Europarecht

Dublin-Rückkehrer, Wiedereinreise nach Abschluss eines Dublin-Verfahrens und vollzogener Abschiebung nach Frankreich, Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens notwendig, in Wiederaufnahmeverfahren beschränkt sich die Prüfung des ersuchenden Mitgliedstaates im Grundsatz darauf, ob der ersuchte Mitgliedstaat (hier Frankreich) nach Art. 20 Abs. 5, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin III-VO dazu verpflichtet ist, den Antragsteller wiederaufzunehmen, keine systemischen Mängel des französischen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen,, unzureichend substantiierter Vortrag zu den geltend gemachten Erkrankungen

Aktenzeichen  AN 17 S 21.50050

Datum:
6.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30173
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 12 Abs. 4
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 Buchst. b
Dublin III-VO Art. 23, 25
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, 7 Satz 1
AufenthG § 60a
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin …, … …, wird abgelehnt.

Gründe

II. Der sachgerecht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen die im Bescheid des Bundesamts vom 8. Februar 2021 enthaltene Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) auszulegende Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO fristgerecht erhobene und statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des am 12. Februar 2021 zugestellten Bescheides der Antragsgegnerin vom 8. Februar 2021 ist zulässig. Die von der Antragstellerin erhobene Klage gegen diesen Bescheid entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG). Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
2. Der Antrag ist indes unbegründet. Die nach § 80 Abs. 5 VwGO durch das erkennende Gericht zu treffende Ermessensentscheidung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage, weil diese aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides der Antragsgegnerin getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich nach summari-scher Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in ei-nen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
a) Frankreich ist die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig.
Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Januar 2018 (C-360/16 – juris) bedarf es auch im Falle der Abschiebung und Wiedereinreise nach einem ersten abgeschlosse-nen Dublin-Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit im Asylverfahren der Durchführung ei-nes erneuten Wiederaufnahmeverfahrens nach der Dublin III-VO, denn der Asylantragsteller muss sich aufgrund der Rechtsmittelgarantie des Art. 27 Dublin III-VO auch auf geänderte Umstände berufen können. Ein Antragsteller muss demnach über einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf verfügen können, welcher es ihm ermöglicht, sich auf nach dem Erlass der ihm gegenüber ergangenen Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände zu berufen, wenn deren Berücksichtigung für die ordnungsgemäße Anwendung der Dublin III-VO entscheidend ist (vgl. EuGH, B.v. 25.1.18 – C-360/16 – juris Rn. 31). Ebenso wurde klargestellt, dass dem Vollzug der Überstellung keine solche Wirkung zukommt, dass dieser für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates relevant ist (vgl. a.a.O. – juris Rn. 36).
Im ersten Dublin-Bescheid vom 19. Juni 2020 wurde bestandskräftig festgestellt, dass Frankreich gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig ist. Es verbleibt bei der Zuständigkeit Frankreichs, denn insoweit handelt es sich um einen abgeschlossenen, bereits endgültig – gegebenenfalls auch gerichtlich – überprüften Sachverhalt (ausführlich hierzu bereits: VG Ansbach, B.v. 7.5.2019 – AN 18 S 18.50925 – juris, B.v. 15.4.2019 – AN 17 S. 19-50384 – juris). Diese Rechtsprechung, wonach es bei der Zuständigkeitsbestimmung des Erstdublin-Verfahrens verbleibt, wird durch die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 2. April 2020 gestützt (C-582/17, C-583/17 – juris), wonach im Wiederaufnahmeverfahren der ersuchende Staat – anders als im Aufnahmeverfahren – nicht verpflichtet ist, anhand der in Kapitel III der Dublin-III-VO niedergelegten Kriterien zu bestimmen, ob der ersuchte Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist (vgl. hierzu auch: VG Ansbach, B.v. 20.8.2021 – AN 17 S 20.50405 – juris; VG Frankfurt, B.v. 1.3.2021 – VG 10 L 33/21.A – juris Rn. 5; VG München, B.v. 27.11.2020 – M 1 S 20.50531 – juris Rn. 20; VG Aachen, U.v. 6.3.2020 – 9 K 3086/18.A – juris Rn. 22 ff.). Dies gilt ohne Einschränkungen dann, wenn ein Fall nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin-III-VO gegeben ist, d.h. die Zuständigkeitsüberprüfung nach Kapitel III der Dublin-III-VO in dem ersuchten Mitgliedstaat bereits abgeschlossen ist, vgl. EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 65 ff., 77. Sofern ein Fall des Art. 20 Abs. 5 Dublin-III-VO gegeben ist, d.h. die Zuständigkeitsüberprüfung im Mitgliedstaat der ersten Antragstellung noch nicht abgeschlossen ist, gebietet eine (unions-)grundrechtskonforme Auslegung der Dublin-III-VO es dem ersuchenden Mitgliedstaat demgegenüber ausnahmsweise zu prüfen, ob die Zuständigkeitskriterien der Art. 8 bis 10 Dublin-III-VO nach Maßgabe der durch die betroffene Person übermittelten Gesichtspunkte offensichtlich dazu führen, dass der ersuchende Mitgliedstaat und nicht der Mitgliedstaat der ersten Antragstellung als der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat anzusehen ist, vgl. EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 83.
