Europarecht

Erfolgloser Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage wegen Zuständigkeit Frankreichs

Aktenzeichen  M 3 S 16.50607

Datum:
20.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 S. 2
AsylG AsylG § 26a, § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 1 Satz 1
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Frankreich weisen nach aktuellem Kenntnisstand keine systemischen Mängel auf, die nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO einer Rückführung entgegenstehen würden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die nach ihren Angaben am … 1984 in … geborene Antragstellerin ist nigerianische Staatsangehörige und reiste nach eigenen Angaben am 31. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 1. August 2016 Asylantrag stellte.
Bei ihrer Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 1. August 2016 gab die Antragstellerin an, dass sie ihr Heimatland im Sommer 2013 verlassen habe und dann über Niger (3 Monate), Libyen (1,5 Monate), Italien (2 Tage) und die Schweiz nach Frankreich gereist sei. Sie habe dort am 24. Oktober 2014 Schutz beantragt, habe sich dort 1 Jahr und 4 Monate aufgehalten und sei von dort aus auf dem Landweg in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Die eingeleitete Eurodac-Recherche des Bundesamts hatte am 3. Februar 2016 einen Treffer der Kategorie I (…) für Frankreich ergeben.
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie I richtete das Bundesamt am 10. März 2016 ein Wiederaufnahmeersuchen an Frankreich. Mit Schreiben vom 29. März 2016 akzeptierten die französischen Behörden die Bitte auf Rücknahme der Antragstellerin.
Mit Bescheid vom 2. August 2016, zugestellt am 5. August 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Frankreich an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen.
Die Antragstellerin erhob mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 9. August 2016, eingegangen am selben Tag, Klage gegen den Bescheid vom 2. August 2016 (M 3 K 16.50606) und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 2. August 2016 anzuordnen.
Die Überstellungsfrist dürfte bereits abgelaufen sein, da bereits am 2. Februar 2016 ein Eurodac-Treffer vorhanden gewesen sei, so dass ab diesem Zeitpunkt die Frist laufe. Spätestens laufe die Frist jedoch am 2. September 2016 ab.
Das Bundesamt legte mit Schriftsatz vom 9. August 2016 die Behördenakten vor und äußert sich nicht weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach dem gemäß § 77 AsylG zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 31.7.2016 (BGBl I S. 1939) ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31). Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Frankreich aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Frankreich hat das Übernahmeersuchen vom 10. März 2016 mit Schreiben vom 29. März 2016 akzeptiert. Da für die Antragstellerin ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 ermittelt wurde, ist Frankreich nach Art. 18 Abs. 1 lit.b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags der Antragstellerin. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Frankreich durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Frankreich ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend hiervon stehen der Rückführung der Antragstellerin nach Frankreich systemische Mängel des französischen Asylverfahrens und des dortigen Flüchtlingsaufnahmesystems i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht entgegen. Hierzu wird weder konkret vorgetragen noch sind systemische Mängel ersichtlich. In Bezug auf Frankreich ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass der Antragstellerin im Falle ihrer Rücküberstellung dort eine menschenunwürdige Behandlung droht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Frankreich über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss (vgl. VG München, U.v. 20.5.2016 – M 12 K 15.50772 – juris Rn. 32 m.w.N.).
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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