Europarecht

3 B 36/20

Aktenzeichen  3 B 36/20

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:200521B3B36.20.0
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer geschützten Ursprungsbezeichnung müssen sich aus der Produktspezifikation ergeben.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 12. August 2020, Az: 8 A 11814/19, Urteilvorgehend VG Mainz, 28. Februar 2019, Az: 1 K 271/18.MZ, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. August 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1
1. Die Klägerin betreibt ein Weingut, zu dem ein gepachtetes Flurstück mit 12 315 m² auf der Gemarkung W. gehört. Sie begehrt die Feststellung, dass dieses Grundstück Teil der geschützten Ursprungsbezeichnung “Rheinhessen” ist.
2
Für eine Teilfläche von 4 490 m² dieses Flurstücks erteilte die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit Bescheid vom 4. Juli 2016 Neubepflanzungsgenehmigungen. Mit Schreiben vom 5. September 2017 wies die beklagte Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz die Klägerin darauf hin, dass die Angabe über die geografische Lage im Genehmigungsantrag nicht korrekt gewesen sei. Das Flurstück befinde sich außerhalb der Rebgeländeabgrenzung der Gemarkung W. und es bestehe auch kein unmittelbarer räumlicher Zusammenhang mit zulässigerweise bestockten oder vorübergehend unbestockten Rebflächen. Die Klägerin verwies darauf, dass das Grundstück bis Ende der 1990er Jahre mit Reben bepflanzt gewesen sei und die Rebflächen der Gemeinde W. nach der Produktspezifikation zur geschützten Ursprungsbezeichnung “Rheinhessen” gehörten. Zum Nachweis gegenüber der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung beantragte sie bei der Beklagten die Feststellung der nutzbaren geografischen Angabe für das Flurstück.
3
Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 8. Dezember 2017 über die nutzbare geografische Angabe des Grundstücks die Bezeichnung “Deutscher Wein” fest und führte aus, dass nach der ordnungsgemäßen Bestockung “von diesen Flächen g.U.-fähige Erzeugnisse” hergestellt werden könnten. Diese Aussage nahm die Beklagte mit Bescheid vom 19. Dezember 2017 zurück; insoweit sei versehentlich ein falscher Textbaustein verwendet worden. Den gegen die Rücknahme gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2018 zurück. Das Grundstück sei nicht unter den Begriff der “Rebfläche” im Sinne der Produktspezifikation zu fassen.
4
Die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Mainz abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz das Urteil geändert und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin zu bestätigen, dass das Grundstück Teil der geschützten Ursprungsbezeichnung “Rheinhessen” ist. Nach Art. 103 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 dürfe eine geschützte Ursprungsbezeichnung von jedem Marktteilnehmer verwendet werden, der einen Wein vermarkte, der entsprechend der betreffenden Produktspezifikation erzeugt worden sei. Für die geschützte Ursprungsbezeichnung “Rheinhessen” finde sich in Nr. 3 der Spezifikation zur geografischen Abgrenzung des Gebiets die Angabe, dass hierzu die Rebflächen in im Einzelnen aufgeführten Gemeinden, darunter W. gehörten. Eine weitere Einschränkung sehe die unionsrechtlich allein maßgebliche Produktspezifikation nicht vor. Aus dem Umstand, dass die in Art. 54 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 genannten Weinnamen gemäß Art. 118s Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 zum 1. August 2009 automatisch geschützt wurden, folge nicht, dass auch die zu diesem Zeitpunkt vorhandene tatsächliche Situation festgeschrieben worden sei. Auf die Frage, ob das Grundstück damals zu den zur Erzeugung von Qualitätsweinen b.A. geeigneten Flächen im Sinne von § 1 der Landesverordnung über Qualitätsweine des bestimmten Anbaugebiets Rheinhessen gehört habe und in die Weinbergsrolle eingetragen gewesen sei, komme es daher nicht an. Auch die weiteren Anforderungen der “Erläuternden Ergänzung der Produktspezifikation für die geschützte Ursprungsbezeichnung ‘Rheinhessen'” seien nicht Bestandteil der Produktspezifikation geworden. Diese Maßstäbe ließen zudem die unionsrechtlich geforderte präzise und unzweideutige Abgrenzung nicht zu. “Rebfläche” im Sinne der Produktspezifikation sei demnach ein Geländestück, auf dem Weinreben angebaut werden dürfen und das die Voraussetzungen zum Anbau von Qualitätswein, Prädikatswein, Sekt b.A. und Qualitätsperlwein b.A. erfüllt.
