Aktenzeichen AN 17 S 18.50096
EU-Asylantragzuständigkeits-DVO Art. 5 Abs. 2
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 22 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsatz
1. Art. 5 Abs. 2 S. 4 EU-Asylantragzuständigkeits-DVO kann nicht so verstanden werden, dass die Aufnahmeentscheidung des ersuchten Mitgliedstaates innerhalb von zwei Wochen nach dem Erstgesuch erfolgt sein muss. Eine derartige Auslegung wäre mit Art. 5 Abs. 2 S. 2 EU-Asylantragzuständigkeits-DVO nicht in Einklang zu bringen und eine derartige Handhabung bei aller Beschleunigung kaum realisierbar. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Asylverfahren für Asylbewerber in Rumänien weist keine systemischen Mängel auf. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ausreichende Anhaltspunkte für systemische Schwachstellen im rumänischen Asylverfahren ergeben sich ohne Schilderung näherer Umstände auch nicht aus dem Vortrag einer Inhaftierung durch den Asylbewerber. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Rumänien.
Der laut Personalausweis am …1997 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach seinen Angaben am 15. November 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wurde am 21. November 2017 als Asylsuchender in Deutschland registriert und stelle am 7. Dezember 2017 einen formellen Asylantrag.
Im Rahmen von Befragungen vor der Regierung von Mittelfranken und vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 22. November und 7. Dezember 2017 gab er an, über die Türkei und Rumänien nach Deutschland auf dem Landweg eingereist zu sein. In Rumänien habe er sich ca. zwei Monate aufgehalten. Er sei im Gefängnis in … gewesen.
Nach den Ermittlungen des Bundesamtes (EURODAC-Treffer) wurden vom Antragsteller am 15. September 2017 und 23. Oktober 2017 in Rumänien Fingerabdrücke genommen.
Auf das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 20. Dezember 2017 hin verweigerte Rumänien am 3. Januar 2018 zunächst die Rückübernahme des Antragsstellers, da dieser als Minderjähriger geführt wurde. Auf ein erneutes Übernahmegesuch des Bundesamts am 4. Januar 2018 hin und Vorlage von Identitätspapieren, die ihn als volljährig auswiesen, teilte Rumänien am 16. Januar 2018 mit, dass der Antragsteller am 24. Oktober 2017 in Rumänien einen Asylantrag gestellt hätte, er untergetaucht und der Asylantrag zurückgezogen sei. Die Rückübernahme des Antragstellers nach Art. 18 Abs. 1c der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) bis zum 16. Juli 2018 wurde erklärt.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2018, dem Antragsteller zugestellt am 23. Januar 2018, lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers daraufhin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Rumänien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 29. Januar 2018, eingegangenen beim Verwaltungsgericht Ansbach am gleichen Tag, erhob der Antragsteller Klage und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 2. Januar 2018, den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 17. Januar 2018 ist zulässig, aber unbegründet.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung ist statthaft und notwendig, weil die gleichzeitig erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung hat, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG. Er ist fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 gestellt.
Die sachgerechte Auslegung des Klagebegehrens (§ 88 VwGO) ergibt, dass sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht auf weitere Ziffern des angefochtenen Bescheids bezieht, weil er insoweit unzulässig wäre. Dem Antrag würde das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, da die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung von einer Entscheidung zur Befristung unberührt bleibt (§ 34a Abs. 2 Satz 4 AsylG) und ein Interesse an einer sofortigen Entscheidung somit nicht erkennbar ist, die Klärung der Frage im Hauptsacheverfahren vielmehr ausreichend und – um die Hauptsache nicht unzulässigerweise vorwegzunehmen – allein möglich ist.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Interessensabwägung des Gerichts ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers ergibt. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle. Die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklage aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3 des Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) nämlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG.
Rumänien ist für die Behandlung des Asylgesuchs des Antragstellers zuständig. Nach Art. 18 Abs. 1c der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) ist ein Mitgliedstaat verpflichtet, einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen hat und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltstitel aufhält, wieder aufzunehmen. Selbst wenn eine aktive Rücknahme des Asylantrags durch den Antragsteller in Rumänien nicht erfolgt sein sollte (was aus der Stellungnahme von Rumänien nicht ganz klar hervorgeht) und man weiter davon ausginge, dass Art. 18c Dublin III-VO nicht den Fall der Fiktion der Rücknahme erfasst (was hier offenbleiben kann), ergibt sich im Ergebnis nichts anderes, da Rumänien ggf. nach Art. 18b Dublin III-VO zuständig wäre und seine Zuständigkeit im Ergebnis zu Recht anerkannt hat. Für den Antragssteller greift nicht vorrangig Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO ein. Beim Antragssteller handelt es sich entgegen seiner ursprünglichen Angaben in Rumänien – durch den in Deutschland vorgelegten Personalausweis belegt – nicht um einen Minderjährigen.
Rumänien hat mit Schreiben vom 16. Januar 2018 im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens seine Zustimmung zur Rückübernahme des Antragstellers auch fristgerecht und wirksam erklärt. Nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO hat der ersuchte Mitgliedstaat, wenn der Rückübernahmeantrag auf Eurodac-Treffern beruht, grundsätzlich innerhalb von zwei Wochen auf ein rechtzeitig gestelltes Wiederaufnahmeersuchen zu reagieren. Die gleiche Frist gilt nach Art. 5 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 2. September 2013 (Dublin-Durchführungs-VO), wenn – wie vorliegend – ein erneutes Gesuch nach Ablehnung eines Erstgesuchs (Remonstration) gestellt wird.
