Erbrecht

Grundbucheinsicht des Wohnungseigentümers

Aktenzeichen  34 Wx 333/15

Datum:
11.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfIR – 2016, 153
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GBO GBO § 10, § 12, § 71, § 73, § 74
GBV GBV § 46 Abs. 1
WGV WGV § 1, § 46

 

Leitsatz

1. Die allgemeinen Grundsätze über die Zulässigkeit von Grundbucheinsicht finden auch im Verhältnis zwischen den Sondereigentümern einer Wohnungseigentümergemeinschaft Anwendung. (amtlicher Leitsatz)
2. Inhaber eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Einräumung des Eigentums oder eines dinglichen Rechts am Grundstück haben regelmäßig ein aus ihrer Rechtsstellung fließendes, berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht. (amtlicher Leitsatz)
3. Berechtigte Zweifel am Fortbestehen eines das Einsichtsinteresse begründenden Anspruchs können eine Glaubhaftmachung erfordern; an die Annahme eines konkludent erklärten Verzichts des Berechtigten sind aber strenge Anforderungen zu stellen. (amtlicher Leitsatz)

Gründe

Oberlandesgericht München
Az.: 34 Wx 333/15
Beschluss
11.01.2016
34. Zivilsenat
S., J. Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Leitsatz:
In der Wohnungsgrundbuchsache
Beteiligte: B.
– Antragstellerin und Beschwerdeführerin
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S.
wegen Grundbucheinsicht
erlässt das Oberlandesgericht München – 34. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lorbacher, den Richter am Oberlandesgericht Kramer und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schwegler am 11.01.2016 folgenden
Beschluss
I.
Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts München -Grundbuchamt – vom 14. Oktober 2015 aufgehoben.
II.
Das Grundbuchamt wird angewiesen, der Beteiligten über deren Verfahrensbevollmächtigten die mit Schriftsatz vom 28. August 2015 begehrte Grundbucheinsicht in das Wohnungseigentumsgrundbuch für Pasing Blatt 13192 durch Übersendung eines – unbeglaubigten (einfachen) – Grundbuchauszugs zu gewähren.
Gründe:
I. Die Beteiligte war zusammen mit ihrem Ehemann als hälftige Miteigentümerin von ungeteiltem Grundbesitz im Grundbuch eingetragen. Unter Übertragung von Miteigentumsanteilen auf ihren Sohn wurde zu notarieller Urkunde vom 9.6.1980 durch vertragliche Einräumung von Sondereigentum Wohnungseigentum in der Weise begründet, dass einem Miteigentumsanteil von 3/5 das Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit Nr. 2 bezeichneten Doppelhaushälfte und einem Miteigentumsanteil von 2/5 das Sondereigentum an der mit Nr. 1 bezeichneten Doppelhaushälfte zugewiesen wurde.
In Abschnitt C. der Notarurkunde („Weitere Bestimmungen“) vereinbarten die Urkundsbeteiligten unter § 4 folgenden bedingten Rückübertragungsanspruch:
Die Veräußerer bzw. der Überlebende der Veräußerer sind auf Lebenszeit berechtigt, die unentgeltliche Übertragung des Wohnungseigentums des Erwerbers auf sich zum Miteigentum je zur Hälfte bzw. auf sich allein zu verlangen, wenn
a) …
b) der Erwerber ohne ihre Zustimmung bzw. ohne Zustimmung des Überlebenden von ihnen den Vertragsgegenstand veräußern oder belasten sollte.
Der Erwerber bewilligt, zur Sicherung dieses bedingten Anspruchs eine Vormerkung für die Veräußerer je zur Hälfte bzw. zur Alleinberechtigung des Überlebenden der Veräußerer im Grundbuch einzutragen.
Die Aufteilung wurde im Grundbuch vollzogen. Die Beteiligte und ihr Ehegatte wurden als je hälftige Miteigentümer der Einheit Nr. 2, ihr Sohn als Eigentümer der Einheit Nr. 1 im Grundbuch eingetragen und der Rückübertragungsanspruch durch Eintragung der Vormerkung gesichert.
In der notariellen Verhandlung am 16.6.2008 bestellte der Eigentümer der Einheit Nr. 1 in Anwesenheit der Beteiligten und ihres Ehemannes an seinem Anteil eine Finanzierungsgrundschuld. Darüber hinaus gaben die Urkundsbeteiligten folgende Erklärung ab:
11. Verjährung des Rückgewähranspruchs
Der Rückgewähranspruch verjährt in 30 Jahren seit Fälligkeit des Anspruchs.
12. Löschung
Herr … und Frau … (die Beteiligte und ihr Ehemann) bewilligen und beantragen die Löschung der in Abt. II … zu ihren Gunsten eingetragenen Auflassungsvormerkung.
Die Auflassungsvormerkung wurde am 20.6.2008 im Grundbuch gelöscht.
