Europarecht

Abschiebungsanordnung nach Frankreich (nach erfolglosem Erstasylverfahren in Deutschland und anschließendem erfolglosen Zweitasylverfahren in Frankreich und nunmehr weiteren Asylanträgen in Deutschland), Übernahmebereitschaft nach Art. 18 Abs.1 Buchst. d) Dublin III-VO belegt eine Ablehnung des Asylantrags in der Sache (nicht im Dublin-Verfahren) im aufnahmebereiten Staat, Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 23, 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO für dritten Asylantrag – Aufnahmeverpflichtung des Staates, der über zweiten Asylantrag in der Sache entschieden hat

Aktenzeichen  AN 17 S 21.50247

Datum:
18.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6985
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34a
Buchst. d) Art. 18 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Frankreich.
Die miteinander verheirateten Antragsteller zu 1) und zu 2) und ihre minderjährigen Kinder, die Antragsteller zu 3) bis 5) sind irakische Staatsangehörige. Sie reisten – mit zwei weiteren, zwischenzeitlich volljährigen Kindern – Anfang 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier Asylanträge, die vom Bundesamt für … (Bundesamt) mit Bescheid vom 11. Oktober 2016 abgelehnt worden sind. Die hiergegen gerichtete Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach blieb erfolglos (U.v. 11.4.2018 – AN 2 K 16.31724; Rechtskrafteintritt 26.6.2018). Die zuständige Ausländerbehörde meldete die Antragsteller wegen unbekannten Aufenthalts zum 31. Mai 2018 ab.
Am 5. August 2021 stellten die Antragteller beim Bundesamt erneut Asylanträge. Die eingeholte Auskunft aus der Eurodac-Datenbank ergab für die Antragsteller zu 1) und zu 2) Treffer für die Republik Frankreich für den 23. Juli 2018 und 15. Oktober 2018.
Bei Befragungen vor dem Bundesamt am 22. September 2022 gaben die Antragsteller zu 1) und zu 2) an, Deutschland im Mai 2018 verlassen und nach Frankreich weitergereist zu sein, wo sie sich bis August 2021 aufgehalten und Asylanträge gestellt hätten. Sie hätten zunächst zwei Monate auf der Straße, dann in einer Wohnung gelebt hätten, aus der sie zum 1. August 2021 hätten ausziehen müssen. Man habe ihnen im Asylverfahren gesagt, dass sie Fingerabdrücke in Deutschland hätten und deshalb in Frankreich nichts für sie gemacht werden könne.
Auf das auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestützte Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 28. September 2021 hin teilte Frankreich mit Schreiben vom 1. Oktober 2021 mit, dass die Zuständigkeit Frankreichs auf Grund von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO anerkannt werde.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2021, den Antragstellern zugestellt am 8. Oktober 2021, lehnte das Bundesamt die Anträge daraufhin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Frankreich (Ziffer 3) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf zehn Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Hiergegen erhoben die Antragsteller durch ihre Prozessbevollmächtigte Klage zum Verwaltungsgerichts Ansbach und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
Zur Begründung beriefen sie sich unter Bezugnahme auf den Jahresbericht von Amnesty International von 2020 insbesondere darauf, dass ihnen in Frankreich kein faires Asylverfahren zur Verfügung stehe.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2021,
die Anträge abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes vom 5. Oktober 2021 ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
1. Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung sind zulässig, insbesondere statthaft, weil die gleichzeitig erhobenen Klagen keine aufschiebende Wirkung haben, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG. Die Klagen und Eilanträge sind auch fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG erhoben worden.
2. Die Anträge sind jedoch unbegründet, weil die Interessensabwägung des Gerichts ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller ergibt. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklagen eine maßgebliche Rolle. Die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklagen aller Voraussicht nach erfolglos bleiben werden. Die in Ziffer 3 des Bescheids verfügte Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) nämlich als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG.
a) Die Republik Frankreich ist zur Wiederaufnahme der Antragsteller verpflichtet und für den erneuten Asylantrag der Antragsteller vom 5. August 2021 voraussichtlich auch selbst zuständig.
Zwar ist der erste Asylantrag der Antragsteller in Deutschland gestellt und in der Sache (negativ) entschieden worden. Damit wäre Deutschland wohl grundsätzlich auch als zuständiger Staat für weitere Asylanträge anzusehen gewesen. Eine automatische Zuständigkeit für ein Folgeverfahren ist durch die Dublin III-VO ausdrücklich nicht geregelt, im Kapitel III der Dublin III-VO findet sich ein solches Kriterium nicht. Jedoch legt Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO fest, dass der zuständige Staat sich bezogen auf den Zeitpunkt des ersten Antrags auf internationalen Schutz im Gebiet der Mitgliedstaaten bestimmt, so dass sich auch im Folgeverfahren grundsätzlich die gleiche Zuständigkeit wie im Erstverfahren ergibt. Deutschland war für den ersten Asylantrag 2016 zuständig und hat eine Zuständigkeit hierfür jedenfalls durch die (negative) Entscheidung in der Sache auch anerkannt (vgl. zur Zuständigkeitsfestlegung spätestens durch Entscheidung in der Sache, selbst wenn keine Zuständigkeit nach den Kriterien der DublinIII-VO gegeben war VG Ansbach, B.v. 9.9.2021 – AN 17 S 21.50195 – und B.v. 6.10.2021 – AN 17 S 21.50055 – jeweils juris).
Vorliegend hat Frankreich jedoch in der Sache über einen nachfolgenden neuen Asylantrag (Folge- bzw. Zweitantrag) der Antragsteller entschieden. Dies ergibt sich aus dem Antwortschreiben Frankreichs vom Schreiben 1. Oktober 2021, aus der Zitierung von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO ist (nur) einschlägig, wenn eine negative Entscheidung in der Sache im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist, nicht für den Fall, dass die Zuständigkeit durch den ersuchten Mitgliedstaat nach der Dublin III-VO abgelehnt wird. In letzterem Fall hätte der betroffene Mitgliedstaat, hier Frankreich, seinerseits ein Wiederaufnahmegesuch an den Erststaat richten müssen, was ausweislich der in Deutschland geführten Akten durch Frankreich nicht erfolgt ist. In Frankreich lebten die Antragsteller nach eigenen Angaben bereits seit 2018. Dies ist durch die Eurodac-Treffer vom 23. Juli 2018 und 15. Oktober 2018 bestätigt und passt mit dem Untertauchen der Antragsteller in Deutschland Ende Mai 2018 zusammen. Dass Frankreich in der Sache negativ über den (Folge-/Zweit-)Asylantrag entschieden hat, ist auch durch die sinngemäßen Angaben der Antragsteller, dass man ihnen in Frankreich gesagt habe, dass sie dort keine Erfolgsaussichten hätten, weil sie Fingerabdrücke in Deutschland abgegeben haben, nicht widerlegt. Zwar deutet diese Aussage daraufhin, dass in Frankreich eine Unzulässigkeitsentscheidung und eine Rücküberstellung nach Deutschland nach der Dublin III-VO erwogen worden ist, offenbar ist es hierzu – aus welchen Gründen auch immer (denkbar ist, dass Frankreich einen Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO für das zweite Verfahren erklärt hat oder die Fristen des Wiederaufnahmeverfahrens nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO versäumt hat) – aber nicht gekommen. Eventuell waren die von den Antragstellern nur vage wiedergegebenen Äußerungen auch so zu verstehen, dass aufgrund des Asylerstverfahrens in Deutschland die Aussichten des Asylantrags in Frankreich wegen der erschwerten Voraussetzungen in einem solchen Folge- bzw. Zweitantrag als nicht gegeben angesehen worden sind, Wiederaufnahmegründe also nicht vorgelegen haben. Durch die Aktenlage, den Zeitablauf und die eindeutige Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO steht für das Gericht jedenfalls ausreichend sicher fest, dass es in Frankreich zu einer materiellen Entscheidung im Asylverfahren, zu der auch eine Ablehnung mangels Wiederaufgreifensgründen im Folgeverfahren gehört, gekommen ist. Einer zusätzlichen Nachfrage bei der französischen Asylbehörde bedurfte nicht.