Die Voraussetzungen der Remonstration nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 Dublin-Durchführungs-VO lagen vorliegend vor. Das Erstgesuch des Bundesamtes an Rumänien erfolgte am 20. Dezember 2017 fristgerecht innerhalb der 2-Monats-Frist nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-Verordnung. Das erneute Gesuch erfolgte am 4. Januar 2018 einen Tag nach der Ablehnungsentscheidung Rumäniens und damit fristgerecht innerhalb der 3-Wochen-Frist nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Dublin-Durchführungs-VO. Aus der Regelung des Art. 5 Abs. 2 Satz 4 Dublin-Durchführungs-VO, wonach das Remonstrationsverfahren nichts an den Fristen nach Art. 18 Abs. 1 und Abs. 6 und Art. 20 Abs. 1b der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) ändert und damit entsprechend auch nichts an den Fristen der Art. 22 Abs. 1 und Abs. 6 und Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO, nachdem die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 zur Dublin III-VO vom 30. Januar 2014 (Durchführungsänderungs-VO) keine Änderung des Art. 5 Dublin-Durchführungs-VO normiert hat und somit von einer unveränderten inhaltlichen Fortgeltung auszugehen ist, ergibt sich für die vorliegende Konstellation keine zusätzliche zeitliche Einschränkung. Diese Regelung kann nicht so verstanden werden, dass die Aufnahmeentscheidung des ersuchten Mitgliedstaates innerhalb von zwei Wochen nach dem Erstgesuch erfolgt sein muss. Eine derartige Auslegung wäre mit Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Dublin-Durchführungs-VO nicht in Einklang zu bringen und eine derartige Handhabung bei aller Beschleunigung kaum realisierbar. Da die entsprechenden Fristen eingehalten sind, kann offenbleiben, ob sich der Antragsteller gegebenenfalls auf einen Fristablauf entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 21 Dublin III-VO (U.v. 26.7.2017, C- 670/16 „Mengesteab“ – juris) berufen könnte.
Die Remonstration durch das Bundesamt vom 4. Januar 2018 und deren Akzeptanz durch Rumänien am 16. Januar 2018 erfolgte auch inhaltlich zu Recht, da Rumänien zunächst irrtümlich von der Minderjährigkeit des Antragstellers ausgegangen ist und die Volljährigkeit des Antragstellers durch Vorlage von dessen Personalausweis belegt werden konnte.
Es liegen auch keine Umstände vor, die ausnahmsweise die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden.
Nach dem System der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 31.12.2011, C-411/10 und C-433/10 – NVwZ 2012, 417) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedsland der Europäischen Union (EU) den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der EU (ChGR) entspricht. Diese Vermutung ist jedoch widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedsland systemische Mängel aufweisen, die zu der Gefahr für den Asylbewerber führen, bei Rückführung in den Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 ChGR bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
Derartige systemische Mängel, mit dem der Asylbewerber der Überstellung alleine entgegentreten kann (EuGH Gr. Kammer, U.v. 10.12.2013, C-394/12 – juris), erkennt das Gericht für Rumänien nicht. An die Annahme des Ausnahmefalls des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Es müsste die ernsthafte Gefahr grundlegender Verfahrensmängel oder erheblich defizitäre Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem Mitgliedsland erkennbar und für den Rechtschutzsuchenden im zu entscheidenden Einzelfall zu befürchten sein (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014, 10 B 6/14 – juris).
Dies ist nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel, insbesondere den regelmäßigen Berichten der Kommission der EU zur Bewertung des Dublin-Systems und des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort sowie der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 5. Dezember 2017 nicht der Fall und wird nach der zu Rumänien ergangenen Rechtsprechung überwiegend nicht angenommen (vgl. VG Augsburg, B.v. 10.11.2017, Au 5 S 17.50352; VG Düsseldorf, B.v. 10.4.2017, 22 L 668/17.A; VG Bayreuth, B.v. 18.4. 2016, B 3 S 16.50026; VG Ansbach, B.v. 30.9.2015, AN 3 S 15.50375; VG Aachen, B.v. 17.8.2015, 8 L 607/15.A; VG Regensburg, U.v. 17.6.2015, RO 4 K 15.50311 – jeweils juris).
Die Antragstellerseite hat im Gerichtsverfahren insoweit auch keinen substantiierten Vortrag gemacht oder bei der Anhörung vor dem Bundesamt Tatsachen glaubhaft gemacht, die systemische Schwachstellen im rumänischen Asylverfahren belegen würden. Aus dem Vortrag einer Inhaftierung durch den Antragsteller ohne Schilderung näherer Umstände ergeben sich für das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte für systemische Schwachstellen im rumänischen Asylverfahren.
Für den Antragsteller sind auch keine besonderen Umstände erkennbar, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung befürchten ließe. Insbesondere gehört er als junger gesunder Mann nicht einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe an.
Auch zielstaatsbezogene oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die einer Abschiebung nach Rumänien entgegenstünden, sind für ihn nicht erkennbar.
Eine Veranlassung bzw. Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO bestand somit nicht.
Nachdem Rumänien einer Rückübernahme der Antragsteller mit Schreiben vom 16. Januar 2018 zugestimmt hat und die Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) noch nicht abgelaufen ist, ist die Abschiebung derzeit auch durchführbar.
Ergänzend wird insgesamt auf die ausführliche Begründung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes vom 17. Januar 2018 Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.