Europarecht

Aufnahmebedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien

Aktenzeichen  W 2 K 18.32496

Datum:
14.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9999
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 36, § 38
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Es ist nicht davon auszugehen, dass die Aufnahmebedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien grds. so ausgestaltet sind, dass bei einer Überstellung – unabhängig einer in der Person des Betroffenen begründeten Vulnerabilität – generell von der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSv Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK auszugehen ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass nach Bulgarien zurückkehrende dort anerkannte Schutzberechtigte behördlicherseits grundlegende Probleme bei der Neuausstellung bzw. Verlängerung inzwischen möglicherweise abgelaufener Aufenthaltspapiere haben.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Praxis des Bundesamtes, bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsentscheidung unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG die Abschiebungsandrohung mit einer bei Klageerhebung erst nach Unanfechtbarkeit laufenden 30-tägigen Ausreisefrist zu verbinden, steht objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz; eine subjektive Rechtsverletzung ergibt sich für den Kläger daraus jedoch nicht.  (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Beteiligten verhandelt werden konnte, ist insgesamt unbegründet.
1. Der Bundesamtsbescheid vom 27. November 2017 ist zum gem. § 77 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Ziffern 1, 2 und 4 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Soweit der verfahrensgegenständliche Bescheid in Ziffer 3 im Hinblick auf die dort tenorierten Modalitäten der Abschiebungsandrohung objektiv nicht im Einklang mit § 36 Abs. 1 AsylG steht, ist der Kläger dadurch nicht subjektiv verletzt, so dass die Klage auch insoweit abzuweisen war.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bezüglich Bulgarien.
1.1 Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt, weil dem Kläger bereits am 17. Februar 2017 internationaler Schutz in Form von subsidiären Schutz in Bulgarien zuerkannt worden war.
Auf die noch immer nicht vom Europäischen Gerichtshof geklärte Frage, ob ein Mitgliedstaat unionsrechtlich gehindert ist, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen der Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat als unzulässig abzulehnen, wenn die Ausgestaltung des internationalen Schutzes, namentlich die Lebensbedingungen für subsidiäre Schutzberechtigte, in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller bereits subsidiären Schutz gewährt hat, gegen Art. 4 der EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK verstößt, kommt es im vorliegenden Fall nicht an.
Denn nach den aktuellen Erkenntnismitteln geht das Gericht – auch nach intensiver Auseinandersetzung mit der vom Klägerbevollmächtigten zitierten Rechtsprechung – nicht davon aus, dass die Aufnahmebedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien grundsätzlich so ausgestaltet sind, dass bei einer Überstellung – unabhängig einer in der Person des Betroffenen begründeten Vulnerabilität – generell von der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK auszugehen ist.
In der Rechtsprechung des EGMR ist geklärt, dass die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen müssen, um ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK/Art. 4 EUGrCh zu begründen. Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl. z.B. EGMR, U.v. 13.12,2016 – Nr. 41738/10 „Paposhvili/Belgien“ – juris). Diese Rechtsprechung ist auf anerkannte Flüchtlinge zu übertragen, die sich darauf berufen, dass die Lebensbedingungen, denen sie im Staat ihrer Flüchtlingsanerkennung ausgesetzt sind, Art. 3 EMRK widersprechen (vgl. BVerwG, B.v. 2.8.2017 – 1 C 37.16 – juris). Bei diesem Personenkreis kann das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere im Zielstaat der Abschiebung erreicht sein, wenn sie ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v, 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris). Die Gefahr einer Rechtsverletzung von Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK hängt demzufolge unter anderem von dem Alter, dem Geschlecht, dem Gesundheitszustand, der Volkszugehörigkeit sowie von weiteren individuellen Faktoren wie etwa familiären oder freundschaftlichen Verbindungen ab. In jedem Einzelfall sind außerdem z.B. die Vermögensverhältnisse, der (Aus-)Bildungsstand und andere auf dem Arbeitsmarkt nützliche Eigenschaften zu berücksichtigen (vgl. OVG Münster, B.v. 8.2.2019 – 13 A 1776/18.A – juris).
