Erbrecht

Anfechtung der Duldung der Zwangsvollstreckung nebst Leistungsgebot

Aktenzeichen  10 K 2927/17

Datum:
27.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2019, 73
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AnfG § 4, § 11, § 14, § 15 Abs. 2 Nr. 3
BGB §§ 421, § 891 Abs. 1, § 892, § 1795 Abs. 1 Nr. 1, § 1821 Abs. 1 Nr. 5
InsO § 138

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
Die (fristgerechte) Klage ist unbegründet.
Duldungsbescheid und Leistungsgebote sind rechtmäßig. Das FA kann die Anfechtbarkeit der Grundstücksübertragung durch H auf AM gemäß § 15 Abs. 2 AnfG auch gegen die Klägerin als Rechtsnachfolgerin mit der Wirkung geltend machen, dass sie die Zwangsvollstreckung in das Grundstück zu dulden hat.
1. a) Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann, wer nach dem AnfG verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (wie hier außerhalb des Insolvenzverfahrens) erfolgt durch Duldungsbescheid (Satz 2).
Die Prüfung der Inanspruchnahme durch einen Duldungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO ist zweigliedrig (BFH-Urteil vom 13. Juni 1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4). Zunächst müssen bei der Person, die durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen wird, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung nach dem AnfG erfüllt sein. Hierbei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Entscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob und gegebenenfalls wen es als Duldungsverpflichteten in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch bzw. Ermessensüberschreitung) überprüfbar (so auch BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579).
b) Nach § 1 Abs. 1 AnfG können Rechtshandlungen eines Schuldners angefochten werden, die seine Gläubiger benachteiligen. Zu einer solchen Anfechtung ist nach § 2 AnfG jeder Gläubiger berechtigt, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist, wenn die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt hat. Anfechtbar ist nach § 3 Abs. 1 AnfG eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte; diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Anfechtbar ist nach § 4 Abs. 1 AnfG eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, wenn sie nicht früher als vier Jahre vor der Anfechtung vorgenommen worden ist. Wird die Anfechtung durch Duldungsbescheid geltend gemacht, bestimmt sich die in § 4 AnfG festgelegte Vier-Jahres-Frist gemäß § 191 Abs. 1 Satz 2 AO nach dem Zeitabstand zwischen dem Wirksamwerden der Rechtshandlung (§ 8 AnfG) und dem Erlass des Duldungsbescheids.
Nach § 15 Abs. 2 AnfG kann die Anfechtbarkeit gegen einen sonstigen Rechtsnachfolger geltend gemacht werden, wenn dem Rechtsnachfolger zur Zeit seines Erwerbs die Umstände bekannt waren, welche die Anfechtbarkeit des Erwerbs seines Rechtsvorgängers begründen (Nr. 1), wenn der Rechtsnachfolger zur Zeit seines Erwerbs zu den Personen gehörte, die dem Schuldner nahestehen (§ 138 InsO), es sei denn, dass ihm zu dieser Zeit die Umstände unbekannt waren, welche die Anfechtbarkeit des Erwerbs seines Rechtsvorgängers begründen (Nr. 2) oder wenn dem Rechtsnachfolger das Erlangte unentgeltlich zugewendet worden ist (Nr. 3).
c) Soweit nichts anderes bestimmt ist, darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn die Leistung fällig ist und der Vollstreckungsschuldner zur Leistung oder Duldung oder Unterlassung aufgefordert worden ist (Leistungsgebot) und seit der Aufforderung mindestens eine Woche verstrichen ist (§ 254 Abs. 1 Satz 1 AO).
2. Im Streitfall kann das FA die Anfechtbarkeit der Grundstücksübertragung durch H auf AM gemäß § 15 Abs. 2 AnfG auch gegen die Klägerin als Rechtsnachfolgerin mit der Wirkung geltend machen, dass sie die Zwangsvollstreckung in das Grundstück zu dulden hat. Der Duldungsbescheid genügt auch den formellen Anforderungen. Das Leistungsgebot ist rechtmäßig.
a) Der Erwerb des Rechtsvorgängers AM ist anfechtbar; MB ist seine Rechtsnachfolgerin.
aa) § 1 AnfG liegt vor, denn der Schuldner H hat das FA durch eine Rechtshandlung benachteiligt.
Darunter ist jedes Handeln zu verstehen, das rechtliche Wirkungen zum Nachteil des Vollstreckungszugriffs auslöst (Huber, Anfechtungsgesetz, 11. Auflage 2016, § 1 Rn. 5). Durch die anfechtbare Rechtshandlung muss etwas aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben werden (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 AnfG).
(1) Im Streitfall hat H mit notariellem Vertrag vom 28. August 2000 auf seinen Sohn AM – vertreten durch dessen Mutter BM, die das alleinige Sorgerecht für AM hatte – im Wege der vorweggenommenen Erbfolge das im Grundbuch des Amtsgerichts X von Y Blatt … verzeichnete Grundstück Fl.Nr. … und Fl.Nr. … unter gleichzeitiger Löschung einer Grundschuld i.H.v. 1,9 Mio. DM und unter Vorbehalt eines lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauchsrechts zu seinen Gunsten übertragen. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 20. November 2000. Mit dieser Rechtshandlung hat H das vorbenannte Grundstück aus seinem Vermögen weggegeben, mithin die Befriedigungsmöglichkeit des FA aus dem Schuldnervermögen beeinträchtigt.