Im August 2015 hat die Beteiligte, anwaltlich vertreten, das Grundbuchamt um Übersendung eines vollständigen Grundbuchauszugs für das Grundstück einschließlich eines Auszugs aus dem Wohnungsgrundbuch über die Einheit Nr. 1 ersucht. Ihr Sohn habe seinen Anteil ohne Genehmigung teilweise weiter übertragen und außerdem möglicherweise zusätzlich belastet. Um das Ausmaß der bei Geltendmachung des Rückübertragungsanspruchs zu übernehmenden Grundstücksbelastungen abzuklären, benötige sie Kenntnis vom Grundbuchinhalt.
Die Urkundsbeamtin des Grundbuchamts hat lediglich den die Einheit Nr. 2 betreffenden Grundbuchausdruck übersandt und ein berechtigtes Interesse an der Einsicht auch in das andere Wohnungsgrundbuch verneint. Mit Beschluss vom 14.10.2015 hat die Rechtspflegerin die weitergehende Einsicht versagt. Die am 16.6.2008 erklärte Löschungsbewilligung sei als Verzicht auf den schuldrechtlichen Rückübertragungsanspruch auszulegen, weshalb ein berechtigtes Interesse an der begehrten Einsicht nicht bestehe.
Hiergegen wendet sich die Beteiligte mit der Beschwerde, mit der sie den Fortbestand des Rückübertragungsanspruchs behauptet und die Auslegung des Grundbuchamts als unzutreffend beanstandet. Anlass für die Abgabe der Löschungsbewilligung sei das Verlangen der kreditgebenden Bank gewesen, deren Sicherheit den ersten Rang einzuräumen.
Das Grundbuchamt hat nicht abgeholfen und seine Auslegung ergänzend auf den Umstand gestützt, dass zur Erreichung des behaupteten Ziels ein Rangrücktritt ausgereicht hätte.
II. Die Beschwerde gegen die Versagung von Grundbucheinsicht über den gewährten Umfang hinaus ist nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 12c Abs. 4, § 71 Abs. 1 GBO statthaft, auch im Übrigen gemäß § 73 GBO, § 10 Abs. 2 Satz 2 FamFG zulässig und in der Sache begründet.
Das Beschwerdeziel richtet sich darauf, Einsicht auch in das Wohnungsgrundbuch des Sondereigentums Nr. 1 durch Übermittlung eines unbeglaubigten Grundbuchausdrucks (vgl. §§ 44 f. GBV) zu erhalten. Das hierfür erforderliche berechtigte Interesse der Beteiligten, § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO, ist dargelegt.
a) Gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 3 GBO, § 1 WGV i. V. m. § 46 Abs. 1 GBV ist die Einsicht des (Wohnungs-)Grundbuchs und der Grundakten jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist dafür, dass der Antragsteller ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes – also nicht unbedingt rechtliches, sondern auch tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches (OLG Zweibrücken NJW 1989, 531; Grziwotz MDR 2013, 433) – Interesse verfolgt (Schmid DWE 2014, 145). Das setzt voraus, dass bei verständiger Würdigung des Einzelfalls und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit der Einsichtnahme Erkenntnisse gesammelt werden, die für den Antragsteller aus sachlichen Gründen für sein künftiges Handeln erheblich erscheinen. Das Interesse des Eigentümers oder sonstigen Grundstücksberechtigten am Schutz persönlicher und wirtschaftlicher Geheimnisse ist dabei in jedem Einzelfall gegen das Interesse des Antragstellers an der Kenntnisgewinnung abzuwägen (allg. M.; vgl. BayObLG Rpfleger 1998, 338; OLG Oldenburg Rpfleger 2014, 131; OLG Stuttgart DNotZ 2011, 286; Demharter GBO 29. Aufl. § 12 Rn. 7; Meikel/Böttcher GBO 11. Aufl. § 12 Rn. 6 und 9; KEHE/Keller GBO 7. Aufl. § 12 Rn. 5).
Diese allgemeinen Grundsätze finden auch im Verhältnis zwischen den Sondereigentümern einer Wohnungseigentümergemeinschaft Anwendung (Senat vom 9.10.2015, 34 Wx 184/15, juris; OLG Hamm vom 17.6.2015, 15 W 210/14, juris; KG ZWE 2014, 310; Schmid DWE 2014, 145).
b) Ein berechtigtes Interesse in obigem Sinne an der Einsicht in das – als solches verselbstständigte (vgl. § 7 Abs. 1 WEG) – Grundbuchblatt für die weitere Wohnungseinheit und die dort eingetragenen Belastungen hat die Beteiligte dargelegt. Denn sie hat erläutert, dass und weshalb die Kenntnis für ihre Entscheidung über die Verfolgung und Durchsetzung eines vertraglichen Anspruchs gegen den (Mit-)Eigentümer der Einheit von rechtlicher Relevanz ist.
(1) Inhaber eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Einräumung des Eigentums oder eines dinglichen Rechts am Grundstück haben regelmäßig ein aus ihrer Rechtsstellung fließendes, berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht. Dies gilt unabhängig davon, ob zur Sicherung des Rechts eine Vormerkung eingetragen ist oder nicht (LG Berlin Rpfleger 1981, 481; Meikel/Böttcher § 12 Rn. 23).
