Europarecht

1 C 13/19

Aktenzeichen  1 C 13/19

Datum:
27.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:270421U1C13.19.0
Spruchkörper:
1. Senat

Leitsatz

Drittstaatsangehörige Seeleute, die nur über ein nicht zum Zweck der Erwerbstätigkeit in Deutschland erteiltes Schengen-Visum verfügen bzw. visumbefreit sind und als Besatzungsmitglieder auf einem fremdflaggigen Offshore-Supply-Schiff im deutschen Küstenmeer arbeiten wollen, benötigen einen Aufenthaltstitel, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt.

Verfahrensgang

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, 20. Februar 2019, Az: 11 A 386/18, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 20. Februar 2019 geändert, soweit es der Klage teilweise stattgegeben hat. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen zu je einem Drittel.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren die Feststellung, dass sie als Besatzungsmitglieder eines unter panamaischer Flagge fahrenden Seeschiffs bei Arbeitseinsätzen im deutschen Küstenmeer keinen Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit benötigen.
2
Die Kläger sind ukrainische Staatsangehörige und arbeiten als Seeleute. Im Herbst 2017 waren sie für den Einsatz an Bord des unter panamaischer Flagge fahrenden Offshore-Supply-Schiffs “Atlantic Tonjer” angemustert, das im Zusammenhang mit der Errichtung eines vor der deutschen Küste gelegenen Offshore-Windparks eingesetzt war. Der Kläger zu 1. war im Besitz eines gültigen biometrischen Reisepasses, die Kläger zu 2. und 3. verfügten jeweils über ein gültiges Schengen-Visum der Kategorie C, das in den Niederlanden bzw. in Litauen ausgestellt worden war.
3
Nach einer Kontrolle des Offshore-Supply-Schiffs während des Einsatzes im deutschen Küstenmeer stellte die Bundespolizei mit an die Kläger gerichteten Bescheiden vom 23. Oktober 2017 fest, dass sie ausreisepflichtig seien, und setzte eine Ausreisefrist bis zum 25. Oktober 2017. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger hätten sich am 18. Oktober 2017 der grenzpolizeilichen Ausreisekontrolle gestellt. Anstatt auszureisen, seien sie jedoch im Küstenmeer verblieben und ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis einer Beschäftigung als Seemann auf einem Spezialschiff nachgegangen. Die Art und Verwendung des Schiffs zählten nicht mehr zur allgemeinen Seefahrt innerhalb des Seerechtsübereinkommens.
4
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. Februar 2019 festgestellt, dass die Kläger bei ihren Einsätzen im deutschen Küstenmeer keinen über ein Schengen-Visum der Kategorie “C” hinausgehenden Aufenthaltstitel benötigen, weil sie vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels zu Erwerbszwecken nach § 26 Abs. 1 AufenthV befreit seien. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung lägen vor, weil die Kläger nicht im Sinne des § 13 Abs. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist seien. Der Verordnungsgeber sei ausweislich der Begründung zu § 24 AufenthV davon ausgegangen, dass Personen, die ein internationales Schiff nicht verlassen, nicht einreisen. Mangels Absicht, das Schiff zu verlassen, greife auch nicht Nr. 13.2.6.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, wonach Ausländer an Bord eines Schiffs, die beabsichtigen unter Umgehung der Grenzübergangsstelle an Land zu gehen, die Einreise bereits mit der Einfahrt in das Küstenmeer vollendet haben. Die Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels sei auch nicht lediglich an kurzfristige Aufenthalte – etwa zum Zweck der friedlichen Durchfahrt – geknüpft.
5
Mit ihrer (Sprung-)Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 26 Abs. 1 AufenthV. Soweit § 24 AufenthV das Nicht-Verlassen eines Seeschiffs im grenzüberschreitenden Verkehr regele, sei die Situation eine völlig andere, als die des bestimmungsgemäßen Einsatzes von Seeschiffen, die Offshore-Arbeiten im Küstenmeer verrichteten. Im letzteren Fall diene die Tätigkeit an Bord nicht mehr dem Transport von Waren und Personen, für die eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels vorgesehen sei. Auch mit § 26 AufenthV habe der Verordnungsgeber ausschließlich Transitfälle regeln wollen. Für die Auslegung dieser Bestimmung seien im Übrigen die Vorschriften des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) heranzuziehen, das in Art. 17 SRÜ den Schiffen aller Staaten das Recht der friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer gewähre. Die Einreise über die Seegrenze sei bereits mit dem Überfahren der Grenzlinie zum Küstenmeer vollendet, wenn durch ein Seeschiff keine Grenzübergangsstelle angelaufen werde und keine friedliche Durchfahrt gegeben sei.
6
Die Kläger verteidigen das Urteil des Verwaltungsgerichts.
7
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und schließt sich der Auffassung der Beklagten an.


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