Europarecht

Aufhebung einer Internetsperre

Aktenzeichen  54 O 1746/20

Datum:
26.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3036
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 293, § 1032 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ebenso wenig wie der Kläger den Streitgegenstand auf bestimmte rechtliche Gesichtspunkte beschränken kann, kann der Kläger keine Beschränkung des Tatsachenstoffs durch bewussten Nichtvortrag erreichen. Insb. kann er nicht verlangen, über seinen Antrag möge entschieden werden, als hätten sich bestimmte in den Rechtsstreit (hier von der Beklagten) eingeführte Tatsachen nicht ereignet. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dient der Vertragsschluss der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit, ist derjenige, der den Vertrag zu diesem Zweck abschließt, als Unternehmer anzusehen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 65.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist unzulässig.
I. Die Klage ist als unzulässig abzuweisen, da die Parteien eine Schiedsvereinbarung abgeschlossen haben, welche eine Klage vor einem staatlichen Gericht für sämtliche zwischen den Parteien bestehende Vertragsbeziehungen ausschließt (§ 1032 Abs. 1 ZPO).
I. Zwischen ist den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger sich zunächst als „Hobbystreamer“ bei der Beklagten im Jahr 2016 registriert hat. Ebenso unstreitig ist, dass der Kläger am 01.07.2017 einen Vertrag annahm, mit welchem er seinen Account auf einen „Profi…Account“ anhob, welcher am 15.03.2018 wiederum aktualisiert wurde und der Kläger dadurch „Partnerstatus“ erhielt.
Ebenso ist zwischen den Parteien unstreitig, dass in dem für den Profi…Account geltenden Vertrag in der Ziffer 9.4 eine Schiedsklausel enthalten ist, deren Wirksamkeit der Kläger mittlerweile (s. Schriftsatz des Klägers vom 21.12.2020) nicht mehr bestreitet.
II. Der Kläger ist lediglich der Auffassung, dass sein ursprünglicher, im Jahr 2016 eingerichteter Account, von dieser Schiedsklausel (und der Kündigung/Sperre) nicht betroffen ist. Er begehrt daher die Wiederherstellung dieses Accounts, um wenigstens die Grundfunktionen des Netzwerks der Beklagten zu nutzen und so in Kontakt mit anderen …Nutzern zu treten zu können.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist allerdings der Umfang seiner Klage nicht auf den „Verbrauchervertrag“ beschränkt, der Kläger kann sich insbesondere nicht aussuchen, nur diesen in das Verfahren einzuführen und den unstreitig am 01.07.2017 abgeschlossenen „Profi…Vertrag“ der gerichtlichen Entscheidung zu entziehen.
Ebenso wenig wie der Kläger den Streitgegenstand auf bestimmte rechtliche Gesichtspunkte beschränken kann (Zöller, ZPO, 33. A., Einleitung, Rn 84) kann der Kläger keine Beschränkung des Tatsachenstoffs durch bewussten Nichtvortrag erreichen (Zöller, a.a.O., Rn. 87). Insbesondere kann der Kläger nicht verlangen, über seinen Antrag möge entschieden werden, als hätten sich bestimmte in den Rechtsstreit (hier von der Beklagten) eingeführte Tatsachen nicht ereignet. Eine willkürliche Auswahl von Tatsachen und eine Begrenzung des Sachverhalts ist dem Kläger zu versagen (BGHZ 198, 294, Rn. 21). Der BGH hat in der genannten Entscheidung ausdrücklich entschieden, dass zwar die Parteien über den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt bestimmen, den Streitgegenstand durch Gestaltung ihres Vortrags jedoch nicht bewusst oder unbewusst willkürlich begrenzen können. Vom Streitgegenstand werden daher sämtliche materiell…rechtliche Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des Antrags aus dem zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt herleiten lassen, unabhängig davon, ob sämtliche rechtserhebliche Tatsachen des Lebensvorgangs vorgetragen wurden oder nicht.
Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass man die Entwicklung des Nutzerkontos des Klägers mit dem Namen „…“ als einheitlichen Lebensvorgang ansehen muss. Es entspräche auch nicht der Lebenswirklichkeit, dass der Kläger sich zunächst als „Verbraucher“ bei der Beklagten anmeldet, nach einem entsprechenden Erfolg als Gamestreamer sich einen gut dotierten „Profi…Account“ andienen lässt und nach dessen Sperre davon ausgeht, dass sein Account unter dem Namen „…“ durch dieses „Upgrade“ aufgespalten wird in einen „Verbraucherteil“ und einen „Profiteil“. Vielmehr ist das Schicksal seines Accounts untrennbar mit der Aufwertung verbunden, der Account besteht immer als Einheit fort und wird lediglich anderen Regeln unterworfen. Einen zurückbleibenden „Verbraucherteil“ gibt es nach der Aufwertung auf einen Profi…Account nach Auffassung des Gerichts nicht mehr. Vielmehr endete die Verbrauchereigenschaft des Klägers am 01.07.2017. Hätte der Kläger weiterhin als Verbraucher bei der Beklagten gelten wollen, hätte er dieses Angebot schlicht nicht annehmen dürfen. Dies hätte allerdings auch zur Folge gehabt, dass der Kläger mit Streamingaktivitäten keine Einkünfte hätte erzielen können.
