Europarecht

Bauliche Mindestanforderungen, Pflege- und Wohnqualitätsgesetz, Stationäre Einrichtung, Ausführungsverordnung, Verwaltungsgerichte, Widerspruchsbescheid, Altenheim, Befähigung zum Richteramt, Antrag auf Fristverlängerung, Wirtschaftliche Unzumutbarkeit, Unterschreitung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Unerlässlichkeit, Mindestwohnfläche, Persönliche Bedürfnisse, Rechtsmittelbelehrung, Pflegebedürftige, Atypische Fallgestaltung, Tatbestandsvoraussetzungen, Klageabweisung

Aktenzeichen  W 3 K 19.99

Datum:
17.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42314
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PfleWoqG Art. 1
PfleWoqG Art. 3 Abs. 2
AVPfleWoqG § 2 Abs. 1
AVPfleWoqG § 4 Abs. 2
AVPfleWoqG § 8 Abs. 1
AVPfleWoqG § 50 Abs. 1
HeimMindBauV § 31 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das auf § 50 Abs. 1 der Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes vom 27. Juli 2011 (GVBl. S. 346), zuletzt geändert durch § 2 Verordnung vom 14. Oktober 2014 (GVBl. S. 450) – AVPfleWoqG – gestützte Begehren der Klägerin, den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheides des Landratsamts Bad … vom 5. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 2. Januar 2019 zu verpflichten, sie für den Betrieb des Altenheims von den Verpflichtungen bezüglich der Mindestwohnflächen für die Wohn- und Schlafräume von zwölf im Einzelnen genannten Zimmern, bezüglich der barrierefreien Erreichbarkeit und Nutzbarkeit, dies auch hinsichtlich der Wohnplätze und der Sanitärräume, bezüglich der Anzahl von Rollstuhlzimmern und bezüglich des direkten Zugangs oder des Zugangs über einen Vorraum zu einem Sanitärraum von jedem Wohn-Schlaf-Raum aus zu befreien; hilfsweise begehrt die Klägerin, den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheides vom 5. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Januar 2019 zu verpflichten, über den Befreiungsantrag bezüglich der genannten Verpflichtungen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Demgegenüber ist nicht Streitgegenstand ein auf § 50 Abs. 2 AVPfleWoqG gestütztes Begehren auf Zustimmung des Beklagten zu einer Abweichung von den in der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetzt enthaltenen Vorschriften hinsichtlich der Raumgröße der Wohnplätze und der Sanitäranlagen. Dies ergibt sich daraus, dass die Klägerin zwar mit Schreiben vom 18. Juli 2016 einen diesbezüglichen Abweichungsantrag in Aussicht gestellt, jedoch in der Folge nicht eingereicht hat; zwar finden sich in der Begründung des angegriffenen Bescheides Ausführungen zu Abweichungen nach § 50 Abs. 2 AVPfleWoqG, die jedoch, wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein sollen.
Die Klage hat sowohl in ihrem Hauptantrag als auch in ihrem Hilfsantrag keinen Erfolg.
I.
Die Klage ist hinsichtlich ihres Hauptantrags zulässig, jedoch unbegründet. Der Klägerin stehen die von ihr auf § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG gestützten Ansprüche nicht zu.
1. Im vorliegenden Fall betreibt die Klägerin eine stationäre Einrichtung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG, sodass die Vorschriften dieses Gesetztes anwendbar sind (vgl. zur Definition des Heimbegriffs: Burmeister/Dinter, NVwZ 2009, 628/629; zum Begriff selbst: Philipp in Philipp, Pflege- und Wohnqualitätsgesetz Bayern, 2015, A I 1). Der Betrieb einer derartigen stationären Einrichtung bedarf keiner vorherigen Erlaubnis, sondern lediglich nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG einer Anzeige bei der zuständigen Behörde, die bestimmte im Einzelnen genannte Angaben enthalten muss (LT-Drs. 15/10182 Begr. S. 24; Dinter, Die Entwicklung des Heimrechts auf der Ebene des Bundes und der Bundesländer, 2015, S. 281). Allerdings sind beim in unternehmerischer Eigenverantwortung (Art. 1 Abs. 2 PfleWoqG) geführten Betrieb einer solchen stationären Einrichtung gemäß Art. 3 PfleWoqG besondere Qualitätsanforderungen einzuhalten. Unter anderem haben der Träger und die Leitung sicherzustellen, dass die Würde und die Interessen und die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigungen geschützt werden (Art. 3 Abs. 2 Ziffer 1 PfleWoqG) und dass die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt und gefördert werden (Art. 3 Abs. 2 Ziffer 2 PfleWoqG). Zudem muss gemäß Art. 3 Abs. 2 Ziffer 6 PfleWoqG unter anderem eine angemessene Qualität des Wohnens gewährleistet sein. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die Eingliederung und möglichst selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gemeinschaft gefördert wird. Art. 25 Abs. 1 PfleWoqG ermächtigt die Staatsregierung, durch Rechtsverordnung zur Durchführung des Gesetzes Regelungen zu erlassen unter anderem für die Räume in stationären Einrichtungen, insbesondere die Wohn- und Aufenthaltsräume sowie die Verkehrsflächen, sanitären Anlagen und die technischen Einrichtungen in sanitären Einrichtungen.
