Europarecht

6 C 6/20

Aktenzeichen  6 C 6/20

Datum:
20.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:200421U6C6.20.0
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

Die Androhung eines Zwangsgelds als Vollstreckungsmaßnahme zur Durchsetzung einer im Rahmen der Aufsicht nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag getroffenen Sachentscheidung unterfällt nicht der Organzuständigkeit der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM).

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 14. Februar 2020, Az: 7 B 18.56, Urteilvorgehend VG Würzburg, 23. Februar 2017, Az: W 3 K 16.1292, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Februar 2020 geändert. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 23. Februar 2017 geändert. Die Klage wird auch in Bezug auf Nr. 4 des Bescheids der Beklagten vom 28. Januar 2013 abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1
Die Beklagte, eine Landesmedienanstalt, missbilligte mit Bescheid vom 28. Januar 2013 bestimmte, näher festgestellte Inhalte des vom Kläger betriebenen Telemedienangebots www.michaelwinkler.de (Nr. 1 des Bescheids), untersagte dem Kläger die Verbreitung und Zugänglichmachung der Verlinkung auf die Seite www.metapedia.org im Rahmen des Angebots www.michaelwinkler.de (Nr. 2 des Bescheids) und ordnete die sofortige Vollziehung der Untersagung an (Nr. 3 des Bescheids). In Nr. 4 des Bescheids drohte die Beklagte dem Kläger für den Fall, dass er nach dem 31. Januar 2013 im Rahmen des Angebots www.michaelwinkler.de auf die Seite www.metapedia.org verlinke, ein Zwangsgeld in Höhe von 1 000 € an. Für den Bescheid wurden Gebühren in Höhe von 1 750 € sowie Auslagen in Höhe von 3,45 € erhoben (Nr. 6 des Bescheids).
2
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2013 hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 sowie hinsichtlich eines Teilbetrags der Gebührenerhebung in Nr. 6 aufgehoben; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
3
Der Verwaltungsgerichtshof hat die – von ihm hinsichtlich der Aufhebung der Zwangsgeldandrohung zugelassene – Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zwar habe die Beklagte als nach § 20 Abs. 1 und 6 Satz 1, § 14 Abs. 1 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Satz 3 Bayerisches Mediengesetz (BayMG) zuständige Landesmedienanstalt zu Recht die Zwangsgeldandrohung im Außenverhältnis gegenüber dem Kläger verfügt. Sie hätte jedoch zuvor die Entscheidung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) einholen müssen. Diese habe als nach § 20 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 16 Satz 2 Nr. 1 JMStV zuständiges Organ – entsprechend § 59 Abs. 3 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) und unter Beachtung von § 7 Abs. 1 Telemediengesetz (TMG) – im Innenverhältnis über die erforderliche Maßnahme gegenüber dem Anbieter zu entscheiden. Hiervon sei auch die Entscheidung über die Androhung von Zwangsgeld umfasst. Die für die Zwangsgeldandrohung nach Art. 30 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) zuständige Anordnungsbehörde sei grundsätzlich nach den Vorschriften zu bestimmen, die auch die Zuständigkeit für den Erlass des zu vollstreckenden Verwaltungsakts regelten. Dies gelte auch für die Frage, welches Organ einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Innenverhältnis die Entscheidung zu treffen habe.
4
Bereits Wortlaut und Regelungssystematik des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages sprächen dafür, dass die KJM als Willensbildungs- und Entscheidungsorgan der im Außenverhältnis nach § 20 Abs. 1 JMStV zuständigen Landesmedienanstalt nicht ausschließlich für die Beurteilung der Angebote im engeren Sinne zuständig sei, sondern auch für die Entscheidung über die rechtlichen Konsequenzen. Die KJM habe gegenüber den Landesmedienanstalten grundsätzlich eine Letztentscheidungskompetenz bei der Bewertung von Angeboten auf ihre Vereinbarkeit mit den jugendschützenden Regelungen. Die lediglich beispielhafte Aufzählung ihrer Zuständigkeiten in § 16 Satz 2 JMStV bestätige die zentrale Rolle der KJM und zeige, dass von deren Zuständigkeit nicht nur Sachentscheidungen, sondern auch damit zusammenhängende Nebenentscheidungen umfasst seien. Die historische Auslegung bestätige die Zuständigkeit der KJM für Entscheidungen über die Androhung von Zwangsmitteln. Die KJM sei als zentrale Aufsichtsstelle mit dem Ziel eingerichtet worden, die Zersplitterung der Aufsichtsstrukturen im Bereich der länderübergreifenden Angebote in elektronischen Medien zu überwinden und die wirksame Durchsetzung der Schutzpflichten des Staates im Rahmen des Jugendmedienschutzes und des Schutzes der Menschenwürde sicherzustellen. Mit ihrer Errichtung und der Bindung der anderen Organe der zuständigen Landesmedienanstalt im Innenverhältnis an die Beschlüsse der KJM (§ 17 Abs. 1 Satz 5 und 6 JMStV) habe eine von Standortinteressen unabhängige Entscheidungsfindung gewährleistet werden sollen. Dabei habe der Gesetzgeber nicht nur Sachentscheidungen im Blick gehabt, denn auch Nebenentscheidungen wie Zwangsgeldandrohungen ließen Spielräume bei der Entscheidungsfindung zu, die zu je nach Standort unterschiedlichen Ergebnissen führen könnten.