Ob Frankreich damit automatisch für das nunmehrige dritte Asylverfahren (weiteres Folge- bzw. Zweitverfahren) zuständig ist oder über Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO ein Rückgriff auf Deutschland möglich oder richtig ist, muss vorliegend nicht abschließend geklärt werden. Es spricht allerdings viel dafür, dass ein Rückgriff auf die Zuständigkeit für ein älteres Verfahren nicht mehr möglich ist, wenn sich zwischenzeitlich die Zuständigkeit eines anderen Staates ergeben hat. Nach der Dublin III-VO kann es nämlich nur einen einzigen zuständigen Staat geben, vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO, und steht es einem an sich nicht zuständigen Staat frei, die Zuständigkeit zu übernehmen, vgl. Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO, so dass im Zweifelsfall von der Zuständigkeit des letzten Staates auszugehen sein dürfte (so bereits VG Ansbach, U.v. 15.6.2020 – AN 17 K 20.50046 – juris).
Jedenfalls muss im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO vom ersuchenden Staat nicht geprüft werden, ob der ersuchte Staat selbst zuständig ist. Im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 23 Dublin III-VO ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17 und C-583/17 – juris) anders als im Aufnahmeverfahren nach Art. 21, Art. 22 Dublin III-VO nicht erforderlich, dass die Zuständigkeit des ersuchten Staates für die Durchführung des Asylverfahrens nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO geklärt ist (EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 54 ff., VG Ansbach, B.v. 10.5.2021 – AN 17 S 21.50090 – juris, U.v. 28.6.2021 – AN 17 K 19.50954 – juris; VG München, B.v. 27.11.2020 – M 1 S 20.50531 – juris Rn. 20). Der ersuchende Staat muss nicht selbst in die Prüfung einsteigen, wer für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags nach Art. 8 bis Art. 15 Dublin III-VO zuständig ist. Eine Rücküberstellung im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt vielmehr zur Durchführung des Zuständigkeitsverfahrens im ersuchten Staat; ohne dass dessen eigene Zuständigkeit feststehen muss (EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 54 ff., VG Ansbach, B.v. 10.5.2021 – AN 17 S 21.50090 – juris, U.v. 28.6.2021 – AN 17 K 19.50954 – juris; VG München, B.v. 27.11.2020 – M 1 S 20.50531 – juris Rn. 20).
Zwar macht der EuGH in seiner Entscheidung vom 2. April 2019 eine Ausnahme für die Konstellation, in der der ersuchte Staat Gesichtspunkte übermittelt, die offensichtlich belegen, dass der ersuchende Mitgliedstaat gemäß der Dublin III-VO selbst zuständig ist, dieser Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Weder beruft sich Frankreich auf eine Zuständigkeit Deutschlands und legt Beweise oder Indizien hierzu vor, noch ist eine solche Zuständigkeit Deutschlands objektiv und offensichtlich gegeben, sondern ist es – wie oben dargelegt – eine äußerst schwierige und in der Dublin III-VO nicht klar und ausdrücklich geregelte Frage, wer für ein drittes Asylverfahren zuständig ist, wenn das erste und das zweite Asylverfahren in unterschiedlichen Staaten abgeschlossen worden sind. Zudem erging die Entscheidung des EuGH zu der Wiederaufnahmesituation des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) i.V.m. Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO und ist die von EuGH konstatierte Rückausnahme für die Situation des Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO eventuell schon nicht einschlägig.
b) Das Wiederaufnahmeverfahren ist vom Bundesamt am 28. September 2021 auch rechtzeitig, innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung vom 5. August 2021 (Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO) eingeleitet worden und Frankreich hat der Rückübernahme am 1. Oktober 2021 innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO zugestimmt, so dass es nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen zu einem Zuständigkeitswechsel auf Deutschland gekommen ist.
c) Es liegen auch keine Umstände nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO vor, die eine Rückkehr der Antragsteller nach Frankreich unzumutbar erscheinen ließen.