(2) (a) Der schuldrechtliche Schenkungsvertrag ist wirksam; MB wurde Rechtsnachfolgerin des AM.
Denn die allein sorgeberechtigte (und damit allein vertretungsberechtigte, § 1629 BGB) Mutter des AM erteilte zu der Willenserklärung des AM betreffend den Erwerb des Grundstücks von H, durch den er – wegen der (möglicherweise vorliegenden) Vermietung (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts – OLG – München vom 8. Februar 2011 34 Wx 18/11, 34 Wx 018/11, FamRZ 2011, 828) – nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangte, ihre Einwilligung gemäß § 107 BGB, indem sie AM beim Vertragsabschluss vertrat.
BM war von der Vertretung des AM auch nicht gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1795 BGB ausgeschlossen. Denn nach § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB in der bis 31. Juli 2001 geltenden Fassung (mithin der Fassung bei Abschluss des Vertrags vom 28. August 2000) konnte ein Vormund den Mündel nicht vertreten bei einem Rechtsgeschäft zwischen seinem Ehegatten oder einem seiner Verwandten in gerader Linie einerseits und dem Mündel andererseits. BM war jedoch nicht die Ehefrau des H und auch nicht mit H in gerader Linie verwandt. Ein In-Sich-Geschäft der BM als Vertreterin des AM mit ihr selbst in eigenem Namen (§ 1795 Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB) lag nicht vor. Aber selbst § 1629 Abs. 2 i.V.m. § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB in der ab 1. August 2001 geltenden Fassung („Rechtsgeschäft zwischen seinem Ehegatten, seinem Lebenspartner oder einem seiner Verwandten in gerader Linie einerseits und dem Mündel andererseits“) wäre nicht einschlägig gewesen; denn diese Neuerung betrifft Lebenspartner i.S.d. des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG).
Die Genehmigung des Familiengerichts war auch nicht nach § 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1821 Nr. 1 BGB (Verfügung über ein Grundstück) erforderlich. Denn der Erwerb von Grundstücken und Grundstücksrechten stellt keine Verfügung im Sinne der Vorschrift dar (z.B. Veit in Staudinger, BGB, Stand 2014, § 1821 Rz. 8). Ein entgeltlicher Erwerb eines Grundstücks lag ebenfalls nicht vor (§ 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB).
Die Klägerin wurde deshalb auch wirksam Rechtsnachfolgerin des AM hinsichtlich des Grundstücks.
(b) Zumindest hätte die Klägerin das Grundstück wegen der Eintragung des Grundstückserwerbs des AM in das Grundbuch gutgläubig erworben (§ 892 Abs. 1 BGB). Damit kommt es auf die Frage, ob lediglich eine Buchposition erworben wurde, die jederzeit von H wieder hätte heraus verlangt werden können, jedenfalls ab dem gutgläubigen Erwerb durch die Klägerin nicht mehr an.
Im Übrigen stünde die Nichtigkeit der Rechtshandlung, die zu einer Erschwerung oder Gefährdung des Gläubigerzugriffs geführt hat, der Gläubigeranfechtung nicht entgegen (BGH-Urteil vom 11. Juli 1996 IX ZR 226/94, ZIP 1996, 1516).
(3) Zum Zeitpunkt der Eintragung des Grundstücksübergangs von H auf AM sowie des Nießbrauchs des H in das Grundbuch am 20. November 2000 samt Löschung der Grundschuld lag auch eine objektive Benachteiligung des FA als Gläubiger vor.
(a) Eine objektive Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn der in der Zwangsvollstreckung erzielbare Wert des Grundstücks die vorrangigen Belastungen und die Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens übersteigt (vgl. BGH-Urteile vom 3. Mai 2007 IX ZR 16/06, ZIP 2007, 1326; vom 19. Mai 2009 IX ZR 129/06, ZIP 2009, 1285). Eine Gläubigerbenachteiligung kommt also nicht in Betracht, wenn das Grundstück wertausschöpfend belastet ist und eine Zwangsvollstreckung in den anfechtbar übertragenen Gegenstand aussichtslos erscheint (vgl. BGH-Urteile vom 24. September 1996 IX ZR 190/95, ZIP 1996, 1907; vom 18. März 1993 IX ZR 198/92, ZIP 1993, 868).
Der BGH hält es für ausreichend, wenn bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Gläubigerbenachteiligung festgestellt werden kann (BGH-Urteil vom 17. Dezember 1998 ZR 196/97, NJW 1999, 1395). Das schließt nicht aus, dass sie schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat. Würde man für den Zeitpunkt der wertausschöpfenden Belastung auf den Zeitpunkt der mündlichen Tatsachenverhandlung im Anfechtungsprozess abstellen, könnte sich der Anfechtungsgegner durch nachträgliche Belastungen des Grundstücks der Anfechtungsklage entziehen, was den Anwendungsbereich des Anfechtungsgesetzes deutlich einengen würde (OLG Frankfurt, Urteil vom 7. Februar 2006 14 U 135/05, OLGR Frankfurt 2007, 561 m.w.N.).
