Europarecht

Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Betreuungsbehörden

Aktenzeichen  401 XVII 0178/92

Datum:
9.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZD – 2020, 258
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Altötting
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
DSGVO Art. 6, Art. 9
BayDSG Art. 5 Abs. 4 S. 1
BtBG § 7, § 8
FamFG § 278 Abs. 6, § 279 Abs. 2, § 283 Abs. 2, § 326 Abs. 2, § 319 Abs. 6

 

Leitsatz

Kurzthematik: Die Einholung von Zustimmungen der befragten Personen (wie Betreuer, Betreutem) zur Erhebung von Daten ist seitens der Betreuungsbehörde nicht erforderlich, soweit der gesetzliche Berichtsauftrag aus § 279 Abs. 2 FamFG und § 8 Abs. 1 S.1, S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 sowie Abs. 2 BtBG erfüllt wird. (Rn. 1 – 19)
1. Sensible Daten dürfen den Gerichten im Rahmen ihrer gerichtlichen Tätigkeit zugänglich gemacht werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die gesetzlich in §§ 279 FamFG i.V.m. § 8 BtBG ausdrücklich genannten Inhalte gibt es unzweifelhaft eine gesetzliche Konkretisierung von Art und Zweck der Datenerhebung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Betreuungsbehörde war mit der Berichterstattung zur Frage der Verlängerung einer bestehenden Betreuung beauftragt worden. Nachdem die Betreuerin der Mitarbeiterin der Betreuungsstelle die von jener erbetenen „Einwilligung nach DSGVO“ verweigerte, teilte die Betreuungsstelle dem Gericht mit, man könne somit keine Sachverhaltsermittlung durchführen und keinen Bericht erstatten.