Nach dem System der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 31.12.2011, C-411/10 und C-433/10 – NVwZ 2012, 417) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedsland der Europäischen Union (EU) den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) entspricht. Diese Vermutung ist jedoch dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedsland systemische Mängel aufweisen, die zu der Gefahr für den Asylbewerber führen, bei Rückführung in den Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
Derartige systemische Mängel sind für Frankreich nicht gegeben. Die Lage dort stellt sich für rückkehrende Asylbewerber wie folgt dar:
aa) In Frankreich besteht ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand 29.1.2018, S. 4; sehr detailliert zum Verfahren Asylum Information Database [AIDA], Country Report: France, Update 2020, S. 31 ff.). Asylanträge von Dublin-Rückkehrern werden wie jeder andere Asylantrag behandelt. Sie haben denselben Zugang zur Unterbringung wie normale Asylbewerber. Im Falle von vulnerablen Dublin-Rückkehrern müssen die französischen Behörden vom jeweiligen Mitgliedstaat mindestens einen Monat vor Überstellung informiert werden, um die nötigen Vorkehrungen treffen zu können (BFA a.a.O., S. 5). Sobald ein Dublin-Rückkehrer in Frankreich ankommt, wird ihm von der Polizei ein Schreiben ausgehändigt, in dem die für den Antragsteller zuständige Präfektur, im Großraum Paris treten an deren Stelle die sog. Orientierungsplattformen, benannt ist (BFA a.a.O., S. 5). Dorthin muss der Asylbewerber allerdings eigenständig gelangen, will er sein Verfahren weiter betreiben (BFA a.a.O.). Im Übrigen wird hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit des Asylverfahrens gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Darstellung in den Gründen des Bescheids vom 5. Oktober 2021 verwiesen.
bb) Was die humanitäre Lage für Dublin-Rückkehrer anbelangt, so werden diese hinsichtlich Unterkunft und Versorgung gleich normalen Asylbewerbern behandelt. Frankreich verfügte Stand 2017 über 303 Unterbringungszentren für Asylbewerber mit rund 34.000 Plätzen, einem speziellen Zentrum für unbegleitete minderjährige Asylbewerber, zwei Transitzentren mit 600 Plätzen, 262 Notunterbringungen mit rund 18.000 Plätzen sowie eine nicht näher genannte Zahl an privaten Unterbringungsplätzen, insgesamt 56.000 Unterbringungsplätze (BFA a.a.O., S. 9). Mittlerweile, Stand Ende 2020, hat sich die Zahl der Unterbringungsplätze dank verstärkter Bemühungen des französischen Staates als Reaktion auf die zu geringen Kapazitäten auf 98.564 erhöht; weitere 4.500 Plätze sind für 2021 geplant. (AIDA a.a.O, S. 101 ff.). Zwar wird auch berichtet, dass nur 51% der Asylbewerber, die Anspruch auf eine Unterbringung haben, auch untergebracht waren und komplementär hierzu größere informelle Camps insbesondere in Paris und Calais entstanden sind sowie Asylbewerber etwa in Nantes, Grande Synthe und Metz auf der Straße leben (AIDA a.a.O., S. 104 ff.). Hinsichtlich des Verhältnisses von (Erst-)Asylbewerbern und zur Verfügung stehenden Plätzen wurde jedoch 2020 die Situation erreicht, dass mehr Unterbringungsplätze als Bewerber zur Verfügung stehen; Ende 2020 waren 4% der Unterbringungsplätze frei (AIDA a.a.O., S. 102 f.). Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung liegen keine Erkenntnisse für eine Einschränkung des Platzangebots in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen oder hinsichtlich Schwierigkeiten beim Registrierungsprozess in Folge der Corona-Pandemie mehr vor, die letzten derartigen Angaben stammen von Mai 2020 (AIDA a.a.O., S. 96).
Selbst wenn die Antragsteller als abgelehnte Asylbewerber keinen Platz mehr in einer Unterkunft zustehen sollte, droht ihnen bei entsprechender Eigeninitiative absehbar keine Obdachlosigkeit. Sie haben möglicherweise mit Abschiebehaft zur Rückführung in ihr Herkunftsland Irak zu rechnen, wobei rechtstaatliche Bedenken an einer Abschiebehaft für abgelehnte Asylbewerber, die sich der Abschiebung durch Weiterreise in ein anderes Land entziehen, nicht bestehen. Sollte es nicht zu einer Abschiebehaft kommen und der Antragsteller auch vorübergehend keine Asyl- oder Obdachlosenunterkunft zugewiesen werden – wofür nach der Erkenntnislage aber keine ernsthaften Anhaltspunkte bestehen -, so kann davon ausgegangen werden, dass sie in Frankreich bei Bekannten oder in karitativen Einrichtungen unterkommen und nicht auf der Straße übernachten müssen.
