Europarecht

Erfüllungsübernahme, unbillige Härte, unbekannter Aufenthalt des Schädigers in EU-Mitgliedstaat, Nachweis der Vollstreckungsversuche

Aktenzeichen  3 B 21.292

Datum:
16.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3146
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 2 K 20.3 2020-09-10 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. September 2020 wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. 
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Der Bescheid des Landesamtes vom 5. Dezember 2018 und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2019 sind im Ergebnis rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag auf Erfüllungsübernahme vom 15. Mai 2018 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
Nach Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG kann der Dienstherr, wenn der Beamte wegen eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs, den er u.a. in Ausübung des Dienstes erleidet, einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten hat, auf Antrag die Erfüllung dieses Anspruchs bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrags übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist.
Mangels erfolglosen Vollstreckungsversuchs des Klägers gegenüber seinem in der Slowakei lebenden Schädiger fehlt es an dem Vorliegen einer „unbilligen Härte“ im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 BayBG. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,- Euro erfolglos geblieben ist. Der Senat hat bereits entschieden, dass hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer unbilligen Härte als Ausnahmeregelung grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen sind (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2020 – 3 ZB 20.190 – juris Rn. 5 ff.). Die Uneinbringbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs ist unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Gesetzesmaterialien für das Vorliegen einer unbilligen Härte zwingend erforderlich (Nichtvollstreckbarkeit als „Pflichtvoraussetzung“: Buchard in Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern, Stand 1.4.2019, Art. 97 Rn. 28.1). „Nur soweit die Uneinbringbarkeit des Anspruchs wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers zu einer unbilligen Härte führt, eröffnet Art. 97 BayBG aus Fürsorgegründen die Möglichkeit, bei uneinbringlichen, rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldansprüchen eine entsprechende Übernahme der Erfüllung bei ihrem Dienstherrn zu beantragen“ (LT-Drs. 17/2871 S. 45). Damit setzt die Annahme einer unbilligen Härte voraus, dass sich der Schädiger als nicht zahlungsfähig erwiesen hat (Conrad in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2021, Art. 97 Rn. 8). Gestützt wird dies durch den Regelungszusammenhang mit Blick auf Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG, wonach die Übernahme der Erfüllung innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen ist. Der Zweck der eigenen Vollstreckungsversuche des Beamten liegt darin, gegenüber dem Dienstherrn die Uneinbringbarkeit des Anspruchs wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers nachzuweisen. Daher kann ohne Vollstreckungsversuch nicht ohne Weiteres vom Vorliegen einer unbilligen Härte ausgegangen werden. Denn vorrangig hat der Beamte selbst alles ihm rechtlich und tatsächlich Mögliche zu tun, um seinen Anspruch durchzusetzen. Auf die Kosten und Erfolgsaussichten hierfür kommt es nicht an. Scheut er das Kostenrisiko, das er im Wege der Erfüllungsübernahme nicht auf den Dienstherrn abwälzen kann, verzichtet er freiwillig auf die Erfüllung seines Schmerzensgeldanspruchs (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2020 a.a.O. Rn. 10).
Der Kläger hat keine im Sinne des Art. 97 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BayBG tauglichen Vollstreckungsversuche nachgewiesen. Als Nachweis für die Uneinbringbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs wegen der Vermögenslosigkeit des Schädigers genügen weder die Melderegisterauskunft vom 28. Februar 2018 über dessen Wegzug in die Slowakei, noch die bloße Behauptung seines Rechtsanwalts (Schr. v. 25.8.2016), wonach K. (neben seinem damaligen Engagement als Amateurfußballer) einen 450-Euro-Nebenjob angenommen und in der Slowakei nur „wenig Verdienstmöglichkeiten“ habe. Daraus lassen sich keine Nachweise dafür entnehmen, dass der heute Mitte zwanzigjährige, gesunde junge Mann finanziell nicht in der Lage (gewesen) wäre, die Schmerzensgeldforderung zumindest ratenweise zu begleichen. Auch der Antrag des Bevollmächtigten vom 18. September 2018 an das zuständige Amtsgericht auf (erneute, diesmal) öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils mit Vollstreckungsklausel, stellt keinen tauglichen Nachweis eines Vollstreckungsversuchs dar. Denn die Zustellung des Titels ist förmliche Voraussetzung der Zwangsvollstreckung (§ 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und dient nur zu deren Vorbereitung, nicht zu deren Durchführung.
Ist der Schuldner unbekannten Aufenthalts, so muss der Beamte die ihm zumutbaren Eigenbemühungen zur Aufenthaltsbestimmung nachweisen (z.B. durch den Nachweis einer erfolglosen Fahndung der Strafverfolgungsbehörden, vgl. BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 3 BV 20.2837 – juris Rn. 18). Bei einem unbekannten Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union sind an den Nachweis zumutbarer Eigenbemühungen strengere Maßstäbe anzulegen als bei Drittländern. Denn die Vollstreckung gerichtlicher Titel innerhalb der Europäischen Union wurde durch die im Jahre 2015 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1 – sog. Brüssel-Ia-Verordnung) erheblich erleichtert. Gläubiger können sich seitdem im Vollstreckungsstaat unmittelbar an die zuständigen Vollstreckungsorgane wenden und die Vollstreckung zügig in die Wege leiten (vgl. Alio, NJW 2014, 2395). Zudem ist die Verordnung (EU) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. 2004, L 143, S. 15) bei einem hier vorliegenden Versäumnisurteil grundsätzlich anwendbar (EuGH, U.v. 15.3.2012 – C-292/10 – juris Rn. 62).
Nach den Umständen des hier zu entscheidenden Einzelfalls hat der Kläger nicht das ihm Mögliche getan, um die Uneinbringbarkeit des Anspruchs wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers nachzuweisen. Bereits der zuständige Amtsrichter teilte dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom 22. November 2018 mit, dass zwar grundsätzlich gegen einen Schuldner unbekannten Aufenthalts nicht vollstreckt werden könne, jedoch weitere Nachforschungen erforderlich wären, z.B. eine Anfrage beim Ausländerzentralregister, eine Anfrage bei ehemaligen Kontaktpersonen wie Vermieter, Arbeitgeber usw., Anfrage bei der Post (aktuelle/ausgelaufene Nachsendeanträge) oder eine Internetrecherche. Zugleich verwies er auf eine beigefügte Kopie der Auskunft des Einwohnermeldeamtes „mit Angabe einer Anschrift in der Slowakei“. In der mündlichen Verhandlung konnte der Kläger weder Angaben über den Verbleib dieser Kopie noch über weitere Bemühungen zur Aufenthaltsermittlung des Schädigers machen, die aufgrund der hier wohl konkret vorliegenden Adresse in der Slowakei nahegelegen hätten.
Ihm wäre es darüber hinaus durchaus zumutbar gewesen, durch die Beauftragung einer in der Slowakei niedergelassenen Rechtsanwaltskanzlei weitergehende Versuche zu unternehmen, die zustellungsfähige Anschrift des Schädigers zu ermitteln. Bloß allgemeine Informationen und Mutmaßungen über die angeblich beschränkte Zugangsmöglichkeit von deutschen Gläubigern zum slowakischen Melderegister und dessen Unzuverlässigkeit sind als Nachweis eines konkret auf den jeweiligen Schädiger bezogenen erfolglosen Vollstreckungsversuch nicht geeignet. Vor diesem Hintergrund ist auch der ohnehin gescheiterte Versuch, im Wege eines grenzüberschreitenden gewerkschaftsinternen Auskunftsersuchens an eine „Schwestergewerkschaft“ in der Slowakei nähere Informationen über den dortigen Ablauf des Melderegisterauskunfts- und Zwangsvollstreckungsverfahren zu erhalten (vgl. Schr. v. 1.7.2021), unbehelflich. Dadurch, dass der Kläger seine zumutbaren Eigenbemühungen zur Aufenthaltsermittlung des Schädigers nicht ausgeschöpft hat, kann er sich nicht darauf berufen, er könne auf das unionsrechtliche Vollstreckungsregime der Verordnung (EU) Nr. 805/2004 deshalb nicht zurückgreifen, weil die Adresse des ins Ausland verzogenen Schuldner nicht bekannt sei.
Internet-Suchmaschinen werfen zudem zahlreiche entsprechende Treffer hinsichtlich des in sozialen Netzwerken (wie z.B. Facebook, Instagram und Twitter) präsenten Schädigers aus. Aus diesen ergeben sich auch belastbare Anhaltspunkte dafür, dass dieser derzeit bei einem slowakischen Drittligaverein Fußball spielen dürfte. Dem Kläger war auch bekannt, bei wem der Schädiger in seiner Zeit als Amateurfußballer in Deutschland lebte, von wem er gemanagt und rechtlich beraten und vertreten wurde (Schr. des Bev. v. 29.7.2021, S. 2). Auch in diesem Zusammenhang hätten sich erfolgversprechende Ansätze für weitere Aufenthaltsermittlungen ergeben können.
Nach alledem teilt der Senat nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es sei nicht erkennbar, wie der Kläger eine Aufenthaltsermittlung des Schädigers in der Slowakei ohne jegliche Anhaltspunkte zu dessen Verbleib in zumutbarer Weise hätte bewerkstelligen können. Die Melderegisterauskunft allein führt nicht zu dem Schluss, weitere Vollstreckungsmaßnahmen seien von vornherein aussichtslos und damit als rein formalistisch zu bewerten.
Von den Vollstreckungsversuchen wird der Beamte ferner nicht dadurch befreit, dass der Dienstherr selbst hinsichtlich der auf ihn gemäß Art. 14 Satz 1 BayBG übergegangenen gesetzlichen Schadensersatzansprüche keine weitergehenden Versuche unternommen hat, die zustellungsfähige Anschrift des Schädigers in der Slowakei zu ermitteln. Eine entsprechende Annahme würde regelmäßig zur Umkehrung des gesetzgeberisch intendierten Subsidiaritätsgedankens führen, wonach die Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs auf Grund seiner höchstpersönlichen Natur und Genugtuungsfunktion grundsätzlich dem Beamten vorbehalten bleiben muss (LT-Drs. 17/2871, S. 45). Zudem obliegt dem Dienstherrn unter Beachtung des Gebots der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung ein Entscheidungsspielraum, inwieweit er den übergegangenen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des geschädigten Beamten weiterverfolgt. Hierbei gilt es auch zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf die Subrogationsklausel des Art. 14 Satz 3 BayBG die Ansprüche des Verletzten (hier auf Schmerzensgeld) Vorrang vor den übergegangenen Ansprüchen des Dienstherrn haben, wenn das Vermögen des Schädigers nicht ausreichen sollte. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann vom Dienstherrn ein grundsätzlich vorrangiges vollstreckungsrechtliches Tätigwerden nicht abverlangt werden.
Der Senat vermag auch den erstinstanzlich gezogenen Schluss nicht nachzuvollziehen, wonach auch nach Auffassung des Dienstherrn eine unbillige Härte nicht ausgeschlossen sei, nur weil er ein über den in Art. 97 Abs. 2 BayBG genannten (Mindest-) Betrag liegendes Schmerzensgeld (zwischen 255,65 Euro und 818,07 Euro) als angemessen betrachtet habe. Denn das Vorliegen einer unbilligen Härte erfordert nicht nur das Erreichen des Mindestbetrags von 500,- Euro, sondern auch den erfolglosen Versuch der Vollstreckung der Forderung.
Schließlich beanstandet der Kläger, dass das Landesamt in der Umsetzung des neuen Gesetzes mehrere Monate untätig geblieben sei und ihm nicht mitgeteilt habe, was er in der Angelegenheit unternehmen und nachweisen müsse. In Bezug auf die Fürsorgepflicht (§ 45 BeamtStG) ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur B.v. 28.1.2016 – 2 B 13.15 – juris Rn. 7) jedoch anerkannt, dass aus ihr für den Dienstherrn keine allgemeine Pflicht zur Belehrung des Beamten über sämtliche für seine Rechtsstellung bedeutsamen Vorschriften abgeleitet werden kann. Laut Aktenvermerk teilte die zuständige Sachbearbeiterin dem Kläger zudem telefonisch am 21. November 2018 auf Rückfrage mit, dass die Angabe „unbekannt ins Ausland verzogen“ für einen Vollstreckungsnachweis nicht ausreiche. Dass damit weitere Nachweise zu dessen Aufenthaltsermittlung angezeigt waren, ist offensichtlich. Sowohl der angefochtene Bescheid (S. 2) als auch der Widerspruchsbescheid (S. 3) enthalten Ausführungen zu den Anforderungen eines entsprechenden Nachweises. Dabei wurde deutlich gemacht, dass der Einwand, der Schuldner sei in die Slowakei verzogen, nicht ausreiche, sondern der Beamte zumutbare Eigenbemühungen zur Aufenthaltsbestimmung nachweisen müsse, etwa die Ausschöpfung der nach § 755 ZPO zur Verfügung stehenden und im Einzelfall in Frage kommenden Möglichkeiten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht zuzulassen.


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