(b) Im Streitfall lag eine wertausschöpfende Belastung des Grundstücks bei Eintragung des Grundstücksübergangs in das Grundbuch am 20. November 2000 nicht vor. Ausgehend von einem Verkehrswert i.H.v 1.154.300 € zum Stichtag 20. November 2000 wurde im schuldrechtlichen Vertrag die Löschung der Grundschuld bewilligt und im Grundbuch das Grundstück auch insoweit unbelastet eingetragen. Selbst unter Berücksichtigung des vorbehaltenen Nießbrauches des H, der nicht angefochten wurde und zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht gepfändet war, mit einem Wert i.H.v. 612.035,96 € ergab die gutachterliche Bewertung des Grundstücks zum 20. November 2000 durch das Staatliche Bauamt X, deren Richtigkeit anzuzweifeln der Senat keinen Anhaltspunkt hat, einen Verkehrswert i.H.v. rund 542.000 € bzw. 545.000 €. Auch die Klägerin hat zur Unrichtigkeit des Gutachtens nicht substantiiert vorgetragen.
bb) Das FA ist – sowohl bei AM wie bei der Klägerin – anfechtungsberechtigt nach § 2 AnfG.
(1) Das FA hatte einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt, als es die Einkommensteuer 1999 des H mit Bescheid vom 5. Juli 2001 auf 7.828.975 DM festsetzte; diese ist am 8. August 2001 fällig geworden.
(2) Die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des H hat nicht zu einer vollständigen Befriedigung des FA geführt oder es war anzunehmen, dass sie nicht dazu führen würde.
Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist beim Zivilprozess der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als Tatsacheninstanz, in welcher die Einführung neuer Tatsachen noch möglich ist; derselbe Zeitpunkt ist ebenfalls für die Berücksichtigung eines nachträglichen Erlöschens einer der Voraussetzungen maßgeblich (Kirchhof in Münchener Kommentar zum Anfechtungsgesetz, Stand 2012, § 2 Rn. 10). Bezogen auf die Anfechtung durch Duldungsbescheid ist damit maßgeblich der Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung (hier vom 19. Oktober 2017).
Das FA verweist insoweit auf die Pfändungsmaßnahmen vom August 2001. Diese Zwangsvollstreckungsmaßnahmen haben nicht zu einer vollständigen Befriedigung des FA geführt.
Es war auch – im Zeitpunkt des Duldungsbescheids und im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung – anzunehmen, dass die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des H nicht zu einer vollständigen Befriedigung des FA führen würde. Hierfür spricht als Indiz (da die mutmaßliche Erfolglosigkeit kein reales Geschehen darstellt) die Tatsache, dass laut Strafurteil vom 4. Mai 2004 des Landgerichts X, mit dem auch der Verfall des Wertersatzes i.H.v. 4,5 Mio. € angeordnet wurde, zur Ermittlung des zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Vermögens die Wohnungen des H durchsucht worden sind, H umfangreiche Angaben zu seinen Vermögenswerten gemacht hat und der Verfall von Wertersatz auf den Betrag beschränkt worden ist, der im Vermögen des H in jedem Fall vorhanden war, wobei Vermögenspositionen von zweifelhaftem Wert außer Betracht gelassen wurden. Im Übrigen hat sich H von seinem Wohnsitz im Inland in die Schweiz entfernt, ohne bekanntes Vermögen zu hinterlassen.
Soweit in den beigezogenen Akten vorgetragen wird, das FA habe die Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens nicht hinreichend dargelegt und bewiesen, weil die Vermögensarreste der Staatsanwaltschaft mit Rechtskraft des Strafurteils 2006 hinfällig geworden seien und mangels Pfändung durch die Staatsanwaltschaft vom FA hätten verwertet werden können, führt dies nicht zu einer anderweitigen Beurteilung. Denn mit Strafurteil vom 4. Mai 2004 hat das Landgericht X unter anderem den Verfall von Wertersatz i.H.v. 4,5 Mio. € angeordnet (§ 73a des Strafgesetzbuchs a.F. – StGB -). Dabei hat es – wie dargestellt – den Verfall von Wertersatz auf den Betrag beschränkt, der im Vermögen des H in jedem Fall vorhanden war, wobei Vermögenspositionen von zweifelhaftem Wert außer Betracht gelassen wurden. Die Anordnung des Wertersatzverfalls begründet einen Zahlungsanspruch der Staatskasse. Er wird nach § 459g i.V.m. § 459 der Strafprozessordnung (StPO) i.V.m. § 1 des Justizbeitreibungsgesetzes vollstreckungsrechtlich wie eine Geldstrafe behandelt und von den Justizbehörden des Bundes eingezogen (vgl. z.B. Schmidt in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2007, § 73a Rn. 17). Das betroffene Vermögen stand und steht damit nicht mehr als Schuldnervermögen für Verwertungszwecke zur Verfügung.
Soweit weiter vorgetragen worden ist, das FA habe nicht in noch vorhandene Vermögenswerte des H vollstreckt, so hat sie nicht – wie erforderlich – substantiiert dargelegt, über welche Vermögensstücke der Schuldner H verfügt haben soll, in die noch hätte vollstreckt werden können (vgl. Kirchhof in Münchener Kommentar zum Anfechtungsgesetz, Stand 2012, § 2 Rn. 76).
cc) Der Anfechtungstatbestand des § 3 AnfG wurde bei AM weder geltend gemacht noch greift er ein. Hinweise der Klägerin, es habe ein Bargeschäft vorgelegen, spielen daher keine Rolle, da Bargeschäfte nur im Rahmen des § 3 AnfG Relevanz haben.
dd) Der Anfechtungstatbestand des § 4 AnfG greift ein. Denn die Leistung des H war unentgeltlich und ist nicht früher als vier Jahre vor der Anfechtung vorgenommen worden.
