Europarecht

B 6 KA 50/20 B

Aktenzeichen  B 6 KA 50/20 B

Datum:
4.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:041121BB6KA5020B0

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 28. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 52 000 Euro festgesetzt.

Gründe

1
I. Der Kläger, der seit 2000 als Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Endokrinologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und seit April 2017 als Angestellter in einem Medizinischen Versorgungszentrum tätig ist, begehrt die Feststellung, dass ab dem Quartal 3/2016 für die Durchführung und Abrechnung bestimmter humangenetischer Leistungen (Gebührenordnungspositionen 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 aus Abschnitt 11.4.3 , 19401, 19402, 19403 und 19404 aus Abschnitt 19.4.1 sowie 19411, 19421 und 19424 aus Abschnitt 19.4.2 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen ) keine Genehmigung erforderlich ist.
2
Mit Bescheid vom 26.10.2005 hatte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) dem Kläger nach Nr 2 der Präambel zu Abschnitt 32.3 des damaligen EBM-Ä (Spezielle Laboratoriumsuntersuchungen, molekulargenetische und molekularpathologische Untersuchungen) die Genehmigung erteilt, die Laborleistungen nach GOP 32855 (Nachweis oder Ausschluss einer krankheitsrelevanten genomischen Mutation mittels Hybridisierung menschlicher DNA), 32856 (Nachweis oder Ausschluss einer krankheitsrelevanten genomischen Mutation mittels Amplifikation menschlicher DNA mittels Polymerase-Kettenreaktion) und 32857 EBM-Ä (Nachweis oder Ausschluss einer krankheitsrelevanten genomischen Mutation mittels Sequenzierung menschlicher DNA) abzurechnen. Nachdem diese GOP mit Wirkung vom 1.4.2006 als GOP 11320, 11321 und 11322 EBM-Ä in das Kapitel 11 , Abschnitt 11.3 des EBM-Ä überführt wurden, teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es im Hinblick auf die aufgrund nachgewiesener Qualifikation erteilte Genehmigung für die GOP 32855, 32856 und 32857 auch nach der Änderung des EBM-Ä keiner gesondert zu erteilenden Abrechnungsgenehmigung für diese Leistungen bedürfe.
3
Anlässlich der Neufassung des EBM-Ä betreffend humangenetische Leistungen mit Wirkung vom 1.7.2016 (Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 372. Sitzung vom 11.3.2016) beantragte der Kläger unter Berufung auf die Präambel 11.1 erfolglos die Genehmigung zur Abrechnung der oben genannten humangenetischen Leistungen (Bescheid vom 10.8.2016; Widerspruchsbescheid vom 18.1.2017). Die Beklagte führte aus, angesichts der ab 1.1.2011 vorgenommenen Einschränkung der Berechnungsfähigkeit der bisherigen GOP 11320, 11321 und 11322 EBM-Ä und der aktuellen Neufassung der humangenetischen Laborleistungen seien die GOP 11511, 11513, 11516 und 11517 EBM-Ä (“seltene” Erkrankungen) sowie die GOP 11512 und 11518 EBM-Ä nicht berechnungsfähig. Wegen der Einschränkung der Berechnungsfähigkeit der bisherigen GOP 11320, 11321 und 11322 EBM-Ä seien die Leistungen nach GOP 19411, 19421 und 19424 EBM-Ä nicht berechnungsfähig, weshalb auch die Pauschalen GOP 19401 und 19404 EBM-Ä im neuen Abschnitt 19.4.1 nicht abgerechnet werden könnten. Soweit in der Vergangenheit versäumt worden sei, die Regelungen gegenüber dem Kläger von der Vergütung auszuschließen, erwachse hieraus kein Vertrauensschutz.
4
Das SG hat auf Antrag des Klägers unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass für den Kläger die Durchführung und Abrechnung der humangenetischen Leistungen der GOP 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 aus Abschnitt 11.4.3, der GOP 19401, 19402, 19403 und 19404 aus Abschnitt 19.4.1 sowie der GOP 19411, 19421 und 19424 aus Abschnitt 19.4.2 EBM-Ä nicht genehmigungspflichtig sei, da der EBM-Ä eine Genehmigungspflicht nicht vorsehe.
5
Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Durchführung der streitgegenständlichen humangenetischen Leistungen unterliege keiner Genehmigungspflicht. Die Beklagte habe keine Befugnis zum Erlass eines rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes. Sie könne sich nicht auf die Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach § 135 Abs 2 SGB V zur Erbringung von molekulargenetischen Untersuchungen bei monogenen Erkrankungen (Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik) vom 21.3.2012 (DÄ 2012, A-553) idF ab 1.4.2017 (DÄ 2017, A-1021) stützen, da diese sich lediglich auf Leistungen nach den GOP des Unterabschnitts 11.4.2 des EBM-Ä beziehe. Auch die Präambel 11.1.1 Alternative 3 könne nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden, da danach die in Abschnitt 11 EBM-Ä aufgeführten humangenetischen GOP ausschließlich von Vertragsärzten, die Auftragsleistungen des Kapitels 11 erbringen und über eine Genehmigung zur Abrechnung der GOP dieses Kapitels verfügen, berechnet werden, der Kläger aber keine Auftragsleistungen erbringe und erbringen wolle. Weiter bilde auch die Präambel 13.1.9 EBM-Ä keine geeignete Ermächtigungsgrundlage. Danach seien außer den in Kapitel 13 (GOP der Inneren Medizin) genannten GOP bei Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen von den in der Präambel genannten Vertragsärzten (Fachärzte für Innere Medizin) – unbeschadet der Regelungen gemäß 5 und 6.2 der Allgemeinen Bestimmungen – zusätzlich die GOP der Abschnitte 11.3, 11.4.1, 11.4.3, 11.4.4 und 19.4 berechnungsfähig. Grundsätzlich könne der BewA zwar auf der Grundlage des § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V die Abrechenbarkeit von Leistungen von qualitativen Anforderungen einschließlich Genehmigungserfordernissen abhängig machen. Allerdings knüpfe die Präambel 13.1.9 EBM-Ä die Abrechenbarkeit der streitigen Leistungen für die in der Präambel 13.1.1 genannten Fachärzte für Innere Medizin des fachärztlichen Versorgungsbereichs nicht an eine vorherige Erlaubnis, sondern gestalte die qualitativen Anforderungen durch den Passus “bei Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen” lediglich als Abrechnungsvoraussetzung aus, bei deren Fehlen die Vergütung der Leistung verweigert werden könne. Die Beklagte sei daher nicht befugt gewesen, einen Verwaltungsakt über die Genehmigung bzw die Versagung der Genehmigung zu erlassen. Auch der Feststellungsantrag habe aus diesem Grund Erfolg. Klarstellend hat das LSG darauf hingewiesen, dass damit keine Entscheidung über die materiellen Voraussetzungen der Abrechnungsfähigkeit der streitgegenständlichen molekulargenetischen Leistungen durch den Kläger als Facharzt für Innere Medizin/Endokrinologie getroffen worden sei, da dies nicht vom Streitgegenstand des Berufungsverfahrens umfasst sei.
6
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
7
II. Die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.
8
1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.2006 – B 6 KA 23/06 B – SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.10.2015 – B 6 KA 12/15 B – SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; BSG Beschluss vom 15.10.2020 – B 6 KA 16/20 B – juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 – B 6 KA 29/17 B – juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 13.2.2019 – B 6 KA 17/18 B – juris RdNr 7).
9
Die Beklagte hält die folgende Rechtsfrage für klärungsbedürftig:Ist die Abrechnung von Leistungen nach den Abschnitten 11.3, 11.4.1, 11.4.3, 11.4.4 und 19.4 EBM für Fachinternisten unter Beachtung der in Nr 9 der Präambel 13.1 EBM vorgesehenen “entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen” von einer Abrechnungsgenehmigung abhängig?
10
a) Soweit die Rechtsfrage die Abschnitte 11.3 (Diagnostische GOP), 11.4.1 (Pauschalen der in-vitro-Diagnostik konstitutioneller genetischer Veränderungen) und 11.4.4 (Allgemeine in-vitro-Diagnostik konstitutioneller genetischer Veränderungen) betrifft, ist sie bereits nicht entscheidungserheblich, da sich die vom LSG bestätigte Feststellung des SG lediglich auf eine Genehmigungspflicht für humangenetische Leistungen der Abschnitte 11.4.3 und 19.4 (mit den Unterabschnitten 19.4.1 und 19.4.2) bezieht. Dass die Rechtsfrage wohl für alle in Nr 9 der Präambel 13.1 EBM-Ä genannten Leistungen nur einheitlich beantwortet werden kann, ist insofern ohne Belang.
11
b) Im Übrigen fehlt es an einer Klärungsbedürftigkeit der von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage. Die Auslegung von Vergütungsbestimmungen ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Danach ist in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden (vgl zuletzt BSG Urteile vom 25.11.2020 – B 6 KA 28/19 R – juris RdNr 20, zur Veröffentlichung in SozR 4-5531 Abschn 31.5.3 Nr 1 vorgesehen, sowie B 6 KA 14/19 R – juris RdNr 18, zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 106a Nr 27 vorgesehen, jeweils mwN). Diese Grundsätze gelten auch für die den GOP vorangestellten Allgemeinen Bestimmungen (BSG Urteil vom 16.5.2018 – B 6 KA 16/17 R – SozR 4-5531 Nr 33076 Nr 1 RdNr 19; BSG Urteil vom 4.5.2016 – B 6 KA 16/15 R – SozR 4-5532 Allg Nr 2 RdNr 23; BSG Urteil vom 11.9.2019 – B 6 KA 22/18 R – SozR 4-5531 Nr 01210 Nr 1 RdNr 13).
12
Vorliegend lässt sich die von der Beklagten gestellte Rechtsfrage bereits eindeutig auf der Grundlage des Wortlauts der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä beantworten. So sieht 1.3 der Allgemeinen Bestimmungen vor, dass GOP, deren Durchführung und Berechnung an ein Gebiet, eine Schwerpunktkompetenz (Teilgebiet), eine Zusatzweiterbildung oder sonstige Kriterien gebunden ist, das Führen der Bezeichnung, die darauf basierende Zulassung oder eine genehmigte Anstellung und/oder die Erfüllung der Kriterien voraussetzen. Die Durchführung und Berechnung von Leistungen, für die es vertragliche Vereinbarungen gemäß § 135 Abs 1 oder Abs 2 SGB V gibt, setzen die für die Berechnung der Leistungen notwendige Genehmigung durch die KÄV voraus. Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Abrechnung einer Leistung, die – wie Nr 9 der Präambel 13.1 – “sonstige Kriterien” (hier: das “Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen”) voraussetzt, ohne selbst ausdrücklich eine Genehmigungspflicht zu regeln, nur dann eine vorherige Genehmigung durch die KÄV erfordert, wenn hierfür eine vertragliche Vereinbarung gemäß § 135 Abs 1 oder Abs 2 SGB V besteht. Eine solche existiert mit der Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik (vgl § 2 iVm §§ 3 bis 5 sowie § 9 der Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik zu den Voraussetzungen der Genehmigung sowie dem Genehmigungsverfahren) lediglich für Leistungen des Unterabschnitts 11.4.2 EBM-Ä, die hier nicht streitgegenständlich sind.
13
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Beklagte die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).
14
3. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der von den Beteiligten nicht angegriffenen Festsetzung des LSG (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).


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