Erbrecht

Kostenfreiheit einer Grundschuldeintragung im Zusammenhang mit der Erbringung von Sozialleistungen

Aktenzeichen  15 W 3056/21

Datum:
6.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FGPrax – 2021, 286
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
SGB I § 11, § 12 S. 1, §§ 18–29
SGB IX § 219 Abs. 3
SGB X § 64 Abs. 2
GNotKG § 81 Abs. 1 S. 1
GNotKG KV 1700, 14121

 

Leitsatz

Einer Kostenfreiheit nach § 64 Abs. 2 SGB X steht es nicht entgegen, wenn ein Dritter zur Abwicklung einer Sozialleistung eingeschaltet wird und im Rahmen dessen Kosten für die Eintragung einer Grundschuld in das Grundbuch entstehen. (Rn. 9 – 14)
1. Die Eintragung der Grundschuld sowie die Erteilung des Grundbuchauszugs unterfallen der Gebührenbefreiung des § 64 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB X, sofern sie für einen gewährten Zuschuss oder ein ausgereichtes Darlehen als Sozialleistungen vorgenommen wurden. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Eintragung der Grundschuld, die der dinglichen Absicherung zweckgebundener Leistungen öffentlicher Sozialleistungsträger an einen privaten Betreiber dient, ist ein Geschäft, das aus Anlass der Erbringung einer Sozialleistung nötig wird. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird die Kostenrechnung des Amtsgerichts – Grundbuchamt – Neumarkt i. d. Opf. vom 20.10.2020 (RE-Nr. 823741176262) dahin abgeändert, dass die von der Beschwerdeführerin zu zahlenden Gebühren auf 283 € festgesetzt werden.