(1) Die Grundstücksübertragung von H auf AM erfolgte unentgeltlich.
Unentgeltlichkeit i.S.d. § 4 AnfG liegt vor, wenn die Leistung ohne Rechtspflicht erfolgt und keine Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt (vgl. Huber, Anfechtungsgesetz, 11. Auflage 2016, § 4 Rn. 16).
Erbrachte Gegenleistungen sind nicht ersichtlich. Die Bestellung eines Nießbrauches ist keine Gegenleistung (vgl. Huber, Anfechtungsgesetz, 11. Auflage 2016, § 4 Rn. 17; BGH-Urteil vom 7. April 1989 V ZR 252/87, NJW 1989, 2122).
(2) Die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks fand schuldrechtlich am 28. August 2000 und dinglich am 20. November 2000 statt und damit nicht früher als vier Jahre vor Anfechtung, nämlich vor Ergehen des Duldungsbescheids gegenüber AM am 2. Januar 2002 (§ 7 AnfG; zur Berechnung der Fristen ab gerichtlicher Geltendmachung, die auch für die Geltendmachung durch Duldungsbescheide gilt, vgl. Huber, Anfechtungsgesetz, 11. Auflage 2016, § 7 Rn. 30; vgl. auch Urteil des OLG Hamm vom 28. September 2000 27 U 176/99, OLGR Hamm 2001, 71 m.w.N.).
ee) Eine rechtskräftige (oder bestandskräftige) Anfechtung des Ersterwerbs ist nicht erforderlich.
Soweit die Anfechtung des Ersterwerbs laut Kommentarliteratur „begründet“ sein muss (vgl. Kirchhof in Münchener Kommentar zum Anfechtungsgesetz, Stand 2012, § 15 Rn. 26 m.w.N.), versteht dies der Senat nicht dahingehend, dass es schädlich ist, dass der Duldungsbescheid gegen AM (in dem Verfahren 10 K 2338/17) im Ergebnis (nur) deshalb aufzuheben war, weil das FA nach der Weiterveräußerung des Grundstücks durch AM den Tenor des Duldungsbescheides nicht dahingehend geändert hat, dass AM Wertersatz zu zahlen hat oder von seinem Nießbrauch und seiner Auflassungsvormerkung nicht Gebrauch machen darf. Denn ungeachtet dessen war der Erwerb des Grundstücks anfechtbar gewesen und ist angefochten worden (zur formellen Rechtmäßigkeit des Duldungsbescheides gegen AM im Übrigen s. Ausführungen unter II.2.e).
b) Die Erfüllung des Primäranspruchs durch AM war vor Eintritt der Rechtsnachfolge durch die Klägerin noch möglich (vgl. zu diesem Erfordernis Huber, Anfechtungsgesetz. 11. Auflage 2016, § 15 Rn. 15). Denn die Rechtsnachfolge der Klägerin ist mit Eintragung der Klägerin im Grundbuch am 23. März 2004 (nach Erklärungen über die Auflassung und Grundbuchänderung vom 24. Februar 2004) eingetreten. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte AM als Eigentümer die Vollstreckung in das Grundstück noch dulden können.
c) Eine Benachteiligung des Gläubigers FA lag auch nach Eintritt der Einzelrechtsnachfolge vor.
aa) Denn es liegt eine gegen den Rechtsvorgänger begründete Anfechtung vor und der durch die anfechtbare Handlung begründete frühere, benachteiligende Zustand wird durch die Rechtsnachfolge aufrechterhalten (vgl. Huber, Anfechtungsgesetz, 11. Auflage 2016, § 15 Rn. 16; Kirchhof in Münchener Kommentar zum Anfechtungsgesetz, Stand 2012, § 15 Rn. 27; vgl. auch BGH-Urteil vom 9. November 2006 IX ZA 13/06, juris).
bb) Selbst wenn es aber auf eine bei der Klägerin selbst vorliegende Gläubigerbenachteiligung ankäme, die im Falle der mittelbaren Gläubigerbenachteiligung spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. Huber in Graf-Schlicker, InsO, 4. Auflage 2014, § 129 Rn. 23) – hier der Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2017 – verwirklicht sein muss, läge diese vor.
Denn nach Auffassung des Senats bewirkt die Gewährung des weiteren aufschiebend bedingten Nießbrauchs für (den auch jüngeren) AM sogar eine zusätzliche Beeinträchtigung der Gläubigerstellung des FA, da er als nicht übertragbar vereinbart war und damit – wegen des Ausschlusses der Zwangsvollstreckung in dieses – keinen Ausgleich an haftendem Vermögen schuf (vgl. BGH-Urteil vom 13. Juli 1995 IX ZR 81/94, ZIP 1995, 1364). Der durch Vormerkung gesicherte Rückauflassungsanspruch, mit dem AM sicherstellte, dass im Falle der Zwangsversteigerung des Grundstücks bei der Klägerin das Wohnungseigentum wieder an ihn zurückfiel, ist zwar an sich pfändbar. Er benachteiligt aber das FA als Gläubiger weiter, weil im Falle der Zwangsvollstreckung bei der Klägerin das Eigentum am Grundstück wieder von AM beansprucht werden kann und damit die Zwangsvollstreckung vereitelt wird.
cc) Aber auch wenn der Senat davon ausginge, dass neben dem Nießbrauchsrecht des H auch das aufschiebend bedingte Nießbrauchsrecht des AM (nicht aber die Auflassungsvormerkung, vgl. Kirchhof in Münchener Kommentar zum Anfechtungsgesetz, Stand 2012, § 1 Rn. 143 m.w.N.) mangels Anfechtung durch das FA in der Prüfung der Gläubigerbenachteiligung berücksichtigt werden müsste, läge diese (noch) vor. Schon ausgehend von dem Gutachten vom Juli 2003, in dem sowohl das Nießbrauchsrecht zugunsten H wie auch das aufschiebend bedingte Nießbrauchsrecht zugunsten AM berücksichtigt wurden und dennoch keine wertausschöpfende Belastung ermittelt wurde, kann nach Auffassung des Senats eine wertausschöpfende Belastung zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 19. Oktober 2017 ebenfalls nicht vorliegen. Denn es ist allgemein bekannt, dass sich die Immobilienpreise zwischen 2003 und 2017 nach oben entwickelt haben und hiervon ist Y (die beste Wohnlage im Westen von X, vgl. Gutachten des staatlichen Bauamts, Seite 15) nicht auszunehmen. Gleichzeitig verringerten sich die Werte der Nießbrauchsrechte durch das zunehmende Alter der Berechtigten. Im Übrigen sind nach Auffassung des Senats auch keine Abschläge vom Verkehrswert im Hinblick darauf vorzunehmen, dass bei Zwangsversteigerungen möglicherweise geringere Erlöse erzielbar sind als beim freihändigen Verkauf und dass weiter die Kosten des Zwangssversteigerungsverfahrens zu berücksichtigen sind. Denn (gerichtsbekannt) sind mindestens seit 2017 auch bei Zwangsversteigerungen auf dem angespannten Grundstücksmarkt Preise über den jeweiligen Gutachtenswerten erzielbar – insbesondere bei Grundstückslagen wie im Streitfall.
Die zum Zeitpunkt der Eintragung des Eigentums der Klägerin ebenfalls bestehende Zwangssicherungshypothek des Freistaats Bayern, die im vorgenannten Gutachten nicht berücksichtigt worden war, bestand jedenfalls zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung nicht mehr. Sie war nämlich dann zu einer nicht mehr valutierten Eigentümergrundschuld geworden.
Das FA muss sich bei der Prüfung der Beeinträchtigung der Zugriffsmöglichkeit auch nicht auf die Eintragung der Zwangssicherungshypothek verweisen lassen. Diese war zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung ohnehin zu einer (nicht valutierten) Eigentümergrundschuld geworden.
d) Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Nr. 2 AnfG liegen vor.
aa) Nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 AnfG kann die Anfechtbarkeit gegen einen sonstigen Rechtsnachfolger geltend gemacht werden, wenn der Rechtsnachfolger zur Zeit seines Erwerbs zu den Personen gehörte, die dem Schuldner nahestehen (§ 138 InsO), es sei denn, dass ihm zu dieser Zeit die Umstände unbekannt waren, welche die Anfechtbarkeit des Erwerbs seines Rechtsvorgängers begründen (Nr. 2).
(1) Im Streitfall war die Klägerin Sonderrechtsnachfolgerin, denn sie wurde – wie dargestellt – Eigentümerin des Grundstücks.
(2) Die Klägerin gehörte zum Zeitpunkt ihres Eigentumserwerbs an dem Grundstück zu den Personen, die dem Schuldner nahestehen (§ 138 InsO). Denn dazu gehören nach § 138 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch Geschwister des Schuldners.
(3) Die Klägerin hat die – durch das Verwandtschaftsverhältnis begründete – Vermutung, dass ihr zu dieser Zeit die Umstände unbekannt waren, welche die Anfechtbarkeit des Erwerbs ihres Rechtsvorgängers begründen, auch nicht widerlegt.
Der Vortrag allein, sie habe die Umstände des Erwerbs, die nach §§ 3 bis 6 AnfG zur Anfechtbarkeit führten, nicht gekannt, reicht nicht aus. Soweit sie weiter einwendet, über die wirtschaftlichen Verhältnisse des H nur aus den Medien erfahren zu haben und von einem Duldungsbescheid an die Mutter des AM keine Kenntnis gehabt zu haben und insbesondere mit BM seit Jahren keinen Kontakt mehr zu haben, widerlegt dies die gesetzliche Vermutung ebenfalls nicht. Auch der Hinweis, Sachverhalte wie Vermögensverhältnisse, Steuerlasten, Immobiliengeschäfte jeder Art des H oder überhaupt geschäftliche Details betreffend H seien seitens des H mit der Klägerin nicht besprochen worden, reicht hierfür nicht aus.
(a) Denn die Kenntnis des Rechtsnachfolgers muss die Umstände betreffen, die die Anfechtbarkeit des Erwerbs des Vorgängers begründen, mithin hier die Umstände der Anfechtbarkeit nach § 4 AnfG (vgl. Kirchhof in Münchener Kommentar zum Anfechtungsgesetz, Stand 2012, § 15 Rn. 28); das ist die Unentgeltlichkeit der Leistung des H an AM. Dann aber sind die vorgenannten Einwände unerheblich. Zudem kannte die Klägerin die Unentgeltlichkeit des Ersterwerbs.