Hierauf beruht die Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (AVPfleWoqG) vom 27. Juli 2011 (GVBl. S. 346), zuletzt geändert durch § 2 Verordnung vom 14. Oktober 2014 (GVBl. S. 450). Hier werden unter anderem bauliche Mindestanforderungen festgelegt.
Zur Sicherung dieser Qualitätsanforderungen überwachen die zuständigen Behörden gemäß Art. 11 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG die stationären Einrichtungen und haben bei vorhandenen Mängeln aufzuklären, zu beraten und Anordnungen zu erlassen (vgl. Art. 11 bis Art. 15 PfleWoqG), die bis zu einer Betriebsuntersagung gehen können.
Erfüllt eine stationäre Einrichtung die in der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz vorgegebenen baulichen Mindestanforderungen nicht und will der Träger dennoch Anordnungen nach Art. 11 bis Art. 15 PfleWoqG vermeiden, kann er bei der zuständigen Behörde einen Antrag nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG auf Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen stellen. Auf diese Vorschrift stützt die Klägerin im vorliegenden Fall den geltend gemachten Anspruch.
2. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass das von der Klägerin betriebene Altenheim verschiedene Anforderungen, die Art. 3 PfleWoqG in Verbindung mit den Vorschriften der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz stellt, nach derzeitigem Stand nicht erfüllt.
Hierbei handelt es sich zum einen um die in § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG enthaltenen Vorgaben für die Wohnplätze, die dem dauerhaften Wohnen und der Betreuung und Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner dienen. Nach dieser Vorschrift muss der Wohnplatz für eine Person mindestens einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Wohnfläche von 14 m², der Wohnplatz für zwei Personen mindestens einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Wohnfläche von 20 m² umfassen. Hierbei nicht enthalten ist ein zugehöriger Sanitärraum sowie ein etwaiger Vorraum, auch wenn er nicht baulich abgetrennt ist.
Im vorliegenden Fall wird diese Vorschrift bei insgesamt zwölf Wohn-Schlaf-Räumen nicht eingehalten.
Weiterhin handelt es sich um die in § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG enthaltene Vorgabe, dass jeder Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu einem Sanitärraum haben muss.
Im vorliegenden Fall erfüllt keiner der in im Altenheim vorhandenen Wohn-Schlaf-Räume diese Voraussetzung.
Zudem geht es um die in § 2 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG enthaltene Bestimmung, dass stationäre Einrichtungen und ihre Anlagen entsprechend der DIN 18040-2 (Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen, Ausgabe 2011) barrierefrei erreicht und genutzt werden können. Nach Satz 2 der Vorschrift müssen auch die Wohnplätze und ihre Sanitärräume uneingeschränkt mit dem Rollstuhl entsprechend der Norm nutzbar sein, wenn die Schwere der Behinderung der Bewohnerinnen und Bewohner es erfordert.
Demgegenüber sind im Altenheim mehrere Heimplätze nicht barrierefrei und uneingeschränkt rollstuhlgeeignet. Gleiches gilt auch für verschiedene Sanitärräume. Insgesamt wurden 81 Verstöße gegen die Barrierefreiheit und 84 Verstöße gegen die uneingeschränkte Rollstuhlnutzung festgestellt.
3. Deshalb hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 20. Oktober 2016, welches der Begründung eines Antrags auf Gewährung einer längeren angemessenen Frist zur Angleichung an die einzelnen Anforderungen dient, auf der Grundlage von § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG bei der Beklagten auch einen Antrag auf Befreiung von den genannten baulichen Mindestanforderungen gestellt. Ein solcher Anspruch auf Befreiung steht der Klägerin jedoch nicht zu.
a) Ist dem Träger einer stationären Einrichtung die Erfüllung der in §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen im Gebäudebestand technisch oder aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar, kann die zuständige Behörde gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG auf Antrag des Trägers ganz oder teilweise von der Verpflichtung befreien, wenn die Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist.
Dies bedeutet, dass zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm erfüllt sein müssen, nämlich zum einen die Unmöglichkeit der Einhaltung der Mindestanforderungen im Gebäudebestand aus technischen oder denkmalschutzrechtlichen Gründen oder die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Einhaltung dieser Mindestanforderungen und zum anderen die Vereinbarkeit der begehrten Befreiung von diesen Mindestanforderungen mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Ob diese Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind, hat das Gericht vollumfänglich zu überprüfen (Philipp in Philipp, Pflege- und Wohnqualitätsgesetz, 2015, C II 2). Erst, wenn das Vorliegen beider Tatbestandsvoraussetzungen bejaht werden kann, eröffnet sich der zuständigen Behörde ein Ermessensspielraum, in dessen Rahmen die Ermessensausübung nur beschränkt gerichtlich überprüfbar ist (vgl. zur Struktur der Vorschrift die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 17.3.1998 [4 C 22/86 – juris Rn. 17 bis Rn. 24] zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgänger-Vorschrift § 31 Abs. 1 HeimMindBauV).
b) Im vorliegenden Fall bedarf es keiner vertieften Erörterung, ob der Klägerin die Erfüllung der in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG vorgegebenen Mindestanforderungen technisch oder aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich ist. Aus der mit Schreiben der Klägerin vom 24. Februar 2017 vorgelegten Unterlage des Architektenbüros P* … „Konzeptentwicklung -> Umbau Altenpflegeheim unter Berücksichtigung der Vorgaben AVPfleWoqG und DIN 18040-2“ ergibt sich, dass ein entsprechender Umbau technisch möglich ist. Zudem ergibt sich aus den Akten (Bl. 168) der Klägerin, dass seitens der Unteren Denkmalschutzbehörde Einverständnis mit den erforderlichen Umbaumaßnahmen im Inneren des Gebäudes besteht.
Ob die Erfüllung der genannten Mindestanforderungen im Gebäudebestand der Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist, kann offenbleiben und es bedarf keiner detaillierten Überprüfung der von der Klägerin diesbezüglich vorgelegten Unterlagen; denn hierauf kommt es nicht an, weil das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die weitere in § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG enthaltene Tatbestandvoraussetzung nicht vorliegt.
c) Die begehrte Befreiung von der Verpflichtung, die genannten Mindestanforderungen zu erfüllen, ist nämlich mit den Interessen und den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner nicht vereinbar.
Hierbei sind zunächst festzulegen, worin die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner bestehen und sodann ist zu prüfen, ob die von der Klägerin begehrte Befreiung von den Mindestanforderungen der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz mit diesen Interessen und Bedürfnissen vereinbar ist.
aa) Bei der Definition des Begriffes der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ist zunächst auf die gesetzlichen Vorgaben des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes und auf die Begründung des Gesetzentwurfes der Staatsregierung zur Förderung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung vom 11. März 2008 (LT-Drs. 15/10182) abzustellen.
Als Zweck des Gesetzentwurfs (LT-Drs. 15/10182 S. 15) ist festgehalten, dass sich die Notwendigkeit für die umfassende Wahrung der Rechte von Bewohnerinnen und Bewohnern von Heimen im Bereich der Alten- und Behindertenhilfe und damit die Notwendigkeit für die Einführung ordnungsrechtlicher Schutzmechanismen durch den Gesetzgeber aus dem Umstand ergibt, dass die Betroffenen vielfach in ihrer geistigen und körperlichen Beweglichkeit eingeschränkt sowie hilflos sind und daher ihre Fähigkeit, sich bei auftretenden Missständen selbst zu helfen, oft erheblich beeinträchtigt oder gar aufgehoben ist. Dies macht deutlich, dass es sich bei dem Pflege- und Wohnqualitätsgesetz einschließlich der Ausführungsverordnung um ein Schutzgesetz handelt. Diesen Schutzzweck nimmt Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG auf, wonach es unter anderem Zweck des Gesetzes ist, die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse pflege- und betreuungsbedürftiger Menschen als Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen vor Beeinträchtigungen zu schützen. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 PfleWoqG ist es weiterhin Zweck des Gesetzes, die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung sowie die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren und zu fördern. Nach Nummer 3 der Vorschrift soll unter anderem eine dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entsprechende Wohnqualität gesichert werden. Auf diese Weise wird, wie in LT-Drs. 15/10182 S. 18 ausgeführt wird, das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner als Kernelement und Qualitätsmaßstab des Gesetzes klar zum Ausdruck gebracht.
In Konkretisierung dieses Schutzzwecks führt der Gesetzgeber in Art. 3 PfleWoqG konkrete Qualitätsanforderungen an den Betrieb einer stationären Einrichtung auf. Im Einzelnen werden hier unter anderem folgende Anforderungen genannt:
Nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 6 PfleWoqG hat der Träger einer stationären Einrichtung unter anderem sicherzustellen, dass eine angemessene Qualität des Wohnens gewährleistet wird. Dies bedeutet gemäß der Begründung zu Art. 3 Abs. 2 Nr. 7 (damalige Fassung) in der LT-Drs. 15/10182 S. 22, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Möglichkeit haben müssen, ihre unmittelbare Umgebung nach ihren persönlichen Bedürfnissen und Wünschen zu gestalten.
