Erbrecht

Einsetzung des Ehegatten als befreiten Vorerben

Aktenzeichen  63 VI 962/17 (2)

Datum:
11.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 153999
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 2100, § 2113 Abs. 1, § 2136, § 2137

 

Leitsatz

Von einer stillschweigenden Befreiung des Vorerben ist bei einer Einsetzung des an der Vermögensbildung beteiligten Ehegatten zum Vorerben auszugehen, wenn es sich bei dem Nacherben um einen eher entfernten Verwandten handelt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Eine Einziehung des Erbscheins vom 26.05.2017 ist nicht veranlasst, weil der Erbschein nicht unrichtig ist.

Gründe

I.
1. Der am … 1957 geborene und am … 2016 verstorbene Erblasser wohnte zuletzt in der A. Str. 166b in M. und war deutscher Staatsangehöriger. Seine erste Ehe mit Ro. Ho., geb. Sch., wurde im Jahr 2007 geschieden. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, die Beteiligte zu 2) und Fl. Ho., geb. am … 1980. Der Verstorbene war in zweiter Ehe verheiratet mit der Beteiligten zu 1). Der Beteiligte zu 3) ist der Sohn der Beteiligten zu 1). Gemeinsame Kinder sind aus der Ehe des Erblassers mit der Beteiligten zu 1) nicht hervorgegangen.
2. Der Erblasser errichtete am 19.10.2015 ein eigenhändiges handschriftliches Testament, das unter anderem wie folgt lautet:
Meine Ehefrau soll Alleinerbe werden. Nach ihrem hoffentlich späten Ableben, soll der Besitz an die Beteiligten zu 2) und 3) je zur Hälfte übergehen. Mein Sohn Fl. soll nichts (auch nicht den Pflichtteil) erhalten.
Das Testament ist vom Erblasser unterschrieben.
3. Am 26.5.2017 erteilte das Nachlassgericht auf Antrag der Beteiligten zu 1) einen Erbschein, der die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin ausweist. Ferner erhält der Erbschein folgende Zusätze:
Nacherbfolge ist angeordnet. Die Nacherbfolge tritt ein beim Tod der Vorerbin. Nacherben sind:
die Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 3). Der Vorerbe ist von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit.
4. Mit Schriftsatz vom 18.8.2017 legte die Beteiligte zu 2) über ihren Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde gegen die Erteilung des Erbscheins vom 26.05.2017 ein und beantragte die Anordnung der Einziehung des Erbscheins vom 26. Mai 2017 wegen Unrichtigkeit. Die Beteiligte zu 2) ist der Ansicht, dass der erteilte Erbschein unrichtig sei, da er die Vorerbin als befreite Vorerbin ausweise. Das Testament des Erblassers vom 19.10.2015 beinhalte keine ausdrückliche Befreiung der Vorerbin von den in § 2136 BGB aufgelisteten Beschränkungen und Verpflichtungen. Auch ergebe die Auslegungsregel des § 2137 BGB keine Anordnung einer Befreiung. Vielmehr habe der Erblasser verfügt, dass nach dem Ableben der Besitz an die Beteiligten zu 2) und 3) je zur Hälfte übergehen soll. Der Erblasser sei hierbei offenbar bereits zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments davon ausgegangen, dass das in seinem Eigentum stehende Wohnhausgrundstück seine Nacherben erhalten sollen. Dies sei jedoch nur sichergestellt, wenn der Grundbesitz durch die Ehefrau des Erblassers nicht veräußert werden könne, d.h. diese nicht von der Verfügungsbeschränkung über Grundstücke des § 2113 BGB befreit ist. An der Bildung des Immobilienvermögens sei die Beteiligte zu 1) nicht beteiligt gewesen. Der Erblasser habe der Beteiligte zu 1) mit der Anordnung der Vorerbschaft auch nicht eine missliche wirtschaftliche Lage beschert.
Die Beteiligte zu 1) beantragte mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 28.09.2017, die Beschwerde der Beteiligten zu 2) zurückzuweisen, da der Erbschein richtig sei. Der Erblasser habe der Beteiligten zu 1) aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation eine nicht befreite Vorerbschaft nicht antun wollen. Mit der Formulierung dass „der Besitz“ je zur Hälfte an die Beteiligten zu 2) und 3) übergehen sollte, habe der Erblasser nur ausschließen wollen, dass über seinen Nachlass im Wege der gesetzlichen Erbfolge, z.B. bei Wiederverheiratung seiner Ehefrau oder aufgrund Testaments, anderweitig verfügt würde. Ferner spreche für eine befreite Vorerbschaft, dass der Erblasser nicht nur seine leibliche Tochter, sondern auch seinen Stiefsohn, den Beteiligten zu 3) als Sohn der Ehefrau als Nacherben einsetze. Hierdurch habe er in keinem Fall die wirtschaftliche Freiheit seiner geliebten Ehefrau einschränken wollen.
