Erbrecht

Beschwerde, Erbschein, Gesundheitszustand, Erblasserin, Pflichtteilsanspruch, Erblasser, Grundbuch, Auskunft, Kostenentscheidung, Erbfall, Feststellung, Gutachten, Zustimmung, Verfahren, offensichtliches Schreibversehen

Aktenzeichen  12 O 3403/20

Datum:
15.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35408
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagten werden verurteilt, den Klägerinnen Auskunft über den Bestand des Nachlasses der am … 2014 in H. verstorbenen Erblasserin A. F. zu erteilen durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses, welches folgende Punkte umfasst:
1.1 alle beim Erbfall vorhandenen Sachen und Forderungen (Aktiva)
1.2 alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden)
1.3 alle ergänzungspflichtigen Zuwendungen, die die Erblasserin zu Lebzeiten getätigt hat
1.4 alle unter Abkömmlingen ausgleichspflichtigen Zuwendungen, die die Erblasserin zu Lebzeiten an ihre Abkömmlinge getätigt hat.
2. Die Zwischenfeststellungswiderklage wird abgewiesen. 
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
4. Das Urteil ist für die Klägerinnen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 € vorläufig vollstreckbar. 

Gründe

Die Zwischenstellungswiderklage der Beklagten ist unzulässig. Die Stufenklage der Klägerinnen ist im Hinblick auf die Auskunftsstufe Ziffer 1 zur Entscheidung reif, zulässig und begründet.
I. Die Zwischenstellungswiderklage der Beklagten ist unzulässig.
Die Widerklage der Beklagten richtet sich auf die negative Zwischenfeststellung von Pflichtteilsansprüchen der Klägerinnen im Hinblick auf eingetretene Verjährung. Die Frage der Verjährung selbst, die im Mittelpunkt des Antrages der Beklagten steht, ist zwar ein vorgreiflicher Umstand, aber selbst kein Rechtsverhältnis, welches mit Hilfe der Feststellungsklage feststellbar wäre. Die von den Beklagten als Anlage WK 3 vorgelegte Entscheidung des OLG Frankfurt über eine Zwischenfeststellungswiderklage über das Bestehen eines bestimmten Güterstandes zwischen Ehegatten ist daher nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ist eine bestimmte Rechtsbeziehung einer Person zu einer anderen oder zu einem Gegenstand, nicht dagegen Tatsachen oder abstrakte Rechtsfragen (Musielak/Voit, 17. Aufl., § 256 ZPO, Rdnr. 2). Die Pflichtteilsansprüche der Klägerinnen, die ein solches Rechtsverhältnis wären, sind bereits Gegenstand der Stufenklage, d.h. einer gegnerischen Leistungsklage, und im übrigen – mit Ausnahme der Frage der Verjährung – unstreitig, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis im Sinne eines Feststellungsinteresses auf Seiten der Beklagten nur so lange besteht, wie die Leistungsklage der Klägerinnen noch ohne Zustimmung zurückgenommen werden kann. Dieser Zeitpunkt ist angesichts der beidseits erteilten Zustimmung zum schriftlichen Verfahren erreicht (Musielak, Voit, 17. Aufl., § 269 ZPO, Rdnr. 8; Zöller, 31. Aufl., § 269 ZPO, Rdnr. 13).
Die Zwischenfeststellungswiderklage der Beklagten wäre im Übrigen auch unbegründet, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zur Auskunftsklage ergibt. Eine Verjährung der Pflichtteilsrechte der Klägerinnen ist nicht eingetreten.
II. Der Rechtsstreit ist im Übrigen im Hinblick auf die derzeitige Stufe Ziffer I. des Klageantrags (Auskunftsstufe) zur Entscheidung reif. Es liegen damit die Voraussetzungen des § 301 ZPO vor.
Die Stufenklage ist insoweit zulässig und unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht München II örtlich und sachlich zuständig, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, 12, 13, 27 ZPO.
2. Die Auskunftsklage ist auch begründet.
Der Antrag der Klägerinnen mit Schriftsatz vom 03.09.2020 war in Ziffer 1 vom Gericht dahin auszulegen, dass der Todestag der Erblasserin mit dem 11.01.2014 anzugeben war. Die Angabe „… 2014“ im Klageschriftsatz Seite 2 war im Hinblick auf den Umstand, dass die Erblasserin unstreitig am … 2014 verstorben ist, was sich auch aus der Todesanzeige Anlage B2 ergibt, als offensichtliches Schreibversehen anzusehen.
Die Auskunftsansprüche der Klägerinnen ergeben sich aus §§ 260, 2314, 2316 I, 2052, 2055 I BGB. Dass die beklagten Enkelinnen auf Grund letztwilliger Verfügung zu je 1/2 Erben der A. F. geworden sind, ist ebenso unstreitig geblieben wie die Pflichtteilsrechte der Klägerinnen von je 1/6 als Töchter der Erblasserin.
Der Pflichtteilsberechtigte hat gemäß der genannten Vorschriften Anspruch auf Auskunft hinsichtlich der beim Erbfall tatsächlich vorhandenen Nachlassgegenstände, also der real vorhandenen Nachlassaktiva, einschließlich der wesentlichen Berechnungsfaktoren, ohne dass eine Saldierung bestimmter Gruppen von Nachlassgegenständen zulässig wäre. Das schriftliche Bestandsverzeichnis, welches der Pflichtteilsberechtigte gemäß § 260 BGB verlangen kann, hat ferner Nachlassverbindlichkeiten und fiktiven Nachlass sowie ausgleichspflichtige Zuwendungen und pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkungen zu enthalten. Das vom Erben geschuldete Bestandsverzeichnis kann dabei aus mehreren Teilverzeichnissen bestehen, soweit Übersichtlichkeit gewahrt ist (vgl. Bamberger/Roth, 3. Aufl., § 2314 BGB, Rdnr. 9, 13).
