Europarecht

Dublin III: Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebung nach Spanien

Aktenzeichen  W 8 S 20.50327

Datum:
22.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39903
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Dublin III-VO Art. 45. 3, Art. 13, Art. 17
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a

 

Leitsatz

1. Es bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel im spanischen Asylsystem.   (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schutzberechtigte haben in Spanien denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie spanische Bürger. Hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung sind sie Asylbewerbern gleichgestellt. Personen mit internationalem Schutz genießen Freizügigkeit in ganz Spanien und haben Zugang zum 18-monatigen dreiphasigen Unterbringungs-/Integrationsprozess, in welchem sie individuelle Unterstützungsprogramme für Ausbildung, Anerkennung von Qualifikationen usw. erhalten.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 15. Oktober 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 16. Oktober 2020 Kenntnis erlangte, und stellte am 30. November 2020 einen förmlichen Asylantrag.
Nach Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates (Spanien) gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 13. November 2020 erklärten die spanischen Behörden mit Schreiben vom 18. November 2020 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 18. Dezember 2020 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 20.50326 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Spanien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.
Zur Begründung bezog sich der Antragsteller auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und brachte des Weiteren im Wesentlichen vor: Er habe in Spanien keinen Asylantrag gestellt. Ihm seien lediglich zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen worden. Er habe keine Hilfe erhalten und keine Unterstützung. Eine Rückkehr sei eine Gefahr für sein Leben. Zudem leide er an Tuberkulose. Eine Behandlung werde in Spanien nicht stattfinden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.50326) sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller wendet sich bei verständiger Würdigung seines Begehrens (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO) mit dem vorliegenden Sofortantrag gegen eine mögliche Abschiebung nach Spanien und begehrt damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Spanien in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 8. Dezember 2020.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Dezember 2020 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet bleiben zu dürfen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Zur Begründung hat der Antragsteller lediglich vorgebracht, er habe in Spanien ein schweres Leben. Er habe keine Unterkunft und erhalte keine Unterstützung. Er leide an Tuberkulose. Diese Gründe machen den streitgegenständlichen Bescheid indes nicht rechtswidrig und stehen auch einer Abschiebung nach Spanien von Rechts wegen nicht entgegen.
Spanien ist gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Verordnung Nr. 604/2013/EU – Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Spaniens ergibt sich vorliegend aus Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO. Die spanischen Behörden haben ihre Zuständigkeit mit Schreiben vom 18. November 2020 ausdrücklich erklärt.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand auch unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das spanische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) ausgesetzt wären.
Das gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80). Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12. 2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – InfAuslR 2014, 293 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – DVBl 2018, 392 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens stehen deshalb nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind hoch. Konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019 (C-163/17 – ZAR 2019, 192 – juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – ZAR 2019, 192 – juris Rn. 92 f.).
Ausgehend von vorstehenden Grundsätzen bestehen aufgrund der aktuellen Erkenntnislage des Gerichts keine Anhaltspunkte für das Vorliegen derartiger systemischer Mängel im spanischen Asylsystem (VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50303; B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.50228 – juris; U.v. 21.7.2020 – W 8 K 20.50174; B.v. 5.4.2019 – W 8 S 19.50286 – juris sowie OVG Bln-Bbg, U.v. 24.8.2020 – OVG 3 B 35.19 – juris; VG Ansbach, B.v. 18.3.2020 – AN 17 S 20.50116; VG München, B.v. 17.10.2018 – M 22 S. 52859; VG Berlin, B.v. 14.3.2019 – 31 L 828.18 A; VG Chemnitz, U.v. 7.3.2019 – 4 L 155/19.A; VG Lüneburg, B.v. 21.2.2019 – 8 B 16/19; VG Magdeburg, B.v. 18.1.2019 – 6 B 60/19; VG Aachen, B.v. 13.8.2018 – 4 L 1065/18.A – alle juris; jeweils m.w.N.), zumal der Antragsteller nichts Gegenteiliges substantiiert vorgebracht hat.
Denn Spanien verfügt über ein rechtsstaatliches Asylsystem mit administrativen und gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Sofern Dublin-Rückkehrer einen (weiteren) Asylantrag stellen, wird in Spanien ein Asylverfahren durchgeführt. Dublin-Rückkehrer können ein eventuelles Asylverfahren in Spanien fortsetzen bzw. einen neuen Asylantrag stellen. Außerdem ist der Zugang zur Versorgung, wie er auch anderen Asylbewerbern offensteht, garantiert. Asylbewerber, die über keine finanziellen Mittel verfügen, haben das Recht auf Unterbringung und Versorgung zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse. Sie haben auch rechtlich vollen Zugang zu öffentlicher medizinischer Versorgung wie spanische Staatsbürger, darunter auch zu psychologischer Betreuung für Opfer von Folter, Misshandlung und anderer Traumatisierung. Im spanischen Unterbringungssystem werden die Antragsteller in Absprache zwischen der Asylbehörde und der NGO, welche das Unterbringungszentrum führt, untergebracht. Für vulnerable Fälle gibt es Unterbringungskapazitäten verschiedener NGOs. Besonders vulnerable Fälle, die nicht abgedeckt werden können, werden bei Bedarf an externe, noch spezialisiertere Stellen übergeben. Asylbewerber haben Zugang zu allgemeiner und spezialisierter medizinischer Hilfe, die kostenlos durch den Staat gewährleistet wird. Spezialisierte Mitarbeiter überwachen die psychische und physische Gesundheit. Geschulte Psychologen kümmern sich um Asylbewerber mit psychischen Problemen (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Spanien vom 13.3.2019 m.w.N.). Infolgedessen ist gewährleistet, dass Asylbewerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten. Dies umfasst auch die medizinische oder sonstige Hilfe für Asylbewerber mit besonderen Bedürfnissen (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50303; B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.50228 – juris; U.v. 21.7.2020 – W 8 K 20.50174; B.v. 18.1.2019 – W 8 S 19.50035 – juris; B.v. 11.1.2019 – W 2 S 19.50022 – juris; VG Berlin, B.v. 14.3.2019 – 31 L 828.18 A – juris; VG Lüneburg, B.v. 21.2.2019 – 8 B 16/19 – juris; VG Magdeburg, B.v. 18.1.2019 – 6 B 60/19 – juris; VG München, B.v. 17.10.2018 – M 22 S 18.52859 – juris; VG Aachen, B.v. 13.8.2018 – 4 L 1065/18.A – juris; jeweils m.w.N.).
Vorstehendes gilt auch im Falle einer eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatus in Spanien (BVerfG, B.v. 7.10.2019 – 2 BvR 721/19; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – jeweils juris). Zu beachten ist dabei, dass zur Abschätzung der Gefahrenprognose eine Zuerkennung internationalen Schutzes ohne weiteres zu unterstellen ist, insbesondere also keine inzidente Prüfung des Anspruchs auf Asyl vorzunehmen ist (vgl. VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 40).
Schutzberechtigte haben denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie spanische Bürger. Hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung sind sie Asylbewerbern gleichgestellt. Personen mit internationalem Schutz genießen Freizügigkeit in ganz Spanien und haben Zugang zum 18-monatigen dreiphasigen Unterbringungs-/Integrationsprozess, in welchem sie individuelle Unterstützungsprogramme für Ausbildung, Anerkennung von Qualifikationen usw. erhalten. Nach Abschluss des dreiphasigen Prozesses können die Begünstigten Arbeitsintegrations- und Orientierungsdienste von NGOs in Anspruch nehmen, die mit EU-Mitteln vom Ministerium für Beschäftigung finanziert werden und auch personalisierte Programme, Beschäftigungsorientierung, Schulungen usw. umfassen. Zwar bestehen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit generell in Spanien in der Praxis Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt, welche für anerkannt Schutzberechtigte häufig durch fehlende Qualifikationen und mangelnde Sprachkenntnisse noch verstärkt werden. Jedoch haben sie gleichermaßen und unter denselben Bedingungen Zugang zu Sozialhilfe wie Spanier. Das Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit ist für die Bereitstellung von Sozialhilfe zuständig und in der Praxis besteht dieser Zugang ohne besondere Hindernisse. Auch wenn gemäß UNHCR das spanische System zur Integration von Flüchtlingen, speziell Vulnerabler, verbessert werden muss, kann nach Vorstehendem nicht davon ausgegangen werden, dass die Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Spanien generell derart defizitär wären, als dass sie zu einer Verletzung der in Art. 3 EMRK niedergelegten Rechte in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen würden und damit einer Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig entgegenstünden (vgl. zu alledem BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Spanien vom 13.3.2019., S. 14 f.).
Soweit der Antragsteller vorgebracht hat, keine Unterkunft und keine Unterstützung erhalten zu haben, ist ihm entgegenzuhalten, dass ihm zuzumuten ist, sich dem spanischen Asylsystem zu unterwerfen und sich registrieren zu lassen. Der Antragsteller hat indes selbst angegeben, in Spanien noch keinen Antrag gestellt zu haben. Wenn er sich aber dem staatlichen Aufnahmesystem verweigert oder entzieht, so führt das nicht dazu, dass er dann dadurch gleichsam privilegiert würde, indem man dann zu seinen Gunsten systemische Mängel annähme (vgl. Aachen, U.v. 10.11.2020 – 9 K 6001/17.A – juris, Rn. 64 m.w.N). Denn der spanische Staat kann den Unterkunftsanspruch zulässigerweise an bestimmte – vom Asylsuchenden zu erfüllende – Voraussetzungen knüpfen, bei deren Nichteinhaltung kein Anspruch auf Unterbringung in einer staatlichen Unterkunft besteht. Diese Einschränkung oder Entziehung des Unterkunftsanspruchs steht im Einklang mit dem europäischen Recht (VG Gera, B.v. 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge – juris, Rn. 36). Dies gilt gerade auch, wenn dem Antragsteller Rechtsverluste drohen, weil er in Spanien noch keinen Asylantrag gestellt hat (vgl. VG Gießen, B.v. 7.10.2020 – 5 L 3097/20.GI.A – juris, Rn. 39). Dem Antragsteller ist zumutbar, die nötige Eigeninitiative zu entwickeln, einen Asylantrag zu stellen und sich dem spanischen Asylsystem zu unterwerfen.
Eine andere Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides in Bezug auf die Unzulässigkeitsentscheidung in Nr. 1 ist insbesondere auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der COVID 19-Pandemie (Corona-Krise) gerechtfertigt (ebenso VG Würzburg, B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.50228 – juris; U.v. 21.7.2020 – W 8 K 20.50174).
Das Gericht geht nicht davon aus, dass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG die Verhältnisse in Spanien mit Blick auf das „Coronavirus“ entgegenstehen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Antragsteller in Spanien aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Dies gilt aber wegen des oben näher erläuterten Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nur in Extremfällen (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 22-24). Das Gericht hat – auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in Spanien getroffenen Maßnahmen – keine substantiierten Erkenntnisse, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person der Antragsteller oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in Spanien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Spanien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen.
Nach alledem ist auch nicht erkennbar, dass die Beklagte rechtsfehlerhaft nicht von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht hat.
Des Weiteren hat der Antragsteller weder einen Anspruch auf die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG – bezogen auf Spanien – noch liegen inlandsbezogene Vollzugshindernisse vor.
Soweit der Antragsteller vorbringt, er leide an Tuberkulose, ist davon auszugehen, dass eine Behandlung bzw. Weiterbehandlung auch in Spanien möglich ist. Asylbewerber haben in Spanien vollen Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen und die ausführliche Begründung im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werden. Der Antragsteller ist von Rechts wegen gehalten, alsbald mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohlichen Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des zur Verfügung stehenden spanischen Gesundheitssystems zu begegnen und die dortigen Möglichkeiten auszuschöpfen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren und ihnen die Spitze zu nehmen. Soweit der Antragsteller noch keinen Asylantrag in Spanien gestellt hat, ist ihm – wie schon ausgeführt – zumutbar, dieses noch vorzunehmen und sich dem spanischen Asylsystem und den Aufnahmebedingungen zu unterwerfen, um auch dann die für die Asylbewerber vorgesehenen Leistungen und Hilfen zu erhalten.
Zudem wird nach § 60a Abs. 2c AufenthG vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese gesetzliche Vermutung hat der Antragsteller mangels Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung nicht widerlegt (§ 60a Abs. 2c AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Auch sonst hat der Antragsteller zu seiner Krankheit nichts konkret vorgebracht, geschweige denn überhaupt ärztliche Atteste vorgelegt, erst recht keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung.
Erkrankungen rechtfertigen zudem grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich auf die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG).
Weiter ist anzumerken, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Spanien – wie generell in der EU – in ausreichendem Maße verfügbar sind.
Eine abweichende Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht aufgrund der weltweiten COVID-19-Pandemie („Corona-Krise“). Diese führt mit Bezug auf Spanien nach dem für das Gericht maßgeblichen gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht zur Feststellung eines solchen zielstaatbezogenen Abschiebungsverbots. Nach der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längsten drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt, kann der Antragsteller in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn er bei Überstellung aufgrund der herrschenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8). Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller nicht vor, denn es fehlt an einer derart extremen Gefahrenlage.
Denn nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, etwa wenn das Fehlen eines Abschiebungsstopps dazu führen würde, dass ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, wird die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbrochen und es ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 45 m.w.N.).
Für das Vorliegen einer derartigen Gefahrenlage bestehen für das Gericht auch aufgrund der in Spanien getroffenen Maßnahmen (vgl. etwa https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/spanien-node/ spanien-sicherheit/210534) keine greifbaren Anhaltspunkte.
Der Antragsteller gehört – trotz Tuberkulose – nicht zwingend zu einer Personengruppe für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung (zu einem solchen Sonderfall eines HIV-Infizierten vgl. VG Osnabrück, B.v. 14.9.2020 – 5 B 208/20 – asyl.net: M28865, https://www.asyl.net/rsdb/m28865/), zumindest hat er dies nicht glaubhaft gemacht.
Zwar ist im epidemiologischen Steckbrief zur SARS-CoV-2 und COVID-19, des RKI (Stand: 11.12.2020) unter Nr. 15 eine Person mit einer chronischen Lungenerkrankung bei den Risikogruppen für schwere Verläufe genannt. Allerdings ist dort ausdrücklich angemerkt, dass dies nur eine Orientierung sein könne, weil die Vielfalt verschiedener weiterer Einflussfaktoren die Komplexität einer Risikoeinschätzung deutlich mache. Zudem könnten nach Aussagen von Fachärzten zum jetzigen Zeitpunkt zusätzliche Risiken durch eine Tuberkuloseerkrankung für einen schweren COVID-19-Verlauf weder belegt noch ausgeschlossen werden. Vermutlich sei nach einer erfolgreich behandelten Tuberkulose ohne resultierende Folgeschäden weder die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine SARS-CoV-2-Infektion zu bekommen noch einen schweren Verlauf zu entwickeln. Anders könnte es sein bei Folgeerkrankungen mit weiteren Einflussfaktoren wie sonst zusätzliche Erkrankungen oder das Alter (vgl. Lungenärzte im Netz, Tuberkulose in Zeiten von Corona vom 8.7.2020, https://www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/tuberkulose-in-zeiten-von-corona/; DZK Stellungnahme zu Tuberkulose und COVID-19 vom 9.6.2020, https://www.dzk-tuberkulose.de/wp-content/uploads/2020/ 06/DZK-Stellungnahme-TBC-COVID19-f%C3%BCr-Webseite.pdf).
Im Übrigen genügt nicht eine allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die COVID-19-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, um zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende in seinem Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, rechnen muss. Zu berücksichtigen sind unter anderem die örtlichen Gegebenheiten im Zielland und auch die Frage, welche Schutzmaßnahme der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20 A – juris). Dahingehend hat der Antragsteller nichts vorgebracht.
Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuelle persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske, die Einhaltung der Hygieneregeln (z.B. Hände waschen) oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in Spanien – einschließlich international Schutzsuchender bzw. Schutzberechtigter – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte.
Das Gericht geht weiter nicht davon aus, dass eine Dublin-Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat sonst aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich wäre.
Insbesondere stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie und damit zusammenhängenden Reisebeschränkungen keine tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen.
Nach alledem ist die Abschiebung des Antragstellers nach Spanien weiterhin rechtlich zulässig und möglich.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war daher nach alledem abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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