Gründe

I.
Mit Bescheid vom 12.12.2019 bewilligte die Regierung der Oberpfalz der Beschwerdeführerin im Rahmen der „[s]taatliche[n] Förderung von stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung“ für den Neubau eines Wohnheims mit 24 Wohnplätzen für Werkstattgänger aus Mitteln der Wohnraumförderung ein leistungsfreies Baudarlehen von 1.262.900 € sowie aus einem Sonderinvestitionsprogramm ein Zuschuss aus dem Behindertenplan von 2.158.300 €. In dem Bewilligungsbescheid ist ausgeführt, dass die Landesmittel vom Bayerischen Landtag zur Verfügung gestellt werden.
Am 24.03./01.04.2020 schloss die Beschwerdeführerin mit der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt, einer rechtlich unselbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts innerhalb der Bayerischen Landesbank, unter Bezug auf den Bewilligungsbescheid vom 12.12.2019 einen Vertrag über Zuwendungen aus dem Programm „Staatliche Förderung von Heimen für Menschen mit Behinderung“ über ein leistungsfreies Baudarlehen von 1.262.900 € sowie einen Zuschuss von 2.158.300 €. Dabei wurde eine Belegungsbindung der Heimplätze für 25 Jahre vereinbart, von der die Leistungsfreiheit des Darlehens abhängig gemacht und im Hinblick auf die eine Rückzahlung des Zuschusses vorbehalten wurde. Zur Sicherung etwaiger Rückzahlungsansprüche verpflichtete sich die Beschwerdeführerin der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt eine Grundschuld für das Baugrundstück einzuräumen.
Dementsprechend bestellte die Beschwerdeführerin als Eigentümerin des im Grundbuch des Amtsgerichts Neumarkt i. d. Opf. von Parsberg auf Blatt … geführten Grundstücks mit notarieller Urkunde vom 06.07.2020 eine Buchgrundschuld in Höhe von 3.421.200 € zugunsten der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt. Sie bewilligte und beantragte deren Eintragung.
Die Grundschuld wurde am 13.08.2020 in das Grundbuch eingetragen. Hierfür setzte das Amtsgericht – Grundbuchamt – Neumarkt i. d. Opf. in der Folge Kosten in Höhe von 5.655 € gemäß Nr. 14121 KV-GNotKG sowie von 10 € gemäß Nr. 1700 KV-GNotKG an. Diese Kosten rechnete es gegenüber der Beschwerdeführerin mit Rechnung vom 20.10.2020 ab, die darüber hinaus auch weitere Gebühren für eine andere Eintragung in Höhe von 283 € zum Gegenstand hat.
Gegen den Ansatz der insgesamt 5.665 € wandte sich die Beschwerdeführerin mit Erinnerung vom 05.11.2020. Sie vertrat die Auffassung, dass die Eintragung der Grundschuld nach § 64 Abs. 2 SGB X kostenbefreit sei. So seien ihr die Mittel, deren mögliche Rückzahlung durch die Grundschuld abgesichert worden seien, von der Regierung der Oberpfalz im Rahmen des Förderauftrags des Freistaats Bayern zur Errichtung eines Wohnheims für Menschen mit Behinderung bewilligt worden. Die Gewährung der Förderung habe unter dem Vorbehalt der Eintragung der Grundschuld in das Grundbuch gestanden.
Mit Beschluss vom 10.03.2021 wies das Grundbuchamt – entsprechend dem Antrag des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth – die Erinnerung zurück. Die Grundschuld sichere keine erbrachten Sozialleistungen, sondern jedenfalls zum Teil ein Darlehen. Die auf Basis des Bewilligungsbescheids vom 12.12.2019 in Verbindung mit dem Vertrag vom 24.03./01.04.2020 gewährten Zuwendungen seien keine Sozialleistungen im Sinne der Legaldefinition in § 11 SGB I. Denn es handele sich um Mitteln der Wohnraumförderung und aus einem Sonderinvestitionsprogramm. Zudem stamme der Zuschuss nicht von einem gebührenbefreiten Sozialleistungsträger.
Mit Schreiben vom 16.04.2021 legte die Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass ein Fall der Gebührenbefreiung gemäß § 64 Abs. 2 SGB X vorliege. Sie sei eine gemeinnützige Stiftung, deren Satzungszweck die Förderung von Menschen mit Behinderung sei. Das Projekt betreffe die Rechtsbereiche des Sozialhilferechts und der Eingliederungshilfe. Das Darlehen sei bei vertragsgemäßen Verhalten, insbesondere bei Beachtung der Zweckbindung nicht zurückzuzahlen. Da die Auszahlung der Fördermittel über die Bayerische Landesbodenkreditanstalt erfolge, sei für diese die Grundschuld zu bestellen.
Am 11.08.2021 entschied das Grundbuchamt, der Beschwerde nicht abzuhelfen.
II.
Die gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 GNotKG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 81 Abs. 6 Satz 1 GNotKG durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden hat, hat in der Sache Erfolg. Die Eintragung der Grundschuld sowie die Erteilung des Grundbuchauszugs unterfallen der Gebührenbefreiung des § 64 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB X.
1. Sowohl der gewährte Zuschuss als auch das ausgereichte Darlehen stellen Sozialleistungen im Sinne dieser Vorschrift dar.
a. Der in § 64 SGB X verwendete Begriff der Sozialleistung ist identisch mit dem der Legaldefinition in § 11 SGB I. Das sind Dienst-, Sach- und Geldleistungen, die der Verwirklichung eines der in den §§ 3 bis 10 SGB I genannten sozialen Rechte dienen, im Sozialgesetzbuch geregelt sind und den Berechtigten zugutekommen, indem sie ihnen eine vorteilhafte Rechtsposition verschaffen (Mutschler in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 114 EL. § 64 SGB X Rn. 9). Aus welchem Haushaltstitel die für die Leistungserbringung erforderlichen Mittel stammen, ist für die Einordnung als Sozialleistung dagegen unerheblich.