5
2. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie hat weder eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage dargelegt (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) noch die Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgezeigt (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
6
a) Zur Beantwortung der mit der Beschwerde bezeichneten Frage,
“Wie ist der Begriff ‘Rebfläche’ in der Produktspezifikation für die geschützte Ursprungsbezeichnung ‘Rheinhessen’ auszulegen?”,
bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Sie kann, soweit dies einer generellen Klärung zugänglich und im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden hinreichend sicher beantwortet werden (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 – 2 B 107.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9).
7
aa) Für die Auslegung des Begriffs “Rebfläche” im Sinne der Produktspezifikation für die geschützte Ursprungsbezeichnung “Rheinhessen” kann nicht auf die Vorschriften des Landes Rheinland-Pfalz zurückgegriffen werden.
8
Nach Art. 103 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L 347 S. 671), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2017/2393 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2017 (ABl. L 350 S. 15), dürfen geschützte Ursprungsbezeichnungen von jedem Marktteilnehmer verwendet werden, der einen Wein vermarktet, der entsprechend der betreffenden Produktspezifikation erzeugt wurde. Maßgeblich für diese Berechtigung ist damit allein die Produktspezifikation (vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: November 2020, WeinG, § 22c Rn. 11). Sie muss es den Interessenten ermöglichen, die einschlägigen Bedingungen für die Produktion in Bezug auf die jeweilige Ursprungsbezeichnung, also insbesondere auch die Abgrenzung des betreffenden geografischen Gebiets, zu überprüfen (vgl. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1308/2013 sowie Erwägungsgrund 8 Satz 3 der Delegierten Verordnung 2019/33 der Kommission vom 17. Oktober 2018, ABl. L 9 S. 2). Die Produktspezifikation ist zu veröffentlichen (vgl. Art. 97 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1308/2013).
9
Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer geschützten Ursprungsbezeichnung müssen sich folglich aus der Produktspezifikation selbst ergeben. Erläuterungen, Hinweisen o.ä., die nicht Bestandteil der Produktspezifikation geworden sind, kommt keine regelnde Wirkung zu.
10
Teil der Produktspezifikation sind gemäß § 16a des Weingesetzes in der Fassung vom 18. Januar 2011 (BGBl. I S. 66 – WeinG -), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Januar 2021 (BGBl. I S. 74), die im 4. Abschnitt des Weingesetzes geregelten Bestimmungen über die Anforderungen und Eigenschaften von Qualitätsweinen, Prädikatsweinen, Qualitätslikörweinen b.A., Qualitätsperlweinen b.A., Sekten b.A. und Landweinen. Damit werden die dort geregelten Bestimmungen für die in Deutschland hergestellten Weine mit dem unionsrechtlichen Schutzsystem verknüpft. Nicht von der Erstreckungsanordnung erfasst sind dagegen die weiteren weinrechtlichen Regelungen, insbesondere also auch die auf Grund der im Weingesetz enthaltenen Ermächtigungen erlassenen Verordnungen des Bundes und der Länder (vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: November 2020, WeinG, § 16a Rn. 4).
11
Die von der Beklagten in Bezug genommene Landesverordnung über Qualitätswein des bestimmten Anbaugebietes Rheinhessen und “Rheinischer Landwein” vom 18. Juli 1995 (GVBl. S. 314 – QWeinRheinhV -) ist nicht Bestandteil der Produktspezifikation. Für die Auslegung des Begriffs “Rebflächen” der in Nr. 3 der Produktspezifikation für die geschützte Ursprungsbezeichnung “Rheinhessen” benannten Gemeinden darf daher nicht das Verständnis dieser Landesverordnung vorausgesetzt werden.
12
Zur Bestimmung der “Rebflächen” der in Nr. 3 der Produktspezifikation benannten Gemeinden kann daher auch nicht darauf abgestellt werden, ob das Grundstück gemäß § 1 Abs. 2 QWeinRheinhV in der Weinbergsrolle aufgeführt ist. Aus der allein maßgeblichen Produktspezifikation ergibt sich eine solche Einschränkung nicht (vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: November 2020, WeinG, § 16a Rn. 11).
13
bb) Eine Einschränkung auf die nach Landesrecht ausgewiesenen Rebflächen folgt auch nicht mittelbar aus dem Stichtag 1. August 2009.
14
Nach Art. 107 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 sind u.a. die in Art. 54 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 genannten Weinnamen automatisch geschützt. Art. 54 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 nehmen hierfür auf die einzelstaatlichen Bestimmungen für die jeweiligen Qualitätsweine b.A. Bezug. Die zum maßgeblichen Stichtag 1. August 2009 (vgl. Art. 73 der Verordnung Nr. 607/2009, Art. 4 der Verordnung Nr. 491/2009) nach nationalem Recht anerkannten Weinnamen sind durch die Übergangsregelung des Art. 118s Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 auch auf Unionsebene aufrechterhalten und dem unionsrechtlichen Schutzsystem unterstellt worden (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – C-31/13 [ECLI:EU:C:2014:70] P, Tokaj – Rn. 56 und 58).
15
Eine Beschränkung möglicher Schutzfälle auf die damalige tatsächliche Situation, also auf bereits zum Stichtag bestockte oder vorübergehend nicht bestockte Flächen, ergibt sich daraus nicht. Für einen Ausschluss aller zum Stichtag nicht bereits bestockten Rebflächen vom System der geschützten Ursprungsbezeichnung ist eine ausreichende sachliche Rechtfertigung auch nicht ersichtlich. Vielmehr hat dieser Umstand für die maßgebliche Frage, ob der Wein seine Güte oder Eigenschaften überwiegend oder ausschließlich den geografischen Verhältnissen verdankt (vgl. Art. 93 Abs. 2 Buchst. c i.V.m. Abs. 1 Buchst. a Ziffer i der Verordnung Nr. 1308/2013), keine Bedeutung.
16
“Rebflächen”, die zum 1. August 2009 zwar noch nicht bestockt waren, die rechtlichen Voraussetzungen hierfür aber nachträglich erfüllen, können nach Sinn und Zweck des unionsrechtlichen Schutzsystems daher nicht vom Geltungsbereich der geschützten Ursprungsbezeichnung ausgeschlossen werden. Eine derartige Begrenzung auf den zum Stichtag bereits vorhandenen Bestand wäre mit den Grundrechten und -freiheiten der Weinerzeuger, die die rechtlichen Voraussetzungen der Produktspezifikation erst nachträglich erfüllen, nicht zu vereinbaren.
17
cc) Die Auslegung des Berufungsgerichts entspricht diesen Grundsätzen. Weiteren grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Anwendung der Maßstäbe auf den konkreten Einzelfall ist der Grundsatzrüge nicht zugänglich.
18
b) Die Beklagte hat auch keine Abweichung der angegriffenen Berufungsentscheidung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 2000 – 1 C 7.00 – (BVerwGE 112, 6) aufgezeigt.
19
Dies folgt schon daraus, dass die bezeichnete Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts entscheidungstragend nur den Begriff “Weinbergsfläche” im Sinne von § 43 Nr. 1 WeinG a.F. betraf. Soweit in der Entscheidung darauf verwiesen ist, das Weingesetz verwende die Begriffe “Weinberg” und “Rebfläche” weitgehend synonym, handelt es sich nicht um einen tragenden, der Divergenzrüge zugänglichen Rechtssatz.
20
Im Übrigen liegt auf der Hand, dass die in unterschiedlichen Normen enthaltenen Begriffe zur Bestimmung der aktuellen Abgabepflicht für den Deutschen Weinfonds einerseits und zur möglichen Inanspruchnahme einer geschützten Ursprungsbezeichnung andererseits in der Sache nicht deckungsgleich sein müssen.
21
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.


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