Zu beachten ist weiterhin Art. 3 Abs. 2 Nr. 11 PfleWoqG, wonach sicherzustellen ist, dass eine Art. 3 Abs. 2 entsprechende fachliche Konzeption verfolgt wird und diese mit der baulichen Umsetzung übereinstimmt. Dies bedeutet entsprechend LT-Drs. 15/10182 S. 23, Begründung zu Art. 3 Abs. 2 Nr. 12 (damalige Fassung), dass der Baukörper dem Pflege- und Betreuungskonzept angepasst sein muss.
Zur Definition des Begriffes der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ist weiterhin die Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz sowie die diesbezügliche Begründung der Bayerischen Staatsregierung heranzuziehen.
In deren Ziffer A.I. ist als Ziel des ordnungsrechtlichen Teils der Verordnung der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner und die Stärkung ihrer Partizipation festgehalten. Die Verordnung soll die Rahmenbedingungen für das freiwillige Leben von älteren und pflegebedürftigen Menschen in stationären Einrichtungen gestalten, um ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Teilhabe dieser Personen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird auf den Paradigmenwechsel von der Fürsorge und Versorgung hin zur gleichberechtigten Teilhabe hingewiesen.
In Ziffer A.III.1. der Begründung wird darauf abgestellt, dass gegenüber der bundesrechtlichen Vorgängerregelung die Mindestanforderungen den heutigen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben bei Pflegebedürftigkeit, im Alter und bei Behinderung angepasst werden sollen und das durch die Festlegung einer höheren Mindestquadratmeterzahl für die Wohnflächen und die Anforderungen an die Barrierefreiheit die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner deutlich verbessert werden soll. Gemäß Ziffer C. Teil 1 der Begründung sollen die baulichen Mindestanforderungen den Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Einrichtungen ein menschenwürdiges Wohnen gewährleisten und ihnen ein weitgehend selbständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Nach Ziffer C. Teil 1, zu § 4 der Begründung dienen Wohnplätze nicht nur dem Schlafen, sondern auch dem Wohnen, der Betreuung und Versorgung. Sie sind privater Rückzugs- und Wohnraum, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner beispielsweise ihren Besuch empfangen. Die Vorgabe von Mindestquadratmeterzahlen sichert die Ausgestaltung einer Privat- und Intimsphäre. Sie kann auch das Mitbringen eigener Möbel erleichtern. Die Mindestgrößen für den privaten und häufig lebenslang genutzten Wohn-Schlaf-Raum entsprechen dem derzeit allgemein anerkannten Wohnstandard. Der Lebensort Heim soll einen persönlichen Wohnbereich mit privater Atmosphäre bieten. Auf dieser Grundlage legt § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG die oben genannten Mindestwohnflächen für Wohnplätze für eine Person von mindestens 14 m² und für zwei Personen von mindestens 20 m² fest.
Ziffer C. Teil 1, zu § 8 der Begründung hebt darauf ab, dass die Zuordnung eines Sanitärraums zu jedem Wohn-Schlaf-Raum heutigem Standard entspricht. Durch diese Festlegung soll eine selbständige Benutzung durch die Bewohnerinnen und Bewohner sowie ihre Sicherheit gewährleistet werden. Auf dieser Grundlage legt § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG fest, dass jeder Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu einem Sanitärraum haben muss.
Nach Ziffer C. Teil 1, zu § 2 der Begründung erfordern die Beeinträchtigungen der Bewohnerinnen und Bewohner eine barrierefreie Gestaltung der Einrichtung und ihrer Anlagen. Da sich der Anwendungsbereich der DIN 18040-2 allerdings nur auf Wohnungen beschränkt, muss für Wohnheime eine entsprechende Anwendung bestimmt werden, um Art. 4 des Bayerischen Behindertengleichstellungsgesetzes nachzukommen. Auf dieser Grundlage legt § 2 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG fest, dass stationäre Einrichtungen und ihre Anlagen entsprechend der DIN 18040-2 barrierefrei erreicht und genutzt werden können müssen; nach Satz 2 der Vorschrift müssen auch die Wohnplätze und ihre Sanitärräume uneingeschränkt mit dem Rollstuhl entsprechend der Norm nutzbar sein, wenn die Schwere der Behinderung der Bewohnerinnen und Bewohner es erfordert.
Nach Ziffer C. Teil 5, zu § 50 der Begründung schützen das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz und die darauf beruhende Verordnung die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen. Jede Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen ist hieran zu messen.
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner kann weiterhin die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen (herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie vom Bundesministerium für Gesundheit, Oktober 2018, im Folgenden: Pflege-Charta) herangezogen werden (Dinter, Die Entwicklung des Heimrechts auf der Ebene des Bundes und der Bundesländer, 2015, S. 176). Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 15/10182 S. 18). Hiernach soll durch Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG auf die vom Runden Tisch Pflege erarbeitete Charta der Rechte hilfe- und pflegebedüftiger Menschen inhaltlich Bezug genommen und deren Ziele unterstrichen werden. Die Charta hat keinen rechtsverbindlichen Charakter (Dinter, Die Entwicklung des Heimrechts auf der Ebene des Bundes und der Länder, 2015, S. 217), ist aber eine wichtige Grundlage für die Ausgestaltung würdevoller Pflege sowie Impulsgeber für den gesamten Bereich der Pflege (Pflege-Charta, Vorwort). Die Pflege-Charta fasst in acht Artikeln grundlegende Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen zusammen und erläutert diese, dies auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention, der Europäischen Sozialcharta, der Charta der Grundrechte der EU und verschiedener Vorschriften des Neunten und des Elften Buches Sozialgesetzbuch (Grundrechte-Charta, Präambel, Fußnote 1; Dinter, a.a.O. S. 276, S. 217).
Im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit sind folgende Hinweise der Pflege-Charta beachtlich:
Im Rahmen von Art. 1, Selbstbestimmung und Hilfe zur Selbsthilfe, ist festgehalten, dass hilfe- und pflegebedürftige Menschen erwarten können, dass mit ihnen abgestimmt wird, wie ihre Ziele und Wünsche hinsichtlich eines selbstbestimmten Lebens unter den rechtlichen und praktischen Möglichkeiten verwirklicht werden können. Dies betrifft beispielsweise, wo sie sich aufhalten und leben möchten, wie sie ihren Tagesablauf gestalten und welchen Gewohnheiten sie nachgehen, wie und wann sie sich waschen. Wenn es ihr gesundheitlicher Zustand erlaubt, muss gewährleistet sein, dass sie ihren Wohnraum jederzeit betreten, verlassen und abschließen können, dies auch in einer Einrichtung.
Im Rahmen des Art. 3, Privatheit, ist unter anderem festgelegt, dass sie jederzeit Besuch empfangen können und die Möglichkeit haben müssen, einige Zeit allein zu sein sowie ungestört kommunizieren zu können, auch wenn sie in einer Einrichtung leben und nicht über ein Einzelzimmer verfügen. Sie sollten ihren persönlichen Lebensbereich mit persönlichen Gegenständen wie Kleinmöbeln und Bildern ausstatten können.
Im Rahmen des Art. 6, Wertschätzung, Kommunikation und Teilhabe an der Gesellschaft, hält die Pflege-Charta unter anderem fest, dass hilfe- und pflegebedürftige Menschen ein Recht darauf haben, ihren Alltag so zu gestalten, wie es ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Aus alledem ergibt sich, dass die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner einer stationären Einrichtung davon geprägt sind, trotz ihrer möglicherweise bestehenden körperlichen und geistigen Einschränkungen in Würde ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und dabei möglichst weitgehend am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben. Dies umfasst auch den Bereich des Wohnens hinsichtlich der Größe und Ausgestaltungsmöglichkeiten des Wohnraums, den Bereich der Körperpflege und Hygiene hinsichtlich möglichst selbständiger Erreichbarkeit und Intimität und den Bereich der Bewegungsfreiheit trotz körperlicher Einschränkungen, dies auch zum Zweck der Begegnung mit anderen Menschen im Rahmen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Um diesen Interessen und Bedürfnissen gerecht zu werden, legt das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz in Verbindung mit der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz allgemein und für den Regelfall fest, welche baulichen Mindestanforderungen den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner einer stationären Einrichtung entsprechen (BVerwG, B.v. 22.7.1985 – 4 B 73/85 – juris LS 3 und Rn. 4 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 31 HeimMindBauV; vgl. hierzu auch § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG: „die Erfüllung der in §§ 1 bis 9 genannten Mindestanforderungen“), deren Einhaltung unerlässlich sind. Anders gewendet: Unterschreiten die baulichen Gegebenheiten einer stationären Einrichtung die Vorgaben der §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG, entspricht dies grundsätzlich nicht den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Unterhalb dieses Mindeststandards gibt es keine allgemein zu ziehende Grenze, bis zu der geringere Anforderungen noch im Sinne der Befreiungsvorschrift den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner der stationären Einrichtung entsprächen (BVerwG, a.a.O. Rn. 4).
Dies gilt allerdings nur für den Regelfall. Demgegenüber kann eine Unterschreitung der Mindestanforderungen auf der Grundlage von § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG gerechtfertigt sein, wenn es sich um einen Einzelfall handelt, in dem aufgrund von dessen Besonderheiten die Regel nicht gilt, dass ein Unterschreiten der Mindestanforderungen der Verordnung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner nicht vereinbar ist (BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 22/86 – Rn. 21 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 31 HeimMindBauV). Für solche atyischen Fallgestaltungen lassen sich nämlich keine allgemeinen Maßstäbe festlegen (BVerwG, B.v. 22.7.1985 – 4 B 73/85 – LS 3).
Neben derartigen atypischen Fallgestaltungen kann zudem eine Unterschreitung der baulichen Mindestanforderungen auch dann mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar sein, wenn bei sehr genauen Regelungen – wie bei der Festlegung von Mindestgrößen für Räume nach Quadratmetern – eine sehr geringfügige Abweichung vorliegt, die im Einzelfall keinen spürbaren Nachteil für den Bewohner ergeben muss, dennoch aber die beabsichtigte Nutzung wegen des Verstoßes gegen die bauliche Mindestanforderung in Frage stellt. Auch derart unerwünschte Ergebnisse sollen im Wege einer Befreiung vermieden werden können. Dies bedeutet, dass mehr als nur geringfügige, also spürbare Unterschreitungen der baulichen Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar sind (BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 41/85 – LS 2 und Rn. 25, Rn. 26).
Weiterhin ist zu beachten, dass jede bauliche Mindestanforderung für sich und unabhängig von anderen Anforderungen und Gegebenheiten bewertet werden muss. Eine „Kompensation“ einer Unterschreitung einer baulichen Mindestanforderung durch eine „Übererfüllung“ einer anderen baulichen Mindestanforderung oder durch einen anderen positiv bewertbaren Umstand ist nicht zulässig (VGH BW, U.v. 22.2.1994 – 10 S 1378/93 – Rn. 22 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 31 HeimMindBauV für die Frage der Kompensation eines fehlenden Aufzugs durch die besonders schöne Lage der Einrichtung „im Grünen“ und durch ein „bauhistorisches Ambiente“; BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 41/85 – juris LS 2 und Rn. 25).
bb) Auf dieser Grundlage ist festzustellen, dass die begehrte Befreiung nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG von den in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG festgelegten baulichen Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist.
Es ist festzustellen, dass die in § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG festgelegten Mindestgrößen bei insgesamt zwölf Wohn-Schlaf-Räumen um 0,20 m² bis 3,16 m² unterschritten werden. Angesichts der Tatsache, dass § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG keine Durchschnitts- oder Standard-Größen vorgibt, sondern Mindestgrößen für eine „angemessene“ (Art. 3 Abs. 2 Nr. 6 PfleWoqG) Qualität des Wohnens, eine Unterschreitung dieser Flächen also unangemessen ist, liegt es auf der Hand und bedarf keiner weiteren vertieften Erörterung, dass eine Abweichung von den Mindestgrößen um mehr als 1 m² in der Regel mit mehr als geringfügigen, also spürbaren Nachteilen verbunden ist. Dies gilt sowohl für Einzelwie auch für Doppelzimmer (vgl. VG München, B.v. 14.10.2005 – M 9 S 05.3253 – juris Rn. 18 zur Unterschreitung der Mindestgröße von 0,20 m² und 0,42 m², die ohne Zuhilfenahme genauer Mess-Einrichtungen nicht feststellbar und praktisch nicht wahrnehmbar sei). Diese Fläche fehlt entweder als Verkehrsfläche im Rahmen des Wohnens und führt damit zu ungerechtfertigten Einengungen der Bewegungsfreiheit oder sie fehlt als Fläche für die Unterbringung von Kleinmöbeln und steht damit nicht zur individuellen Ausgestaltung des Wohnraums zur Verfügung. Besondere Zimmerschnitte, die eine gegenteilige Bewertung zuließen, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Aber auch hinsichtlich derjenigen Wohn-Schlaf-Räume, die um weniger als 1 m² von der vorgegebenen Mindestgröße abweichen, kann im vorliegenden Fall nichts anderes gelten. Dabei kann es offenbleiben, wo genau die Grenze zwischen einer spürbaren und einer nicht mehr spürbaren Abweichung zu ziehen ist. Denn im vorliegenden Fall sind alle betroffenen Wohn-Schlaf-Räume mit je einem Waschbecken versehen. Demgegenüber bestimmt § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG, dass in den Mindestwohnflächen ein zugehöriger Sanitärraum sowie ein etwaiger Vorraum, auch wenn er nicht baulich abgetrennt ist, nicht enthalten sind. Dies macht deutlich, dass der Wohn-Schlaf-Raum in seiner ganzen Größe und vollständig dem angemessenen Wohnen zur Verfügung stehen muss. Ist dies deshalb nicht gegeben, weil ein Teil des Raumes von einem Waschbecken mit den dazugehörigen Utensilien (Handtuchhalter, Spiegel, Spritzschutz) in Anspruch genommen wird und die davor gelegene Fläche dem Waschen dient und nicht als allgemein verwendbare Fläche zum Wohnen zur Verfügung steht, kann dieser Teil des Raumes nicht in die erforderliche Mindestfläche einbezogen werden. Angesichts der Breite eines Waschplatzes von mindestens einem Meter und der Tiefe des zum Waschen erforderlichen Raumes von deutlich mehr als einem Meter (einschließlich der Tiefe des Waschbeckens) fehlt jedem der betroffenen Räume der Sache nach eine Fläche von deutlich mehr als 1 m², die somit dem allgemeinen Wohnbedürfnis entzogen ist.
Damit ist die Befreiung von den in § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar.
Weiterhin ist festzustellen, dass im Altenheim die in § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AVPfleWoqG festgeschriebenen Voraussetzungen der DIN 18040-2 hinsichtlich Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit in vielfacher Hinsicht nicht eingehalten werden. Anhaltspunkte dafür, dass eine atypische Fallgestaltung vorliegen könnte mit der Folge, dass auch bei Unterschreitung dieser Mindestanforderungen die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt werden könnten, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist es nicht erkennbar, dass in das Altenheim nur Bewohnerinnen und Bewohner aufgenommen werden könnten, die körperlich so rüstig und damit so mobil wären, dass sie keinesfalls auf Rollstühle angewiesen wären und Barrieren ohne weiteres überwinden könnten. Denn das Pflegekonzept vom 2. Juli 2009, zuletzt geändert am 3. Februar 2017, sieht in seiner Ziffer 3. vor, dass alle Personen Aufnahme finden, die pflegebedürftig sind. Dies schließt Menschen mit körperlichen Einschränkungen ein, auch wenn im Einzelfall durch die Pflegedienstleitung entschieden wird, für welche Personen die Möglichkeit einer fachlichen Betreuung gegeben ist. Damit ist die in § 2 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG i.V.m. DIN 18040-2 geforderte Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit unerlässlich, um den Bewohnerinnen und Bewohnern ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, dessen Rahmen so ausgestaltet ist, dass sie sich entsprechend ihren Kräften und Fähigkeiten möglichst selbstbestimmt innerhalb der Einrichtung bewegen und mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen können, dies auch in deren Wohn-Schlaf-Räumen und in den vorhandenen Sozialräumen; die gleiche Erreichbarkeit ist auch für die Sanitärräume erforderlich. Zudem ist es unerlässlich, dass diese so ausgestaltet sind, dass sie barrierefrei und rollstuhlgerecht benutzt werden können.
Demgegenüber kann das Gericht der Meinung der Beklagten nicht folgen, die fehlende Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit werde durch das besonders hilfsbereite und rund um die Uhr zur Verfügung stehende Personal kompensiert. Es ist schon nicht erkennbar, dass die Klägerin deutlich mehr Personal als nach § 15 AVPfleWoqG vorgegeben beschäftigt, sodass schon in dieser Hinsicht kein von der Regel abweichender Sonderfall gegeben ist; dies gilt umso mehr, als es sich bei der Ausstattung einer stationären Einrichtung mit Personal immer um eine Momentaufnahme handelt, von der keinerlei Rückschlüsse auf die Zukunft gezogen werden können. Auch im Pflegekonzept ist keine über den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestumfang hinausgehende Personalausstattung festgeschrieben.
Darüber hinaus und unabhängig hiervon würde auch eine besonders gute Personalausstattung, die eine besonders intensive Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner ermöglichen würde, nicht zu dem Ergebnis führen können, eine Unterschreitung der Mindestanforderungen an die Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit sei mit den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar. Denn hiermit wäre das vom Verordnungsgeber gewollte „Höchstmaß an Selbstbestimmung und Teilhabe“ (vgl. Ziffer A.I. der Begründung zur Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz), welches im Übrigen auch das Pflegekonzept der Klägerin aufnimmt, konterkariert. Ein körperlich eingeschränkter Bewohner der Einrichtung, der um Hilfe bitten muss, um in die sanitäre Einrichtung oder zu anderen Bewohnern in deren Wohn-Schlaf-Raum oder im Sozialraum zu gelangen, diese Hilfe aber bei einer Ausgestaltung der Einrichtung nach der DIN 18040-2 nicht benötigen würde, hat eben kein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Teilhabe. Denn jede Bitte um Hilfe und deren Inanspruchnahme kann eine Hemmschwelle darstellen, die dazu führen kann, dass auf diese Hilfe und damit auf die Mobilität verzichtet wird.
Damit ist die Befreiung von den in § 2 Abs. 1 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar.
Gleiches gilt auch hinsichtlich der Mindestanforderungen gemäß § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG bezüglich der sanitären Anlagen. Eine Befreiung von der Vorgabe, dass jeder Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu einem Sanitärraum haben muss, entspricht nicht den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Denn ist ein Sanitärraum nicht direkt vom Wohn-Schlaf-Raum aus erreichbar, sondern nur ein Gemeinschaftssanitärraum „über den Flur“, so ist hiermit die selbständige Nutzbarkeit durch den Bewohner eingeschränkt; zudem ist damit umso weniger dessen Sicherheit gewährleistet, je weiter und ungeschützter der Weg zum Sanitärraum ist. Ein selbstbestimmtes Leben dahingehend, frei entscheiden zu können, wann man sich wäscht oder seine Notdurft verrichtet, ist damit eingeschränkt. Ist demgegenüber insbesondere im Doppelzimmer ein Bewohner darauf angewiesen, sich am im Zimmer befindlichen Waschbecken zu waschen und auf dem im Zimmer befindlichen Toilettenstuhl seine Notdurft zu verrichten, beides im Beisein des Mitbewohners, verstößt dies ohne weiteres gegen das Ziel, die Würde des Bewohners zu wahren. Demgegenüber ist keine atypische Fallgestaltung erkennbar, die dazu führen könnte, dass auch bei Unterschreitung dieser Mindestanforderung die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt sein könnten. Insbesondere gelten die obigen Ausführungen zum Einsatz von besonders motiviertem und hilfsbereitem Personal als Kompensation uneingeschränkt auch hier. Auch das Argument, dass manche Bewohnerinnen und Bewohner körperlich so eingeschränkt seien, dass sie ohnehin nicht mehr selbständig einen Sanitärraum erreichen könnten, selbst wenn dieser direkt von ihrem Wohn-Schlaf-Raum aus erreichbar wäre, kann der Klägerin nicht weiterhelfen. Denn es kommt nicht auf einzelne aktuell in der Einrichtung lebende Menschen an, sondern mit Blick auf die Zukunft darauf, dass jeder Person, die gemäß dem Pflegekonzept im Altenheim wohnen wird, entsprechend ihrer körperlichen Einschränkung ein Höchstmaß an Selbstbestimmung ermöglicht wird.
Damit ist auch eine Befreiung von den in § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar.
Die Klägerin kann auch nicht mit ihrem Argument durchdringen, eine Befreiung von den in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen sei deshalb gerechtfertigt, weil das Altenheim eine besonders gute Lage mitten im Ortskern von … besitze. Unabhängig von der Frage, welche konkreten Vorteile für pflegebedürftige und damit eher immobile Menschen aus dieser Lage entstehen könnten, kann – wie oben ausgeführt – die Unterschreitung einer baulichen Mindestanforderung durch einen anderen Umstand nicht kompensiert werden. Die besondere Lage der Einrichtung mitten im Stadtkern von … mag ein Argument für deren Beliebtheit sein, sie kann jedoch nicht dazu führen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner hinsichtlich der Größe der Wohn-Schlaf-Räume, der Mobilität und der Sanitärräume trotz der Unterschreitung der diesbezüglichen Mindestanforderungen in gleicher Art und Weise wie ohne deren Unterschreitung gewahrt werden.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG, dass die begehrte Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist, nicht gegeben ist. Damit steht der Klägerin ein entsprechender Anspruch auf Befreiung von den genannten Mindestanforderungen nicht zu, dies unabhängig von der Frage, ob die Erfüllung dieser Mindestanforderungen der Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sein könnte. Auf die Korrektheit der Ermessenserwägungen des Beklagten kommt es damit nicht an.
II.
Die Klage ist auch hinsichtlich des Hilfsantrages zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass über ihren Antrag nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG vom 20. Oktober 2016 auf Befreiung von den Mindestanforderungen der § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG erneut unter Rechtsauffassung des Gerichts entschieden wird.
Dies ergibt sich schon daraus, dass – wie oben ausgeführt – das Tatbestandsmerkmal des § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG nicht vorliegt, dass die begehrte Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist. Denn ist die Voraussetzung für eine Ermessensentscheidung einer Behörde die Erfüllung von bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen und liegt eine dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor, steht schon deshalb der Behörde kein Ermessensspielraum zu, sondern sie ist dazu gezwungen, den Antrag abzulehnen.
Schon deshalb kann der vorliegende Hilfsantrag in der Sache keinen Erfolg haben.
III.
Da die Klägerin, wie oben ausgeführt, weder einen Anspruch auf Befreiung von den in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen gegen die Beklagte hat noch einen Anspruch auf diesbezügliche erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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