II.
Eine Einziehung des Erbscheins vom 26.05.2017 ist nicht veranlasst, weil der Erbschein nicht unrichtig ist.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen die Erteilung des Erbscheins vom 26.05.2017 war als Anregung auf Einziehung des Erbscheins als unrichtig umzudeuten.
Da der Erbschein vorliegend bereits erteilt wurde, sind seine Publizitätswirkungen (§§ 2365-2367) eingetreten und können nicht rückwirkend wieder beseitigt werden. Ziel der Beschwerde ist dann, das Nachlassgericht zur einer Überprüfung zu veranlassen, ob der Erbschein unrichtig ist und ggf. eine Einziehung des Erbscheins von Amts wegen veranlasst. Dahingehend war die Beschwerde umzudeuten.
Der am 26.05.2017 erteilte Erbschein ist jedoch nicht unrichtig. Die Beteiligte zu 1) als Vorerbin wurde vom Erblasser von den Beschränkungen und Verpflichtungen des § 2113 Abs. 1 BGB und der §§ 2114, 2116-2119, 2123, 2127-2131, 2133, 2134 BGB befreit (§ 2136 BGB). Dieser Zusatz ist im Erbschein vom 26.05.2017 auch enthalten.
Das eigenhändige Testament des Erblassers vom 19.10.2015 selbst enthält zwar keine eindeutige Aussage, ob die Beteiligte zu 1) als vollständig befreite Vorerbin eingesetzt werden sollte. Testamentarische Verfügungen sind jedoch stets auszulegen, weil es auf die Ermittlung des wirklichen Erblasserwillens ankommt, der sich nicht nur aus dem (vermeintlich) eindeutigen Wortlaut, sondern aus allen Umständen des Einzelfalls erschließt (BGH NJW 1983, 672, 673). Das gilt insbesondere auch für die Vor- und Nacherbschaft und die Befreiung des Vorerben. Es genügt, wenn der Befreiungswille im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt, zum Ausdruck kommt (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 77. Auflage, § 2136 BGB Rdn. 5).
Insoweit haben sich in der Rechtsprechung Umstände herauskristallisiert, unter denen von einer stillschweigenden Befreiung des Vorerben auszugehen ist. Dazu gehören unter anderem das Einsetzen des an der Vermögensbildung beteiligten Ehegatten zum Vorerben, wenn es sich bei dem Nacherben um einen eher entfernten Verwandten handelt oder das Eintreten des Nacherbfalls mit dem Tod des Vorerben oder der Wiederverheiratung (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 77. Auflage, § 2136 BGB Rn. 7 mwN)
In diesem Sinne hat der Erblasser vorliegend verfügt.
Der Erblasser hat im Testament vom 19.10.2015 seine Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt. Durch diese Bezeichnung machte er deutlich, dass er seine Ehefrau als einzige Erbin ansieht. Diese Stellung betont der Erblasser durch die dann folgende Formulierung, dass der Besitz erst nach dem „hoffentlich späten Ableben“ seiner Ehefrau an die Beteiligten zu 2) und 3) je zur Hälfte übergehen soll. Seine Ehefrau sollte nach dem Willen des Erblassers möglichst lange, nämlich bis zu ihrem Tod, über den Nachlass verfügen können, bevor ein Übergang an die Beteiligte zu 2) und den Beteiligten zu 3) stattfindet. Der Erblasser und seine Ehefrau lebten zusammen und standen sich als Ehegatten erfahrungsgemäß nahe. Gegenteilige Anhaltspunkte hat das Gericht nicht und wurde von den Beteiligten auch nicht vorgetragen.
Für die Befreiung der Vorerbin sprechen noch weitere entscheidende Umstände. So hat der Erblasser verfügt, dass Nacherben sowohl seine Tochter Viktoria als auch der Sohn seiner Ehefrau Robert Liehr zu je 1/2 sein sollen. Die Zuwendung an den Sohn der Ehefrau, spricht dafür, dass es dem Erblasser nicht darauf ankam, den Nachlass für seine eigenen Kinder bzw. seine eigene Tochter ungeschmälert zu erhalten, sondern, dass es ihm vielmehr darauf ankam, die Position seiner Ehefrau zu stärken. Ferner ging es dem Erblasser weiter darum, einen Zugriff seines eigenen Sohnes aus erster Ehe, mit dem er im Streit lag, auszuschließen.
III.
Eine Kostenentscheidung gem. § 81 FamFG war nicht veranlasst.


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