Europarecht

Dublin-Verfahren (Italien)

Aktenzeichen  Au 3 K 21.50069

Datum:
16.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23588
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Systemische Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen, die für Asylbewerber die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinn des Art. 4 EU-Grundrechtcharta mit sich bringen würden, bestehen in Italien nicht. (Rn. 9)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Das Bundesamt hat zu Recht den Asylantrag des Klägers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig abgelehnt, weil Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Da Italien das Übernahmeersuchen des Bundesamts nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen (Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO) beantwortet hat, ist es verpflichtet, den Kläger wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen (Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO).
Systemische Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen, die für Asylbewerber die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinn des Art. 4 EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden, bestehen in Italien nicht (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5 f.; OVG NRW, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris Rn. 65 ff. m.w.N. U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris Rn. 72 ff.; NdsOVG, U.v. 4.4.2018 – 10 LB 96/17 – juris; BayVGH, B.v. 9.1.2019 – 10 CE 19.67 – juris).
Das Gericht teilt nicht die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in dem Urteil vom 20. Juli 2021 (Az. 11 A 1689/20.A). Der Direktor des italienischen Flüchtlingsrats, einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation unter der Schirmherrschaft des UNHCR, hat am 23. Januar 2020 gegenüber einer Delegation der Deutschen Botschaft Rom bekundet, dass für Dublin-Rückkehrer eine Unterkunftsmöglichkeit in den Erstaufnahmezentren der CAS/CARA besteht (vgl. Bericht des Bundesamts zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien S. 40). Diese Aussage bezieht sich ersichtlich auf alle Dublin-Rückkehrer, also nicht nur auf Familien mit minderjährigen Kindern und andere besonders schutzbedürftige Personen. Auch wenn die Dublin-Rückkehrer nach italienischem Recht ihren (ursprünglichen) Unterbringungsanspruch verloren haben, gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Italien ihnen die tatsächlich und rechtlich mögliche Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung unter Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Grundrechtcharta verweigert. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen benennt keinen einzigen Beispielsfall, in dem einem Dublin-Rückkehrer aus Deutschland oder einem anderen EU-Staat in Italien in menschenrechtswidriger Weise eine Unterkunft verweigert worden wäre. Es kann auch keinen einzigen Fall benennen, in dem ein italienisches Gericht oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine konkrete, einzelfallbezogene Menschenrechtsverletzung durch Italien bei der Unterbringung eines Dublin-Rückkehrers festgestellt hätte. Die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist auch unvereinbar mit der Aussage des Direktors des italienischen Flüchtlingsrats, dass Deutschland und Italien hinsichtlich der Unterkunftssituation von Asylbewerbern in Europa führend seien (vgl. Bericht des Bundesamts zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien S. 39). Auch diese Aussage bezieht sich ersichtlich nicht nur auf besonders schutzbedürftige Personen, sondern generell auf die Unterbringungssituation von Asylbewerbern in Italien. Letztlich lässt sich das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen nicht von dem in den Entscheidungsgründen nur einmal erwähnten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) leiten, sondern seine Entscheidung lässt ein erhebliches Misstrauen gegenüber den zuständigen italienischen Behörden erkennen.
Ergänzend wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen, mit der die Lage von Asylbewerbern in Italien ausführlich dargestellt wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Demnach liegen auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens nicht vor. Auch insoweit wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung nach Italien ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Bestimmung ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, wenn der Ausländer in diesen Staat abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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