Gründe

Darauf folgt Hinweis des Gerichts an die Betreuungsbehörde:
1. Folgendes Schreiben fertigen:
in dem Verfahren für Herrn …, geb. …, Seniorenheim … werden Sie um folgende Sachverhaltsermittlung gebeten:
Verlängerung der Betreuung
Die Betreuungsbehörde wird gebeten, ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus § 279 Abs. 2 FamFG (hier: mit § 295 Abs. 1 FamFG) und insbesondere § 8 Abs. 1 S.1, S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 sowie Abs. 2 BtBG nachzukommen und den dort vorgesehenen Berichtsumfang zu erfüllen sowie einen geeigneten Betreuer vorzuschlagen.
Die Betreuungsbehörde am Landratsamt Altötting nimmt in der Stellungnahme vom 9.9.2019 eine Prüfung vor, die ihr nach dem Bayerischen Datenschutzrecht nicht zugewiesen ist. Art. 5 Abs. 4 S.1 BayDSG regelt:
„Werden personenbezogene Daten an eine andere öffentliche Stelle auf deren Ersuchen übermittelt, trägt diese die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung.“
Das OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2018 – 6 VA 5/17 -, Rn. 25, juris formuliert die Folgerung anschaulich wie folgt:
„Hieraus ist abzuleiten, dass die ersuchte Stelle nur eine Plausibilitätsprüfung dahingehend durchzuführen hat, ob sich das Übermittlungsersuchen im allgemeinen Rahmen der Aufgaben des Empfängers hält.“
Die datenschutzrechtliche Auffassung der Behörde kann das Gericht auch in der Sache nicht teilen (wobei sich das Gericht nur auf die Berichtspflicht als Grundlage seiner eigenen Tätigkeit bezieht; die übrige Handhabung der Behörde obliegt selbstverständlich alleine dieser):
Eine Abhängigkeit von der Zustimmung der jetzigen Betreuerin besteht nicht.
Vielmehr ist eine Einwilligung der betroffenen Person in die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht Voraussetzung, sondern gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c EuDSGVO die Verarbeitung soweit zulässig, als sie zur Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung erforderlich ist, und sogar gemäß Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 lit. f EuDSGVO soweit Gesundheitsdaten betroffen sind, soweit sie für Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich sind. Dort wo die Behörde im Auftrag des Gerichts handelt und die o.g. gesetzliche Verpflichtung der Behörde in Anspruch genommen wird, erfolgen Gerichtshandlungen wie bei allen anderen (im Bereich der sog. Freiwilligengerichtsbarkeit sog. „Frei-“) Beweiserhebungen des Gerichts auch. Zweck von Art. 9 Abs. 2 lit. f EuDSGVO ist es, dass das Datenschutzrecht nicht die Funktionsfähigkeit der Justiz beeinträchtigt (BeckOK DatenschutzR/Albers/Veit, 28. Ed. 1.5.2018, DS-GVO Art. 9 Rn. 69). Die explizite Erwähnung der Gerichte in lit. f soll sicherstellen, dass entscheidungserhebliche Daten auch dann in das Verfahren eingeführt werden können, wenn diese grundsätzlich dem Verbot des Art. 9 Abs. 1 unterfallen (Gola DS-GVO/Schulz, 2. Aufl. 2018, DS-GVO Art. 9 Rn. 29).
In der bisherigen ausdrücklich betreuungsrechtlichen Veröffentlichung zum Datenschutz wird dies als völlig unproblematisch abgehandelt:
„2. Datenverarbeitung durch Betreuungsbehörden Für Betreuungsbehörden ist bei normalen personenbezogenen Daten auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. c oder d DSGVO abzustellen. Die rechtliche Verpflichtung, welcher Betreuungsbehörden unterliegen, ist insbesondere die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung, die das Gericht der Behörde macht (§ 8 BtBG). Bei der Vor- und Zuführungstätigkeit der Behörden kann auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. c oder e abgestellt werden; bei Letzterem geht es um die ausdrückliche Gewaltanwendung, die nach § 278 Abs. 6, § 283 Abs. 2, § 326 Abs. 2 und § 319 Abs. 6 FamFG gestattet werden kann.
Speziell zur (ungefragten) Datenübermittlung der Betreuungsbehörde an das Gericht stellt § 7 BtBG eine Sonderregelung dar, die mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. d DSGVO korrespondiert. Hierfür betrachtet das VG München die landesrechtliche Regelung zur Amtsermittlungspflicht im jeweiligen Verwaltungsverfahrensgesetz gemeinsam mit § 7 BtBG als ausreichende Rechtsgrundlage zur Datenverarbeitung (auch von dritten Personen).
Speziell für Hamburg enthält § 4 Hamburgisches Gesetz zur Ausführung des Betreuungsgesetzes (HmbAGBtG) die Einschränkung, dass die Betreuungsbehörde Daten grundsätzlich bei den Betroffenen zu erheben hat. Die Erhebung von Daten bei Dritten sei dort nur zulässig, wenn die betroffene Person einwilligt oder krankheits- oder behinderungsbedingt ihre Einwilligung nicht erteilen kann und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden.“
(Deinert, BtPrax 2019, 19, 21)
Das Bayerische Recht regelt nichts Strengeres, sondern gestattet ebenfalls die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle, wenn sie zur Erfüllung einer ihr obliegenden Aufgabe erforderlich ist (Art. 4 BayDSG).
Ist das BtBG und das FamFG in den o.g. Normen eine ausreichende gesetzliche Grundlage?
Die o.g. Normen aus dem BtBG und FamFG stellen die gesetzliche Verpflichtung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit c EuDSGVO dar:
„Die von Erlaubnisgrund lit. c geforderte Verpflichtung bedarf einer konkretisierenden Grundlage im europäischen oder mitgliedstaatlichen materiellen Recht, Abs. 3 S. 1. Unter anderem kommen hierfür sämtliche formellen Gesetze, Verordnungen, Satzungen aber auch Bestandteile von Betriebs- und Tarifvereinbarungen mit normativer Wirkung in Betracht.“
(Spindler/Schuster Elektron. Medien/Spindler/Dalby, 4. Aufl. 2019, DS-GVO Art. 6 Rn. 8)
Dies als Rechtsgrundlage gilt i.Ü. auch für die Erfüllung der betreuerischen gesetzlichen Pflichten aus §§ 1896 ff BGB für den Betreuer bei der Verarbeitung der Daten seines Betreuten (Spindler a.a.O. zustimmend u.a. zur Rechtsprechung des Amtsgerichts Altötting).
Gilt dies auch für „sensible“ Daten?
Auch wenn man die im Betreuungsverfahren erhobenen Daten unter die „besondere Kategorie personenbezogener Daten“ iSv Art. 9 EuDSGVO, § 22 BDSG, Art. 8 BayDSG fassen würde, stünde auch dieser erhöhte Schutz nicht entgegen.
Die Ausnahme des Art. 9 Abs. 2 Buchst. f greift nicht nur für die gerichtliche Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen ein. Aus Erwägungsgrund 52 geht hervor, dass dieser Ausnahmetatbestand nicht auf die Durchsetzung von Rechtsansprüchen vor Gericht beschränkt ist. Vielmehr ist auch die Geltendmachung z.B. in „einem Verwaltungsverfahren oder einem außergerichtlichen Verfahren“ mit erfasst. Darüber hinaus können sensible Daten auch von den Gerichten verarbeitet werden, wenn es für Handlungen in ihrer „justiziellen Tätigkeit“ erforderlich ist. Damit sind die Aufnahme von sensiblen Daten in Gerichtsakten, das Weiterleiten von sensiblen Daten an andere gerichtliche Stellen und vergleichbare Handlungen von der Ausnahme des Art. 9 Abs. 2 Buchst. f gedeckt.
(Plath in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Artikel 9 DSGVO, Rn. 21)
Diese Daten dürfen dem Gericht auch zugänglich gemacht werden.
Zudem dürfen diese sensiblen Daten den Gerichten zugänglich gemacht werden im Rahmen ihrer gerichtlichen Tätigkeit. (Schaffland/Holthaus in: Schaffland/Wiltfang, Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)/Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Artikel 9 VO (EU) 2016/679 Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten§ 3 BDSG 2003 BDSG2003 Weitere Begriffsbestimmungen§ 13 BDSG 2003 BDSG2003 Datenerhebung§ 28 BDSG 2003 BDSG2003 Datenerhebung und -speicherung für eigene Zwecke, Rn. 14)
Wenigstens für die gesetzlich in §§ 279 FamFG iVm § 8 BtBG ausdrücklich genannten Inhalte gibt es m.E. unzweifelhaft eine gesetzliche Konkretisierung von Art und Zweck der Datenerhebung.
Es wird daher gebeten, die dortige Rechtsauffassung – ggf im Rahmen der Behördenhierarchie und dem eigenen Datenschutzbeauftragten – zu überprüfen und im Sinne der gebotenen Beschleunigung im Betreuungsrecht bereits vorab eine Stellungnahme auf Grund der zugänglichen Informationen (es wurde Ihnen die Akte zugesandt, Gespräche haben Sie bereits geführt) zur voraussichtlichen Weiterführung der rechtlichen Betreuung abzugeben, damit gegebenenfalls bereits die Begutachtung beauftragt werden kann. Angesichts der zutage getretenen Konflikte in der Familie des Betreuten und der betreuungsführenden Schwester kann es mit dem bisherigen Ergebnis nicht sein Bewenden haben.


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