Dass die Klägerin den unentgeltlichen Erwerb des Grundstücks durch AM gekannt hat, ergibt sich für den Senat daraus, dass sie im Vertrag vom 26. März 2002 zwischen AM und ihr (auf Seite 6 oben) erklärt hat, sie „kenne den Vertrag vom 8.08.2000, in dem die Eintragungsbewilligung für diesen Nießbrauch [gemeint: das Nießbrauchsrecht des H] enthalten ist“; wohl lediglich versehentlich ist statt des richtigen Vertragsdatums „28. August 2000“ das Datum „8.08.2000“ genannt, denn die genannte Eintragungsbewilligung für den Nießbrauch des H ist im Vertrag vom 28. August 2000, dort Seite 3, enthalten.
(b) Selbst wenn beim Rechtsnachfolger die Unkenntnis der Anfechtbarkeit des Ersterwerbs sowie der konkreten Gläubigerbenachteiligung erforderlich sein sollte und selbst wenn das Gericht als wahr unterstellte, dass H mit der Klägerin Sachverhalte wie seine Vermögensverhältnisse, Steuerlasten, Immobiliengeschäfte jeder Art oder überhaupt geschäftliche Details niemals besprochen hat, hat die Klägerin damit nicht überzeugend widerlegt, dass sie die Umstände, welche die Anfechtbarkeit des Erwerbs des AM und die konkrete Gläubigerbenachteiligung während des mehraktigen Rechtserwerbs nicht gekannt hat.
Denn in Anbetracht der ungewöhnlichen Gestaltungen im Vertrag vom 28. August 2000 (zwischen H und AM) und im Vertrag vom 26. März 2002 (zwischen AM und ihr) erscheint es dem Senat lebensfremd, dass die Klägerin über die Beweggründe für diese Vertragsgestaltung – wie Anfechtbarkeit und Gläubigerbenachteiligung – nicht (von welcher Seite auch immer) Kenntnis gehabt haben soll. Die jeweiligen lebenslangen Nießbrauchsbestellungen stellten sicher, dass der Familienwohnsitz H und AM erhalten blieb und die Rückauflassungsvormerkung stellte sicher, dass auch das Eigentum innerhalb der Familie blieb. Im Ergebnis beschränkte sich daher der Eigentumserwerb der Klägerin darauf, dass sie zwar Eigentum für 37.500 € erworben hat, dass jedoch die Familie H und AM (und wohl auch BM) bis zum Lebensende die Immobilie würden nutzen können, und dass die Klägerin sogar die Kosten des Grundstücks während des Nießbrauchs durch AM tragen sollte. Damit war der Eigentumserwerb durch die Klägerin unter keinem Gesichtspunkt wirtschaftlich vorteilhaft; ein anderer Sinn der Gestaltung, als AM aus der drohenden Duldung der Zwangsvollstreckung zu befreien, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Der Vertrag vom 26. März 2002 wurde zudem bereits drei Monate nach Ergehen des Duldungsbescheides gegenüber AM und bereits 18 Monate nach der Schenkung des Grundstücks an AM geschlossen; ein anderer Grund für die rasche Weiterübertragung als das Umgehen der Folgen aus dem Duldungsbescheid gegen AM ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
Nicht nötig ist, dass der Rechtsnachfolger die Voraussetzungen des § 2 AnfG mit Bezug auf den Hauptschuldner kennt (vgl. Kirchhof in Münchner Kommentar zum Anfechtungsgesetz, Stand 2012, § 15 Rn. 29)
bb) Damit kommt es nicht mehr darauf auf, ob § 15 Abs. 2 Nr. 3 AnfG eingreift, wonach die Anfechtbarkeit gegen einen sonstigen Rechtsnachfolger geltend gemacht werden kann, wenn dem Rechtsnachfolger das Erlangte unentgeltlich zugewendet worden ist. Im Streitfall spricht ohnehin viel dafür, dass der Klägerin als Rechtsnachfolgerin das Grundstück nicht unentgeltlich zugewendet worden ist.
(1) Unentgeltlichkeit i.S.d. § 4 AnfG liegt vor, wenn die Leistung ohne Rechtspflicht erfolgt und keine Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt (vgl. Huber, Anfechtungsgesetz, 11. Auflage 2016, § 4 Rn. 16). Bestand jedoch ein Anspruch auf angemessene Gegenleistung, so kann die Zuwendung nicht schon deshalb als unentgeltlich angefochten werden, weil die Gegenleistung unterblieben ist (vgl. Huber, Anfechtungsgesetz, 11. Auflage 2016, § 4 Rn. 16).
(2) Mit Wertgutachten vom 11. Juli 2003 im Rahmen der Überprüfung der Genehmigungsfähigkeit des Rechtsgeschäfts durch einen Ergänzungspfleger wurde ein Grundstückswert (unter Berücksichtigung der nicht angefochtenen Nießbrauchswerte) i.H.v. 31.000 € festgestellt. Der Senat hat keinen Anhaltspunkt, die Richtigkeit dieses Gutachtens anzuzweifeln. Auch die Klägerin hat hierzu nicht substantiiert vorgetragen. Die Klägerin hat hierfür einen Kaufpreis i.H.v. 37.500 € vereinbart.
Soweit das FA von einer Unentgeltlichkeit der Überlassung des Grundstücks an die Klägerin ausgeht, weil die Übernahme dinglicher Belastungen oder der Vorbehalt von Nießbrauchsrechten bei Übertragung eines Grundstücks nicht ohne weiteres die Entgeltlichkeit des Geschäfts begründeten, ist ihm zwar insoweit beizupflichten. Doch auch wenn die Nießbrauchsrechte keine Gegenleistung darstellen, so mindern sie dennoch – da sie nicht angefochten sind – den Wert des übertragenen Grundstücks mit der Folge, dass die tatsächlich gezahlte Gegenleistung i.H.v. 37.500 € zur Entgeltlichkeit des Erwerbs führt (vgl. auch FG Münster, Urteil vom 6. Juni 2014 14 K 687/10 AO, EFG 2014, 1567).
e) Die Anfechtungsfrist ist gewahrt.
aa) Die tatsächliche Geltendmachung der Anfechtung des Ersterwerbs – und nicht auch die erfolgreiche – reicht auch für die Wahrung der Anfechtungsfrist bei der Rechtsnachfolgerin (OLG Hamm, Urteil vom 28. September 2000 27 U 176/99, OLGR Hamm 2001, 71 Rn. 32 „gegenüber dem Ersterwerber […] fristgemäß und sogar mit Erfolg eine Anfechtungsklage erhoben worden“).
bb) Im Übrigen war das Finanzamt G zum Erlass des Duldungsbescheids betreffend die Anfechtung der Grundstücksübertragung an AM auch örtlich zuständig.
(1) Ergibt sich die örtliche Zuständigkeit nicht aus anderen Vorschriften – wie im Streitfall für den Erlass eines Duldungsbescheids -, so ist die Finanzbehörde zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt (§ 24 AO).
Wegen des Sachzusammenhangs mit der Besteuerung wird sich in der Regel der Anlass für die Amtshandlung bei dem für den Steuerschuldner zuständigen FA ergeben (BFH-Urteil vom 23. Juli 1998 VII R 141/97, BFH/NV 1999, 433 für Haftungsbescheide; Schmieszek in Gosch, AO/FGO, Stand August 2010, § 24 AO Rn. 6 und 13 für Haftungsbescheide).
Geht die örtliche Zuständigkeit durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände von einer Finanzbehörde auf eine andere Finanzbehörde über, so tritt der Wechsel der Zuständigkeit in dem Zeitpunkt ein, in dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon erfährt (§ 26 Satz 1 AO).
(2) Der Steuerschuldner H wohnte jedenfalls im Jahr 2002 in G, denn er reichte (gerichtsbekannt) am 14. November 2002 beim Finanzamt G einer Steuererklärung für 1999 ein. Im Übrigen hat er auch in der notariellen Urkunde betreffend die eidesstattliche Versicherung vom 13. November 2002 als Wohnort G angegeben.
cc) Eine etwaige Fehlerhaftigkeit bei der Zustellung des Duldungsbescheids kann dahingestellt bleiben, denn jedenfalls hat BM als gesetzliche Vertreterin des AM diesen ausweislich der Einsprüche der Kanzlei S vom 4. Februar 2002 erhalten; damit ist der Duldungsbescheid wirksam geworden (§ 124 Abs. 1 AO; BFH-Beschluss vom 6. Mai 2014 GrS 2/13, BStBl II 2014, 645). Sollte die Kanzlei nicht bevollmächtigt gewesen sein, würde dies (allenfalls) zur Bestandskraft des Duldungsbescheids führen.
Die schriftliche Mitteilung an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin zur Erstreckung der Fristen nach § 7 Abs. 2 AnfG ist damit entbehrlich.
f) Der Duldungsbescheid an die Klägerin genügt den gesetzlichen Formerfordernissen.
aa) Der Duldungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung enthält die nach § 13 AnfG für den Klageantrag geforderten Angaben (z.B. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Februar 2018, § 191 AO Rn. 209 f.). Er bezeichnet die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und schlüsselt diese nach Erhebungszeiträumen auf. Er gibt den Anfechtungsgrund (Anfechtungstatbestand nach dem AnfG) an, nämlich alle drei Ziffern des § 15 AnfG und damit auch § 15 Abs. 2 Nr. 2 AnfG. Er bezeichnet den zurück zu gewährenden Gegenstand genau. Er legt die Art und Weise dar, wie der Gegenstand zurückgewährt werden soll, nämlich durch Duldung der Zwangsvollstreckung.
Soweit die Klägerin moniert, ihr sei lediglich der Entwurf eines Duldungsbescheids zugesandt worden, so dass der erforderliche Bekanntgabe- bzw. Zustellungswille gefehlt habe, bezieht sie sich auf die auf ihre Anforderung am 22. September 2016 übersandte Aktenausfertigung des Duldungsbescheids.
bb) Die erforderlichen Ermessenserwägungen durften – und sind – in der Einspruchsentscheidung nachgeholt worden.
Das Gebot der genauen Bezeichnung des Anfechtungsgegenstands bzw. der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit des Duldungsbescheids steht einer Auslegung des Duldungsbescheids mitsamt des darin bezeichneten Anfechtungsgegenstands nach den üblichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB nicht entgegen. Eine Auslegung in dem Sinne, dass im Ergebnis ein Austausch des im Duldungsbescheid ausdrücklich bezeichneten Anfechtungsgegenstands eintritt, ist jedoch nicht zulässig (BFH-Beschluss vom 8. Februar 2001 VII B 82/00, BFH/NV 2001, 1003).
