Europarecht

Anscheinsbeweis für die Exkulpation der Fluggesellschaft bei Annullierung aufgrund starken Nebels

Aktenzeichen  11 C 667/20

Datum:
16.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43010
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
Fluggastrechte-VO Art. 5 Abs. 1 lit. c, Abs. 3, Art. 7 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ist davon auszugehen, dass eine Fluggesellschaft, der eine Landung aufgrund Nebels am Zielflughafen nicht möglich ist und die eine Weiterbeförderung durch einen Bus organisiert, alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um eine Annullierung zu vermeiden. (Rn. 11 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Beweis des ersten Anscheins für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Exkulpation kann durch den vereinfachten Gegenbeweis des Fluggastes erschüttert werden, wenn die ernsthafte Möglichkeit einer weniger belastenden Alternative für die Passagiere dargelegt und Beweis angeboten wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, weil nach Überzeugung des Gerichts der in M… am 06.01.2019 unstreitig herrschende Nebel eine Landung des vorgesehenen Flugzeugs unmöglich machte und die Beklagte keine andere Möglichkeit als die Umleitung des Fluges nach S… hatte.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass durch die Umleitung eine Verzögerung von 3 Stunden 35 Minuten vorliegt. Unstreitig zwischen den Parteien ist auch, dass in M… Nebel herrschte, der die planmäßige Landung unmöglich machte.
Die faktische Annullierung des geplanten Fluges ist vorliegend unstreitig auf widrige Wetterbedingungen zurückzuführen.
Nach Überzeugung des Gerichts ist aber auch anzunehmen, dass andere Möglichkeiten als die konkret durchgeführte Ersatzbeförderung über den Flug nach S… und anschließenden Bustransfer vorliegend nicht zur Abmilderung der Unannehmlichkeiten der Passagiere in Betracht gekommen wären.
Die Nichteinhaltung der vorgesehenen Flugverbindung führt – gerichtsbekannt – bei Fluggesellschaften wie … zu massiven Problemen bei den Folgeflügen. Die von der Fluggesellschaft vorgesehenen Flugzeuge absolvieren im Laufe eines Tages in praktisch allen Fällen mehrere Schichten mit ihren Crews. Die Flugzeuge werden daher im Laufe eines Tages mehrfach bewegt und absolvieren innerhalb der Arbeitszeit der Crews Verbindungen, die zu einer nahezu vollständigen Auslastung der Flugzeuge führen. Gleichzeitig ist die Fluggesellschaft massiv darauf angewiesen, dass die Flugzeuge am Abend ihre Ausgangsbasis erreichen und gegebenenfalls in der Nacht gewartet werden. Außerdem führt eine Annullierung oder auch eine Umleitung dazu, dass Anschlussflüge unter Umständen sich weiter und noch stärker verzögern. Die vergebenen Slots die Starts und Landungen gelten im Fall einer Verzögerung nicht mehr und es müssen neue Slots beantragt und vergeben werden. Aufgrund der Überlastung des Flugraumes führt dies dazu, dass ein in dem Ablauf verspätetes Flugzeug auch wiederum zeitlich nach hinten verschoben einen neuen Slot für den Abflug von dem nächsten Flughafen erhält. Es besteht daher die Gefahr, dass die Verspätungen sich im Laufe des Tages weiter addieren. Dadurch resultiert die weitere Gefahr, dass ein Fluggerät am Abend nicht mehr die Basis (fester Standort) erreicht und dadurch ein Positionsflug am folgenden Morgen notwendig wird. Dadurch verschieben sich auch die Start- und Landezeiten für den Folgetag. Diese Abläufe führen insgesamt bei der Fluggesellschaft dazu, dass unter Umständen Flüge annulliert werden müssen, weil das Fluggerät die Basis nicht mehr erreicht, dadurch Ticketpreise zurückzuzahlen sind und ein massiver Ansehensverlust eintritt.
Fluglinien wie die Beklagte haben daher ein deutliches und sehr ausgeprägtes Interesse, den Flugplan einzuhalten.
Aus den genannten Erwägungen folgt die Überzeugung des Gerichts – nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises -, dass die Beklagte vorliegend alles ihr Mögliche getan hat, um die Unannehmlichkeiten ihrer Passagiere so gering wie möglich zu halten und damit zugleich nach Möglichkeit Ausgleichsansprüche ihrer Passagiere zu vermeiden.
Dabei nimmt das Gericht in den Blick, dass mit der Umleitung nach S… der Ersatzflug zu einem der dem Flughafen M… sehr nahe gelegen Flughafen erfolgt ist und offenbar ein rascher Anschluss an den Bustransfer nach M… organisiert wurde. Die Verzögerung von 3,5 Stunden erscheint angesichts der Umstände nicht exorbitant groß.
Gegen den Beweis des ersten Anscheins (hier für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Exkulpation der Beklagten) ist der vereinfachte Gegenbeweis der Klägerin grundsätzlich möglich. Dieser setzt aber vorliegend einen unter Beweis zu stellenden Vortrag voraus, der die ernsthafte Möglichkeit einer weniger belastenden Alternative für die Passagiere beinhalten würde. Dies bedeutet vorliegend, dass die Klägerin sich mit der unstreitig durchgeführten Ersatzbeförderung inhaltlich kritisch auseinandersetzen muss und ernsthafte Altemativüberlegungen vortragen müsste, welche anderen Möglichkeiten bestanden haben würden, um die Passagiere des Flugs … unter weniger unangenehmen Umständen nach M… zu verbringen als vorliegend geschehen. Vorliegend erschöpft sich der Klagevortrag in der pauschalen Behauptung des Vorliegens von Alternativen wie den Einsatz einer Alternativcrew sowie der Spekulation über eine mögliche Landung in M… zu einem späteren Zeitpunkt desselben Abends. Dies reicht nach der Überzeugung des Gerichts nicht aus, die im Wege des Anscheinsbeweises anzunehmende Exkulpation der Beklagten vorliegend in Zweifel zu ziehen. Umgekehrt ist von der Beklagten nicht zu fordern, sämtliche theoretisch möglichen Handlungsalternativen vorzutragen und jeweils darzulegen, weshalb die tatsächlich gewählte Ersatzbeförderung weniger belastend oder unangenehm gewesen ist.
Kosten: § 91 ZPO;
vorl. Vollstreckbarkeit: §§ 708, 711 ZPO.
Die Zulassung der Berufung war nicht auszusprechen, da die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht. Insbesondere war die Ursache der Umleitung des geplanten Fluges wegen widriger Wetterbedingungen sowie die Umstände der Ersatzbeförderung unstreitig. Grundsätzliche Bedeutung hat die vorliegende Rechtssache daher nicht, § 511 Abs. 4 ZPO.


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