Europarecht

Dieselfall: Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen Erwerbs eines vom sog. Dieselskandal betroffenen Gebrauchtwagens

Aktenzeichen  VI ZR 415/20

Datum:
22.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:220222UVIZR415.20.0
Normen:
§ 256 Abs 1 ZPO
§ 31 BGB
§ 249 BGB
§§ 249ff BGB
§ 826 BGB
Art 3 Nr 10 EGV 715/2007
Art 5 Abs 1 EGV 715/2007
§ 6 EG-FGV
§ 27 EG-FGV
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

1. Zum Feststellungsinteresse bei einer Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht in einem sogenannten Dieselfall.
2. Auf mögliche künftige Belastungen mit Aufwendungen, die nur im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig wären, kann der Kläger sein Feststellungsinteresse nicht stützen, wenn er sich nicht für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden hat, obwohl ihm diese Entscheidung möglich und zumutbar ist (Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 33).

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 9. Dezember 2020, Az: VI ZR 415/20, Beschlussvorgehend OLG Karlsruhe, 13. März 2020, Az: 13 U 419/19vorgehend LG Offenburg, 26. April 2019, Az: 3 O 485/18

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe – Zivilsenate in Freiburg – vom 13. März 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Offenburg vom 26. April 2019 dahingehend abgeändert, dass der Antrag des Klägers auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW Tiguan, FIN: WVGZZZ5NZDW043418, durch die Beklagte resultieren, abgewiesen wird.
Die Sache wird hinsichtlich der Hilfsanträge zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Dieselskandal geltend.
2
Der Kläger erwarb von einem Autohaus im November 2012 einen gebrauchten Pkw VW Tiguan 2.0 l TDI zum Kaufpreis von 31.740 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der eine Software zur Abgasrückführungssteuerung enthält. Diese Software verfügt über zwei Modi. Im Modus 1, der in standardisierten Testsituationen wie dem Prüfstand aktiv ist, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate. Unter Fahrbedingungen im normalen Straßenverkehr reduziert die Software den Umfang der Abgasrückführung dauerhaft auf ein geringeres Maß (Modus 0).
3
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gab der Beklagten mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 auf, die vorhandene Software zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände zu ergreifen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, nach dem die Abgasrückführung in einem adaptierten Betriebsmodus erfolgt, der im Wesentlichen dem bisherigen Modus 1 entspricht. Der Kläger ließ das Update durchführen.
4
Der Kläger ist der Ansicht, er sei von der Beklagten durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung sittenwidrig geschädigt worden. Er hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Ersatz für Schäden zu leisten, die aus der Manipulation seines Fahrzeugs durch die Beklagte resultieren würden, ferner die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen. Das Landgericht hat die beantragte Feststellung ausgesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Beklagte Berufung mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung eingelegt, der Kläger hat Berufung mit dem Ziel der Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten eingelegt. Den Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten hat der Kläger mit dem Hilfsantrag verbunden, die Beklagte zur Zahlung von 38.327,46 € nebst Delikts- und Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs durch die Beklagte resultieren würden.
5
Das Oberlandesgericht hat die Berufungen zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

