Erbrecht

Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten

Aktenzeichen  II R 17/16

Datum:
5.2.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2020:U.050220.IIR17.16.0
Normen:
§ 10 Abs 3 ErbStG 1997
§ 10 Abs 5 ErbStG 1997
§ 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO
§ 2317 BGB
Spruchkörper:
2. Senat

Leitsatz

1. Im Erbschaftsteuerrecht gelten die infolge des Erbanfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung zivilrechtlich erloschenen Rechtsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, die Geltendmachung des Pflichtteils fiktiv nachzuholen.
2. Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG reicht jedoch nicht so weit, dass der zivilrechtlich aufgrund Konfusion erloschene Pflichtteilsanspruch auch dann noch geltend gemacht werden kann, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt war.

Verfahrensgang

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 4. Mai 2016, Az: 3 K 148/15, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 04.05.2016 – 3 K 148/15 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Der Vater des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) und dessen Ehefrau (Stiefmutter des Klägers) errichteten im Jahr 1986 ein notariell beurkundetes gemeinschaftliches Testament, worin sie sich gegenseitig zu Alleinerben und den Kläger zum Erben des Überlebenden einsetzten (sog. Berliner Testament, § 2269 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB–). Der Vater des Klägers verstarb im Oktober 2003, die Stiefmutter des Klägers im Januar 2014.
2
In der Erbschaftsteuererklärung betreffend den Erbanfall beim Ableben der Stiefmutter machte der Kläger einen eigenen Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit geltend. Er habe den Pflichtteilsanspruch gegenüber seiner Stiefmutter mündlich geltend gemacht. Im Begleitschreiben vom 19.11.2014 zur Erbschaftsteuererklärung sei gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) die Geltendmachung in schriftlicher Form nachgewiesen worden. Hierzu verwies er auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19.02.2013 – II R 47/11 (BFHE 240, 186, BStBl II 2013, 332), wonach der Pflichtteilsberechtigte den Anspruch auch noch nach dem Tod der Pflichtteilsverpflichteten geltend machen könne.
3
Mit Bescheid vom 28.05.2015 setzte das FA Erbschaftsteuer gegenüber dem Kläger fest, ohne den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs steuermindernd zu berücksichtigen.
4
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, dass der Alleinerbe nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten seinen nunmehr gegen sich selbst gerichteten Pflichtteilsanspruch auch dann noch geltend machen und als Nachlassverbindlichkeit vom Erwerb abziehen könne, wenn dieser Pflichtteilsanspruch bereits verjährt sei. Die Verjährung des Anspruchs habe auf die zu Lebzeiten des Erblassers fehlende wirtschaftliche Belastung keine Auswirkung. Auch wenn der Erblasser wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung nicht damit habe rechnen müssen, den Pflichtteilsanspruch erfüllen zu müssen, führe die wirksame nachträgliche Geltendmachung des Anspruchs durch den Erben zur rückwirkenden und nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) ausreichenden Entstehung der wirtschaftlichen Belastung. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1102 veröffentlicht.
5
Dagegen richtet sich die Revision des FA. Es rügt die Verletzung des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Zum einen könne die Geltendmachung eines nicht nur zivilrechtlich durch Konfusion erloschenen, sondern zudem verjährten Pflichtteilsanspruch gegen sich selbst mangels Ernsthaftigkeit nicht steuerrechtlich berücksichtig werden. Zum anderen fehle es bei derartigen Verbindlichkeiten an einer wirtschaftlichen Belastung des Nachlasses im Besteuerungszeitpunkt. Der Erbe könne als Rechtsnachfolger des Erblassers wie dieser die Verjährungseinrede nach § 214 BGB geltend machen und damit selbst darüber entscheiden, ob eine wirtschaftliche Belastung eintrete. Damit rühre die wirtschaftliche Belastung nicht mehr vom Erblasser her.
6
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.


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