Vorliegend wurde die Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III der Dublin III-VO in Frankreich bereits abgeschlossen, wie sich der Übernahmeerklärung Frankreichs nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO entnehmen lässt. Die Prüfung des ersuchenden Staates, hier Deutschland, beschränkt sich damit darauf zu prüfen, ob der andere Mitgliedstaat, hier Frankreich, nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO dazu verpflichtet ist, den Antragsteller nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin-III-VO wiederaufzunehmen, was zu bejahen ist. Ein Verfahren nach Art. 23 Dublin III-VO wurde mit der Stellung des Wiederaufnahmegesuchs am 4. Januar 2021 ordnungsgemäß innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO durchgeführt und Frankreich hat seine Wiederaufnahmebereitschaft fristgerecht und ausdrücklich innerhalb eines Monats nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO am 3. Februar 2021 erklärt. Somit ist Frankreich verpflichtet, den Antragsteller wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.
Die Zuständigkeit ist nicht zwischenzeitlich auf Deutschland übergegangen, insbesondere nicht aufgrund der Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, wonach die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat, hier Frankreich, oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat, zu erfolgen hat (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO). Der vor Ablauf der Überstellungsfrist gestellte zulässige Eilantrag gegen die Abschiebungsanordnung hat den Lauf der Überstellungsfrist unterbrochen, weil dann bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Überstellung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Die Überstellungsfrist beginnt ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vollständig neu zu laufen (BVerwG, B.v. 27.4.2016 – 1 C 22.15 und U.v. 26.5.2016 – 1 C 15.15 – beide juris; OVG NRW – B.v. 7.7.2016 -13 A 2302/15.A – juris).
b) Umstände, die ausnahmsweise die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründen oder zur Verpflichtung hinsichtlich der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, liegen nicht vor.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für die Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O. sowie Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B.v. 6.6.2014, 10 B 25/14 – juris). Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Ein systemischer Mangel liegt nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9). Grundrechtsverletzungen in Einzelfällen sind daher nicht geeignet, systemische Schwachstellen zu begründen. Systemische Schwachstellen können aber lediglich eine bestimmte, z. B. nur besonders schutzbedürftige Personengruppe, betreffen.
Diesen strengen Beurteilungsmaßstab zugrunde gelegt ist eine unmenschliche bzw. erniedrigende Situation i.S.v. Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh für den Antragsteller bei einer Rücküberstellung nach Frankreich, auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation, nicht anzunehmen (vgl. hierzu auch: VG Karlsruhe, B.v. 27.1.2021 – A 8 K 1948/20; VG München, U.v. 22.7.2020 – M 2 K 19.50619 – juris; VG Würzburg, B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50081, B.v. 15.6.2020 – W 8 S 20.50166; VG Ansbach, B.v. U.v. 17.8.2020 – AN 17 K 19.51230, B.v. 10.8.2020 – AN 17 S 20.50245, B.v. 21.5.2020 – AN 17 S 20.50147, U.v. 23.1.2020 – 19.51152 – alle juris).
Das erkennende Gericht legt nach den bestehenden Erkenntnissen zu Frankreich seiner Entscheidung folgende aktuelle Lage für Dublin-Rückkehrer zu Grunde:
(1) Allgemein ist in Frankreich ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit gegeben (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 25.6.2021, S. 6; sehr detailliert zum Verfahren: Asylum Information Database [AIDA], Country Report: France, Update 2020, S. 31 ff.). Asylanträge von Dublin-Rückkehrern werden wie jeder andere Asylantrag behandelt. Kommt der Betreffende aus einem sicheren Herkunftsstaat, wird das beschleunigte Verfahren angewandt. Hat der Rückkehrer bereits eine endgültige Entscheidung der 2. Instanz (CNDA -Cour nationale du droit s’asile) erhalten, kann er einen Folgeantrag stellen, wenn dieser neue Elemente enthält (vgl. BFA a.a.O., S. 6 f., AIDA a.a.O., S. 58). Rücküberstellte Dublin-Rückkehrer werden von der Grenzpolizei in Empfang genommen. Die Grenzpolizei informiert sie, welcher Präfektur sie zugeteilt werden und stellt einen Passierschein aus. Bei Ankunft am Flughafen Paris kann die Unterstützung des französischen Roten Kreuzes in Anspruch genommen werden (vgl. Raphaelswerk e.V., Informationen für Geflüchtete, die nach Frankreich rücküberstellt werden, August 2019, S. 3 f., BFA a.a.O, S. 7) bzw. muss sich der Rückkehrer an eine sog. Orientierungsplattform wenden (vgl. BFA a.a.O., S. 7). Für die Fahrt zur Präfektur gibt es keine offizielle finanzielle Unterstützung. Bei einer Einreise über Land werden Dublin-Rückkehrer möglicherweise zu nicht zu weit entfernt liegenden Präfekturen begleitet (vgl. Raphaelswerk e.V., Informationen für Geflüchtete, die nach Frankreich rücküberstellt werden, August 2019, S. 3 f.).
Was die humanitäre Lage für Dublin-Rückkehrer anbelangt, so werden diese hinsichtlich Unterkunft und Versorgung grundsätzlich wie reguläre Asylbewerbern behandelt (vgl. BFA a.a.O. S. 7, 11). Dublin-Rückkehrer erhalten damit wie reguläre Asylbewerber Zugang zum finanziellen Beihilfeprogramm für Asylbewerber (ADA – Allocation pour demandeurs d’asile). Dessen Höhe ist von verschiedenen Faktoren wie der Art der Unterkunft, dem Alter, der Anzahl der Kinder usw. abhängig. In der Regel erhalten untergebrachte Asylbewerber monatlich eine finanzielle Unterstützung von 204,00 EUR. Sind sie nicht staatlich untergebracht erhöht sich der Betrag auf 426,00 EUR pro Monat (vgl. AIDA a.a.O., S. 97). Zum Erhalt des Geldes ist nicht zwingend die Eröffnung eines Bankkontos nötig, den Asylbewerbern wird eine Karte ausgestellt, mit der die Leistungen bezogen werden können, allerdings nur dergestalt, dass damit in Läden oder Online-Shops bezahlt, aber das Geld nicht am Geldautomaten abgehoben werden kann (vgl. AIDA a.a.O., S. 97 ff.).
Frankreich verfügt dank verstärkter Bemühungen des französischen Staates als Reaktion auf die zu geringen Kapazitäten mittlerweile, Stand: Ende 2020, über insgesamt 98.564 Unterbringungsplätze (vgl. AIDA a.a.O, S. 101 ff.). Stand: Anfang 2017 waren es im Vergleich hierzu nur etwa 56.000 Plätze (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 29.1.2018, S. 9). Die Schaffung weiterer 4.500 Plätze ist für 2021 geplant (vgl. AIDA a.a.O, S. 101 ff.). Die Zentren zur Notfallunterbringung verfügen dabei über 51.796 Plätze (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 25.6.2021, S. 11). Asylbewerber, die unter das Dublin-Verfahren fallen, haben in Frankreich Anspruch auf Unterbringung in den Zentren der Notfallunterbringung. Dublin-Rückkehrer werden dagegen wie reguläre Asylbewerber behandelt und unterfallen daher denselben Aufnahmebedingungen wie reguläre Asylbewerber (vgl. AIDA a.a.O., S. 104). Allerdings wird auch berichtet, dass nur 51% der Asylbewerber, die Anspruch auf eine Unterbringung haben, auch untergebracht waren und komplementär hierzu größere informelle Camps insbesondere in Paris und Calais entstanden sind sowie Asylbewerber etwa in Nantes, Grande Synthe und Metz auf der Straße leben (vgl. AIDA a.a.O., S. 104 ff.). Hinsichtlich des Verhältnisses von (Erst-)Asylbewerbern und zur Verfügung stehenden Plätzen wurde erstmals 2020 die Situation erreicht, dass mehr Unterbringungsplätze als Bewerber zur Verfügung stehen. Ende 2020 schließlich waren 4% der Unterbringungsplätze frei (vgl. AIDA a.a.O., S. 102 f.). Dublin-Rückkehrer können auch in Obdachloseneinrichtungen unterkommen, wenngleich die Kapazitäten begrenzt sind (vgl. Raphaelswerk a.a.O., S. 10). Auch private Unterkünfte und die Hilfe von NGOs stehen zur Verfügung (vgl. BFA a.a.O., S. 5 f., 11; Raphaelswerk a.a.O., S. 15 ff.) stehen zur Verfügung. Im Falle von Folgeantragstellern, bei denen der Antrag mangels neuer Gründe als unzulässig abgelehnt wird (vgl. BFA a.a.O., S. 7, 11), können Leistungen entzogen oder vermindert werden, wobei Rechtschutz besteht (vgl. AIDA a.a.O., S. 58, 99 f.; BFA a.a.O., S. 7, 11). Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung liegen keine Erkenntnisse für eine Einschränkung des Platzangebots in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen oder hinsichtlich Schwierigkeiten beim Registrierungsprozess in Folge der Corona-Pandemie mehr vor, die letzten derartigen Angaben stammen von Mai 2020 (vgl. AIDA a.a.O., S. 96).
Dublin-Rückkehrern steht der Zugang zum französischen Arbeitsmarkt offen, wenn die Asylbehörde nicht binnen sechs Monaten seit der Antragstellung über den Asylantrag entschieden hat und wenn die Verzögerung nicht dem Asylbewerber anzulasten ist (vgl. AIDA a.a.O., S. 109; BFA a.a.O., S. 10).
Was die medizinische Versorgung anbelangt, so können Asylbewerber (und somit auch Dublin-Rückkehrer) den allgemeinen Krankenversicherungsschutz in Anspruch nehmen. Sie haben drei Monate nach Antragstellung die Möglichkeit, sich hierfür anzumelden. Während der ersten drei Monate besteht Zugang zu medizinischer Notfallversorgung in Krankenhäusern. Abgelehnte Asylbewerber verlieren nach sechs Monaten die Berechtigung, den genannten allgemeinen Krankenversicherungsschutz in Anspruch zu nehmen. Danach können sie von der sog. staatlichen medizinischen Hilfe profitieren, welche medizinische Behandlung in Krankenhäusern und bei Ärzten ermöglicht. Es besteht Zugang zu den in Krankenhäusern eingerichteten Bereitschaftsdiensten zur ärztlichen Versorgung der Bedürftigsten. Vom Krankenversicherungsschutz umfasst ist grundsätzlich auch die Behandlung psychischer Erkrankungen (vgl. BFA a.a.O., S. 12).