Dublin-Rückkehrer haben wie reguläre Asylbewerber auch Zugang zum finanziellen Beihilfeprogramm für Asylbewerber (ADA – Allocation pour demandeurs d’asile). Dessen Höhe ist von verschiedenen Faktoren wie der Art der Unterkunft, dem Alter, der Anzahl der Kinder usw. abhängig. In der Regel erhalten untergebrachte Asylbewerber monatlich eine finanzielle Unterstützung von 204,00 EUR. Sind sie nicht staatlich untergebracht, erhöht sich der Betrag auf 426,00 EUR pro Monat (AIDA a.a.O., S. 97; BFA a.a.O., S. 8 f.). Zum Erhalt des Geldes ist nicht zwingend die Eröffnung eines Bankkontos nötig, Asylbewerbern wird eine Karte ausgestellt, mit der die Leistungen bezogen werden können, allerdings nur dergestalt, dass damit in Läden oder Online-Shops bezahlt, aber das Geld nicht am Geldautomaten abgehoben werden kann (AIDA a.a.O., S. 97 ff.). Ob abgelehnten Asylbewerbern der Zugang zum französischen Arbeitsmarkt offensteht, kann dahinstehen, da sich hieraus für ausreisepflichtige Ausländer jedenfalls kein rechtstaatlicher Mangel ergibt.
Was die medizinische Versorgung anbelangt, so können Asylbewerber (und somit auch Dublin-Rückkehrer) den allgemeinen Krankenversicherungsschutz in Anspruch nehmen, sobald sie die Bestätigung über ihr laufendes Asylverfahren erhalten haben. Einkommensschwachen Personen steht darüber hinaus ein allgemeiner Zusatzkrankenschutz zu, der die Kostenübernahme hinsichtlich im Basisschutz nicht enthaltener Leistungen abdeckt. Nach drei Monaten Aufenthalt besteht schließlich auch Anspruch auf die sogenannte staatliche medizinische Hilfe (BFA a.a.O., S. 10 ff.). Anderen Quellen zufolge besteht zwar nunmehr das Erfordernis eines dreimonatigen Aufenthalts, bevor der Zugang zum allgemeinen und zusätzlichen Krankenversicherungsschutz eröffnet wird (AIDA a.a.O., S. 111). Wenn der Zugang zu diesen Sicherungssystemen nicht gegeben ist, können Asylbewerber aber jedenfalls die in den Krankenhäusern eingerichteten Bereitschaftsdienste zur ärztlichen Versorgung der Bedürftigsten in Anspruch nehmen. Für das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung bei den Antragstellern ist ohnehin nichts ersichtlich.
Zusammenfassend sind systemische Schwachstellen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, im französischen Asylsystem für Dublin-Rückkehrer nicht ersichtlich (so auch VG Karlsruhe, B.v. 27.1.2021 – A 8 K 1948/20 – juris; VG Ansbach, U.v. 17.8.2020 – AN 17 K 19.51230 – juris; VG München, U.v. 22.7.2020 – M 2 K 19.50619 – BeckRS 2020, 18796; VG Würzburg, B.v. 15.6.2020 – W 8 S 20.50166 – juris; B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50081 – juris, sogar für eine Mutter eines knapp drei Monate alten Säuglings).
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Frankreich. Aus den Zahlen der Johns-Hopkins-Universität vom 11. März 2022 lässt sich für Frankreich – in Gegensatz zu Deutschland – derzeit ein deutliches Abflachen der Neuinfektionen und Todesfällen bei einer gleichzeitig deutlich steigenden Zahl an Impfungen ablesen (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 11.3.2022). Insofern ist keine Überlastung staatlicher Strukturen insbesondere im Bereich der Unterkünfte und des Gesundheitssystems zu befürchten und keinesfalls eine Verschlechterung der Situation im Vergleich zu Deutschland.
Darauf, ob Asylbewerbern nach einer Anerkennung als international Schutzberechtigte in Frankreich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, was nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits im Dublin-Verfahren zu berücksichtigen ist (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87 ff.), kommt es im vorliegend Fall von abgelehnten Asylbewerbern nicht an. Dies wäre auch zu verneinen (vgl. VG Ansbach, B.v. 9.9.2021 – AN 17 S 21.50195 – und B.v. 6.10.2021 – AN 17 S 21.00055- jeweils juris).
d) Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte für ein zielstaatsbezogenes oder inlandsbezogenes Abschiebungsverbot für die Antragsteller vor, das der Abschiebungsanordnung entgegenstünde.
3. Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben