Erbrecht

Kein lebzeitiges Eigeninteresse an der Übertragung eines Grundstücks auf die pflegende Person bei vertraglich geschuldeter Pflege

Aktenzeichen  20 O 7316/16

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 158911
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 516, § 1937, § 2270 Abs. 2, Abs. 3, § 2271 Abs. 2, § 2174, § 2288 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Gegen die Qualifizierung eines Dokuments als gemeinschaftliches Testament spricht nicht, dass es als “Übergabe” bezeichnet wird  (Rn. 31 und 33). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zuwendung eines Hauses, das weder den Nachlasswert insgesamt noch dessen wesentlichen Bestandteil ausschöpft, ist als Vermächtnis anzusehen (Rn. 36). (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Unterlassen einer Regelung der Erbfolge in einer letztwilligen Verfügung stellt lediglich die Hinnahme des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge dar (Rn. 37). (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Erbringung von tatsächlich geschuldeten Pflegeleistungen begründet kein lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin im Hinblick auf die Übertragung eines Grundstücks an die pflegende Person (Rn. 59 – 61). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, das im Grundbuch des Amtsgerichts München von …, sowie 1/4 Miteigentumsanteil an Flurstück Nr. … den Kläger aufzulassen, die Eintragung der Eigentumsänderung im Grundbuch zu bewilligen und das Gebäude samt Grundstück an den Kläger herauszugeben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar in Ziffer 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 480.000 Euro, in Ziffer 3 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 400.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist hinsichtlich Ziffer 1 des Klageantrages begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verschaffung des streitgegenständlichen Grundstücks, wie im Tenor Ziffer 1 ausgesprochen, aus § 2288 II S. 1 BGB.
Das im gemeinsamen Testament vom 19.4.1990 getroffene Vorausvermächtnis war wechselbezüglich und somit bindend.
Das Gericht geht davon aus, dass es sich bei dem Schriftstück mit der Überschrift „Übergabe“ um ein gemeinschaftliches Testament und nicht nur um eine bloße Anordnung zur Verteilung des Immobilienvermögens handelt. Dafür spricht, dass dort vom „Nachlass“ gesprochen wird, der zu beurkunden ist. Mit Nachlass ist aber die Gesamtheit des aktiven und des passiven Vermögens eines Verstorbenen oder die Erbschaft desselben gemeint. Tatsächlich ist das Immobilienvermögen wohl auch das größte Vermögen der Eltern gewesen, auch wenn sich der Nachlass nicht hierin erschöpfte, weswegen keine testamentarische Erbeinsetzung angenommen wurde.
Mit der Verfügung vom 19.4.1990 wollten die Eheleute rechtsverbindliche Anordnungen für den Fall ihres Todes treffen. Auch aus der Formulierung „nach Ableben des letzten Elternteils“ ist erkennbar, dass die Eltern eine Verfügung von Todes wegen treffen wollten (§ 1937 BGB).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten vorgelegten Tagebucheintrag des Erblassers vom 19.4.1990, in welchem er die Verfügung zunächst als Testament, später dann entsprechend des Schriftstückes als Übergabe bezeichnete. Daraus allein lässt sich nämlich nicht schließen, dass die Erblasser entgegen dem Wortlaut das besagten Schriftstücks nicht über ihren Nachlass von Todes wegen verfügen wollten.
Vielmehr hat die Erblasserin bereits am 16.10.1990 vor dem Amtsgericht München – Nachlassgericht – ausdrücklich erklärt, sie habe die mit Übergabe überschriebene letztwillige Verfügung mitunterschrieben. Bei gemeinschaftlichen Testamenten sind solche Erklärungen des überlebenden Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden als Anzeichen für einen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorhandenen Willen des Testierenden zu berücksichtigen (OLG München, Beschluss vom 12.10.2006, Az. 31 Wx 75/06).
Entgegen der Ansicht der Beklagtenpartei handelt es sich bei der Verfügung in Ziffer 2 des Testaments vom 19.4.1990 auch nicht um eine Teilungsanordnung i.S.v. § 2048 BGB, sondern um ein (Voraus)-vermächtnis.
Die Anordnung des gemeinschaftlichen Testaments, nach der der Sohn nach dem Tod des Letztversterbenden ein Hausanwesen erhalten soll, das weder den Nachlasswert insgesamt noch dessen wesentlichen Bestandteil ausschöpft, ist als Vermächtnis i.S.d. § 2174 BGB und mangels erfolgter Erbeinsetzung nicht als Teilungsanordnung anzusehen (siehe Saarländisches OLG, Urteil vom 26.6.2014, ZErb 2015, 153 ff.). Mangels einer Erbeinsetzung ist für die Annahme einer schlichten Teilungsanordnung kein Raum.
Zu der Erbfolge nach dem Letztversterbenden äußert sich das Testament vom 19.4.1990 gerade nicht. Durch das Unterlassen einer Regelung diesbezüglich haben die Erblasser den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge lediglich – für den Fall, dass keine weiteren letztwilligen Verfügungen getroffen werden – hingenommen. Tatsächlich folgte mit Testament vom 11.11.2003 auch eine andere Regelung.
Für eine solche Auslegung spricht wiederrum, dass die Erblasserin, die das Testament vom 19.4.1990 mitunterzeichnet hat, gegenüber dem Nachlassgericht am 16.10.1990 ausdrücklich erklärt, es handele sich um ein Vorausvermächtnis sowie auch im Überlassungvertrag vom 19.11.1991 hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks von einem Vermächtnis zugunsten des Klägers ausging.
Es liegt auch eine wechselbezügliche Verfügung i.S.v. § 2270 BGB vor. Auch Vermächtnisse können gemäß § 2270 III ZPO wechselbezüglich i.S.v. § 2270 I BGB sein.
Wechselbezüglich sind diejenigen Verfügungen, die ein Ehegatte nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen hätte, bei denen also aus dem Zusammenhang des Motivs heraus eine innere Abhängigkeit zwischen den einzelnen Verfügungen derart besteht, dass die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere eine bestimmte Verfügung getroffen hat, wenn also nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll. Danach entscheidet der Wille der Testierenden darüber, ob Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen. In Zweifelsfällen muss dieser Wille mit Mitteln der Auslegung erforscht werden.
§ 2270 II BGB ist lediglich eine Auslegungsregel, die erst eingreift, wenn die Erforschung des Willens beider Eheleute durch Auslegung trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten bezüglich der Wechselbezüglichkeit kein eindeutiges Ergebnis gebracht hat (Palandt, BGB-Kommentar, 75. Auflage, 2016, § 2270 BGB, Rdnr. 7).
Vorliegend ist aus der Formulierung, dass „… unser Sohn nach Ableben des letzten Elternteils bekommen soll“ ersichtlich, dass die Erblasser sich gegenseitig mit der Zuwendung des Elternhauses nach dem Tode des Erstverstorbenen bedenken wollten, nur für den Fall, dass der Letztversterbende nach dessen Tod das Anwesen an den Sohn vermacht, im Hinblick darauf, dass die Beklagte bereits nach Ableben des Erstversterbenden ein Grundstück bekommen sollte, das größer war als das, das der Kläger nach dem Todes des Erstversterbenden erhalten sollte.
Berücksichtigt man, dass das Testament offensichtlich dazu diente, die vorhandenen Immobilien nach dem Tode beider Eltern unter den Kindern gleichmäßig aufzuteilen, spricht alles dafür, dass die streitgegenständliche Verfügung wechselbezüglich war.
Entscheidend kommt aber hinzu, dass die Mutter der Parteien am 16.10.1990 gegenüber dem Nachlassgericht (Anlage SNP 6) erklärte, dass das Testament vom 19.4.1990 auch letztwillige Verfügungen für ihren Todesfall enthalte und um eine entsprechende Vormerkung für ihren Todesfall bat.
Alleine dass die Mutter der Parteien sich nach dem Todes ihres Mannes veranlasst sah, eine derartige Erklärung abzugeben, spricht aus Sicht des Gerichts dafür, dass sie die getroffene Verfügung in Ziffer 2 des Testaments auch für sie im Todesfall als bindend ansah. Andernfalls hätte es einer solchen Erklärung nicht gebraucht.
Mit dem Tod des Vaters am 10.8.1990 ist das Recht der Mutter der Parteien, die streitgegenständliche Verfügung zu widerrufen gem. § 2271 II BGB erloschen und damit bindend geworden.
Der Kläger hat gegen die Beklagte als Alleinerbin der verstorbenen Mutter einen Anspruch aus § 2288 II S. 1 BGB, weil die Veräußerung des streitgegenständlichen Grundstücks in Beeinträchtigungsabsicht der Erblasserin erfolgte.
§ 2288 BGB ist wegen der gleichen Interessenlage neben Erbverträgen entsprechend auf bindend gewordene wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten anzuwenden (Palandt, BGB-Kommentar, 75. Auflage, 2016, § 2288 BGB, Rdnr. 1).