Soweit als Anfechtungsgrund – abweichend vom Duldungsbescheid, in dem noch sämtliche Alternativen des § 15 Abs. 2 AnfG genannt wurden – in der Einspruchsentscheidung nur § 15 Abs. 2 Nr. 3 AnfG begründet worden ist, während § 15 Abs. 2 Nr. 2 AnfG einschlägig ist, führt dies nicht zu einem Ermessensfehler des Duldungsbescheids. Denn das FA hat im Schriftsatzaustausch während des Klageverfahrens auch Begründungen zu § 15 Abs. 2 Nr. 2 AnfG vorgebracht und die Klägerin hat entsprechend erwidert. Diese Norm erfordert aber keine anderen Ermessenserwägungen als die Inanspruchnahme nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 AnfG, so dass eine mangelnde Ermessensausübung nicht vorliegt (vgl. BFH-Beschluss vom 24. April 2006 VII B 120/05, BFH/NV 2006, 1609 zur Inanspruchnahme nach § 3 oder § 4 AnfG; vgl. auch Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand März 2012, § 191 AO Rn. 100).
g) Die im Duldungsbescheid aufgelisteten Steuerforderungen gegen H (Erstschuld) sind nicht infolge Zahlungsverjährung erloschen.
aa) Zwar unterliegen Ansprüche aus dem Steuerverhältnis einer fünfjährigen Zahlungsverjährung (§ 228 AO).
bb) Jedoch ist das Finanzgericht München im Anfechtungsprozess des H gegen den Steuerbescheid 1999 im Urteil vom 15. Mai 2014 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Steuerbescheid i.H.v. 2.726.416,92 € rechtmäßig ist und hat infolgedessen die Klage durch Sachurteil insoweit abgewiesen; dieses Urteil ist am 29. Oktober 2014 rechtskräftig geworden. Damit steht zwischen den Beteiligten nicht nur fest, dass die Festsetzung des Steueranspruchs im Umfang der Klageabweisung rechtmäßig war, sondern auch, dass der sich aus der rechtmäßigen Festsetzung ergebende Zahlungsanspruch der Finanzbehörde besteht und bis zum Tag der Entscheidung des Finanzgerichts nicht durch Zahlungsverjährung erloschen ist (BFH-Beschluss vom 6. August 1996 VII B 24/96, BFH/NV 1997, 95).
Da aber jedenfalls bis 15. Mai 2014 keine Zahlungsverjährung eingetreten ist, ist diese vor deren Eintritt durch Erlass der Duldungsbescheide gegen AM am 2. Januar 2002 und des Duldungsbescheides gegen die Klägerin am 19. Februar 2008 unterbrochen worden (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand März 2012, § 191 AO Rn. 224 m.w.N.).
h) Damit muss die Klägerin die Vollstreckung in das Grundstück dulden.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AnfG muss dem Gläubiger, soweit es zu seiner Befriedigung erforderlich ist, das zur Verfügung gestellt werden, was durch eine anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist.
§ 11 AnfG regelt (nur) die Rechtsfolgen der wirksamen Anfechtung einer Rechtshandlung; Ziel des § 11 AnfG ist die Wiederherstellung der durch die Vermögensverschiebung vereitelten Zugriffslage für die Gläubiger. Der Gläubiger soll so gestellt werden, als könne er auf das Vermögen des Schuldners noch so zugreifen, wie es ihm ohne die anfechtbare Disposition des Schuldners möglich gewesen wäre (BFH-Urteil vom 30. März 2010 VII R 22/09, BStBl II 2011, 327 m.w.N.).
Aufrechnungen gegen diesen Duldungsanspruch sind schon mangels Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Duldungspflicht der Klägerin gegenüber dem FA und dem angeblichen Anspruch der Klägerin gegen H (getragene Hauskosten) nicht möglich; zudem ist der angebliche Anspruch auch nicht substantiiert dargelegt.
i) Das Leistungsgebot ist rechtmäßig.
Es liegt ein vollstreckbarer Verwaltungsakt vor, der die vom Vollstreckungsschuldner zu erbringende Leistung genau bezeichnet und dessen Pflichten konkretisiert, nämlich der Duldungsbescheid. Die Duldungspflicht ist mit ihrer Entstehung fällig geworden (§ 220 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Aufforderung zur Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück ist hinreichend bestimmt. Das Leistungsgebot muss nicht mit dem zu vollstreckenden Verwaltungsakt verbunden werden (vgl. § 254 Abs. 1 Satz 2 AO).
Die Duldungspflicht ist streng akzessorisch. Veränderungen, die den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis mindern oder zum Erlöschen bringen, wirken sich unmittelbar auf den Bestand der Duldungspflicht aus. Das Leistungsgebot vom 8. Dezember 2016 hat die Steuerschuld des H, die mit Urteil des Finanzgerichts München vom 15. Mai 2014 auf 2.726.416,92 € festgesetzt worden ist, zutreffend berücksichtigt. Gleiches gilt für den während des Klageverfahrens erlassenen Teil-Widerrufsbescheid vom 4. Juli 2018, mit dem das Leistungsgebot vom 8. Dezember 2016 nach § 131 Abs. 1 AO i.H.v. 283.952,07 € wegen entsprechender Zahlungen eines Gesamtschuldners auf die in dem Duldungsbescheid vom 19. Februar 2008 genannten Abgabeverbindlichkeiten teilweise widerrufen worden ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 115 Abs. 2 FGO.


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