Europarecht

Anpruch auf Zahlung der Haftungshöchstsumme wegen eines Transportschadens bei einem internationalen Transport

Aktenzeichen  2 HK O 952/15

Datum:
16.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
CMR CMR Art. 1 Abs. 1, Art. 17, Art. 18 Abs. 1, Abs. 2, Art. 23 Abs. 1 – 3, Abs. 7, Art. 25 Abs. 1, Art. 27 Abs. 1, Art. 31 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, Art. 34, Art. 39 Abs. 2
ZPO ZPO § 287 Abs. 1
BGB BGB § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 286

 

Leitsatz

1. Aufeinander folgender Frachtführer im Sinne von Art. 34 CMR ist nur derjenige Unterfrachtführer, der durch die Annahme von Gut und Frachtbrief als sogenannter Samtfrachtführer gesamtschuldnerisch neben dem ihn beauftragenden Haupt- oder Unterfrachtführer Vertragspartei des Absenders wird; daran mangelt es, wenn – wie hier – kein durchgehender Frachtbrief ausgestellt wird. (redaktioneller Leitsatz)
2. Wurde der Schaden unmittelbar durch einen Fahrzeugmangel (hier: auf Grund eines technischen Defektes vom hinteren Reifen an der linken Fahrzeugseite ausgehender Brand) verursacht, so kann sich der Frachtführer nach Art. 17 Abs. 3 CMR nicht darauf berufen, dass er den Fahrzeugmangel weder verhüten noch dessen Folgen abwenden konnte. (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Auftraggeber kann keine Beweisvereitlung angelastet werden, wenn er die beim Transport durch einen Brand beschädigte Ware verwerten lässt, sofern der Frachtführer nach dem Schadensfall genug Zeit gehabt hat, einen eigenen Gutachter einzuschalten oder ein selbständiges Beweisverfahren zu beantragen, und dieser auch nicht verlangt hat, die beschädigte Ware länger als geschehen verfügbar zu halten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Memmingen vom 18.08.2015 wird mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin den Gegenwert von EUR 84.816,06 Rechnungseinheiten (Sonderziehungsrechte des internationalen Währungsfonds), umzurechnen am 16.03.2016, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% seit 16.09.2014 zu zahlen. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil des Landgerichts Memmingen vom 18.08.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Memmingen vom 18.08.2015 darf nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden.