Mit Überlassungsvertrag vom 4.5.2010 (Anlage SNP3) übertrug die Mutter der Parteien das streitgegenständliche Grundstück auf die Beklagte. Dieser Vertrag stellt einen Schenkungsvertrag i.S.v. § 516 BGB dar, somit eine Veräußerung. So heißt es dort unter IV 2.: „Soweit der Wert des heutigen Vertragsobjekts die in dieser Urkunde vereinbarten Gegenleistungen übersteigt, erfolgt die Überlassung unentgeltlich.(.)“.
Zwar war als Gegenleistung für die verstorbene Mutter ein Nießbrauch eingetragen; dieses sollte aber mit dem Tod der Mutter erlöschen. Nachdem die Mutter bei Unterzeichnung des Vertrages bereits 80 Jahre alt und pflegbedürftig war, ist diese Gegenleistung bei der Bewertung, ob der Vertrag eine Schenkung darstellt oder nicht, von ganz geringfügigem Gegenwert und somit nicht zu berücksichtigen.
Unabhängig hiervon reicht für § 2288 II S. 1 BGB bereits eine Veräußerung, nicht notwendig Schenkung aus, weil die Beklagte Erbin des streitgegenständlichen Grundstücks geworden ist.
Die Schenkung erfolgte auch von Seiten der Erblasserin in Beeinträchtigungsabsicht.
Im Auseinandersetzungs- und Überlassungsvertrag vom 19.11.1991 erklärte die Mutter der Parteien noch, dass das streitgegenständliche Vermächtnis unberührt bleibt (siehe dort Ziffer XII und ihre Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht am 16.10.1990 (Anlage SNP6)).
Der Erblasserin war daher im Zeitpunkt des Überlassungvertrages mit der Beklagten bewusst, dass das Grundstück nach ihrem Ableben eigentlich der Kläger erhalten sollte.
Es bestand auch kein lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin.
Ein lebzeitiges Eigeninteresse wird bejaht, wenn nach dem Urteil eines objektiven Betrachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der hier testamentarischen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint (BGH, Beschluss vom 26.10.2011, Az. IV ZR 72/11).
Entscheidend dafür ist, ob die Gründe des Erblassers für die Schenkung ihrer Art nach so sind, dass der durch die testamentarische Verfügung Bedachte sie anerkennen und deshalb die sich aus der Verfügung für ihn ergebende Benachteiligung hinnehmen muss.
Gerechtfertigt sind grundsätzlich Schenkungen des Erblassers zu eigennützigen Zwecken, mit welchen der Erblasser ein ihm vorteilhaftes Verhalten des Beschenkten erreichen möchte. Nach der Rechtssprechung des BGH ist eine Schenkung umso billigenswerter je materieller und eigennütziger der vom Erblasser mit ihr verfolgte Zweck ist.
Als anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse wird in erster Linie das Motiv des Erblassers anerkannt, mit der Schenkung die eigene Versorgung und Pflege im alter sicherzustellen oder zu verbessern oder wenn der Erblasser in Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, die ihm in besonderen Maße geholfen hat (BGH, Beschluss vom 27.1.1982, AZ. IVa ZR 240/80).
Dies ist aber vorliegend nicht der Fall.
Bereits aus dem Auseinandersetzungs- und Überlassungsvertrag vom 19.11.1991 hatte die Mutter der Parteien einen Anspruch gegen beide Parteien auf Wart und Pflege, soweit dies im häuslichen Bereich ohne Inanspruchnahme einer bezahlten Pflegeperson möglich ist. Ein lebzeitiges Eigeninteresse liegt daher nicht vor. Die Mutter war hinsichtlich der Pflege und Wart im häuslichen Bereich vertraglich abgesichert.
Im Übrigen war die Klage hinsichtlich der eingeklagten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abzuweisen, weil der Kläger hierauf keinen Anspruch hat. Ein solcher ergibt sich nicht aus §§ 280 II, 286 I, 288 BGB, weil ein erstattungsfähiger Verzugsschaden nicht substantiiert dargelegt wurde.
Rechtsverfolgungskosten sind erstattungsfähig, sofern sie nach Eintritt des Verzugs aus Sicht des Forderungsgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Dazu gehören nicht die Kosten der den Verzug erst begründenden Erstmahnung, da diese nicht durch den Verzug verursacht worden ist. Vorgelegt wurde von Seiten der Klagepartei nur das Schreiben des Klägervertreters vom 28.9.2015, in dem er zur Herausgabe des Grundstücks unter Fristsetzung auffordert. Hierin ist allenfalls die den Verzug begründende Mahnung zu sehen. Dass Verzugseintritt zum Zeitpunkt dieses Schreibens schon vorlag, trug die Klagepartei nicht vor. Nachfolgende Schreiben wurden nicht vorgelegt.
Kostenentscheidung: § 91 ZPO; vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.
Verkündet am 06.07.2017


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