(2) Eine bestehende schuldrechtliche Vereinbarung, auf deren Grundlage ein Anspruch auf Rückübertragung des Eigentums gegeben sei, hat die Beteiligte dargelegt.
Zwar wird dem Erfordernis der Darlegung nicht schon dadurch entsprochen, dass ein Anspruch lediglich behauptet wird. Andererseits fordert das Gesetz keine Glaubhaftmachung. Notwendig, aber auch ausreichend ist ein nachvollziehbares Tatsachenvorbringen in der Art, dass das Grundbuchamt – in der Beschwerdeinstanz das Beschwerdegericht (vgl. Hügel/Kramer GBO 2. Aufl. § 74 Rn. 16) – daraus die Überzeugung von der Berechtigung der geltend gemachten Interessen erlangen kann (KG FGPrax 2004, 58/59; Meikel/Böttcher § 12 Rn. 9; Demharter § 12 Rn. 13; KEHE/Keller § 12 Rn. 6).
(3) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beteiligten.
Der notarielle Vertrag, in dem zu ihren Gunsten ein bedingter schuldrechtlicher Rückübertragungsanspruch begründet wurde, befindet sich in der Grundakte. Wenn aber feststeht, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand bei Fehlen eindeutiger Hinweise auf einen gegebenen Verzichtswillen im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht aufgegeben (BGH NJW 2013, 3102; NJW 2002, 1044/1046).
Ein hinreichender Anhalt dafür, dass die Berechtigte – entgegen ihrer Darstellung – auf den Anspruch verzichtet habe, ergibt sich nicht aus ihrer Bewilligung zur Löschung der den Anspruch sichernden Vormerkung. Einen einseitigen Verzicht auf schuldrechtliche Forderungen kennt das Gesetz nicht (BGH NJW 1987, 3203). Während auf dingliche Rechte durch einseitige empfangsbedürftige Erklärung des Berechtigten verzichtet werden kann (vgl. § 875 Abs. 1, § 928 Abs. 1, § 1064, § 1255 Abs. 1, § 1072 i. V. m. § 1064 BGB), erfordert die Aufgabe eines schuldrechtlichen Anspruchs einen hierauf gerichteten Vertrag zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem (Palandt/Grüneberg BGB 75. Aufl. § 397 Rn. 4). Die beurkundete einseitige Bewilligungserklärung ist schon deshalb einem Verständnis als zweiseitige Vertragserklärung mit Verzichtswirkung kaum zugänglich.
Zudem sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerade bei Erklärungen, die als Verzicht, Erlass oder in ähnlicher Weise rechtsvernichtend gewertet werden sollen, die der Erklärung zugrundeliegenden Umstände wegen des Gebots der interessengerechten Auslegung besonders zu beachten. Selbst bei eindeutig erscheinender Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht deshalb nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind (BGH NJW 2002, 1044). Ein – nicht mitbeurkundeter – Verzichtsvertrag ist nicht ersichtlich. An die Annahme eines konkludent erklärten Verzichts aber sind strenge Anforderungen zu stellen (BGH NJW-RR 1996, 237). Allein der Umstand, dass es einer Löschung der Rückauflassungsvormerkung nicht bedurft hätte, um der Finanzierungsgrundschuld den ersten Rang einzuräumen, erlaubt deshalb keine berechtigten Bedenken gegen das Fortbestehen des schuldrechtlichen Rückübertragungsanspruchs, so dass weder eine weitergehende Glaubhaftmachung noch gar ein Beweis für die Negativtatsache des Nichterlöschens zu verlangen ist (vgl. BayObLG Rpfleger 1983, 272; Maaß in Bauer/von Oefele GBO 3. Aufl. § 12 Rn. 23; Meikel/Böttcher § 12 Rn. 9). Die am 16.6.2008 beurkundeten Erklärungen betreffen lediglich die Aufgabe des in der Vorurkunde vom 9.6.1980 bestellten Sicherungsrechts, ohne das im Vorvertrag gleichfalls beurkundete gesicherte Recht selbst einzubeziehen. Zudem erklärten die Urkundsbeteiligten am 16.6.2008 ausdrücklich, dass das gesicherte Recht selbst einer Verjährungsfrist von 30 Jahren unterliege. Diese Erklärung stünde zur Vereinbarung eines gleichzeitigen Verzichtsvertrags im Widerspruch.
(4) Dass die Beteiligte der Einsicht in das Grundbuch bedarf, um zum einen den Eintritt der angenommenen Bedingung und zum anderen die wirtschaftliche Belastung bei Geltendmachung des Rückübertragungsanspruchs zu prüfen, folgt aus der Art des Anspruchs selbst und ist nachvollziehbar vorgetragen.
III. Kostenentscheidung und Geschäftswertfestsetzung sind nicht veranlasst, vgl. § 25 Abs. 1 GNotKG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 GBO) liegen nicht vor.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG): Übergabe an die Geschäftsstelle am 12.01.2016.


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