Gründe

Der Einspruch ist zulässig. Die Klage ist zulässig und im Wesentlichen begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Memmingen international zuständig gemäß Artikel 31 Absatz 1 Nr. 1 lit. b CMR. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte auf eine ausschließliche internationale Zuständigkeit gemäß Artikel 39 Absatz 2 CMR, weil der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht eröffnet ist. Die Zuständigkeitsbestimmung des Artikel 39 Absatz 2 CMR gilt allein für das Innenverhältnis zwischen aufeinander folgenden Frachtführern im Sinne von Artikel 34 CMR (BGH, TranspR 2007, 416 Rn. 15 – zitiert nach Juris). Aufeinander folgender Frachtführer im Sinne von Artikel 34 CMR ist nur derjenige Unterfrachtführer, der durch die Annahme von Gut und Frachtbrief als sogenannter Samtfrachtführer gesamtschuldnerisch neben dem ihn beauftragenden Haupt- oder Unterfrachtführer Vertragspartei des Absenders wird (BGH a.a.O. Rn. 18). Frachtbrief im Sinne des Artikel 34 CMR ist der über den Frachtvertrag zwischen dem Absender und dem Hauptfrachtführer ausgestellte durchgehende, auf die gesamte Beförderungsstrecke lautenden und dem Hauptfrachtführer vom Absender ausgehändigte Frachtbrief. Wenn ein solcher Frachtbrief nicht vom Absender und vom Hauptfrachtführer unterzeichnet ist oder vom Unterfrachtführer nicht angenommen oder an diesen nicht weitergegeben worden ist, ist der Unterfrachtführer kein aufeinander folgender Frachtführer im Sinne von Artikel 34 CMR (BGH a.a.O. Rn. 19). Daran fehlt es hier. Die internationale Zuständigkeit ist zwar von Amts wegen zu prüfen. Die Darlegungs- und Beweislast trägt jedoch derjenige, der sich auf die Sonderzuständigkeit nach Artikel 39 Absatz 2 CMR beruft, hier also der Beklagte. Der Beklagte behauptete schon nicht, dass ein durchgehender Frachtbrief ausgestellt wurde und an ihn weitergegeben worden sei. Der vom Zeugen E. seiner schriftlichen Aussage beigefügte Frachtbrief (Anlage zu Blatt 92 der Akten) ist nur vom Absender unterschrieben. Die Voraussetzungen des Artikel 39 Absatz 2 CMR stehen daher nicht fest.
II.
Die Klage ist im Wesentlichen begründet, weil die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung des Gegenwertes von EUR 84.816,06 Rechnungseinheiten nebst Zinsen hieraus seit 16.09.2014 gemäß Artikel 1, 17, 25, 23 Abs. 1, 3, 7 CMR zusteht.
1. Artikel 17 ff. CMR sind hier anwendbar, weil die Parteien einen Vertrag über eine internationale Beförderung gemäß Artikel 1 Absatz 1 CMR schlossen.
2. Der Beklagte haftet dem Grunde nach gemäß Artikel 17 Absatz 1 CMR verschuldensunabhängig für den durch die Beschädigung des Frachtgutes entstandenen Schaden. Die Übernahme der gesamten Ware steht zur Überzeugung des Gerichts fest auf Grund des vorgelegten Lieferscheins (Anlage BLD 4), des Warenbegleitscheins (Anlage BLD 5) und der glaubwürdigen Aussage des Zeugen K. in der mündlichen Hauptverhandlung am 17.02.2016, dass die Rechnung erst geschrieben wurde, nachdem der Lastwagen des Beklagten das Lager der Absenderin verlassen hatte, weil sich vorher manchmal noch etwas ändert. Daraus entnimmt das Gericht, dass die als Anlage BLD 6 vorgelegte Rechnung in Übereinstimmung mit dem Warenbegleitschein nur die Waren enthält, die tatsächlich versandt wurden. Im Übrigen fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die Waren sich nicht in dem handelsüblichen Zustand befanden. Unbeachtlich ist der Vortrag des Beklagten, er habe den eingesetzten Auflieger, der bei dem streitgegenständlichen Transport in Brand geriet, kurz vorher instand gesetzt und von der DEKRA abnehmen lassen. Wurde der Schaden unmittelbar durch einen Fahrzeugmangel verursacht, so kann sich der Frachtführer nach Artikel 17 Absatz 3 CMR nicht darauf berufen, dass er den Fahrzeugmangel weder verhüten noch dessen Folgen abwenden konnte (Koller, TransportR, 8. Auflage, Artikel 17 CMR Rn. 34). So ist es hier. Ausweislich der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Bayreuth (257 UJS 4777/14) ergaben die polizeilichen Ermittlungen, dass der Brand vom hinteren Reifen an der linken Fahrzeugseite auf Grund eines technischen Defektes ausging und ein Fremdverschulden auszuschließen ist. Eine andere Ursache als einen Fahrzeugmangel für den Brand wurde von der Beklagtenseite auch nicht behauptet, obwohl sie nach Artikel 18 Absatz 1, 2 CMR die Darlegungs- und Beweislast für haftungsausschließende Umstände trägt.
3. Der Höhe nach besteht ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung des Gegenwertes von 84.816,06 Rechnungseinheiten (Sonderziehungsrechte des internationalen Währungsfonds) gemäß Artikel 25 Abs. 1, 23 Abs. 1, 3, 7 CMR. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass durch den Brand eine Wertminderung gemäß Artikel 25 Absatz 1 CMR über dem Haftungshöchstbetrag gemäß Artikel 23 Absatz 3 CMR eintrat, dessen Gegenwert hier unter EUR 110.000,00 liegt. Aus dem unstrittigen Gewicht des Frachtgutes von 10.182,00 kg errechnet sich die Haftungsbegrenzung gemäß Artikel 23 Absatz 3 CMR wie von der Klägerin geltend gemacht auf EUR 84.816,06 Sonderziehungsrechte des internationalen Währungsfonds. Für die Umrechnung in Euro ist gemäß Artikel 23 Absatz 7 Satz 2 CMR nicht wie von der Klägerin angegeben der Tag der Zahlung maßgeblich, sondern der Tag des Urteils. Danach liegt die geltend gemachte Haftungshöchstsumme jedenfalls unter EUR 110.000,00. Bei einer Beschädigung der Ware ist als Wertminderung die Differenz zwischen dem objektiven Wert im Sinne von Artikel 23 Absatz 2 CMR im unbeschädigten und im beschädigten Zustand zu ersetzen (Kollar, a.a.O., Artikel 25 CMR Rn. 3). Die Darlegungs- und Beweislast für den Umfang der Wertminderung trägt die Klägerin, weil sie sich als Geschädigte auf Artikel 25 Absatz 1, 23 CMR beruft. Allerdings kommen ihr gewisse Beweiserleichterungen gemäß § 287 Absatz 1 ZPO zugute. Nach diesem Maßstab steht eine Wertminderung mindestens in Höhe von 110.000 € zur Überzeugung des Rechts fest, weil der objektive Wert des Frachtgutes im unbeschädigten Zustand EUR 146.267,60 betrug und der Restwert jedenfalls nicht über 36.000 € lag.
a) Der objektive Wert des Frachtguts im unbeschädigten Zustand betrug EUR 146.267,60. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte darauf, der Schaden sei nach dem Wiederbeschaffungswert zu bestimmen. Vielmehr ist der Wert des Frachtgutes gemäß Artikel 23 Absatz 2 CMR mangels eines Börsenpreises nach dem Marktpreis zu bestimmen. Maßgeblich ist, auf welchem Markt das Gut gehandelt worden ist, bevor es zum Transport gegeben wurde (BGH, TranspR 2003, 298 Rn. 57 – zitiert nach Juris; Koller, a.a.O., Artikel 23 CMR Rn. 3). Im danach maßgeblichen Verhältnis zwischen Absenderin und Empfängerin der streitgegenständlichen Sendung betrug der Preis des Frachtgutes EUR 146.267,60. Die dahingehende Überzeugung des Gerichts beruht auf der vorgelegten Rechnung (Anlage BLD 6) und der Aussage des Zeugen K., der glaubwürdig angab, er habe die Rechnung nach den üblichen Verrechnungspreisen zwischen Absenderin und Empfängerin erstellt.
b) Der objektive Wert im beschädigten Zustand betrug jedenfalls nicht mehr als 36.000 €.