I.
6
Das Berufungsgericht hat das Feststellungsbegehren des Klägers für zulässig und begründet gehalten. Der gestellte Feststellungsantrag genüge bei der gebotenen Auslegung den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das erforderliche Feststellungsinteresse ergebe sich aus dem berechtigten Interesse des Klägers, die Haftung der Beklagten, die ihre Einstandspflicht bestreite, zum Zwecke der Verjährungshemmung wegen des gesamten Anspruchs feststellen zu lassen. Auf eine Leistungsklage müsse sich der Kläger nicht verweisen lassen, weil die Schadensentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen sei. Der Feststellungsantrag sei auch begründet. Dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu.
II.
7
Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Feststellungsantrag des Klägers unzulässig.
8
1. Der Feststellungsantrag ist zwar trotz seiner weiten Formulierung bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil er sich unter Heranziehung der Klageschrift dahingehend auslegen lässt, dass es um die Ersatzpflicht der Beklagten für Schäden geht, die daraus resultieren, dass die Beklagte den in das Fahrzeug des Klägers eingebauten Motor mit der vom KBA mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung herstellte und in den Verkehr brachte (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 12 f.).
9
2. Der Feststellungsantrag ist jedoch unzulässig, weil es am erforderlichen Feststellungsinteresse des Klägers fehlt (vgl. dazu Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 14 ff.).
10
a) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat der Kläger den Feststellungsantrag nicht in Bezug auf den sogenannten großen Schadensersatz gestellt. Jedenfalls lässt sich eine solche Festlegung dem gestellten Antrag nicht entnehmen. Auf Grundlage der beantragten – und in den Vorinstanzen zugesprochenen – Feststellung stünde es dem Kläger vielmehr frei, auch den sogenannten kleinen Schadensersatz zu verlangen. Der Kläger kann sein Feststellungsinteresse jedoch nicht darauf stützen, dass er sich die Wahl offenhalten möchte, ob er von der Beklagten den sogenannten großen oder kleinen Schadensersatz verlangt. Diese Entscheidung war ihm bei Klageerhebung zumutbar (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 16-19).
11
b) Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, der Kläger habe sich bereits für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden, hätte er diesen ohne Weiteres – wie im Hilfsantrag erfolgt – beziffern können.
12
c) Das Feststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht daraus, dass die Schadensentwicklung im Hinblick auf Reparaturkosten, Steuernachforderungen, Stilllegungskosten und Kosten im Zusammenhang mit dem Update noch nicht abgeschlossen sei. Zwar kann, wenn ein Teil des Schadens bei Klageerhebung schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren, wobei die zu erwartenden Schäden entgegen der Ansicht der Revisionsbegründung nicht wahrscheinlich, sondern nur möglich sein müssen (Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 24-29). Künftig entstehende Aufwendungen, die zu den gewöhnlichen Unterhaltskosten für das Fahrzeug zählen (Verbrauchsmaterialien, Kraftstoff, Inspektions- und Wartungskosten, Reparaturen) wären aber nicht ersatzfähig (Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 32 mwN). Die weiter vom Kläger angeführten Aufwendungen (Steuernachforderungen, Stilllegungskosten, Kosten im Zusammenhang mit etwaigen schädlichen Auswirkungen des Updates) könnte der Kläger jedenfalls nicht als Schaden ersetzt verlangen, wenn er den sogenannten kleinen Schadensersatz (Ersatz des Minderwerts) geltend machen sollte (vgl. Senatsurteile vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 17, 33; vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20, ZIP 2021, 1763 Rn. 33 f.). Eine Schadensentwicklung, die ein Feststellungsinteresse begründen könnte, wäre dann ausgeschlossen. Ob und inwieweit die genannten Aufwendungen im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig wären, sie insbesondere dem sogenannten negativen Interesse zuzuordnen wären, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn auf eine diesbezügliche Schadensentwicklung könnte der Kläger sein Feststellungsinteresse schon deshalb nicht stützen, weil er sich nicht – jedenfalls nicht rechtlich bindend – für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden hat, obwohl ihm diese Entscheidung bereits jetzt möglich und zumutbar ist (Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 33).
III.
13
Die angegriffene Entscheidung ist aufzuheben. Den isolierten Feststellungsantrag (Hauptantrag) weist der Senat ab, da die Sache insoweit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies gilt nicht für die Hilfsanträge des Klägers. Er macht in zulässiger Weise mit dem Leistungsantrag den großen Schadensersatz geltend und beantragt zusätzlich die Feststellung der Ersatzpflicht weiterer Schäden. Deshalb ist die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Seiters     
      
von Pentz     
      
Klein 
      
Allgayer     
      
Linder     
      


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