicht anwendbar. Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG, der in einer solchen Konstellation zur Anwendung kommen müsste, ist jedoch nicht vom Verweis des Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG umfasst. Beim rechtmäßigen Verwaltungsakt mit Drittwirkung scheidet damit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne von vornherein aus, wenn es sich um einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt handelt (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 51 VwVfG Rn. 102 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 28.2.1997 – 1 C 29/95 – BVerwGE 104, 115, 122, juris Rn. 26). Ein Ermessen des Beklagten ist damit nicht eröffnet. Ein Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Genehmigungsverfahrens besteht daher nicht.
IV.
Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch Antragstellung einem Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben