Europarecht

EnVZ 48/20

Aktenzeichen  EnVZ 48/20

Datum:
21.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:210921BENVZ48.20.0
Spruchkörper:
Kartellsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 14. Mai 2020, Az: Kart 13/18

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Kartellsenats des Oberlandesgerichts München vom 14. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde einschließlich der notwendigen Auslagen der Regulierungskammer des Freistaates Bayern.
Der Gegenstandswert wird auf 1.231.604,83 € festgesetzt.

Gründe

1
I. Die Antragstellerin stellt im Chemiepark Gendorf PVC-Rohstoffe her. Sie ist dort an das Stromnetz der InfraServ Gendorf Netze GmbH angeschlossen. Die drei Stromentnahmepunkte der Antragstellerin verteilen sich auf die Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung, die Mittelspannungsebene und die Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung. Aufgrund von drei Bescheiden der Beschwerdegegnerin (nachfolgend: Regulierungsbehörde) vom 8. August 2012 wurde die Antragstellerin für die Entnahmestellen Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung (mit Wirkung ab 4. August 2011), Mittelspannung (mit Wirkung ab 1. Januar 2012) und Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung (mit Wirkung ab 4. August 2011) von Netzentgelten befreit.
2
Mit Beschluss (EU) 2019/56 vom 28. Mai 2018 stellte die Europäische Kommission fest, dass die auf Grundlage des § 19 Abs. 2 StromNEV 2011 für die Jahre 2012 und 2013 gewährten vollständigen Entgeltbefreiungen rechtswidrige staatliche Beihilfen und zurückzufordern seien. Die Rückforderung sollte anhand der individuellen Netzentgelte, die ohne die Befreiung zu entrichten gewesen wären, bemessen werden, da nur dieser Teil eine staatliche Beihilfe darstelle. Die Regulierungsbehörde hat die Rückforderungsbeträge für die Spannungsebenen separat berechnet und mit zwei Bescheiden vom 24. September 2018 für die Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung 1.720.541,75 € sowie für die Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung 1.252.638,67 € zurückgefordert.
3
Die Antragstellerin macht geltend, die Rückforderungsbeträge seien unzutreffend berechnet worden. Die Rückforderung sei auf diejenigen individuellen Netzentgelte zu beschränken, die ohne die Befreiung zu entrichten gewesen seien. Der Begriff der Abnahmestelle im dafür hier maßgeblichen § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 sei netzebenenübergreifend zu verstehen. Werde dieser Abnahmestellenbegriff angewendet, sei der Rückforderungsbetrag insgesamt um 1.231.604,83 € überhöht.
4
Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der die Regulierungsbehörde entgegentritt.
5
II. Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
6
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass der Begriff der Abnahmestelle in § 19 Abs. 2 StromNEV 2009 nicht spannungsebenenübergreifend zu verstehen sei.
7
2. Diese Beurteilung wirft keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf. Sie bedarf auch weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch aus einem anderen der in § 86 Abs. 2 EnWG aufgeführten Gründe der Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren.
8
a) Der Frage, ob der Begriff der Abnahmestelle in § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 nur die Zusammenfassung von Entnahmepunkten derselben Netz- oder Umspannebene oder eine ebenenübergreifende Zusammenfassung erlaube, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie ist nicht klärungsbedürftig.
9
aa) Zwar hat sich der Bundesgerichtshof mit der von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfenen Frage bisher noch nicht befasst. Ihre Beantwortung im Sinne des Beschwerdegerichts ist aber nicht zweifelhaft; über Umfang und Bedeutung der Rechtsvorschrift bestehen keine Unklarheiten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2020 – EnVZ 5/20, juris Rn. 7). Die Nichtzulassungsbeschwerde zeigt nicht auf, dass andere Gerichte oder ein erheblicher Teil der Literatur eine abweichende Auffassung vertreten.
10
bb) Allerdings ergibt sich aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 noch nicht eindeutig, was unter einer Abnahmestelle zu verstehen ist, auch wenn der Begriff nahelegt, Einspeisepunkte auf unterschiedlichen Netzebenen nicht als eine Abnahmestelle anzusehen.
11
cc) Für das Verständnis des Beschwerdegerichts spricht aber entscheidend die systematische Auslegung der Norm.
12
(1) Bezugspunkt für ein individuelles Netzentgelt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV 2009 sind alle Entnahmen “aus dieser Netz- oder Umspannungsebene”, also lediglich aus einer einheitlichen Netzebene. Wenn Satz 2 unter bestimmten Voraussetzungen ein individuelles Netzentgelt auch bei Stromabnahme für den eigenen Verbrauch an einer Abnahmestelle vorsieht, so liegt nahe, die dort gebrauchte Wendung “Stromabnahme aus dem Netz der allgemeinen Versorgung” auf die im vorhergehenden Satz der Vorschrift erwähnte jeweilige konkrete Netzebene zu beziehen. Für dieses Verständnis spricht ferner § 19 Abs. 2 Satz 4 StromNEV 2009, wonach das individuelle Netzentgelt nicht weniger als 20 % des veröffentlichten Netzentgelts betragen darf. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 StromNEV wurden und werden die Kosten für jede Netzebene verursachungsgerecht gesondert ermittelt. Demgegenüber fehlt es an zureichenden Anhaltspunkten für die Annahme, dass der Verordnungsgeber der Stromnetzentgeltverordnung 2009 für die Bestimmung des Begriffs der Abnahmestelle an die auf eine spezielle Fallgestaltung zugeschnittene Definition in § 16 Abs. 2 Satz 4 EEG 2004 anknüpfen wollte.
13
(2) Zudem sind nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StromNEV die Netzkosten für jede Netzebene gesondert zu ermitteln. Dieser Grundsatz würde durch die Vermischung von Spannungsebenen bei der Berechnung der individuellen Netzentgelte durchbrochen.
14
(3) Eine Bestätigung findet das Ergebnis des Beschwerdegerichts auch darin, dass erst mit Wirkung vom 22. August 2013 in § 2 Nr. 1 StromNEV erstmals eine Definition der Abnahmestelle aufgenommen wurde. Damit sollte eine Angleichung an den auch im Erneuerbaren-Energien-Gesetz verwendeten Begriff der Abnahmestelle erst ermöglicht werden (vgl. Begründung zur Verordnung der Bundesregierung zur Änderung von Verordnungen auf dem Gebiet des Energiewirtschaftsrechts, BR-Drucks. 447/13, S. 14).
15
b) Das Beschwerdegericht weicht von keiner Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder anderer Oberlandesgerichte ab. Weder der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 24. April 2013 – VIII ZR 88/12, NVwZ-RR 2013, 839) noch das OLG Frankfurt (Urteil vom 13. März 2019 – 12 U 38/18, juris Rn. 75) haben § 19 Abs. 2 StromNEV 2009 anders ausgelegt als das Beschwerdegericht.
16
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. GKG und § 3 ZPO.
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