Folgerichtig geht das OVG Saarlouis in einem Beschluss vom 17. April 2019 (2 A 60/18 – juris) – wenn auch bezogen auf Rumänien – davon aus, dass die Frage eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK bei Rücküberstellung von anerkannt Schutzberechtigten aufgrund der Aufnahmebedingungen im Drittstaat einer grundsätzlichen Klärung i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich ist. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in den vom Klägerbevollmächtigten zitierten Vorlageverfahren an den Europäische Gerichtshof keine eigenständige allgemeine Bewertung der Aufnahmesituation für anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien vorgenommen, sondern die Feststellungen der Vorinstanz als letzter Tatsacheninstanz lediglich übernommen bzw. bei der Formulierung seiner Rechtsfragen an den EuGH als gegeben vorausgesetzt.
Auch aus dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Februar 2018 im Verfahren 13a ZB 17.50030 ergibt sich nichts anderes. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dort die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg zugelassen, weil er es unter Berücksichtigung der Entwicklung in Bulgarien für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen dort systemische Schwachstellen aufweisen, die im Rahmen eines Dublin-Verfahrens beachtlich sind. Dies betrifft jedoch ausschließlich die Situation von Dublin-Rückkehrern, die nicht bzw. noch nicht über die Zuerkennung internationalen Schutzes verfügen und mithin anderen rechtlichen Bedingungen und Reglementierungen unterworfen sind, als bereits anerkannte Schutzberechtigte. Im Übrigen bezieht sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Begründung des Zulassungsbeschlusses lediglich darauf, dass die Erkenntnismittel, die seiner Rechtsprechung zum (Nicht-)Bestehen von systemischen Schwachstellen im bulgarischen Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrern zugrunde lagen, aus der Zeit vor 2015 stammen und mithin veraltet seien. So weist das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 17. Mai 2018 im Verfahren 22 L 5756/17.A zu Recht darauf hin, dass daraus schon keine Rückschlüsse auf die inhaltliche (Neu-)Bewertung der aktuellen Modalitäten des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen gezogen werden können.
Hinsichtlich der – im vorliegenden Verfahren alleine relevanten – Situation von bereits in Bulgarien anerkannten Schutzberechtigten nimmt das erkennende Gericht für die allgemeinen Rahmenbedingungen, die diese in Bulgarien erwartet, Bezug auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dessen Urteil vom 30. Oktober 2018 – A 13 K 3922/18, Rn. 28ff., die sich das Gericht insoweit zueigen macht:
„Für anerkannte Schutzberechtigte gibt es in Bulgarien keine besonderen Leistungen. Das Potential der bulgarischen Integrationsverordnung vom 19.07.2017 hat sich jedenfalls bis Juli 2018 noch nicht realisiert. Ihre Umsetzung verläuft nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes schleppend und hat bislang nicht zu einer Verbesserung der Situation von Flüchtlingen geführt (Auswärtiges Amt/Botschaft Sofia v. 01.03.2018, S. 1 f.; Auswärtiges Amt [AA], Auskunft an OVG Thüringen: Integration von Flüchtlingen v. 18.07.2018, S. 1 f.; Amnesty International, Amnesty Report Bulgarien 2017/2018 v. 23.5.2018). So wurde ein Jahr nach dem Erlass der Verordnung nur ein Fall bekannt, in dem eine Integrationsvereinbarung zwischen einem einzelnen anerkannten Schutzberechtigten und einer Kommune geschlossen wurde (vgl. AA v. 18.07.2018, S. 1). Aus den Erkenntnismitteln geht weiterhin hervor, dass die Kommunen Vorbehalte gegen den Abschluss solcher Vereinbarungen und die Aufnahme von anerkannten Schutzberechtigten haben.
Im Einklang mit dem flüchtlingsrechtlich geforderten Gleichbehandlungsgebot gewährt der bulgarische Staat anerkannten Schutzberechtigten die gleichen Unterstützungsleistungen, wie sie auch bulgarische Staatsangehörige in Anspruch nehmen können.
Sozialhilfe steht demnach faktisch nicht zur Verfügung. Denn die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe sind derart hoch, dass in der Praxis nur eine Minderheit der bezugsfähigen bulgarischen Staatsangehörigen und kaum anerkannte Schutzberechtigte sie beziehen (AA v. 18.07.2018, S. 2 und AA, Auskunft an VG Trier: Lebenssituation Anerkannter v. 26.04.2018, S. 3; Bundesamt [BAMF], Länderinformation: Bulgarien v. 01.05.2018, S. 9 f.). Zu dem gleichen Ergebnis gelangt die sachverständige bulgarische Rechtsanwältin Dr. V. I. in ihrer Auskunft an das OVG Niedersachsen (Valeria Ilareva, Auskunft an OVG Niedersachsen: Expertise zu der aktuellen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien v. 07.04.2017, S. 7).