5
Auch aus Sinn und Zweck der Regelungen über die Organzuständigkeit der KJM folge, dass sich diese auf die jeweils notwendigen Nebenentscheidungen erstrecke. So müsse im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob die Sachentscheidung mit der Androhung eines Zwangsmittels verbunden werden solle und welches der gesetzlich vorgesehenen Zwangsmittel geboten sei. Diese Entscheidung sei eng mit der anhand der Umstände des Einzelfalls zu treffenden Sachentscheidung verbunden, werde durch diese beeinflusst und erfordere eine wertende Abwägung. Die für die Androhung von Zwangsgeld zuständige Behörde müsse sich im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens ein Bild darüber machen, mit welchem Nachdruck sie die Erfüllung der angeordneten Maßnahmen durchsetzen wolle. Anhaltspunkte könnten die Bedeutung der Anordnung, die Person des Pflichtigen und das bisherige Verhalten sein. Zudem müsse die Behörde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Maßstäbe für die Höhe des Zwangsgelds, die Bestimmtheit und die Angemessenheit der Frist beachten. Grundlage der Entscheidung sei somit nicht ausschließlich rechtliches Wissen, sondern auch eine Bewertung der Schwere des Verstoßes gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages und dessen Bedeutung für die Zwangsgeldandrohung. Die ordnungsgemäße Ausübung sowohl des Entschließungs- als auch des Auswahlermessens für Maßnahmen der Zwangsvollstreckung erfordere daher wie bei der zu vollstreckenden Sachentscheidung den speziellen Sachverstand der KJM. Die Effektivität des Jugendschutzes werde durch eine Beschlussfassung der KJM vor Erlass einer Zwangsgeldandrohung nicht beeinträchtigt. Verzögerungen ließen sich dadurch vermeiden, dass die Beschlussvorlage und die Beschlussfassung um die Androhung von Zwangsgeld als weiteren Punkt ergänzt würden. Da für die Androhung von Zwangsmitteln nicht der pluralistisch besetzte Medienrat, sondern der Präsident der Beklagten zuständig wäre, spreche auch das Prinzip der Staatsferne der Rundfunkaufsicht für eine Zuständigkeit der KJM.
6
Die Verletzung der Aufgaben- und Zuständigkeitszuweisung führe zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Der Verfahrensfehler sei nicht nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich, weil hiervon nur Verstöße gegen die örtliche Zuständigkeit erfasst seien.
7
Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision begehrt die Beklagte sinngemäß, die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als sie gegen Nr. 4 des Bescheids der Beklagten vom 28. Januar 2013 gerichtet ist. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes widerspreche der Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren. Die Zwangsmittelandrohung sei der Verwaltungsvollstreckung zuzurechnen. Anders als etwa bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung handele es sich bei der Androhung eines Zwangsgeldes nicht um eine unselbständige Nebenentscheidung zu den von der KJM zu beschließenden Maßnahmen, sondern um einen eigenen Verwaltungsakt, der im Hinblick auf die Auswahl des Zwangsmittels, die Bestimmung der Höhe des Zwangsgeldes oder die Festsetzung einer Frist für die Erfüllung der zu vollziehenden Verpflichtung unmittelbar Rechtswirkungen für den Verpflichteten herbeiführe.
8
Aus § 16 JMStV ergebe sich keine das Vollstreckungsverfahren umfassende Allzuständigkeit der KJM. Zwar weise § 16 Satz 2 JMStV der KJM Zuständigkeiten nicht abschließend zu. Die Aufgabenzuweisung müsse jedoch eindeutig bestimmbar bleiben und den in § 16 Satz 1 JMStV festgelegten Rahmen einhalten. Zuständigkeiten der KJM könnten sich daher ausschließlich aus den Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ergeben und nur für die jugendmedienschutzrechtliche Einordnung von Angeboten im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 JMStV bestehen. Auch aus § 20 JMStV lasse sich keine Organkompetenz der KJM für das Vollstreckungsverfahren ableiten. § 20 Abs. 1 JMStV beschreibe lediglich, wer im Außenverhältnis für den Vollzug der erforderlichen Maßnahmen zuständig sei. Die Befugnisse der KJM gemäß § 20 Abs. 2 JMStV bzw. – für Telemedien – § 20 Abs. 4 JMStV seien auf die Entscheidung über die konkreten Maßnahmen beschränkt. Zur Durchsetzung der beschlossenen Maßnahmen bedürfe es keiner besonderen jugendschutzfachlichen Sachkompetenz. Eine Einschätzung und Bewertung der Schwere des Verstoßes gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages müsse bereits im Rahmen der Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Festsetzung der Maßnahme stattfinden. Mit den Zwangsmitteln solle hingegen nur erreicht werden, dass der Bescheid im Ergebnis eingehalten werde. Auch aus der Entstehungsgeschichte oder aus sonstigen Gründen ergebe sich keine Zuständigkeit der KJM für Entscheidungen im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens. Soweit die KJM eingerichtet worden sei, um eine standortunabhängige Entscheidungsfindung verfahrensmäßig abzusichern, lasse sich dieses Ziel bereits durch die umfassende Zuständigkeit der KJM für die Sachentscheidung erreichen.
9
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.


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