(2) Zusammenfassend sind daher systemische Schwachstellen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, im französischen Asylsystem für den Antragsteller als Dublin-Rückkehrer nicht ersichtlich (vgl. auch: VG Karlsruhe, B.v. 27.1.2021 – A 8 K 1948/20 – juris; VG Ansbach, U.v. 17.8.2020 – AN 17 K 19.51230 – juris; VG München, U.v. 22.7.2020 – M 2 K 19.50619 – BeckRS 2020, 18796; VG Würzburg, B.v. 15.6.2020 – W 8 S 20.50166 – juris; B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50081 – juris, sogar für eine Mutter eines knapp drei Monate alten Säuglings), auch wenn er im Vergleich zu vulnerablen Personengruppen bei der Unterbringung wohl nicht priorisiert behandelt werden wird. Für den Antragsteller ergibt sich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bei einer Rückkehr nach Frankreich. Es ist nicht davon auszugehen, dass er in Frankreich unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und seine Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ nicht wird befriedigen können.
Zwar sind nach den vorliegenden Erkenntnismitteln durchaus Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Dublin-Rückkehrern sichtbar. Gleichwohl geht das Gericht davon aus, dass dem Antragsteller nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Schicksal unfreiwilliger Obdachlosigkeit droht. Das Gericht verkennt nicht, dass der Zugang zu staatlicher organisierter Unterbringung im Einzelfall schwierig sein kann. Jedoch wird hierdurch bei summarischer Prüfung nicht die oben dargelegte hohe Eingriffschwelle hinsichtlich Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh in Bezug auf die Bejahung systemischer Schwachstellen des französischen Asyl- und Aufnahmeverfahrens erreicht. Dies gilt umso mehr als der französische Staat, wie ausgeführt, kontinuierlich und erfolgreich Unterbringungskapazitäten aufgebaut hat. Es wird berichtet, dass Ende 2020 4% der Unterbringungsplätze frei waren (vgl. AIDA a.a.O., S. 103). Die französischen Behörden haben zwischenzeitlich, das heißt insbesondere seit den Jahren 2013 bis 2015, auf die sich die Verurteilung Frankreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bezog (vgl. EGMR, Urteil vom 2.7.2020 – 28220/13 [N.H. u.a.]; dazu Pressemitteilung ECHR 202 [2020] vom 2.7.2020), erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Unterbringungssituation zu verbessern, und damit die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze deutlich ausbauen können. Frankreich hat sich nicht gleichgültig gezeigt, sondern mit entsprechenden Maßnahmen zur Verbesserung der Unterbringungssituation reagiert (vgl. BFA a.a.O., S. 10 f.). Dem Antragsteller als alleinstehendem, jungen und gesunden (vgl. hierzu die Ausführungen unter d)) Mann ist es zudem zuzumuten, falls erforderlich, Unterschlupf in Obdachlosenunterkünften zu suchen (vgl. BFA a.a.O., S. 5 f., Raphaelswerk a.a.O., S. 10) und die Hilfe von NGOs in Anspruch zu nehmen, die im Bereich der sozialen Unterstützung, Nahrungsmittelhilfe, teils auch in der Unterbringung aktiv sind (vgl. eine Übersicht findet sich in: Raphaelswerk a.a.O., S. 15 ff.) in Anspruch zu nehmen. Der Jesuitische Flüchtlingsdienst bietet befristete Unterbringung bei Gastfamilien an (vgl. BFA a.a.O., S. 11). Auch medizinische Hilfe ist für den Antragsteller, soweit erforderlich, zu erreichen (vgl. BFA a.a.O., S. 12). Ohnehin wurden die vorgetragenen Erkrankungen nicht hinreichend nachgewiesen (vgl. hierzu die Ausführungen unter d)). Der Antragsteller ist auch nicht als sog. Folgeantragsteller einzuordnen, dem nach oben Gesagtem bei Rückkehr nach Frankreich im Falle eines unzulässigen Folgeantrags Leistungen entzogen werden könnten. Frankreich hat der Wiederaufnahme des Antragstellers nach Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zugestimmt, woraus ersichtlich ist, dass der Antragsteller während der Prüfung seines in Frankreich gestellten Asylantrags in Deutschland als anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat. Es ist daher davon auszugehen, dass bei dem Antragsteller noch keine bestandskräftige Entscheidung des CNDA, der zweiten Instanz, vorliegt, so dass ihm entsprechend der Regelung in Art. 18 Abs. 3 Dublin III-VO ein wirksamer Rechtsbehelf gegen die Ablehnung seines Asylantrages zusteht und er bei Rückkehr nach Frankreich nicht als Folgeantragsteller behandelt wird. Wie bereits ausgeführt wird ein Rückkehrer erst nach einer endgültigen Entscheidung der zweiten Instanz (CNDA -Cour nationale du droit s’asile) auf das Folgeantragsverfahren verwiesen (vgl. BFA a.a.O., S. 6 f., AIDA a.a.O., S. 58). Doch ohnehin begründet die (gerichtlich überprüfbare) Möglichkeit der Leistungseinschränkung, -ausschlusses bei unzulässigem Folgeantrag ebenso wenig einen systemischen Mangel wie der Umstand, dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland zu rechnen haben. Vielmehr ist nach der Auskunftslage davon auszugehen, dass in Frankreich ein rechtstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird.
Der pauschale Vortrag des Antragstellers, dass er in Frankreich als Moslem bedroht werde und seine Religion dort nicht akzeptiert werde, ist bereits aufgrund des pauschalen und knappen Vorbringens nicht geeignet, auf systemische Mängel zu schließen. Zudem vermögen im Einzelfall auftretende Schwierigkeiten noch keinen systemischen Mangel zu begründen.
Ein anderes Ergebnis folgt schließlich auch nicht aus der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Frankreich. Zwar ist Frankreich von COVID-19 weiterhin betroffen, jedoch regional sehr unterschiedlich. Lediglich einige französischen Überseegebiete sind als Hochrisikogebiete eingestuft (vgl. Auswärtiges Amt, Frankreich, Reise- und Sicherheitshinweise vom 6. Oktober 2021). Nach der Erkenntnislage zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ist keine Überlastung staatlicher Strukturen, insbesondere im Bereich der Unterkünfte und des Gesundheitssystems, zu befürchten.
c) Dem Antragsteller droht auch nach einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigte in Frankreich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob ein Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
Auch im Falle einer eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatutes in Frankreich sind keine systemischen Mängel in Frankreich gegeben. Denn Personen, die während des Asylverfahrens untergebracht werden, können nach der Gewährung eines Schutzstatus weitere drei Monate (um drei Monate verlängerbar) und im Falle der Ablehnung des Asylantrags einen Monat lang weiterhin in der ursprünglichen Unterkunft bleiben. Des Weiteren können sie einen Willkommens- und Integrationsvertrag unterschreiben, welcher der Integration in die französische Gesellschaft durch maßgeschneiderte Unterstützung beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Bildung dient. Im Rahmen des Integrationsvertrags besteht die Möglichkeit auf eine temporäre Unterbringung für neun Monate mit einer Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei Monate. Nichtregierungsorganisationen bieten weitere Integrationsprogramme an. International Schutzberechtigte haben wie französische Staatsbürger auch Zugang zu sozialen Rechten wie Krankenversicherung, Familien- und Wohngeld, Mindesteinkommen und Zugang zu Sozialwohnungen (vgl. BFA a.a.O., S. 13 f.). Schließlich haben anerkannte Schutzberechtigte wie französische Staatsbürger Zugang zum Arbeitsmarkt, wobei tatsächliche Hürden, wie mangelnde Sprachkenntnisse, bestehen können (vgl. AIDA a.a.O., S. 154 f.; BFA a.a.O., S. 13). Hinsichtlich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gilt das unter b) Ausgeführte entsprechend. Auch hat die Pandemie zwar negative Auswirkungen auf den französischen Arbeitsmarkt (vgl. BFA a.a.O., S. 13), jedoch lässt sich den Berichten nicht entnehmen, dass im Fall des Antragstellers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten ist.
d) Auch die übrigen Voraussetzungen neben der Zuständigkeit Frankreichs für die in Ziffer 3 verfügte Abschiebungsanordnung liegen vor. So muss feststehen, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung u.a. des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427; B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257; ebenso OVG Lüneburg, U.v. 4.7.2012 – 2 LB 163/10; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.2.2012 – OVG 2 S 6.12, alle juris), dass die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung zu prüfen ist.