Ein Anspruch darauf, sozialen Wohnraum zugewiesen zu bekommen, besteht nicht. Um die wenigen staatlichen Sozialwohnungen konkurrieren anerkannte Schutzberechtigte mit bulgarischen Staatsangehörigen und sind dabei kaum erfolgreich (AA v. 26.04.2018, S. 2; Valeria Ilareva v. 07.04.2017, S. 9). Die gesetzlich vorgesehene und auf sechs Monate befristete finanzielle Unterstützung für anderweitige Unterkunft wird anerkannten Schutzberechtigten in der Praxis nicht gewährt (AA v. 18.07.2017, S. 8). Andere Erkenntnismittel (u.a. AA v. 26.04.2018, S. 2) gehen sogar davon aus, dass es gar kein Wohngeld für anerkannte Schutzberechtigte gibt. Überdies geht aus den Erkenntnismitteln nicht deutlich hervor, ob der gesetzlich vorgesehene Bezugszeitraum mit dem Datum der Entscheidung über den Asylantrag oder erst mit der Rückkehr des Betroffenen in Bulgarien beginnt. Würde, wie etwa der Länderbericht Asylum Information Database/Bulgarian Helsinki Committee (AIDA), Country Report: Bulgaria – 2017 Update v. 31.12.2017 (dort S. 73) nahelegt, ersteres gelten, profitierten die Betroffenen schon deswegen nicht davon, weil die meisten anerkannten Schutzberechtigten später als sechs Monate nach der Entscheidung ihres Asylantrags in Bulgarien dorthin zurückkehren dürften. Denn die Mehrheit der Schutzstatusinhaber verlässt Bulgarien während oder nach der Anerkennung (Valeria Ilareva v. 07.04.2017, S. 2). Weitere Zeit verstreicht, wenn die Betroffenen vor deutschen Verwaltungsgerichten um Rechtsschutz gegen die Entscheidung des Bundesamts ersuchen.
In der Praxis droht jedenfalls der Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten deswegen allerdings noch nicht die Obdachlosigkeit. Denn bei freien Kapazitäten gewähren die Aufnahmezentren für Asylbewerber ihnen für sechs Monate Unterkunft. Das ergibt sich aus verschiedenen Erkenntnismitteln, die aus voneinander unabhängigen Quellen stammen (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Bulgarien v. 13.12.2017, S. 19; AA v. 26.04.2018, S. 1 f.; AIDA v. 31.12.2017, S. 73). Auf die Aufnahme in einem Aufnahmezentrum besteht zwar kein Rechtsanspruch. Doch übereinstimmend berichten die Erkenntnismittel zum einen, dass die Aufnahmezentren mittlerweile deutliche Überkapazitäten besitzen, die anerkannten Schutzberechtigten zur Verfügung gestellt werden. Zum anderen haben Dr. I. und (nach Auskunft des Auswärtigen Amts) lokale Nichtregierungsorganisationen keine Erkenntnisse, dass anerkannte Schutzbedürftige im Allgemeinen obdachlos oder davon besonders gefährdet seien (Valeria Ilareva v. 07.04.2017, S. 8; AA v. 18.07.2017, S. 9). Dies kann auch anderen aktuellen Erkenntnismitteln nicht entnommen werden.
Darüber hinaus gibt es landesweit 12 „Zentren für temporäre Unterbringung“, die laut BAMF v. 01.05.2018 (dort S. 9) für maximal 3 Monate im Jahr unterkunftsbedürftigen anerkannten Schutzberechtigten bis zu 607 Plätze (Stand: Mai 2018) zur Verfügung stellen.
In Abwesenheit gesicherter Unterbringungsmöglichkeiten nach dem 6-Monatszeitraum und ohne den effektiven Zugang zu anderen staatlichen Unterstützungsleistungen wie Wohngeld oder Sozialhilfe erachtet es das Gericht für maßgebend, dass anerkannte Schutzberechtigte spätestens nach dieser Zeit ihren Lebensunterhalt selbstständig bestreiten können. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass ihnen dies mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmöglich sein sollte, sofern nicht besondere Umstände ihre Vulnerabilität im Einzelfall begründen.
Die erfolgreiche Arbeitssuche gestaltet sich nach Auswertung der Erkenntnismittel ohne Zweifel als schwierig. Durch die staatliche Agentur für Arbeit wird keine effektive Hilfe geleistet. Denn es bedarf zur Anmeldung eines Melderegistereintrags, der nur mit einer festen Meldeadresse außerhalb eines Aufnahmezentrums zu erhalten ist. Die Wohnungssuche auf dem privaten Wohnungsmarkt ist hingegen nur mit den -praktisch nicht vorhandenen – staatlichen Leistungen oder bei eigener Erwerbstätigkeit möglich und erfolgreich. Außerdem wird von Sprachbarrieren zwischen den anerkannten Schutzberechtigten und den Mitarbeitern der Agenturen für Arbeit berichtet. Darüber hinaus sind Sprachschwierigkeiten auch mit potentiellen Arbeitgebern, die fehlende Anerkennung von Qualifikationen der Betroffenen und Vorbehalte gegenüber Schutzberechtigten weitere Hürden bei der Arbeitssuche (Valeria Ilareva v. 07.04.2017, S. 6; AA, Auskunft an OVG Niedersachsen: Situation anerkannter Schutzberechtigter v. 18.07.2017, S. 6; AIDA v. 31.12.2017, S. 73).
Gleichwohl haben anerkannte Schutzberechtigte automatischen und bedingungslosen Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt (BAMF v 01.05.2018, S. 10; AIDA v. 31.12.2017, S. 73; BFA v. 13.12.2017, S. 20; AA v. 18.07.2017, S. 6; Bulgarisches Finanzministerium, Bericht über Arbeitsmarktintegration und Etatausgaben für Flüchtlinge v. 28.10.2016, S. 3). Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes v. 18.07.2018 (dort S. 2) haben im Übrigen Flüchtlinge unabhängig davon, ob ihr Asylverfahren abgeschlossen ist oder nicht, 3 Monate nach Ankunft in Bulgarien Zugang zum Arbeitsmarkt. Diese Erkenntnis bezieht sich freilich nicht explizit auf anerkannte Schutzberechtigte, für die die Auskunftslage insofern – wie gezeigt – eindeutig und der Zugang nicht an eine Frist gebunden ist. Das Gericht ist auch nicht davon überzeugt, dass eine feste Meldeanschrift außerhalb des Aufnahmezentrums unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme von Arbeit ist. Nach einer weiteren Auskunft des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2018, an deren Gültigkeit das Gericht nicht zweifelt, ist das nicht der Fall (AA v. 26.04.2018, S. 3).
Auf dem bulgarischen Arbeitsmarkt bestehen für erwerbsfähige anerkannte Schutzsuchende tatsächliche Möglichkeiten, existenzsichernde Arbeit zu finden. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes können anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien eine Arbeitsstelle finden. In der jüngeren Vergangenheit erkundigten sich zunehmend Unternehmer danach, Flüchtlinge zu beschäftigen. Im Bereich der Landwirtschaft und der Gastronomie könnten gering qualifizierte Arbeiter ohne bulgarische Sprachkenntnisse unterkommen. Dies gelte insbesondere in ländlichen Gebieten. Bisweilen mangele es allerdings an der Bereitschaft der Flüchtlinge, sich dort niederzulassen (AA v. 26.04.2018, S. 3 f., BAMF v. 01.05.2018, S. 10).
Nach Überzeugung des Gerichts besteht in Bulgarien auch der menschenrechtlich geforderte Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung. Zu diesem Ergebnis gelangt das Gericht nach Auswertung der insoweit übereinstimmenden aktuellen Erkenntnismittel, insbesondere des BFA v. 13.12.2017 (S. 17, 20 f.), Valeria Ilareva v. 07.04.2017 (S. 10 f.) sowie den Auskünften des Auswärtigen Amtes v. 26.04.2018, (S. 4) und v. 18.07.2017 (S. 9). Denen zufolge werden anerkannte Schutzberechtigte in Gleichbehandlung mit bulgarischen Staatsangehörigen als Arbeitstätige oder für den Fall, dass sie etwa 9,40 EUR im Monat aus eigenen Mitteln aufbringen können, gesetzlich krankenversichert. Damit erhalten sie eine Grundversorgung durch Hausärzte, Spezialisten und in Krankenhäusern. Diese Versorgung wird in Bulgarien regelmäßig durch sog. „out of Pocket“- Zahlungen aufgebessert, die die anerkannten Schutzberechtigten selten leisten können. Auch sprachliche Verständigungsprobleme können dazu führen, dass der Zugang zu dieser Grundversorgung nicht wahrgenommen wird. Rezeptfreie Medikamente lassen sich auf eigene Rechnung über das Internet erwerben. Rezeptpflichtige Medikamente können bei ganzer oder teilweiser Kostenübernahme von der Krankenkasse bezahlt werden.