Die Überzeugung des Gerichts (§ 287 Abs. 1 ZPO) beruht auf den Ausführungen des Privatsachverständigen Entrich in seinem Gutachten vom 24.10.2014 (Anlage BLD 7) und in seiner schriftlichen Zeugenaussage vor Gericht (Blatt 92 der Akten) sowie den Fotos vom ausgebrannten Sattelauflieger, die sich im schriftlichen Gutachten des Privatsachverständigen Entrich und in der von Beklagtenseite vorgelegten Anlage B3, sowie in der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Bayreuth befinden. Die Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen ist nicht geboten, weil das Frachtgut nicht mehr zur Begutachtung zur Verfügung steht und die genannten Beweismittel für eine Überzeugung des Gerichts genügen. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte insoweit auf Beweisvereitelung. Erstens trägt – wie bereits dargelegt – nicht er die Beweislast für den Restwert, sondern die Klägerin für die Behauptung des Totalschadens. Außerdem hätte der Beklagte bzw. seine Versicherung nach dem Schadensfall genug Zeit gehabt, einen eigenen Gutachter einzuschalten oder ein selbständiges Beweisverfahren zu beantragen. Unstrittig wurde von Beklagtenseite nach dem Schadensfall nicht verlangt, dass die beschädigte Ware länger als geschehen verfügbar gehalten wird.
Das Gericht ist davon überzeugt (§ 287 Abs. 1 ZPO), dass durch den Brand für das gesamte Frachtgut die ursprünglich geplante Verwendung unmöglich wurde. Der Zeuge E. gab zwar an, ein Teil der Sendung, insgesamt sechs Kolli, seien nicht verbrannt gewesen, sondern nur durch Brandchloride beaufschlagt gewesen. Die Absenderin habe nach Prüfung der Ware jedoch festgestellt, dass auch dieser Teil der Sendung durch Brandgeruch beeinträchtigt gewesen sei und daher für die ursprünglich geplante Verwendung im Automobilbereich nicht mehr verwendet habe werden können. Dies wurde vom Zeugen K. in der mündlichen Hauptverhandlung am 17.02.2016 bestätigt. Außerdem ist allgemein bekannt, dass die Automobilbranche sehr hohe Qualitätsanforderungen stellt. Ferner ergibt sich aus den Fotos des ausgebrannten Sattelaufliegers, dass der Brand ein verheerendes Ausmaß hatte und dabei auch Kunststoffe verbrannt sind. Daraus ergibt sich die Unmöglichkeit der ursprünglich geplanten Verwendung für das gesamte Frachtgut.
Das Gericht ist ferner davon überzeugt (§ 287 Abs. 1 ZPO), dass der Restwert jedenfalls unter 36.000 € liegt. Der Zeuge E. gab an, eine schadenmindernde Veräußerung sei ihm nicht gelungen, da das Leder speziell für seine Verwendung gegerbt gewesen und somit nicht für andere Anwendungen tauglich gewesen sei. Anhaltspunkte für einen gewissen Restwert ergeben sich nur aus den weiteren Ausführungen des Zeugen E., wonach er einen Entsorgungsnachweis erfolglos angefordert habe, weil die Absenderin einen lederbasierenden, spritzgusstauglichen Kunststoff „Kollamat“ aus Lederschnipseln herstelle. Es erscheint jedoch ausgeschlossen, dass durch eine derartige Verwendung eines Teils des Frachtgutes ein Restwert erzielt wird, der höher als ein Viertel des Gesamtwertes der Sendung beträgt. Daher schließt das Gericht aus (§ 287 Absatz 1 ZPO), dass ein Restwert von über EUR 36.000,00 gegeben war.
4. Der Anspruch auf die Verzinsung ergibt sich aus Artikel 27 Absatz 1 CMR.
5. Abzuweisen war die Klage hinsichtlich der geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Zwar schließt Artikel 27 Absatz 1 CMR die Geltendmachung konkreter Verzugsschäden nicht aus, die nicht die Kapitalnutzung betreffen (BGH, TranspR 2000, 455 Rn. 11 ff. – zitiert nach Juris). Auch nach dem ergänzend anwendbaren nationalen Recht besteht jedoch kein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten. Insoweit ist von der Geltung deutschen Rechts auszugehen, weil sich die Parteien im Prozess insoweit ausschließlich auf deutsche Rechtsvorschriften berufen haben (Palandt/Thorn, BGB, 75. Auflage, Artikel 3 ROM-I-Verordnung Rn. 8). Ein Anspruch aus §§ 280 Absatz 1,2, 286 BGB besteht jedoch nicht, weil sich aus dem Vortrag der Klageseite kein Verzug des Beklagten vor der Beauftragung des Klägervertreters und seiner Mahnung vom 16.02.2015 ergibt. Vorher wurde der Beklagte und seine Versicherung lediglich haftbar gehalten, aber nicht gemahnt.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Absatz 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

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