b. Auch die Gewährung eines Darlehens stellt dabei eine Geldleistung im Sinne des § 11 SGB I dar (Niedermeyer in: BeckOK, Sozialrecht, 61. Edition, § 11 SGB I Rn. 13; Spellbrink in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 114. EL, § 11 SGB I Rn. 32).
c. Der bewilligte Zuschuss und das gewährte Darlehen haben nach der Zweckbestimmung zur Finanzierung des Neubaus eines Wohnheims für Menschen mit Behinderung zu dienen. Dabei mag es sich um Maßnahmen im Sinne des Bayerischen Wohnraumfördergesetzes handeln, weshalb sich die Zuständigkeit der Regierung der Oberpfalz aus § 1 DVWoR ergibt. Ungeachtet dessen sind es im Hinblick auf die Zweckbestimmung aber Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen in Form von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie zur sozialen Teilhabe (Leistungen für Wohnraum) im Sinne der §§ 10, 29 Abs. 1 SGB I (vgl. auch § 77 Abs. 1 SGB IX). Die Geldleistungen kommen den danach leistungsberechtigten behinderten Menschen jedenfalls mittelbar zugute, was bei der gebotenen weiten Auslegung des § 64 SGB X für ihre Wertung als Sozialleistungen ausreicht (BayObLG, Beschluss vom 05.07.1990 – BReg 3 Z 63/90 -, juris Rn. 19; OLG Bamberg, Beschluss vom 26.01.2017 – 8 W 6/17 -, juris Rn. 16). Zumindest aber muss § 64 Abs. 2 SGB X auf derartige Leistungen entsprechend angewendet werden, weil kein Grund ersichtlich ist, sie kostenrechtlich anders zu behandeln als Leistungen, die Bedürftigen unmittelbar gewährt werden.
d. Dass die bewilligende Behörde nicht zu den Leistungsträgern gehört, die in den §§ 18 bis 29 SGB I aufgeführt sind, steht der Qualifizierung des Zuschusses und des Darlehens als Sozialleistung nicht entgegen.
Mit der Verweisung in § 12 Satz 1 SGB I auf die in den §§ 18 bis 29 SGB I genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden ist keine abschließende Regelung getroffen worden (Niedermeyer in: BeckOK, Sozialrecht, 61. Edition, § 12 SGB I Rn. 5). Es wird nicht die konkrete Kompetenz des einzelnen Leistungsträgers umschrieben, sondern die Leistungspflicht der in den §§ 18 bis 29 SGB I aufgezählten Leistungsträger als Gattung in der Art einer abstrakten Kompetenz dargelegt, indem die in Betracht kommenden Träger der öffentlichen Verwaltung, die die in § 11 SGB I in Bezug genommenen Sozialleistungen zu erbringen haben, aufgezählt werden. Die Vorschrift hat damit keinen Ausschließlichkeitscharakter, wonach die Erbringung von Sozialleistungen im Sinne von § 11 SGB I durch andere als die in den §§ 18 bis 29 SGB I genannten Stellen ausgeschlossen wäre (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2009 – L 8 AL 4416/06 -, juris Rn. 46). Dem entspricht es, dass im Gegensatz zu den anderen sozialen Rechten, die nur in einem Sozialleistungsbereich eine gesetzliche Ausgestaltung gefunden haben, die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen eine Aufgabe ist, die in fast allen Sozialleistungsbereichen wahrgenommen wird.
e. Eine Sozialleistung kann durch den Leistungsträger selbst oder durch einen anderen erbracht werden, soweit dem Leistungsträger die Leistungserbringung rechtlich zuzuordnen ist (Niedermeyer in: BeckOK, Sozialrecht, 61. Edition, § 11 SGB I Rn. 10). Dies ist vorliegend der Fall. Die Bayerische Landesbodenkreditanstalt wurde lediglich zur Abwicklung der Förderung eingeschaltet; im Rahmen dessen ist sie unter anderem für die Darlehensverwaltung zuständig. Sie reicht die bewilligten Mittel aus und sorgt für deren dingliche Sicherung, um eine Verwirklichung des Förderzwecks sicherzustellen. Dies mag anders als beispielsweise unter der Nr. 49 der Wohnraumförderungsbestimmungen 2012 oder unter der Nr. 7.12 der Richtlinie für die Förderung von Investitionen für Förderstätten entsprechend § 219 Abs. 3 SGB IX für Menschen mit Behinderung und für Tagesstruktureinrichtungen für erwachsene Menschen mit Behinderung nach dem Erwerbsleben (T-ENE) zwar – soweit ersichtlich – zumindest bislang nicht ausdrücklich in einer Verwaltungsvorschrift geregelt sein. Das Fehlen einer Förderrichtlinie ändert aber nichts daran, dass – wie sich aus dem Vertrag vom 24.03./01.04.2020 ergibt – den Leistungen der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt gerade der Bewilligungsbescheid vom 12.12.2019 der Regierung der Oberpfalz als Bewilligungsstelle zugrunde liegt, die Bayerische Landesbodenkreditanstalt also die getroffene Förderungsentscheidung nur umsetzt.
2. Die Eintragung der Grundschuld, die der dinglichen Absicherung zweckgebundener Leistungen öffentlicher Sozialleistungsträger an einen privaten Betreiber dient, ist dabei ein Geschäft, das aus Anlass der Erbringung einer Sozialleistung nötig wird.
III.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.


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