Betroffene, die nicht krankenversichert sind, erhalten eine kostenfreie Notfallversorgung, die Maßnahmen zur Heilung von akut lebensbedrohlichen Funktionsstörungen oder zur Aufrechterhaltung lebenswichtiger Körperfunktionen umfasst. Weder dem Auswärtigen Amt noch der regelmäßig berichtenden Dr. I. sind Fälle bekannt geworden, in denen anerkannten Schutzberechtigten diese Versorgung verweigert worden und es deshalb zu ernsthaften Schäden für Leib und Leben der anerkannten Schutzberechtigten gekommen wäre (Valeria Ilareva v. 07.04.2017, S. 11; AA v. 18.07.2017, S. 10).
Etwas Anderes gilt, wenn in der Person des Betroffenen neben die Stellung als anerkannter Schutzberechtigter weitere Umstände hinzutreten, die für seine besondere Vulnerabilität sprechen, etwa durch körperliche oder psychische Beeinträchtigungen oder die Sorge für unterstützungsbedürftige Familienangehörige (so etwa OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.08.2018 – 3 L 50/17 -, Rn. 14; VG Berlin, Beschluss vom 24.05.2018 – 23 L 317.18 A -, juris, Rn. 4).
Denn nach dem Vorgesagten ist zum einen insbesondere die Möglichkeit, ohne staatliche Unterstützung eine Erwerbstätigkeit erfolgreich suchen und ausüben zu können, Voraussetzung dafür, dass anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien Obdachlosigkeit und extreme Armut nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, sobald ihr zeitlich befristeter Aufenthalt in den Aufnahmezentren beendet ist. Dies setzt eine grundsätzliche Arbeitsfähigkeit und die persönlichen Kapazitäten voraus, eine oder mehrere Arbeiten zur Sicherung des eigenen und des Lebensunterhalts abhängiger Personen aus-üben zu können.“
Legt man diesen Maßstab zugrunde, besteht beim Kläger keine hinreichend große Gefahr, dass er unter den – sicherlich harten – Aufnahmebedingungen in Bulgarien nicht bestehen und sich – ggf. auch mit anfänglicher finanzieller Hilfe seines jedenfalls in Deutschland bestehenden familiären Netzwerkes – dort keine Existenzgrundlage wird schaffen können. Soweit er sich in der Bundesamtsanhörung die Zustände in der Flüchtlingsunterkunft in Harmanli im Zeitraum September 2017 bis (mutmaßlich) September 2018 als Grund gegen eine Rücküberstellung nach Bulgarien geltend machte, haben seine Ausführungen schon aufgrund der Änderung seines Status als nunmehr anerkannter Schutzberechtigter keine Aussagekraft hinsichtlich der Situation einer Rückkehr zum gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt.
Vor dem Hintergrund der aktuellen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen, wie sie vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zutreffend beschrieben wurden, ist davon auszugehen, dass es ihm zum aktuellen Zeitpunkt selbst als ungelernter Kraft ohne bulgarische Sprachkenntnisse möglich sein wird, im Bereich der Landwirtschaft oder der Gastronomie ein existenzsicherndes Erwerbseinkommen zu erwirtschaften. Auch der Vortrag zu den unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch „verklebte Nervenstränge“ am Hals gibt dem Gericht – schon angesichts der derzeitigen Beschäftigung des Klägers mit Lagerarbeiten in einem Restaurant – keinen Anlass an der uneingeschränkten Leistungs- und Arbeitsfähigkeit des Klägers zu zweifeln. Eine Überstellung des Klägers nach Bulgarien würde ihn – ungeachtet des weitgehenden Fehlens einer staatlichen sozialen Absicherung dort – gerade nicht sehenden Auges der realen Gefahr einer existenzbedrohenden Verelendung preisgeben.
Auch der Vortrag der Klägerbevollmächtigten, die Beklagte hätte sich bei den bulgarischen Behörden vergewissern müssen, ob der am 17. Februar 2017 erteilte subsidiäre Schutz inzwischen erloschen oder widerrufen sei bzw. welche Möglichkeiten es für ihn im Hinblick auf die weitere Aufenthaltsgewährung in Bulgarien gebe, verfängt nicht. Denn es ist weder substantiiert vorgetragen, noch aus den in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismitteln ersichtlich, dass der Kläger bei der Neuausstellung bzw. Verlängerung der bulgarischen Aufenthalts- und Identitätspapiere mit einer behördlichen Behandlung rechnen müsste, die die Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EuGrCh bzw. Art. 3 EMRK in sich bergen würde.