Diesen Anforderungen wird die bruchstückhafte Auflistung Anlage B 1 auch mit den weiteren schriftsätzlichen Angaben der Beklagten zu Schenkungen, Kosten, Einnahmen und Ausgaben nicht gerecht. Die Beklagten trennen zwar zwischen Bargeld und Bankguthaben, führen jedoch unter der Rubrik „Schmuck geschätzt“ nicht aus, um welche Gegenstände welcher Beschaffenheit es sich handelt. Weder die Art der einzelnen Gegenstände noch ihre wertbildenden Faktoren werden ersichtlich. Anhand der gegebenen Informationen sind die Gegenstände nicht individualisierbar. Insgesamt fehlt es auch an der erforderlichen Übersichtlichkeit. Die Auskunftsansprüche der Klägerinnen sind deshalb auch nicht durch Erfüllung erloschen.
Anders als die Beklagten meinen, sind die Pflichtteilsansprüche der Klägerinnen auch nicht verjährt.
Pflichtteilsansprüche unterliegen der kurzen Regelverjährung von drei Jahren nach §§ 195, 199 BGB. Voraussetzung für das Anlaufen der Verjährung wäre nicht lediglich die Anspruchsentstehung, sondern daneben Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände und der Person des Schuldners (§ 199 I BGB). Im Fall der Pflichtteilsberechtigung genügt deshalb nicht Kenntnis vom Todesfall an sich. Hinzutreten muss vielmehr die Kenntnis des Berechtigten von der enterbenden oder beeinträchtigenden Verfügung von Todes wegen. Dies setzt voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht nur allgemein von deren Existenz erfährt, sondern auch ihren wesentlichen Inhalt mit dem daraus resultierenden Ausschluss seines Erbrechts erkennt, ohne dass er freilich alle Einzelheiten erfasst haben muss (vgl. Bamberger/Roth, 3. Aufl., § 2332 BGB, Rdnr. 7). Berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit der Enterbung schließen die erforderliche Kenntnis aus und verzögerten den Verjährungsbeginn so lange, wie sie nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind. Die erforderliche Kenntnis kann auch fehlen, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam und entfalte daher keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (Bamberger/Roth, 3. Aufl., § 2332 BGB, Rdnr. 8; OLG Rostock, Urteil vom 11.11.2010 – 3 U 59/10, BeckRS 2011, 1476; BGH NJW 2000, 288). Streiten Erbprätendenten über die Wirksamkeit eines Testaments, durch das frühere Testamente widerrufen worden sind, die u.a. ein Vermächtnis enthalten, hat die durch das Vermächtnis Begünstigte i.d.R. keine den Lauf der Verjährungsfrist auslösende Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände und ist auch nicht auf Grund grober Fahrlässigkeit in Unkenntnis, solange die Beweisaufnahme über die Echtheit des späteren Testaments und die Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt seiner Errichtung nicht abgeschlossen ist (OLG Düsseldorf, ZEV 2018, 705).
Entsprechende berechtigte Wirksamkeitszweifel der Klägerinnen bestanden vorliegend angesichts des später aufgefundenen Testaments der Erblasserin. Ausweislich der beigezogenen Nachlassakten fanden sich in der streitgegenständlichen letztwilligen Verfügung der Erblasserin zugunsten der Beklagten sowohl Auffälligkeiten am Datum auf Grund der Schreibweise als auch an der Buchstabengestaltung etwa des „A“ beim Namenszug im Vergleich zu anderen Schriftstücken der Erblasserin. Es bestanden deshalb im vorliegenden Fall naheliegende Zweifel an der vollständigen Autorenschaft und dem Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung, die möglicherweise mit einem bindenden Erbvertrag kollidiert wäre. Hinzu kamen desweiteren Bedenken hinsichtlich der Testierfähigkeit der Erblasserin. Die im Nachlassverfahren tätigen Gerichte haben daher zu Recht umfangreiche Beweisaufnahmen durchgeführt, deren Ergebnis für keinen der Beteiligten von vornherein auf der Hand liegen konnte. Von einer Kenntnis der Klägerinnen von der Wirksamkeit der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung kann daher vorliegend auch erst ab Dezember 2019, nach der Entscheidung des OLG München im Nachlassverfahren ausgegangen werden. Erst in diesem Zeitpunkt war die Beweisaufnahme zu den aufgeworfenen Zweifeln an der Wirksamkeit des Testaments endgültig abgeschlossen.
Im Zeitpunkt der Klageerhebung – 09.09.2020 – waren die Pflichtteilsansprüche der Klägerinnen daher unverjährt.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.


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