Aktenzeichen M 9 K 17.50068
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 2
Leitsatz
1 Der Asylbewerber kann sich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihm gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf der Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO berufen kann. Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Antragstellung iSd Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO ist nicht erst mit der förmlichen Antragstellung beim Bundesamt gegeben, sondern bereits mit dem dortigen Eingang der BüMA. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da alle Beteiligten – der Kläger durch Erklärung seiner Bevollmächtigten vom 2. August 2017, die Beklagte durch allgemeine Prozesserklärung – auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Zuständigkeit für die Prüfung des klägerischen Asylantrags ist nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen (1.). Der Kläger kann sich auf den Ablauf der Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auch berufen (2.).
1. Wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Entscheidung vom 26. Juli 2017, Az. C-670/16 – dort: für Aufnahmegesuche nach Art. 21 Dublin III-VO, was aber analog auf Wiederaufnahmegesuche anwendbar ist, da beide Verfahren im selben Kapitel der Dublin III-VO geregelt und die Problemlagen, v.a. die Auslegung des Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO, identisch sind – klargestellt hat, läuft die 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bereits mit Eingang der BÜMA beim Bundesamt an. Dies ergebe sich daraus, dass eine Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO nicht erst mit der förmlichen Antragstellung beim Bundesamt gegeben sei, sondern bereits mit dem dortigen Eingang der BÜMA (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – Celex-Nr. 62016CJ0670 Rn. 75ff., insb. Rn. 97 und Rn. 103). Das Gericht schließt sich dieser Rechtsansicht an. Damit gilt Folgendes: Vorliegend ging die BÜMA dem Bundesamt am 23. November 2015 zu (Bl. 68 d. BA), die 3-Monats-Frist lief damit am 24. November 2015 an und endete am 23. Februar 2016. Das Wiederaufnahmegesuch wurde erst unter dem 8. August 2016 und damit verspätet gestellt. Der EuGH ist damit auch dem rechtlichen Standpunkt, wonach die mit einer Eurodac-Treffermeldung anlaufende 2-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO spezieller sei als die „auf andere Beweismittel“ abstellende 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO, nicht gefolgt. Die 2-Monats-Frist findet demnach nur alternativ Anwendung, verlängert aber nicht den 3-Monats-Zeitraum, der auf den Eingang der BÜMA beim Bundesamt folgt (zum Ganzen EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – Celex-Nr. 62016CJ0670 Rn. 63ff., insb. Rn. 74). Der Fristablauf begründet gem. Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylbegehrens auf die Beklagte. Der Asylantrag ist damit nicht (mehr) nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig.
2. Mit dieser objektiven Rechtswidrigkeit geht auch eine subjektive Rechtsverletzung des Klägers einher und zwar unabhängig davon, ob der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat seine Aufnahmebereitschaft positiv erklärt hat oder nicht (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – Celex-Nr. 62016CJ0670 Rn. 41ff., insb. Rn. 62). Art. 27 Abs. 1 der Dublin III-VO ist dahin auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf einer in Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO genannten Frist berufen kann. Das Bundesamt ist in der Folge kraft Gesetzes, § 31 Abs. 2 AsylG, verpflichtet, das Asylverfahren des Klägers fortzuführen und eine Sachentscheidung zu treffen (BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris).
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.