Der in Anlage B1 vorgelegte und unstreitig so abgeschlossene Vertrag ist in Ziffer 9.11 eindeutig und erklärt seine Vertragsregeln zu den einzig gültigen (“the complete understanding between the Parties“). Alle vorherigen vertraglichen Regelungen werden ungültig erklärt (“supersedes and cancels all previous written and oral agreements“).
Dies bedeutet, dass als Lebenssachverhalt allein der Account „…“ zu betrachten ist, sodass nach dem Stand heute alle jetzt geltenden vertraglichen Unterlagen zu berücksichtigen sind, im vorliegenden Fall auch die in Ziffer 9.4 des Profi…Accounts enthaltene vertragliche Schiedsklausel. Eine willkürliche Aufspaltung in einen Verbraucher und einen Partner, für welche die Schiedsklausel nur geltend soll, kann es daher nicht geben.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Vertrag nun gekündigt wurde oder eine andere Sanktion ausgesprochen wurde. Die Schiedsklausel erfasst sämtliche Streitigkeiten aus dem streitgegenständlichen Vertragsverhältnis, auch solche, die im Zusammenhang mit einer Vertragsbeendigung stehen (“any dispute“).
III. Einer Prüfung der Zulässigkeit der Klausel durch ein Rechtsgutachten im Sinne des § 293 ZPO bedarf es nach dem Schriftsatz des Klägers vom 21.12.2020 nicht mehr, worin er die Zulässigkeit der Klausel unstreitig gestellt hat.
Ein solches Gutachten wäre erforderlich, da deutsches Recht auf die Schiedsklausel keine Anwendung findet. Nach Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom…I…VO sind Schiedsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen und dem internationalen Verfahrensrecht zuzuordnen. Soweit zum Teil auch vertreten wird, dass auf die Schiedsvereinbarungen das für den Vertrag gewählte Recht anzuwenden ist (Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht, Art. 1 Rom…I, Rn. 19), wäre dies hier das Recht des US…Bundesstaates Kaliforniens. Als Verbraucher ist der Kläger auf Grund der oben genannten Umstände als Partner der Beklagten mit einem durchschnittlichen Einkommen von mehr als 6.500 Dollar monatlich im Sinne der Art. 6 Rom…I…VO nicht anzusehen.
In diesem Zusammenhang bleibt zu erwähnen, dass der Kläger beim Abschluss des Partnervertrages sehr wohl als Unternehmer anzusehen ist, da dieser der Aufnahme einer zumindest selbständigen Tätigkeit mit erheblichen Einnahmepotential diente. Ebenso wie ein Rechtsanwalt, der bei Kanzleigründung Verträge mit Lieferanten abschließt, bei derartigen Verträgen als Unternehmer anzusehen ist, auch wenn der Kanzleibetrieb noch nicht aufgenommen wurde, diente der Vertragsschluss der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 162, 253) sind derartige Geschäfte als Unternehmerhandeln anzusehen. Die vom Kläger zitierte Entscheidung des EuGH steht dem nicht entgegen, da der EuGH (völlig zu Recht) festhält, dass die gleiche Person bei verschiedenen Geschäften sowohl als Verbraucher als auch als Unternehmer auftreten kann. Kauft sich der oben erwähnte Rechtsanwalt also für private Zwecke einen Laptop, tritt er im Rahmen dieses Geschäfts als Verbraucher auf, anders bei einem Kauf für seine Kanzlei.
Selbst wenn man der Auffassung wäre, die Rechtswahl für den Hauptvertrag würde auf Grund der freien Rechtswahl für das Schiedsvereinbarungsstatut nicht ausreichen und man würde ohne Wahl eines konkreten Schiedsvereinbarungsstatuts das Recht des Schiedsortes anwenden (MüKo…ZPO, 5. A., § 1029, Rn. 31 ff.) würde auch hier kalifornisches Recht gelten. In der Schiedsgerichtsklausel heißt es „or the agreed upon jurisdiction described above“, womit die Gerichtsstandsvereinbarung für San Francisco gemeint ist, damit also auch das Schiedsverfahren dort nach den Regeln der American Arbitration Association (“AAA“) stattfinden soll. Dies zugrunde gelegt würde sich die Zulässigkeit der Schiedsklausel ebenso nach kalifornischem Recht richten. Eine Überprüfung durch das kalifornische Recht hat der Kläger durch das Unstreitigstellen der Zulässigkeit der Klausel entbehrlich gemacht.
II. Die oben genannten Grundsätze gelten auch für sämtliche weitere gestellten Anträge des Klägers.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO. Der Streitwert wurde auf 65.000 € geschätzt. Dies beruht auf einer analogen Anwendung von § 41 Abs. 2 GKG. Im Streit ist ein Nutzungsverhältnis für die Plattform der Beklagten, für welche der Kläger ein (deutlich abgerundetes) monatliches Entgelt von 6.500 US…Dollar im Monat erhalten hat. Auf ein Jahr hochgerechnet entspräche dies 78.000 US…Dollar. Bei einem Wechselkurs von 1 € = 1,20 US…Dollar, entspricht dies einem Betrag von 65.000 €. Nachdem auf den Profi…Account des Klägers unter dem Nickname „…“ abzustellen ist, kann auch das wirtschaftliche Interesse des Klägers an diesem Profi…Account zugrundegelegt werden.


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