Europarecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  11 ZB 19.32867

Datum:
20.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21170
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Frage ob das am 25.4.2019 vom Parlament der Ukraine verabschiedete Gesetz zur Stärkung der ukrainischen Sprache, wodurch Beamte auf allen Ebenen sowie Lehrer, Ärzte oder Anwälte in Zukunft verpflichtet werden, Ukrainisch zu sprechen und andernfalls mit Geldstrafen belegt werden und außerdem die „öffentliche Demütigung oder Vernachlässigung“ der ukrainischen Sprache zu einer Straftat erklärt wird, für die Russisch sprechenden Kläger eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe darstellt und ob Russisch sprechende Menschen darauf verwiesen werden können, dass es nicht verboten ist, privat Russisch zu sprechen, ist nicht allgemein klärungsbedürftig. (Rn. 3 ff.) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 K 19.30098 2019-06-18 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da kein Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 AsylG hinreichend dargelegt ist.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Mai 2019, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer ferner Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 609 ff.).
Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob das am 25. April 2019 vom Parlament der Ukraine verabschiedete Gesetz zur Stärkung der ukrainischen Sprache, wodurch Beamte auf allen Ebenen sowie Lehrer, Ärzte oder Anwälte in Zukunft verpflichtet werden, Ukrainisch zu sprechen und andernfalls mit Geldstrafen belegt werden und außerdem die „öffentliche Demütigung oder Vernachlässigung“ der ukrainischen Sprache zu einer Straftat erklärt wird, für die Russisch sprechenden Kläger eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe darstellt und ob Russisch sprechende Menschen darauf verwiesen werden können, dass es nicht verboten ist, privat Russisch zu sprechen.
Zur Begründung geben sie an, es sei zu klären, inwiefern der sanktionsbewehrte Charakter des ukrainischen Sprachengesetzes eine Verfolgung i.S.v. § 3a AsylG darstelle, welche Bedeutung Sprache als identitätsprägendes Merkmal habe und ob auf ein Vermeidungsverhalten verwiesen werden könne. Dabei gehen sie davon aus, dass Russisch sprechende Personen eine soziale Gruppe i.S.d. § 3b AsylG darstellen, da nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hierin häufig eine mittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft angenommen werde. Es handle sich zwar bei der Diskriminierung wegen der Sprache nicht um ein explizit genanntes Verfolgungsmerkmal der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, sie sei aber ebenso zu behandeln wie eine Diskriminierung wegen der Religion.
Dabei kann offen bleiben, ob sich diese Frage dem Verwaltungsgericht überhaupt so gestellt hat, denn es hat nicht festgestellt, dass es sich bei der russisch-sprachigen Bevölkerung in der Ukraine um eine bestimmte soziale Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG handelt.
Jedenfalls haben die Kläger eine grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt, denn die Antragsbegründung setzt sich nicht ansatzweise mit den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärten rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung auseinander (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11.08 – NVwZ 2009, 1237 = juris Rn. 13 m.w.N.). Hier ist weder ersichtlich, welche Personen nach Ansicht der Kläger von der sozialen Gruppe der „Russisch sprechenden Personen“ umfasst sein sollen, noch welche konkreten Verfolgungshandlungen durch die Verabschiedung des neuen Sprachengesetzes drohen und welche asylerheblichen Merkmale betroffen sein sollen.
Die Bezugnahme der Kläger auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage der Diskriminierung wegen der Sprache genügt den Darlegungsanforderungen nicht, denn nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AsylG müssen die Mitglieder einer sozialen Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund gemein haben, der nicht verändert werden kann oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Darüber hinaus muss die Gruppe nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AsylG in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Dabei wird aus der Antragsbegründung schon nicht ersichtlich, ob die Kläger meinen, nur die Personen gehörten einer sozialen Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG an, die nur Russisch und überhaupt nicht Ukrainisch sprechen können. Hinsichtlich der zahlreichen ukrainischen Staatsangehörigen, die beide Sprachen sprechen – zu denen wohl auch der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 gehören, die beim Bundesamt als zweite Sprache Ukrainisch angegeben haben – wird nicht ausgeführt, weshalb diese von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden und sie deshalb eine deutlich abgegrenzte Identität haben sollen. Im Übrigen wird Russisch von fast allen Bewohnern der Ukraine zumindest grundlegend beherrscht und ist je nach Art der Schätzung und Fragestellung von 30 bis 50% der Bevölkerung die Muttersprache oder die bevorzugte Sprache (vgl. www…org/wiki/Russische_Sprache_in_der_Ukraine, abgerufen am 20.8.2019). Selbst wenn man daher davon ausgeht, dass die Kläger meinen, alle ukrainischen Staatsangehörigen die Russisch als Muttersprache oder bevorzugte Sprache sprechen, bildeten eine soziale Gruppe, hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, aus welchen Gründen ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung, einschließlich des derzeitigen Präsidenten, der ebenfalls als Muttersprache Russisch spricht, als soziale Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG anzusehen sein sollte. Der bloße Hinweis, die Verabschiedung des Sprachengesetzes impliziere das Vorhandensein einer solchen sozialen Gruppe, genügt dafür nicht.
Darüber hinaus setzt die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung eine „Verfolgungsdichte“ voraus, die die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 = juris Rn. 18). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, U.v. 5.7.1994 a.a.O.). Im Falle einer staatlichen Gruppenverfolgung sind zwar keine Vergleichsfälle bisher durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen zum Nachweis einer jedem Gruppenmitglied drohenden „Wiederholungsgefahr“ darzulegen, sondern es reicht aus, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht (BVerwG, U.v. 5.7.1994 a.a.O. juris Rn 20). Das kann z.B. der Fall sein, wenn festgestellt werden kann, dass der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten physisch vernichten und ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben möchte (BVerwG, U.v. 5.7.1994 a.a.O.). Eine solche Situation wird von den Klägern nicht dargelegt, sondern es wird nur für die Klägerinnen zu 3 und 4 eine Stigmatisierung befürchtet, da im Schulunterricht eine unmittelbar ausgrenzende Auswirkung auf Schüler behauptet wird, die als Muttersprache Russisch sprechen. Damit ist nicht dargelegt, dass es sich bei dem neuen Sprachengesetz um ein staatliches Verfolgungsprogramm handeln könnte, das auf Vernichtung oder Vertreibung der russischsprachigen Bevölkerung aus der Ukraine gerichtet ist.
Des Weiteren setzt die Annahme einer Gruppenverfolgung voraus, dass die festgestellten asylrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.1994 a.a.O. juris Rn. 21). Auch dazu enthält die Antragsbegründung keine hinreichenden Darlegungen. Die Kläger behaupten zwar in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und verschiedene gesetzliche Regelungen, dass eine Diskriminierung wegen der Sprache auch als Diskriminierung einer bestimmten ethnischen Volksgruppe angesehen werden kann. Dass das Sprachengesetz der Ukraine aber konkret darauf abzielt, nicht nur die ukrainische Sprache als Staatssprache zu fördern, sondern auch russische Volkszugehörige zu diskriminieren, hätte einer näheren Auseinandersetzung mit den einzelnen Regelungen und den diesbezüglichen Ausnahme- und Übergangsvorschriften bedurft. Aus dem von den Klägern genannten Bericht der Jamestown Foundation vom 16. Mai 2019 (abrufbar unter www…net) ergibt sich nicht, dass mit dem Sprachengesetz eine Verfolgung nicht ukrainisch-sprachiger Bürger verknüpft sein könnte. Die Sprachenfrage ist seit Jahren ein ständiges Konfliktthema in der ukrainischen Politik (vgl. www…de a.a.O.). Im Verlauf dieser Diskussionen hat z.B. das Verfassungsgericht der Ukraine am 28. Februar 2018 das im Jahr 2012 verabschiedete Sprachengesetz als verfassungswidrig und damit für ungültig erklärt (vgl. www…de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen197.pdf). Die Kläger hätten sich daher auch damit auseinandersetzen müssen, ob das am 25. April 2019 verabschiedete Sprachengesetz nicht nur eine den Klägern missliebige politische Entscheidung in einem schon seit Jahren kontrovers diskutierten Themenbereich ist, sondern tatsächlich eine flüchtlingsrelevante Verfolgung der russischsprachigen Bevölkerungsteile bezweckt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben