Verkehrsrecht

22 S 6/22

Aktenzeichen  22 S 6/22

Datum:
30.7.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Stendal 2. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LGSTEND:2022:0730.22S6.22.00
Spruchkörper:
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Leitsatz

Reißt ein Heckscheibenwischer eines Fahrzeugs während des Reinigungsvorgangs in einer Waschstraße ab und weist ein nachfolgender Pkw danach Lackschäden auf, liegt ein pflichtwidriges Unterlassen des Erstnutzers im Verhältnis zum nachfolgenden Nutzer jedenfalls dann, wenn Hinweise auf mögliche Gefahren für weitere Nutzer fehlen, nicht allein in dem Belassen des Heckscheibenwischer in senkrechter Position und in der fehlenden Nutzung einer Schutzhülle.

Verfahrensgang

vorgehend AG Stendal, 21. Dezember 2021, 3 C 571/21, Urteil

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Stendal vom 21. Dezember 2021 -3 C 571/21 (3.4)- wird zurückgewiesen.
Der Berufungskläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Stendal sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 544 Abs. 2, 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen, weil ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung unzweifelhaft nicht gegeben ist.
II.
A/ Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und auch begründet worden. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer entscheidungserheblichen Rechtsverletzung nach §§ 513, 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
Als Anspruchsgrundlage des geltend gemachten Schadensersatzanspruches kommt allein § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.
Hiernach schuldet derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig ein durch die Norm geschütztes Rechtsgut eines anderen widerrechtlich verletzt, diesem den Ersatz des daraus entstehenden Schadens.
1. Nach Auffassung der Kammer fehlt bereits eine Pflichtverletzung des Beklagten gegenüber dem Kläger.
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihm gegenüber dadurch Pflichten verletzt, dass der Heckscheibenwischer an seinem Fahrzeug vor dem Waschvorgang nicht waagerecht -und damit nicht in der sogenannten Ruhestellung-, sondern senkrecht gestellt gewesen sowie nicht mit einer hierfür vorgesehenen Schutzhülle abgedeckt worden sei. Er wirft dem Beklagten somit ein pflichtwidriges Unterlassen vor. Im Fall des Unterlassens muss (auch) dem Geschädigten gegenüber eine Pflicht zum Handeln zur Verhütung der Rechtsgutverletzung bestehen, deren Beachtung die Rechtsgutverletzung verhindert hätte. Diese Pflicht kann sich insbesondere aus einer Garantenstellung, aus Gesetz, konkreten Lebensbeziehungen oder einer Verkehrssicherungspflicht (als Pflicht zur Meidung von Gefahren, die einer Sache oder einem sozialen Sachbereich immanent sind) ergeben (vgl. Sprau in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 823 Rn 2 m.w.N.; Lange in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 823 Rn 47 ff; Schaub in Prütting/Wegen/Weinrich, BGB, 15. Aufl., § 823 Rn 2).
Eine Garantenstellung des Beklagten gegenüber dem Kläger ist nicht anzunehmen.
Gesetzliche Verpflichtungen sind nicht ersichtlich, an einer konkreten Lebensbeziehung der Parteien mangelt es gleichfalls.
Eine Verkehrssicherungspflicht könnte sich vorliegend allenfalls aus der Eröffnung einer Gefahrenquelle oder vorausgegangenem pflichtwidrig gefahrerhöhendem Vorverhalten (sogenannte Ingerenz, vgl. Lange a.a.O. § 823 Rn 47) ergeben.
Der Beklagte ist nicht Betreiber der Autowaschanlage, so dass ihn insofern keine Verkehrssicherungspflichten treffen. Es ist durch den Kläger auch nicht dargetan, dass das serienmäßig ausgestattete Fahrzeug des Beklagten besondere Eigenschaften, wie z. Bsp. einen defekten Heckscheibenwischer aufgewiesen hätte, und insofern für sich genommen eine Gefahrenquelle dargestellt hätte.
Auch sonst sind keine Sicherungspflichten des Beklagten gegenüber dem Kläger anzunehmen.
a) Hinsichtlich der Stellung des Scheibenwischers vor Einfahrt in die Waschstraße finden sich an der Waschanlage keinerlei Hinweise. Vielmehr befindet sich der Scheibenwischer auf der mit der Klageschrift eingereichten Abbildung TS8 ersichtlich nicht in waagerechter Stellung/Ruhestellung. Eine Verpflichtung des Beklagten -zumal gegenüber dem Kläger- nur mit einem in waagerechter Stellung/Ruhestellung befindlichen Scheibenwischer in die Portal-Waschanlage einzufahren, ist daher nicht anzunehmen. Es ist der Kammer zudem bekannt, dass es Fahrzeugmodelle gibt -nämlich solche mit zwei Heckklappentüren- bei denen sich der Scheibenwischer in der Ruhestellung in senkrechter Position befindet. Die Waschanlage sah jedoch keinerlei Zugangsbeschränkung nach Art des Fahrzeuges vor.
b) Auch folgt aus dem o.g. Hinweisschild (Ablichtung TS8) mit dem Aufdruck: „Bitte nutzen Sie die Schutzhülle für Ihren Heckscheibenwischer. Diese sind kostenfrei an der Kasse erhältlich.“ keine Pflicht des Beklagten gegenüber dem Kläger zur Nutzung einer entsprechenden Schutzhülle. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der allgemeine Hinweis lediglich als Bitte formuliert ist. Darüber hinaus fehlt jeder Hinweis auf eine mögliche Gefährdung Dritter durch ein Unterlassen der Nutzung der Schutzhülle.
Der Hinweis ist daher nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, eine Pflicht des Beklagten gegenüber nachfolgenden Nutzern der Waschanlage zu begründen, sondern allenfalls eine Pflicht bzw. Obliegenheit im Verhältnis des Nutzers zu dem Waschanlagenbetreiber. Entsprechendes gilt aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auch für die erstinstanzlich aufgestellte Behauptung des Klägers, das Tankstellenpersonal würde grundsätzlich jedem Nutzer eine Schutzhülle zur Verfügung stellen bzw. die zweitinstanzliche, zudem bereits dem sogenannten Novenausschluss gemäß §§ 529 Abs. 2, 531 Abs. 2 ZPO unterliegende Behauptung, es würden ausnahmslos jedem Nutzer der Waschanlage Schutzhüllen für den Heckscheibenwischer übergeben.
2. Selbst wenn man abweichend hiervon eine Pflichtverletzung des Beklagten gegenüber dem Kläger annehmen würde, fehlt es aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die zur Meidung von Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen wird, jedenfalls an der haftungsbegründenden Kausalität und einem Verschulden des Beklagten.
3. Die in der Berufung zitierten Gerichtsentscheidungen führen zu keiner abweichenden Bewertung. Der Entscheidung des Landgerichts Dortmund (Urteil vom 14. November 2018, 21 S 47/18 -zitiert nach Juris), in der die Haftung eines Taxi-Fahrers für durch eine abgerissene Antenne an dem nachfolgenden Fahrzeug verursachten Schaden bejaht wurde, lag bereits ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der Nutzer ist dort vor Erreichen der eigentlichen Waschstraße schriftlich darauf hingewiesen worden, dass durch die Waschbürsten bzw. Waschlappen hervorstehende empfindliche Teile abreißen können. Unabhängig davon fehlt es in der Entscheidung an einer ordnungsgemäßen Subsumtion der maßgebenden haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale. Woraus sich die angenommene Verpflichtung des Taxi-Fahrers zum Einschieben der Antenne gegenüber dem nachfolgenden Nutzer ergeben soll, wird nicht dargelegt. Auch wird lediglich kurzerhand festgestellt, dass die Gefahr, dass es durch abgerissene Teile zu einer Beschädigung der anderen Fahrzeuge kommen konnte, auf der Hand gelegen habe. Vorliegend musste der Beklagte zunächst jedoch einmal erkennen können, dass ein sich nicht in waagerechter Stellung befindlicher und nicht mit einer Schutzhülle versehener Heckscheibenwischer abreißen kann. Selbst dann muss sich in abgerissener Heckscheibenwischer nicht zwangsläufig in den Waschbürsten verfangen und ein nachfolgendes Fahrzeug schädigen, sondern es sind ohne weiteres andere Geschehensabläufe denkbar, wie z. Bsp. ein schlichtes Herunterfallen des Heckscheibenwischers ohne weitere Schäden an fremden Rechtsgütern oder eine Störung der Waschanlage, die ein Durchfahren weiterer Fahrzeuge verhindert, so dass auch vor diesem Hintergrund eine Erkennbarkeit einer Schadensverursachung an nachfolgenden Fahrzeugen durch das Unterlassen der von dem Kläger angenommenen Sicherungspflichten zu verneinen ist.
Die Entscheidung des Landgerichts Essen (Urteil vom 24. Januar 2001, 13 S 432/00      -zitiert nach Juris) verhält sich bereits nicht zu der Pflichtenlage der Nutzer untereinander. Unabhängig davon ist sie auf die hier zu beurteilende Sachverhaltskonstellation auch deshalb nicht anwendbar, weil der Betreiber der Waschanlage vorliegend ein Hinweisschild verwandt hat, das einen Scheibenwischer zeigt, der sich eindeutig nicht in der Ruhestellung -sei diese nun senkrecht oder waagerecht- befindet. In einer solchen Konstellation ist kein Raum für die Annahme, dass eine Wischerstellung außerhalb der Ruheposition „auf so unsorgfältigen Erwägungen des Fahrzeugführers beruht, dass den Betreiber keine weitere Hinweispflicht trifft.“
B/ Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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