Baurecht

Zur Zugehörigkeit einer Stellplatzfläche zum Innenbereich

Aktenzeichen  1 B 17.2077

Datum:
17.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13734
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Stellplätze sind keine Bauten, die einen Bebauungszusammenhang begründen oder an seiner Entstehung mitwirken können, weil sie sich dem Beobachter bei einer optischen Bewertung eher als unbebaut darstellen und keine maßstabbildende Kraft haben. Eine Stellplatzfläche kann einem Bebauungszusammenhang jedoch zuzurechnen sein, wenn sie den Eindruck der Geschlossenheit nicht unterbricht (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 49070). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 K 15.1935 2015-09-15 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf den begehrten Vorbescheid, denn das Baugrundstück liegt nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 Abs. 1 BauGB), sondern gehört dem Außenbereich (§ 35 Abs. 1 BauGB) an (1.). Als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt die Bebauung öffentliche Belange (2.).
1. Ein Vorhaben liegt im Außenbereich, wenn es nicht Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB ist. Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts maßgebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Nach der zitierten Rechtsprechung muss das betreffende Grundstück selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bilden, also selbst am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnehmen (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 m.w.N.). Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um noch als zusammenhängende Bebauung zu erscheinen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern auf Grund einer umfassenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – a.a.O.; B.v. 2.4.2007 – 4 B 7.07 – ZfBR 2007, 480; B.v. 4.7.1990 – 4 B 103.90 – BayVBl 1991, 473; U.v. 6.11.1968 – IV C 2.66 – BVerwGE 31, 20;). Mit zunehmender Größe der Freifläche wird allerdings das Vorliegen einer Baulücke weniger wahrscheinlich (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; U.v. 1.12.1972 – IV C 6.71 – BVerwGE 41, 227).
Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Augenschein des Senats im vorliegenden Fall ergeben, dass das Baugrundstück nicht Teil eines Bebauungszusammenhangs ist. Es liegt bei wertender Betrachtung der gesamten örtlichen Verhältnisse im Außenbereich. Die geplante Bebauung stellt sich nicht als Fortsetzung der vorhandenen Bebauung dar, da das Baugrundstück von der im Westen, Süden und Norden befindlichen Bebauung nicht mehr geprägt wird.
Bei der Beurteilung der Zugehörigkeit des Baugrundstücks zu einem angrenzenden Bebauungszusammenhang kann der Parkplatz mit offenen Kraftfahrzeugstellplätzen auf FlNr. … nicht als maßstabbildende Bebauung berücksichtigt werden. Einen Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit bestimmtem Charakter mitzuprägen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – BauR 2018, 1840; B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471; U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626). Daran fehlt es regelmäßig bei einem befestigten Stellplatz (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2000 – 4 B 39.00 – BauR 2000, 1851; U.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171; U.v. 17.6.1993 – 4 C 17.91 – BauR 1994, 81; U.v. 14.9.1992 – 4 C 15.90 – DVBl 1993, 111). Stellplätze sind keine Bauten, die einen Bebauungszusammenhang begründen oder an seiner Entstehung mitwirken können, weil sie sich dem Beobachter bei einer optischen Bewertung eher als unbebaut darstellen und keine maßstabbildende Kraft haben (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 a.a.O.). Eine Stellplatzfläche kann einem Bebauungszusammenhang jedoch zuzurechnen sein, wenn sie den Eindruck der Geschlossenheit nicht unterbricht (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.1992 a.a.O). Etwa, wenn der Parkplatz eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes als typischer Bestandteil der Gesamtanlage dieser zugeordnet ist und sich der durch das Verbrauchermarktgebäude vermittelte Eindruck der Geschlossenheit der Bebauung auf die Stellplatzfläche erstreckt (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.1993 a.a.O.).
Der gerichtliche Augenschein hat zum einen ergeben, dass die Parkplatzfläche auf FlNr. … nicht ausnahmsweise einem benachbarten Bebauungszusammenhang zuzurechnen ist, da sie nicht als typischer Bestandteil der Bebauung auf dem Klinikgelände angesehen werden kann und in der Zusammenschau mit den Klinikgebäuden kein Eindruck der Geschlossenheit entsteht. Von dem unmittelbar an die Gebäude der Klinik angrenzenden Bereich ist der Parkplatz einerseits durch die breite Zufahrt zur Notaufnahme und andererseits durch seine dichte Eingrünung mit Sträuchern und Bäumen deutlich abgetrennt. Er wird deshalb vom Klinikgelände aus kaum wahrgenommen. Zudem ist er räumlich deutlich von den Klinikgebäuden abgesetzt, da die Stellplätze nicht unmittelbar an oder um die Gebäude gruppiert sind. Es besteht lediglich im Bereich der Parkplatzzufahrt, die von der Anfahrt zum Klinikeingang und zur Notaufnahme abzweigt, eine Verbindung zum Klinikgelände. Damit erscheint der Parkplatz nicht als typischer Teil der Gesamtanlage „Klinik“ und ist selbst nicht Bestandteil eines Bebauungszusammenhangs.
Zum anderen ist der Parkplatz unabhängig davon, ob er selbst der Bebauung auf dem Klinikgelände zugeordnet werden kann, auch nicht geeignet, über die von ihm beanspruchte Fläche hinaus das Baugrundstück optisch als Teil eines bebauten Bereichs zu prägen. Anders als in dem vom Kläger in Bezug genommenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 1993 (- 4 C 17.91 – a.a.O.) reicht es nicht aus, dass der Parkplatz selbst Teil des Bebauungszusammenhang ist. Um auch das unbebaute Baugrundstück als bloße Baulücke erscheinen zu lassen, müsste er nicht nur selbst dem Bebauungszusammenhang angehören, sondern darüber hinaus durch seine optische Wirkung geeignet sein, das südlich von ihm gelegene Baugrundstück so zu prägen, dass es als Teil des Bebauungszusammenhangs wahrgenommen wird. Nach dem Ergebnis des Augenscheins fehlt es hieran, da der Parkplatz optisch als unbebauter Bereich wirkt und damit der Regelfall vorliegt, in dem eine Parkplatzfläche nicht geeignet ist, an der Entstehung eines Bebauungszusammenhangs mitzuwirken (vgl. BVerwG, 19.4 2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; B.v. 10.7.2000 – 4 B 39.00 – BauR 2000, 1851). Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, inwieweit auch nicht dem Wohnen dienende Gebäude als maßstabbildende Bebauung herangezogen werden können, kommt es dabei nicht an, da auf der Parkplatzfläche keine Gebäude zu finden sind. Auch die im Osten des Parkplatzes befindlichen Gebäude der Yachtschule vermögen den Charakter als unbebauten Bereich nicht zu ändern, da diese Gebäude über eigene Stellplätze verfügen und ein funktionaler oder optischer Zusammenhang mit dem Parkplatz nicht erkennbar ist. Nach dem Eindruck, den der Senat beim Augenschein gewonnen hat, hat die Befestigung der Stellplätze und Fahrwege keine weiter reichende optische Wirkung und nimmt der Fläche nicht den unbebauten Eindruck. Technische Einrichtungen, die oberirdisch einen bebauten Charakter vermitteln könnten, fehlen weitgehend. Die vereinzelten Beleuchtungseinrichtungen (4 Straßenlaternen) sind aufgrund ihrer geringen Größe nicht geeignet, eine Wirkung gleich einem Gebäude zu erzeugen. Durch den Bewuchs mit Sträuchern und Bäumen auf Grüninseln werden die Parkplatzflächen nicht als bauliche Anlagen, sondern als Freifläche wahrgenommen. Der Eindruck eines Heranrückens der Bebauung an das Baugrundstück entsteht durch den Parkplatz nicht.
