Europarecht

Erlöschen einer Niederlasssungserlaubnis

Aktenzeichen  AN 11 K 18.01701

Datum:
31.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8595
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7
AufenthG § 51 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I. Die Klage ist zulässig als Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2018 erhoben worden. Der Kläger begehrt die Aufhebung der in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Feststellung des Erlöschens seiner Niederlassungserlaubnis, so dass die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 ZB 14.345 – juris Rn. 6). Ob in dem voll umfänglich gestellten Anfechtungsantrag, der auch das in Ziffer IV des Bescheids im Falle einer Abschiebung des Klägers auf drei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbots umfasst, als „Minus“ ein Verpflichtungsbegehren auf Verkürzung der Frist enthalten ist (vgl. im Falle einer Ausweisung: BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28/16 – juris Rn. 15, BVerwGE 159, 270), kann dahin stehen, da die Länge der Frist ermessensfehlerfrei festgesetzt wurde (s. unten, II. 2.).
II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 11. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die in Ziffer I des Bescheids verfügte Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers spätestens zum 28. Juni 2012 erloschen ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG liegen vor. Danach erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Diese Vorschrift ist dazu bestimmt, Rechtsklarheit hinsichtlich der Fortgeltung eines Aufenthaltstitels und damit auch des Status eines Ausländers zu schaffen, welcher das Bundesgebiet auf unabsehbare Zeit verlässt (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2012 – 1 C 1/11 – juris Rn. 9 unter Verweis auf BT-Drs. 11/6321 S. 71). Die Regelung bezweckt eine effektive Steuerung der Migration, indem sie der zeitlich unbegrenzten Möglichkeit des Inhabers des Aufenthaltstitels, in das Bundesgebiet einzureisen, obwohl ein Integrationszusammenhang nicht mehr besteht, entgegenwirkt (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.1.2022, AufenthG, § 51 Rn. 28 m.w.N.). Dem Kläger war eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden, die einen Aufenthaltstitel nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 9 AufenthG darstellt. Der Kläger ist laut Ausreisestempel in seinem irakischen Reisepass am 28. Juni 2012 aus dem Bundesgebiet ausgereist. Diese Ausreise erfolgte ohne staatlichen Zwang, so dass diese unter § 50 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG fällt (vgl. Protz in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.1.2022, AufenthG, § 51 Rn. 9). Der Kläger ist entweder in den Irak gereist, um sich um seine schwangere Frau zu kümmern oder um Dienst bei der Peschmerga zu leisten. Wieder in das Bundesgebiet eingereist ist der Kläger nach dem Einreisestempel am 12. Januar 2017. Damit hielt sich der Kläger – unstrittig – für etwa viereinhalb Jahre im Irak auf. Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass der Kläger damit nicht nur vorübergehend gemäß § 51 Abs. 1 Nr.6 AufenthG ausgereist ist. Eine Ausreise ist nicht lediglich vorübergehend, wenn deren Zweck einen mehr als vorübergehenden Auslandsaufenthalt erfordert und nicht auf einen überschaubaren Zeitraum bezogen, sondern langfristig und zeitlich völlig unbestimmt, also auf unabsehbare Zeit ausgerichtet ist (vgl. BVerwG, B.v. 30.12.1988 – 1 B 135.88 – BeckRS 1988, 31277091). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles und nicht allein nach dem inneren Willen des Ausländers und dessen etwaiger Planungen hinsichtlich einer späteren Rückkehr (stRspr, vgl. BVerwG, B. v. 28.4.1982 – 1 B 148/81 – NVwZ 1982, 683; BVerwG, U.v. 11.12.2012 – 1 C 15/11 – NvWZ 2013, 338). In die Beurteilung mit einzubeziehen sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts, wobei sich die abstrakte Bestimmung einer festen Zeitspanne, bei deren Überschreiten stets von einem nicht mehr vorübergehenden Grund auszugehen wäre, verbietet (vgl. VG München, U.v. 10.4.2019 – M 9 K 18.6091 – BeckRS 2019, 7049). Insofern ist jedoch die Wertung der Sechsmonatsfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG zu beachten (vgl. BayVGH, B. v. 23.1.2017 – 10 CE 16.1398 – BeckRS 2017, 100995). Nachdem der Kläger sich – unabhängig vom tatsächlichen ursprünglichen Ausreisezweck – etwa viereinhalb Jahre im Irak aufhielt, was ein Vielfaches der Sechs-Monatsfrist beträgt, liegt darin ein nicht vorübergehender Aufenthalt. Dies umso mehr, als der Kläger bei seiner Ausreise augenscheinlich keine Vorkehrungen getroffen hatte, dass ihn Post im Bundesgebiet erreicht, da ein Brief der Beklagten im Juli 2012, also kurz nach seiner Ausreise, schon nicht mehr zugestellt werden konnte. Dass der Kläger vorhatte, zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder in das Bundesgebiet einzureisen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein Ende seines Auslandsaufenthalts war im Zeitpunkt der Ausreise nicht bestimmt und auch nicht absehbar. Damit sind die Erlöschensvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers am 28. Juni 2012 gegeben. Den Ausführungen des früheren Klägerbevollmächtigten, dass der Kläger aufgrund des zeitlich befristeten Militärdiensts ausgereist ist und daher § 51 Abs. 6 AufenthG mangels nicht vorübergehenden Grundes nicht einschlägig ist, ist nicht zu folgen. Denn der Einsatz des Klägers bei der Peschmerga – nicht beim irakischen Militär – war nicht ersichtlich befristet, sondern zeitlich völlig unbestimmt.
Zusätzlich liegen auch die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG vor. Danach erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten (…) wieder eingereist ist. Der Regelungszweck des Erlöschenstatbestandes in § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist es, die Aufenthaltstitel in den Fällen zum Erlöschen zu bringen, in denen das Verhalten des Ausländers typischerweise den Schluss rechtfertigt, dass er von seinem Aufenthaltsrecht keinen Gebrauch mehr machen will (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2012 – BVerwG 1 C 1/11 – juris Rn. 9). Der Kläger ist unstreitig erst nach ungefähr viereinhalb Jahren wieder in das Bundesgebiet eingereist, so dass die maßgebliche Sechsmonatsfrist bei Weitem überschritten ist. § 51 Abs. 10 AufenthG, wonach eine Zwölfmonatsfrist zu beachten ist, ist zum einen mangels Vollendung des 60. Lebensjahrs durch den Kläger nicht einschlägig. Zum anderen wäre auch diese Frist überschritten. Das Erlöschen nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG tritt nicht schon mit der Ausreise, sondern erst mit dem Ablauf der Sechsmonatsfrist ein (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, AufenthG, § 51 Rn. 39.). Damit wäre die Niederlassungserlaubnis des Klägers am 28. Dezember 2012 erloschen.
b) Auf die Ausnahmevorschrift nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach eine Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht erlöscht, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist und kein näher bestimmtes Ausweisungsinteresse vorliegt, kann sich der Kläger nicht berufen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit der des Eintritts des Erlöschens (vgl. BVerwG, U. v. 23.3.2017 – 1 C 14/16 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 25.7.2019 – 19 ZB 17.1149 – juris Rn. 13; vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, AufenthG, § 51 Rn. 63 f. m.w.N.). Zwar ist mangels konkreter anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass sich der Kläger vor seiner Ausreise im Juni 2012 seit Oktober 1996 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten hat, so dass die maßgebliche 15-jährige Zeitspanne seines Aufenthalts in Deutschland erreicht war. Jedoch ist schon fraglich, ob der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 2 AufenthG im Falle des Klägers eröffnet ist. Denn diese Norm privilegiert langjährig sozial und wirtschaftlich integrierte Ausländer, hinsichtlich derer die Erwartung gerechtfertigt erscheint, dass der gefestigte Integrationszusammenhang auch durch längere Auslandsaufenthalte nicht gefährdet wird und deren Rückkehr keine Wiedereingliederungsschwierigkeiten verursacht (vgl. BayVGH, B.v. 25.8.2021 – 10 ZB 21.1582 – BeckRS 2021, 26075). Der Kläger hielt sich nach seinem eigenen Vortrag zwischen 2004 und 2010, damit sechs Jahre, zwar im Bundesgebiet, aber als „Landstreicher“ auf. Er sei obdachlos und spielsüchtig gewesen. Insofern kann der von § 51 Abs. 2 AufenthG wohl vorausgesetzte gefestigte Integrationszusammenhang durchaus in Frage gestellt werden. Dieser Aspekt kann jedoch dahinstehen, da es an der normierten Tatbestandsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts fehlt. Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln bestreiten kann. Von Februar 2010 bis zu seiner Ausreise im Juni 2012, also mehr als eineinhalb Jahre, stand der Kläger unstreitig im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Diese Leistungen sind nicht vom Katalog des § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erfasst, so dass im Zeitpunkt der Ausreise als der Zeitpunkt des Erlöschens nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert war. Die Beklagte ist damit zu Recht davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt der Ausreise keine positive Prognose hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts bei einer – zum damaligen Zeitpunkt hypothetischen – Rückkehr des Klägers ins Bundesgebiet getroffen werden konnte. Denn je unsicherer der Zeitpunkt der Wiedereinreise ist, umso schwieriger ist es, eine positive Prognose zu stellen, es sei denn, der Betreffende verfügt über feste wiederkehrende Einkünfte, etwa in Gestalt einer Altersrente, oder über ein ausreichendes, auch im Bestand gesichertes Vermögen (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017 – 1 C 14/16 – juris Rn. 16). Ob der Kläger zu einem anderen Zeitpunkt seinen Lebensunterhalt sichern konnte oder ob er ihn aktuell sichern kann, ist nicht entscheidungserheblich. Ein „Wiederaufleben“ einer erloschenen Niederlassungserlaubnis ist nicht gesetzlich beabsichtigt (vgl. BayVGH, B. v. 25.7.2019 – 19 ZB 17.1149 – juris Rn. 13). Nichts anderes gilt bei einem Erlöschen der Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG zum 28. Dezember 2012.
Die in Ziffer I des Bescheids getroffene Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers spätestens zum 28. Juni 2012 erloschen ist, findet daher ihre Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG und ist rechtmäßig. Ein früherer Erlöschenszeitpunkt als der 28. Juni 2012 wurde nicht festgestellt.
2. Die im Bescheid verfügten Annexentscheidungen in Ziffern II, III und IV erweisen sich ebenso als rechtmäßig. Die Ausreiseaufforderung erging zu Recht, da der Kläger auf Grundlage von § 50 Abs. 1 AufenthG mangels Aufenthaltstitels – seine Niederlassungserlaubnis ist erloschen, s. oben – ausreisepflichtig ist. Die Abschiebungsandrohung ist auf §§ 58 Abs. 1, Abs. 2, 59 Abs. 1 AufenthG zu stützen. Das für den Fall seiner Abschiebung auf drei Jahre festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach erfolgter Abschiebung findet seine Rechtsgrundlage in § 11 AufenthG. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden, sodass diese Entscheidung keiner uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt, sondern – soweit wie hier keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt – eine zu lange Frist lediglich aufgehoben und die Ausländerbehörde zu einer neuen Ermessensentscheidung verpflichtet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – Rn. 54 ff.). Nach diesen Maßstäben ist die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Frist nicht zu lang und daher rechtmäßig. Die Beklagte war sich des ihr eingeräumten Ermessens bewusst und hat dieses ermessensfehlerfrei ausgeübt. Mittlerweile sind die Asylverfahren der Frau und der Kinder des Klägers rechtskräftig negativ abgeschlossen, so dass auch im Hinblick auf Art. 6 GG keine kürzere Frist festzusetzen ist.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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