Aktenzeichen 4 K 1028/18
ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4b
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Gründe
1.) Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Sinne des § 40 Abs. 1 FGO statthaft. Sie ist binnen der hierfür gemäß § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO vorgeschriebenen Frist erhoben und auch im Übrigen zulässig.
2.) Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Beklagte die vom Kläger beantragte abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.
a) Nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO können u.a. Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn deren Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Erfolgt die Billigkeitsmaßnahme nach der Festsetzung der materiell-rechtlich zutreffenden Steuer, so stellt die finanzbehördliche Entscheidung über die abweichende Steuerfestsetzung einen Grundlagenbescheid dar, der die Herabsetzung der Steuer zur Folge hat (Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 21. Juli 2016 X R 11/14, BFHE 254, 497, BStBl II 2017, 22). Die Unbilligkeit im Einzelfall kann sich dabei aus in der Person des Steuerpflichtigen und deren wirtschaftlichen Verhältnissen oder in der Sache selbst liegenden Gründen ergeben (BFH Urteil vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833). Sachlich unbillig ist die Erhebung vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zwecke des zugrundeliegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH Urteil vom 19. März 2009 V R 48/07, BFHE 225, 215, BStBl II 2010, 92). Persönliche Unbilligkeit setzt demgegenüber eine Gefährdung der wirtschaftlichen und persönlichen Existenz des Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Angehörigen voraus, sodass infolge der Steuererhebung der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (vgl. BFH Urteil vom 26.2.1987 IV R 298/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612).
Das Ergebnis der Billigkeitsprüfung durch die Finanzbehörde stellt eine in deren Ermessen liegende Entscheidung (§ 5 AO) dar und unterliegt, wenn die begehrte Billigkeitsmaßnahme abgelehnt worden ist, nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (§ 102 FGO). Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob die Finanzbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet und das Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat (vgl. BFH Urteil vom 27. Juli 2011 I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005). Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung verlangt zum einen, dass die Finanzbehörde diese anhand eines einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhaltes trifft (vgl. BFH Urteil vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489 und Beschluss vom 6. Juni 1991 V R 102/86, BFH/NV 1992, 787); zum anderen hat die Finanzbehörde eine Gesamtbetrachtung aller Normen vorzunehmen, die für die Entstehung des Steueranspruches im konkreten Falle maßgeblich sind (vgl. BFH Urteile vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 und vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Ausschließlich dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist das Gericht befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und nach § 101 Satz 1 FGO eine Verpflichtung zur Gewährung der Billigkeitsmaßnahme auszusprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH Urteile vom 24. August 2011 I R 87/10, BFH/NV 2012, 161, vom 21. August 2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11 und vom 17. April 2013 II R 13/11, BFH/NV 2013, 1383). So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. für viele: BFH Urteil vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271). Maßgebend für die gerichtliche Überprüfung der finanzbehördlichen Ermessensentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht -FGUrteil vom 16. September 2015, 9 K 58/14, EFG 2016, 3).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist die Ablehnung des Antrages des Klägers vom 18. Juli 2012 gemäß § 163 AO auf Herabsetzung der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen durch den Bescheid des Beklagten vom 5. März 2015 frei von grundlegenden Ermessensfehlern.
aa) Da der Kläger keine Gründe für eine persönlich-wirtschaftliche Unbilligkeit der finanzbehördlichen Entscheidung vorgetragen hat, solche auch nicht ersichtlich sind, braucht sich der Senat nur mit der Frage zu befassen, ob in der Sache liegende Billigkeitsgründe sein Klagebegehren stützen. Der Senat erkennt durchaus, dass der Streitfall die Besonderheit aufweist, dass dem Kläger die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nur deswegen versagt geblieben ist, weil die Eintragung der Erblasserin als Eigentümerin der Eigentumswohnung in A, B-Straße im Grundbuch nicht mehr zu ihren Lebzeiten erfolgt war. Es steht auch außer Zweifel, dass die Erblasserin das zivilrechtliche Eigentum an der Eigentumswohnung, die bereits zu ihren Lebzeiten zum Familienheim bestimmt worden war, erhalten sollte. Ihre Rechtsstellung ist auf den Erwerb von Volleigentum gerichtet gewesen, das ihr aufgrund des ihr bereits zustehenden Anwartschaftsrechtes im Regelfall auch nicht vorzuenthalten gewesen wäre. Allein der Zeitfaktor hat die Anwendung der Steuerbefreiungsvorschrift bei der materiell-rechtlichen Festsetzung der Erbschaftsteuer verhindert. So wären im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin alle Voraussetzungen für die Gewährung der Steuerbefreiung zugunsten des Klägers erfüllt gewesen, wenn sich die Grundbuchumschreibung nicht aus den vom Kläger geschilderten Gründen über den Erwerbszeitpunkt hinaus verzögert hätte. Insoweit entbehrt der Streitfall auch nicht einer gewissen steuerrechtlichen Härte, als die streitgegenständliche Erbschaftsteuer gegen den Kläger ohne die eingetretene Verzögerung der Eigentumsumschreibung nicht festzusetzen gewesen wäre.
Die Versagung der Steuerbefreiung beruht jedoch nicht auf einem unvermeidbaren Zufall der Ereignisse, sondern auf der bewussten und angesichts der baurechtlichen Situation durchaus verständlichen Entscheidung der Erblasserin bzw. des Klägers, den seinerzeit noch ausstehenden Restkaufpreis erst nach endgültiger Klärung der vollständigen und vertragsgerechten Leistungserbringung zu entrichten. Die vollständige Bezahlung des Kaufpreises vor diesem Zeitpunkt hätte ersichtlich ein hohes finanzielles Risiko für die Erblasserin bzw. den Kläger bedeutet. Insoweit ist die Entscheidung der Erblasserin bzw. des Klägers, den Restkaufpreis bis zur abschließenden Klärung der bauvertraglichen Rechtslage aus wirtschaftlichen Gründen zurückzubehalten, ohne weiteres nachvollziehbar. Dennoch ist es im Grundsatz richtig, einem Steuerpflichtigen die steuerlichen Rechtsfolgen einer bewussten Entscheidung innerhalb seines Verantwortungsbereiches selbst tragen zu lassen.
bb) Die Ablehnung des Billigkeitsantrages durch den Beklagten ist vor allem aber deshalb ermessensgerecht, weil die Rechtsfolge der fehlenden materiell-rechtlichen Voraussetzung für die Steuerbefreiung auch nicht ohne weiteres durch eine Billigkeitsmaßnahme unterlaufen werden darf. Der Wille des Gesetzgebers, die Gewährung der Steuerbefreiung für den Erwerb des Familienheimes auf das zivilrechtliche Volleigentum an der Wohnimmobilie zu beschränken, steht eindeutig fest und darf durch eine konträr laufende Billigkeitsmaßnahme nicht untergraben werden. Deshalb ist der Gesetzeszweck, nur den Erwerb von zivilrechtlichem Eigentum an einer als Familienheim qualifizierten Wohnimmobilie erbschaftsteuerrechtlich zu entlasten, auch für die Entscheidung über die Herabsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen ausschlaggebend. Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG setzt nun einmal voraus, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes Eigentümer des Familienheimes gewesen ist bzw. der überlebende Ehegatte das Eigentum hieran und nicht nur ein Anwartschaftsrecht von Todes wegen erwirbt. Die Steuerbefreiung bloßen wirtschaftlichen Eigentums an einer Wohnung kann nicht auf dem Wege einer Billigkeitsmaßnahme erreicht werden, wenn die Steuerbefreiung lediglich wegen des Stichtagsprinzips verpasst worden ist. Dass einerseits vor einem bestimmten Stichtag entstehende steuererhöhende Umstände zu berücksichtigen und andererseits nach diesem Stichtag eintretende steuermindernde Umstände steuerlich nicht mehr berücksichtigt werden können, beruht allein auf einer gesetzgeberischen Entscheidung, die auch nicht durch eine Billigkeitsmaßnahme korrigiert werden darf (vgl. Oellerich in Gosch AO, FGO § 163 AO Rdnr. 123; Frotscher in Pahlke/Schwarz AO § 163 Rz. 65). Dies steht auch im Einklang mit dem Grundsatz, dass sachliche Billigkeitsgründe für eine Steuerermäßigung nur gegeben sind, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist (vgl. für viele: BFH Urteil vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3). Eine Billigkeitsentscheidung, die dieses Prinzip durchbräche und die Steuerbefreiung gewährte, obwohl der erbschaftsteuerrechtliche Erwerber kein zivilrechtliches Eigentum erhalten hat, würde die gesetzgeberische Entscheidung, wirtschaftliches Eigentum gerade nicht zu begünstigen, nicht nur im Streitfalle, sondern auch für sämtliche vergleichbare Erwerbsfälle von Eigentumsanwartschaftsrechten auf derartige Immobilien in ihr Gegenteil umkehren.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.