Als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kommt zwar grundsätzlich ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht. Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Gründen, die ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. EMRK rechtfertigen, sind nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte kann eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt. Dies ist hinsichtlich Frankreichs, auch unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Antragstellers, nicht der Fall. Auf die Ausführungen unter b), c) wird entsprechend verwiesen.
Auch die vorgetragenen Erkrankungen des Antragstellers führen nicht zu einem Abschiebeverbot. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, wobei nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG gilt entsprechend, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Erforderlich aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich eine vorhandene lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, ohne dass es jedenfalls in einem Teil des Zielstaats eine ausreichende medizinische Versorgung gäbe (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 19.8.2016 – 8 ME 87/16 – juris – sowie noch zur alten, aber übertragbaren Rechtslage BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris).
Nach diesen Maßstäben ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass hinsichtlich des Antragstellers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der von ihm geltend gemachten Erkrankungen vorliegt. Zwar trägt der Antragsteller vor, an Depressionen und Angst zu leiden. Der Antragsteller hat die Erkrankungen jedoch nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht, §§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, 60a Abs. 2 c Satz 1 AufenthG. Zwar wurde ein undatiertes Attest der „Practicing psychotherapist“ Romana Khawly vorgelegt. Dieses Attest genügt bereits deshalb nicht den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, weil es sich bei dem Attest eines Psychotherapeuten nicht um das Attest eines Arztes handelt. Darüber hinaus fehlen insbesondere Angaben zum Schweregrad der Erkrankung und zur Methode der Tatsachenerhebung. Das Vorbringen stellt keinen ausreichenden substantiierten Vortrag, insbesondere mit Blick auf die gesetzlich geforderte erhebliche konkrete Gefahr dar. Es ist schon nicht ersichtlich, ob und inwieweit es sich um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Krankheit handelt, noch wird dargelegt, ob sich der Zustand bei einer Abschiebung nach Frankreich wesentlich verschlechtern würde. Ob telefonisch durchgeführte Gespräche, die Psychotherapeutin befindet sich nach Klägerangaben im Libanon, überhaupt Grundlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung sein können, kann daher offenbleiben. Eine aktuellere und vor allem den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung genügende ärztliche Bescheinigung hat der immerhin seit dem 9. November 2020 in Deutschland verweilende Antragsteller, trotz Ankündigung, dass er sich in Deutschland in ärztliche Behandlung begeben werde, nicht eingereicht.
Selbst bei Vorliegen der geltend gemachten Erkrankungen können diese ein Abschiebeverbot nicht begründen. Wie bereits ausgeführt, sind die Erkrankungen, auch psychische, in Frankreich behandelbar. Es ist nicht zu befürchten, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Antragstellers droht, ohne dass es jedenfalls in einem Teil des Zielstaats eine ausreichende medizinische Versorgung gäbe. Es ist zudem nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat Frankreich mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG. Auch ist es ausreichend, wenn die medizinische Versorgung nur in einem Teil Frankreichs zur Verfügung stünde, § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenso wenig erfüllt. Hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat, etwa verursacht durch das Corona-Virus oder die humanitäre Lage, sind die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris). Eine sonstige dem Antragsteller individuell drohende Extremgefahr für dessen Leib, Leben oder Freiheit ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Die Gefahr in Frankreich am Corona-Virus SARS-CoV-2 zu erkranken oder gar zu versterben ist für den jungen Antragsteller bei weitem nicht im Bereich eines „real risk“ bzw. einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit.
e) Mit der Zustimmung des angefragten Staates Frankreich zur Aufnahme des Antragstellers steht auch die tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung i.S.v. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest. Etwaige inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse wie etwa eine fehlende Reisefähigkeit, die im Rahmen der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG anders als bei der Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt zu prüfen sind, sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Auf die obigen Ausführungen zu § 60 Abs. 7 AufenthG wird entsprechend verwiesen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
4. Aus den dargelegten Gründen kommt dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten zu und wird deshalb auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers und den bislang nicht vorgelegten Unterlagen zum Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt, § 166, §§ 114 ff. ZPO.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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