Das Baugrundstück ist damit Teil einer Freifläche östlich der H* … Straße, die von dem Wohngebäude im Süden auf FlNr. … bis zu dem Klinikkomplex auf FlNr. … im Norden reicht. Es grenzt im Osten an eine landwirtschaftlich genutzte Fläche, die weiter östlich an den …see anschließt und den Blick vom Baugrundstück auf den See eröffnet. Schon angesichts der Ausdehnung und des Zuschnitts der Fläche hat der Senat beim Augenschein eine Prägung durch die angrenzenden Gebäude nicht erkennen können. Die Bebauung im Süden des Baugrundstücks auf FlNr. … ist mindestens ca. 158 m von dem im Norden befindlichen Klinikgebäude auf FlNr. … entfernt. Zwar besteht punktuell zwischen der Nordostecke der Bebauung auf FlNr. … und der Südostecke des Gebäudes der Yachtschule H* … Straße … auf FlNr. … eine geringere Entfernung. Nachdem sich diese Gebäude nicht direkt gegenüberliegen, sondern in Ost-West-Richtung deutlich zueinander versetzt sind, wirkt der zwischen ihnen liegende Bereich jedoch nicht als Lücke in einer Bebauung. Aufgrund der Abstände und der Stellung der an die Freifläche angrenzenden Gebäude entsteht im Auge des Betrachters nicht der für die Annahme eines Bebauungszusammenhangs erforderliche Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit zwischen der an das Baugrundstück heranreichenden Bebauung. Dieser Befund wird zudem durch die freie Sicht von dem Baugrundstück nach Osten auf den …see verstärkt. In dieser Richtung weitet sich der unbebaute Bereich nach dem Gebäude H* … Str. … weiter auf und vermittelt dem Betrachter damit den Eindruck, dass das Baugrundstück der freien Landschaft und nicht dem bebauten Bereich zuzurechnen ist. Zwar ist richtig, dass die H* … Straße keine trennende Wirkung hat. Dies führt allerdings zu keinem anderen Ergebnis. Die Bebauung westlich der H* … Straße auf FlNr. … … und … bildet in dem Bereich, in dem das Baugrundstück und der Parkplatz auf FlNr. … jenseits der Straße anschließen, den Ortsrand nach Osten zum …see hin. Auf der diesen Flurstücken gegenüberliegenden Straßenseite findet sich Richtung Osten – wie vorstehend ausgeführt – keine weitere maßstabbildende Bebauung. Mit dem letzten Baukörper einer maßstabbildenden Bebauung endet regelmäßig der Bebauungszusammenhang (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Das Baugrundstück wirkt unabhängig von der Wirkung der Straße nicht mehr als Baulücke, sondern als Beginn der freien Landschaft.
2. Das Wohnbauvorhaben ist als sonstiges Vorhaben im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig, da es öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt.
Das Bauvorhaben widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans des Beigeladenen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB), der für das Baugrundstück eine landwirtschaftliche Nutzung vorsieht. Darüber hinaus stellt die geplante Bebauung eine siedlungsstrukturell zu missbilligende, nicht geordnete Ausweitung eines in Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich dar (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Der Tatbestand des Befürchtens der Verfestigung einer Splittersiedlung setzt nicht voraus, dass als Folge der Zulassung des insoweit öffentliche Belange beeinträchtigenden Vorhabens ein uneingeschränkter Rechtsanspruch auf Zulassung weiterer Vorhaben entsteht. Es genügt, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das jetzt beantragte Vorhaben nicht aus eben den Gründen (Verfestigung einer Splittersiedlung) versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Berufungsfall geschaffen würde (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626). Hier wäre aufgrund berechtigter Bezugnahmen insbesondere eine weitere Bebauung von FlNr. … … und … zu befürchten. Es ist indes Aufgabe der Bauleitplanung eine solche weitere städtebauliche Entwicklung zu ordnen und zu lenken (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – NVwZ 1985, 747; B.v. 11.10.1999 – 4 B 77.99 – BauR 2000, 1175). Es kann offen bleiben, ob das Vorhaben daneben noch weitere Belange im Sinn von § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt, da schon die Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat diese gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeit selbst zu tragen, da sie sich nicht durch die Stellung eines Antrags in ein Kostenrisiko begeben hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11‚ 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen‚ weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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