Den in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismitteln sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, dass nach Bulgarien zurückkehrende dort anerkannte Schutzberechtigte behördlicherseits grundlegende Probleme bei der Neuausstellung bzw. Verlängerung inzwischen möglicherweise abgelaufener Aufenthaltspapiere haben könnten. Aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schreiben des Bundesamtes geht nichts anders hervor. Im Gegenteil, die Tatsache, dass die bulgarischen Behörden in Bezug auf den dortigen Asylbewerber über die Eurodac-Zentraleinheit ausdrücklich mitgeteilt haben, dass der dort gewährte subsidiäre Schutz aufgehoben worden ist, bestätigt im Umkehrschluss, dass in den Fällen, in denen eine solche Mitteilung nicht eingeht, die Schutzgewährung im Einklang mit Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13. Dezember über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) fortbesteht. So werden Probleme bei der Wiederaufnahme ins Asylverfahren lediglich bei Dublin-Rückkehrern diskutiert, für die Bulgarien eine Aufnahmebereitschaft auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO erklärt hat (vgl. dazu BVerwG, B.v. 5.3.2018 – 1 B 155/17 – juris). Dies trifft den Kläger als anerkannten Schutzberechtigten gerade nicht. Da im Fall des Klägers weder konkrete Anhaltspunkte für eine Beendigung der Schutzgewährung vorliegen, noch den Erkenntnismitteln zu entnehmen ist, dass es in Bulgarien eine Verwaltungspraxis gäbe, die eine Aberkennung im Fall der Ausreise bzw. Rückkehr befürchten ließe, bestand weder für die Beklagte noch für das erkennende Gericht eine entsprechende Ermittlungspflicht. Für die Erneuerung bzw. Verlängerung eventuell abgelaufener bulgarische Aufenthaltstitel oder Ausweispapiere ist der Kläger mithin ohne weiteres auf die bulgarischen Behörden zu verweisen.
Nach allem liegen in der Person des Klägers keine besonderen Umstände vor, die bei einer Rückkehr nach Bulgarien unter den ihn dort erwartenden Lebensbedingungen die beachtliche Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGrCH bzw. Art. 3 EMRK befürchten ließen.
Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers deshalb rechtmäßig aufgrund des ihm bereits in Bulgarien erteilten subsidiären Schutzes als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgewiesen.
1.2 Die Beklagte hat auch zu Recht, das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
1.3 Grundsätzlich ebenfalls zu Recht hat sie dem Kläger gem. § 35 AsylG die Abschiebung nach Bulgarien angedroht. Rechtswidrig ist dabei lediglich der Rückgriff auf die Modalitäten des § 38 AsylG. Denn diese sind für eine Abschiebungsandrohung auf der Grundlage von §§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 35 AsylG abschießend in § 36 AsylG geregelt. Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht in der von der Klägerbevollmächtigten zitierten Pressemitteilung klargestellt hat, steht die Praxis des Bundesamtes, bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsentscheidung unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG die Abschiebungsandrohung mit einer bei Klageerhebung erst nach Unanfechtbarkeit laufenden 30-tägigen Ausreisefrist zu verbinde, objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz (BVerwG, Pressemitteilung v. 15.1.2019 zu BVerwG 1 C 15.18).
Eine subjektive Rechtsverletzung ergibt sich für den Kläger daraus jedoch nicht. Die im Bescheid tenorierten Modalitäten der Abschiebungsandrohung wirken sich für ihn lediglich begünstigend aus. Auch handelt es sich – anders als beim Austausch von Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung – nicht um ein aliud, dass dem Kläger die rechtlich gebotenen Möglichkeiten des Rechtsschutzes abschneidet. So handelt es sich bei der in § 37 Abs. 1 AsylG angeordneten Rechtsfolge auch lediglich um einen der Verfahrensbeschleunigung dienenden Rechtsreflex aus dem der Kläger keine subjektive Rechtsverletzung durch die objektiv rechtswidrige Tenorierung der dreißigtägigen Ausreisefrist und der aufschiebender Wirkung der Klageerhebung herleiten kann.
1.4 Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind auch zum gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG ersichtlich.
1.5 Für die Unbegründetheit des Hilfsantrags wird auf die Ausführungen in 1.1 und 1.2 Bezug genommen.
2. Die Klage war deshalb insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.


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