Europarecht

Fahrzeug, Kaufpreis, Berufung, Sittenwidrigkeit, Annahmeverzug, Staatsanwaltschaft, Verfahren, Gebrauchtwagen, Verwendung, Software, Stellungnahme, Gutachten, Kilometerstand, Kenntnis, Vermeidung von Wiederholungen, unrichtige Angaben, Co KG

Aktenzeichen  27 U 2394/21

Datum:
9.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54108
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

25 O 3754/20 2021-03-10 LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 10.03.2021, Aktenzeichen 025 O 3754/20, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14.5.2021, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 45.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen angeblicher Abgasmanipulationen.
Der Kläger erwarb am 12.11.2019 bei der D. GmbH & Co. KG, …, … N., einen Gebrauchtwagen vom Typ BMW M550d xDrive (Fahrzeugidentifikationsnummer: …92), 280 kW/381 PS, zu einem Kaufpreis von 40.980,00 € brutto. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und des in ihm verbauten Dieselmotors des Typs N57. Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das am 5.9.2016 erstmals zugelassene Fahrzeug wies beim Erwerb einen Kilometerstand von 93.990 km auf.
Bei dem streitgegenständlichen Motor wird zur Reduzierung der Stickoxidemissionen ein Teil der beim Verbrennungsvorgang entstehenden Gase zurück in das Ansaugsystem des Motors geleitet, wo diese erneut an der Verbrennung teilnehmen. Die Abgasrückführung wird hierbei unter Berücksichtigung diverser Rahmenbedingungen, u. a. der Temperatur, gesteuert.
Das Fahrzeug unterlag wegen einer Fehlbedatung der Abgasnachbehandlung im Jahr 2018 einem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA).
Im Übrigen wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf das Ersturteil des Landgerichts Augsburg vom 10.3.2021 Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826 i.V. m. 31 BGB oder §§ 826 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB zustehe. Bei der klägerischen Behauptung, in seinem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, handele es such um eine Behauptung ins Blaue hinein.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger, der sein erstinstanzliches Begehren mit seiner Berufung weiterverfolgt.
In der Berufungsinstanz beantragt der Kläger (Bl. 226 d. A.):
das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 10.3.2021 – 025 O 3754/20 – abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 41.478,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen (hilfsweise: nach) Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs BMW M550d mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …92 nebst Fahrzeugschlüssel nebst Fahrzeugschlüssel unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in EUR pro mit diesem Fahrzeug gefahrenem Kilometer, welche sich nach folgender Formel berechnet: 40.980,00 EUR multipliziert mit der Summe der ab Kilometerstand 101.001 bis zur Rückgabe an die Beklagte gefahrenen Kilometern geteilt durch 656.010 (750.000 – 93.990) km;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüssel in Annahmeverzug befindet;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte das unter Ziffer 1 genannte Fahrzeug dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge (hilfsweise: der Stickoxide) im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr, zu ersetzen.
Zur Begründung seines Rechtsmittels führt der Kläger im Wesentlichen aus,
das Erstgericht habe fehlerhaft einen Anspruch aus § 826 BGB verneint. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts habe der Kläger hinreichend substantiiert zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 826 BGB vorgetragen. Bei einer Gesamtbetrachtung aller vorgetragenen Umstände, insbesondere der Höhe der Grenzwertüberschreitungen im Realbetrieb, habe der Kläger bezüglich des von einem KBA-Rückruf betroffenen Fahrzeugs nicht ins Blaue hinein zu den Abschalteinrichtungen vorgetragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 21.4.2021 (Bl. 225/359 d.A.) Bezug genommen. Zudem wird auf die ergänzende Stellungnahme vom 15.10.2021 (Bl. 446 ff. d. A.) Bezug genommen. 27 U 2394/21 – Seite 4 – Die Beklagte stellt den Antrag (Bl. 367 d. A.),
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Ausführungen im Ersturteil seien zutreffend. Die Abgasbehandlung des Fahrzeugs unterscheide nicht zwischen einer Prüfstandsituation und anderen Bedingungen. Die temperaturgesteuerte Abgasrückführung sei zulässig. Jedenfalls begründe die Verwendung des „Thermofensters“ für sich noch keine Sittenwidrigkeit. Der Rückruf betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug beruhe auf einer versehentlichen Verwendung von falschen Daten für den NOx-Speicherkatalysator. Abweichende Emissionen im Realbetrieb stellten kein Indiz für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtugen dar.
Wegen des weiteren Vortrags der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungserwiderung vom 30.7.2021 (Bl. 367 ff. d. A.) Bezug genommen.
II.
1. Das Urteil des Landgerichts Augsburg entspricht der Sach- und Rechtslage.
Der Senat bleibt bei seiner im Hinweis vom 17.8.2021 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird.
Die Stellungnahme des Klägers vom 15.10.2021 weist keine weiteren, nicht bereits im Senatshinweis behandelten tatsächlichen oder rechtlichen Aspekte auf.
Im Einzelnen ist hierzu noch Folgendes auszuführen:
(1) Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme behauptet, es sei unstreitig, dass die im streitgegenständlichen Motor verwendete Software prüfstanderkennend sei und bei Vorliegen des Prüfstands einen geringeren Stickoxidausstoß als im Realbetrieb bewirke, geht dies fehl. Die vom Kläger vorgetragene temperaturbedingte Abgasrückführung ist jedenfalls nicht exakt prüfstanderkennend:
Wie der Kläger selbst vorgetragen hat, beträgt die Umgebungstemperatur bei der NEFZ-Prüfung zwischen 20° C und 30° C. Die temperaturbedingte Abgasrückführung weist nach dem eigenen klägerischen Vortrag eine 100%-ige Abgasrückführung nur im Temperaturbereich zwischen 17° C und 33° C, hilfsweise zwischen 15° C und 35,5° C auf. Damit liegt eine Abschalteinrichtung, die „exakt“ auf die NEFZ-Prüfbedingungen abgestimmt ist, ersichtlich nicht vor (vgl. hierzu auch Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 286/20). Eine Vergleichbarkeit mit der „EA189-Konstellation“ ist damit nicht gegeben.
Wie bereits im Senatshinweis vom 17.8.2021 dargelegt, fehlt es hinsichtlich der im Fahrzeug installierten temperaturgesteuerten Abgasrückführung sowohl an der Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit als auch des Schädigungsvorsatzes.
Es fehlt substantiierter Sachvortrag, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
Soweit der Kläger auf S. 3 f. erneut zur fehlenden Offenlegung von Informationen gegenüber dem KBA ausführt, hilft dies nicht weiter. Der Vortrag ist schon nicht geeignet, das Bewusstsein der Beklagten über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu begründen (vgl. hierzu auch Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 286/20).
Selbst wenn die Beklagte erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen. Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, vermag der Senat nach einer Gesamtwürdigung nicht zu erkennen (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 286/20). Auf die weiterhin zutreffenden Ausführungen auf S. 5 ff. des Senatshinweises wird Bezug genommen.
Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) lässt sich insbesondere entgegen dem klägerischen Vortrag nicht daraus ableiten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Strategieentscheidung mit einem temperaturbedingten Abgasrückführung ausgestattet ist. Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form der temperaturbedingten Abgasrückführung kann noch nicht auf einen Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer geschlossen werden.
Vorliegend hat der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands/des verfassungsmäßigen Vertreters der Beklagten von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage – hinsichtlich der in den Fahrzeugen der Beklagten verbauten temperaturabhängigen Abgasrückführung fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstmaßnahmen – ist auch nicht dargetan, dass sich den für die Beklagten tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 16.9.2021, VII ZR 286/20).
(2) Soweit der Kläger weitere Abschalteinrichtungen behauptet, wurden Anhaltspunkte für eine spezifisch an die Prüfstandsituation anknüpfende Abschaltung der Abgasreinigung nicht substantiiert dargetan. Der klägerische Vortrag enthält – über die pauschale Behauptung hinaus – bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände keine greifbaren Anhaltspunkte für die Verwendung der von ihm behaupteten weiteren Steuerungsstrategien im streitgegenständlichen Fahrzeug. Auf die zutreffenden Ausführungen im Senatshinweis wird Bezug genommen.
Die klägerischen Behauptungen sind damit unbeachtlich. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass die Beklagte hierzu bereits erstinstanzlich – und auch wiederholend in der Berufungserwiderung – vorgetragen hat, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung verbaut ist.
a. Soweit der Kläger auf S. 2 unten seiner Stellungnahme „hinsichtlich diverser Einzelheiten“ „auf ein Privatgutachten“ verweist, bleibt schon unklar welche Einzelheiten/welches Privatgutachten gemeint sind und welcher Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug besteht. Dies stellt keinen substantiierten Parteivortrag dar.
b. Soweit der Kläger erneut zu Messergebnissen der DUH und anderen Organisationen ausführt, stellt der Senat wiederholend klar, dass der Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die nach damaliger Rechtslage (Euro-6-Norm, Erstzulassung 5.9.2016) zur Erlangung der Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße, nicht genügt (vgl. Urteil des BGH vom 13.7.2021, VI ZR 128/20). Auf die Ausführungen im Senatshinweis wird Bezug genommen.
c. Soweit der Kläger erneut zur Umstellung auf das WLTP-Prüfungsverfahren ausführt, wird auf S. 13 des Senatshinweises Bezug genommen.
d. Soweit der Kläger auf S. 3 erneut zu dem KBA-Rückruf aus dem Jahr 2018 vorträgt, hilft dies nicht weiter. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen auf S. 12 des Senatshinweises Bezug genommen.
e. Soweit der Kläger auf S. 19 seiner Stellungnahme vorträgt, ein KBA-Rückruf sei nicht erforderlich, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 14 des Senatshinweises Bezug genommen.
f. Soweit der Kläger meint, das KBA sei bis heute weder personell noch technisch in der Lage, das streitgegenständliche Motorsteuergerät auszulesen, hilft auch dies nicht weiter.
Anhaltspunkte für eine spezifisch an die Prüfstandsituation anknüpfende Abschaltung der Abgasreinigung wurden klägerseits nicht substantiiert dargetan.
Gegen das Vorliegen einer prüfstanderkennenden Abschalteinrichtung spricht insbesondere die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I vom 25.2.2019 (Anlage B 1), die nach umfangreichen Ermittlungen in enger Zusammenarbeit mit dem KBA keine Nachweise für prüfstandbezogene Abschalteinrichtungen in der streitgegenständlichen Modellreihe M550d fand.
g. Soweit der Kläger „Massen-Rückrufe der Beklagten“ als Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 17.12.2020 behauptet, führt dies aus mehreren Gründen nicht weiter.
Erstens sind „Rückrufe der Beklagten“ nicht mit KBA-Rückrufen gleichzusetzen. Bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs liegt unstreitig lediglich ein Rückruf des KBA aus dem Jahr 2018 vor.
Zweitens bleibt der hierzu erfolgte Vortrag pauschal. Wann erfolgten welche „Rückrufe der 27 U 2394/21 – Seite 8 – Beklagten“ bezüglich welchen Fahrzeugen? Ist das streitgegenständliche Fahrzeug hiervon betroffen? Substantiierter Vortrag hierzu fehlt.
Drittens bleibt festzuhalten, dass später erfolgte Servicemaßnahmen der Beklagten keinen greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen, spezifisch an die Prüfstandsituation anknüpfenden Abschalteinrichtung darstellen.
Viertens können schließlich aus einem später erfolgten freiwilligen Softwareupdate keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild der Beklagten zum Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung gezogen werden.
h. Soweit er erneut zu einem Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen im Motortyp N57 ausführt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen auf S. 11 f. des Senatshinweises Bezug genommen.
i. Soweit er erneut zur Anlage BK 3 ausführt, wird auf die Ausführungen auf S. 12 f. des Senatshinweises Bezug genommen.
j. Soweit er auf S. 194 ff. seiner Stellungnahme die personelle Zusammensetzung des Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagtenpartei seit dem Jahr 2017 auflistet und die Schwerpunkte der Aufsichtsratsarbeit aus den Konzernabschlüssen 2007 und 2016 zitiert, hilft dies nicht weiter, da dies nicht den substantiierten Vortrag zu den Voraussetzungen des § 826 BGB ersetzt.
k. Soweit er eine „Radwinkel-Abschalteinrichtung“ behauptet, stellt sein Vortrag eine Behauptung ins Blaue hinein dar. Entgegen der Behauptung der Klagepartei hat die Beklagte weder in hiesigem Verfahren noch in anderen Verfahren eingeräumt, eine „Radwinkel-Abschalteinrichtung“ zu verwenden. Vielmehr hat der Beklagtenvertreter in einem anderen Verfahren zu einem anderen BMW-Fahrzeug lediglich mit Schriftsatz vom 19.10.2020 erklärt, dass es für die Durchführung von Messungen auf Prüfständen notwendig sei, dass das Fahrzeug den Prüfstand erkenne, da der Motor ansonsten zur Vermeidung von Schäden auf „Störung“ schalte. Diese Erkennung stehe in keinem Zusammenhang mit der Abgasnachbehandlung des Motors.
m. Soweit er unter Bezugnahme auf ein Protokoll der öffentlichen Sitzung des LG Wiesbaden vom 17.3.2021 (Anlage K 11) das Vorliegen einer
„Längsstraßenerkennungs-Abschalteinrichtung“ behauptet, hilft dies – aus mehreren Gründen – nicht weiter.
(1) Zum einen ist dieser erstmals in der Berufungsinstanz und nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erfolgte neue Vortrag wegen Verspätung als unzulässig zurückzuweisen, § 530 ZPO. Soweit der Kläger auf S. 151 ff. seiner Stellungnahme behauptet, aus dem genannten Sitzungsprotokoll vom 17.3.2021 bereits erstinstanzlich zitiert zu haben, trifft dies nicht zu. Das Ersturteil datiert vom 10.3.2021, so dass ein Zitat vor Urteilsverkündung schon zeitlich unmöglich ist. Zur Längsstraßenerkennungs-Abschalteinrichtung hat der Kläger erstmals in seiner Stellungnahme vom 15.10.2021 vorgetragen. Nachdem die Sitzung des LG Wiesbaden am 17.3.2021 in Anwesenheit der Klägervertreter als Prozessbevollmächtigte der dortigen Klägerseite stattfand und das Protokoll den klägerischen Prozessbevollmächtigten ausweislich des Eingangsstempels auf S. 1 der Anlage BK 11 bereits im April 2021 vorlag, war der Vortrag hierzu verspätet. Gründe für eine Entschuldigung des verspäteten Vorbringens sind weder dargetan noch ersichtlich.
(2) Zum anderen kann aus einer Erklärung eines Beklagtenvertreters in einem anderen Verfahren zu einem anderen Fahrzeug kein Rückschluss auf das Vorliegen einer prüfstanderkennenden Software für die Abgasrückführung in hiesigem Verfahren zu streitgegenständlichem Fahrzeug gezogen werden.
(3) Schließlich können auch bei Vorliegen eines Motorsteuerungsgeräts, das über Möglichkeiten zur Prüfstanderkennung verfügt, keine Rückschlüsse auf eine prüfstanderkennende Abschalteinrichtung gezogen werden. Ausweislich S. 3 der vorgelegten Anlage BK 11 erklärte hierzu der damalige Beklagtenvertreter: „Dies sei erforderlich, damit die Abgasuntersuchung gemacht werden könnte, da ansonsten das Fahrzeug eine Fehlermeldung absenden und dann die Abgasuntersuchung nicht durchgeführt werden könne. Das Erkennen des Fahrzeugs, dass es sich auf einem Prüfstand befinde, habe nichts mit der Frage der Abgasreinigung im Prüfbetrieb und im Straßenverkehr als solchem zu tun.“
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang meint, die beispielhaften Ausführungen zu einem allradbetriebenen Fahrzeug auf dem Prüfstand seien „nicht nachvollziehbar“ und würden „bestritten“, da es „technisch unproblematisch möglich“ sei, „einen Allrad-Antrieb für den Prüfstandbetrieb manuell abzuschalten“, hilft auch dies nicht weiter. Ob eine manuelle Abschaltung möglich ist oder nicht, kann dahinstehen. Denn der Fahrzeughersteller kann aus mehreren möglichen Varianten die aus seiner Sicht geeignete auswählen, ohne das ihm hieraus grundsätzlich ein sittenwidriges Verhalten anzulasten ist.
Die klägerischen Ausführungen enthalten über die bloße pauschale Behauptung hinaus keine Anhaltspunkte für eine spezifisch an die Prüfstandsituation anknüpfende Abschaltung der Abgasreinigung. Ein objektiv sittenwidriges Verhalten wurde klägerseits nicht dargelegt.
n. Soweit er in seiner Stellungnahme unter Bezugnahme auf ein Protokoll der öffentlichen Sitzung des LG Tübingen vom 1.4.2021 (Anlage BK 8) eine Prüfstanderkennungssoftware behauptet, hilft dies aus mehreren Gründen nicht weiter.
(1) Zum einen ist dieser erstmals in der Berufungsinstanz und nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erfolgte neue Vortrag wegen Verspätung als unzulässig zurückzuweisen, § 530 ZPO. Die Sitzung des LG Tübingen fand am 1.4.2021 in Anwesenheit der Klägervertreter als Prozessbevollmächtigte der dortigen Klägerseite statt und lag der Klageseite ausweislich des Eingangsstempels auf S. 1 dieser Anlage bereits am 26.4.2021 vor. Gründe für eine Entschuldigung des verspäteten Vorbringens sind weder dargetan noch ersichtlich.
(2) Zum anderen kann aus einer Erklärung eines Beklagtenvertreters in einem anderen Verfahren zu einem anderem BMW-Fahrzeug mit N47-Motor und Abgasnorm Euro 5 kein Rückschluss dahingehend gezogen werden, dass auch in hiesigem Verfahren in streitgegenständlichem Fahrzeug das Vorliegen einer Prüfstanderkennungssoftware – welche zudem die Abgasrückführung betrifft – unstreitig gestellt wird.
(3) Schließlich können auch bei Vorliegen eines Motorsteuerungsgeräts, das über Möglichkeiten zur Prüfstanderkennung verfügt, keine Rückschlüsse auf eine prüfstanderkennende Abschalteinrichtung gezogen werden. Ausweislich der vorgelegten Anlage BK 8 erklärte hierzu der damalige Beklagtenvertreter: „Die Prüfstanderkennung ist technisch notwendig. Sie hat nichts mit der Abgasnachbehandlung zu tun.“ o. Soweit er wiederholend zur Firma B. GmbH, deren Mitarbeiter an dem Inverkehrbringen der illegalen Abschalteinrichtungen zum Motor EA189 beteiligt gewesen seien, vorträgt, hilft dies schon deshalb nicht weiter, weil in hiesigem Fahrzeug kein EA189-Motor verbaut ist. Ergänzend wird auf S. 14 der Ausführungen im Senatshinweis Bezug genommen.
p. Soweit er in seiner Stellungnahme eine Abgasstrangtemperatur-Steuerung / Abschalteinrichtung des Kaltstartheizbetriebs behauptet und sich auf ein „Gutachten des Herrn Dr. H. vom 16.6.2021“ (Anlage BK 10) bezieht, hilft auch dies nicht weiter.
(1) Diese Stellungnahme bezieht sich auf Fahrzeuge mit dem Motor N47, B37 und B47. Eine Vergleichbarkeit mit streitgegenständlichem Fahrzeug mit N57-Motor ist weder substantiiert dargetan noch ersichtlich.
(2) Zudem ist das behauptete „Kaltstartheizen“ bereits nach dem eigenen klägerischen Vortrag jedenfalls temperatur- (zwischen 15° C und 35,5° C) und atmosphärendruckabhängig (bis 900 m über dem Meeresspiegel), mithin nicht exakt prüfstanderkennend. Anhaltspunkte für eine objektiv sittenwidrige Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung wurden indes nicht dargetan. Es fehlt substantiierter Sachvortrag, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der unterstellten Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (s.o.).
q. Soweit der Kläger erneut zur Höhenmessungs-Abschalteinrichtung (Bl. 63 ff., 243
ff.),
Lenkwinkelmessungs-Abschalteinrichtung
(Bl.
74
ff.,
250
ff.),
Betriebszeitmessungs-Abschalteinrichtung
(Bl.
85
ff.,
257
ff,),
Radrotationmessungs-Abschalteinrichtung
(Bl.
96
ff.,
264
ff.),
Beschleunigungsmessungs-Abschalteinrichtung
(Bl.
106
ff.,
272
ff.),
Geschwindigkeitsmessungs-Abschalteinrichtung
(Bl.
118
ff.,
279
ff.),
Drehzahlmessungs-Abschalteinrichtung (Bl.
129
ff.,
287
ff.),
Umgebungsdruckmessungs-Abschalteinrichtung
(Bl.
140
ff.,
294 ff.)
und
Kühlwassertemperatur-Steuerung (Bl. 163
ff.)
ausführt, wird
zur
Vermeidung
von
Wiederholungen auf S. 9 ff. des Senatshinweises verwiesen.
Ergänzend merkt der Senat an, dass der Kläger auf S. 140 und 294 seiner Stellungnahme – wie schon in seiner Berufungsbegründung (dort S. 107) – wiederum nicht zu der von ihm behaupteten „Umgebungsdruckmessungs-Abschalteinrichtung“, sondern – erneut – zur behaupteten „Drehzahlmessungs-Abschalteinrichtung“ vorträgt. Auf S. 16 des Senatshinweises wird ausdrücklich Bezug genommen.
r. Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme moniert, er habe zu mehreren Abschalteinrichtungen substantiiert vorgetragen und hilfsweise geltend macht, dass ein Zusammenspiel der genannten Abschalteinrichtungen vorliege, hilft auch dies nicht weiter.
Abgesehen von einer temperaturbedingten Abgasrückführung fehlt jedenfalls substantiierter Vortrag zu weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen, so dass ein „Zusammenspiel mehrerer Abschalteinrichtungen“ fehl geht.
s. Da der Kläger weder die objektive Sittenwidrigkeit noch den Schädigungsvorsatz substantiiert dargelegt hat, helfen auch seine Ausführungen zum „Schaden“ nicht weiter.
t. Auch die klägerischen Ausführungen zur sekundären Darlegungslast der Beklagten und zum Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gehen fehl.
Hinsichtlich der temperaturbedingten Abgasrückführung kann deren Unzulässigkeit unterstellt werden. Diesbezüglicher Vortrag ist damit nicht beweisbedürftig. Insoweit fehlt es aber an der substantiierten Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit und des Schädigungsvorsatzes. Da der Kläger bereits seiner primären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, greift auch nicht die sekundäre Darlegungslast der Beklagten.
Soweit der Kläger weitere unzulässige Abschalteinrichtungen behauptet, ist dieser Vortrag unbeachtlich, da er diesbezüglich willkürliche Behauptungen ins Blaue hinein aufgestellt hat. Ein Sachverständigengutachten sowie weitere Beweiserhebungen sind vor diesem Hintergrund nicht angezeigt (unzulässiger Ausforschungsantrag).
Nach alledem erweist sich das Ersturteil als zutreffend.
Die Berufung des Klägers war gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde entsprechend § 3 ZPO festgesetzt.


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