Europarecht

Fahrzeug, Kaufvertrag, Kaufpreis, Zeitpunkt, Genehmigungsverfahren, Anspruch, Schaden, Berichterstattung, Minderwert, Inverkehrbringen, Kenntnis, Anordnung, Vertrieb, Pkw, Zeitpunkt des Vertragsschlusses, Zug um Zug, Nutzung von

Aktenzeichen  2 O 2851/20

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23931
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 34.358,61 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.12.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs VW Toureg 3.0 TDI, Fahrgestellnummer …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziff. 1 genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass der unter Ziff. 1 bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herführt.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung i. H.v. EUR 1.474,89 freizustellen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
7. Das Urteil ist für Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 37.920,60 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist – wie aus dem Tenor ersichtlich – überwiegend begründet.
1. Die Klage ist zulässig.
1. Das Landgericht Traunstein ist sachlich (§§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG) und auch örtlich zuständig gern. § 32 ZPO, nachdem der Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug im hiesigen Gerichtsbezirk abgeschlossen wurde (vgl. hierzu etwa BayOblG BeckRS 2019, 5991 m. w. Nachw.).
2. Der Klageantrag Ziff. 3. gerichtet auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten ist zulässig. Das Feststellungsinteresse resultiert aus der mit der Feststellung verbundenen Vereinfachung und Beschleunigung des Zugriffs in der Zwangsvollstreckung, vgl. §§ 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO.
II.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung, kraft dessen er die Rückzahlung des Kaufpreises von 45.000 Euro abzüglich einer anzurechnenden Nutzungsentschädigung von 10.641,39 Euro Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen kann.
1. Es kann dahinstehen, ob der Klagepartei gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadloshaltung aus §§ 280 Abs. 1 S. 1, 311 Abs. 3 BGB oder aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB bzw. aus§§ 823 Abs. 2, 31 BGB i. V. m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder aus§ 823 Abs. 2, 31 BGB i. V. m. § 16 UWG zusteht.
Denn der Klagepartei steht gegen die Beklagte jedenfalls ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu. Durch das Inverkehrbringen von Kraftfahrzeugen mit Dieselmotoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat die Beklagte eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen.
a) Das Versehen der Dieselmotoren mit einer Manipulationssoftware und das Inverkehrbringen der Motoren unter Täuschung der zuständigen Zulassungs- und Prüfungsbehörden sind als sittenwidrige Handlungen zu bewerten.
aa) Objektiv sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und daher mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (Paland/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 826 Rn. 4 m. w. Nachw.).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen liegt eine sittenwidrige Handlung durch die Beklagte vor.
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine illegale Abschalteinrichtung. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts hinreichend durch den bestandskräftigen, am 09.02.2018 veröffentlichten Rückrufbescheid des KfB fest: Der verpflichtetende Rückruf bezieht sich explizit auf die Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung. Laut Pressemitteilung des KBA vom 08.12.2017 wurden im VW Tourareg 3.0 1 Diesel Euro 6 zwei unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen, welche dafür sorgen, dass im Prüfzyklus NEFZ eine sog. Schadstoffmindernde Aufwärmstrategie anspringt sowie ein SCR-Katalysator, der die Nutzung von AdBlue unter bestimmten Bedingungen einschränkt.
Die Herstellung und das Inverkehrbringen von Dieselmotoren unter Verwendung einer Motorsteuerungssoftware, durch die die Abgasrückführungsrate und damit das Emissionsverhalten des Motors auf dem Prüfstand im Normzyklus anders gesteuert wird als im regulären Fahrbetrieb, erfüllt die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung der jeweiligen Käufer derartiger Fahrzeuge im Sinne von§ 826BGB (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 -VI ZR 252/19).
(1) Dabei geht das Gericht davon aus, dass die von der Beklagten durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zum Einsatz gebrachte Motorsteuerung einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 darstellt, weil sie eine Abschalteinrichtung ist, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert. Aus Art. 3 Nr. 4, 6 vo (EG) 715/2007 ergibt sich, dass Stickoxide, auf die sich die fragliche Motorsteuerung auswirkt, Immissionen im Sinne der Richtlinie sind. Nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 definiert die Abschalteinrichtung als ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirkung des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Aus der umfassenden Formulierung und dem weitgefassten Schutzzweck der Richtlinie, die der Verbesserung der Luftqualität und der Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte sowie insbesondere einer erheblichen Minderung der Stickoxidemissionen bei Fahrzeugen mit Dieselmotoren dient – vergleiche Nr. 6 der Erwägungsgründe zur Richtlinie VO (EG) 715/2007 -, wird erkennbar, dass die Vorschrift umfassend auch solche Konstellationen abdecken soll, in denen konstruktionsbedingt, auch durch Steuerung technischer Einrichtungen mittels Software, Unterschiede zwischen dem Schadstoffausstoß im Testbetrieb und im Normalbetrieb bestehen. Dies folgt auch aus Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007: Danach hat der Hersteller ein Fahrzeug so auszurüsten und Bauteile, die das Emissionsverhalten zu beeinflussen geeignet sind, so zu konstruieren, zu fertigen und zu montieren, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Hierdurch wird erkennbar, dass eine Einrichtung, die zu geringerem Schadstoffausstoß im Testbetrieb und demgegenüber höherem Schadstoffausstoß bei Nutzung des Fahrzeugs im regulären Straßenverkehr führt, unterbunden werden soll.
(2) Die maßgebliche Schädigungshandlung der Beklagten liegt damit im Inverkehrbringen des Dieselmotors mit der gesetzeswidrigen Motorsteuerung. Dabei setzte sich die Beklagte gezielt – denn anders als gezielt ist der Einbau der geschilderten Motorsteuerung nicht denkbar – über die einschlägigen Rechtsvorschriften hinweg. Der Zweck dieses Vorgehens lag im Streben nach wirtschaftlichem Gewinn; ein anderer Zweck ist weder ersichtlich noch vorstellbar. Zwar ist Gewinnstreben als Motiv des Handelns eines Wirtschaftsunternehmens nicht verwerflich; im Gegenteil ist es der in einer Marktwirtschaft anerkannte Zweck eines Unternehmens, wirtschaftliche Gewinne zu erzielen und zu mehren. Doch hat sich die Beklagte in diesem Gewinnstreben nicht nur gezielt über zwingende Rechtsvorschriften hinweggesetzt und damit deren dem Schutz der Allgemeinheit vor Luftverschmutzung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen dienenden Zweck missachtet. Vielmehr hat sie zugleich dadurch die Interessen einer großen Zahl an Käufern derartiger Fahrzeuge und damit auch des Klägers verletzt. Der zum Einsatz gebrachte Dieselmotor wurde in Großserie produziert und in hohen Stückzahlen verkauft. Die Beklagte hat durch ihr Verhalten bewirkt, dass eine unübersehbare Vielzahl an Kunden, die um die Hintergründe der Motorsteuerung weder wussten noch wissen konnten, weil diese erst später bekannt wurden, Fahrzeuge erhielten, die wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung den einschlägigen Zulassungsvorschriften nicht entsprachen und die erforderliche Typgenehmigung nur erhalten hatten, weil die Beklagte die Funktionsweise der Motorsteuerung im Genehmigungsverfahren nicht offengelegt hatte. Die Käufer trugen damit das Risiko, dass den mit diesem Motor ausgestatteten Fahrzeugen die Typgenehmigung entzogen werden könnte. Diese Möglichkeit war nicht fernliegend und zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages im Grad ihres Risikos nicht abschätzbar. Dies ergibt sich aus der Anordnung seitens des Kraftfahrzeugbundesamtes zur Entwicklung von Nachrüstungsmaßnahmen für die betroffenen Fahrzeuge durch die Beklagte, damit die betroffenen Fahrzeuge letztlich die behördliche Freigabe erhielten und damit einen Entzug der Typgenehmigung verhinderten. Diese Entwicklung war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages jedoch nicht absehbar, insbesondere deshalb, weil die infolge der Einstufung der Abschalteinrichtung als unzulässig durch das Kraftfahrt-Bundesamt erforderlich gewordenen Nachrüstungsmaßnahmen durch die Beklagte erstaufwändig – entwickelt werden mussten.
(3) Darüber hinaus hat sich die Beklagte über die Interessen einer Vielzahl von Kraftfahrzeug-Verkäufern hinweggesetzt, denen die Motorsteuerung der Dieselmotoren zunächst ebenso wenig bekannt war und bekannt sein konnte wie den Käufern. Die Verkäufer, unter denen vor allem eigene Vertragshändler der Beklagten waren, hafteten den Käufern gegenüber verschuldensunabhängig aus kaufrechtlicher Gewährleistung, weil die Ausstattung eines Fahrzeugs mit der rechtswidrigen Motorsteuerung eine Abweichung von der üblicherweise zu erwartenden Beschaffenheit eines Fahrzeugs ist und damit einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB begründet. Die Beklagte hat so eine Vielzahl von gutgläubigen Verkäufern, insbesondere solche, mit denen sie selbst langfristig vertraglich verbunden ist, verschuldensunabhängigen Gewährleistungsrechten der Käufer ausgesetzt.
Auf etwaige weitere Abschalteinrichtung kommt es nicht weiter an.
cc) Dem Schadensersatzanspruch des Klägers aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB steht nicht entgegen, selbst wenn die rechtlichen Regelungen für die Typgenehmigung, insbesondere die Verordnung (EG) 715/2007, nicht primär dem Individualschutz dienen würden, sondern Belangen der Allgemeinheit. Der relevante Schutzzweckzusammenhang zwischen der deliktischen Handlung der Beklagten und dem eingetretenen Vermögensschaden ist gegeben.
Zum einen sind die Vorschriften über die Übereinstimmungserklärung zumindest insoweit individualschützend, als sie den Schutz des Interesses des einzelnen Käufers eines Pkw daran bezwecken, ein ohne Weiteres zulassungsfähiges und auch ohne weiteres Zutun dauerhaft zulassungsfähiges Fahrzeug zu erhalten. Die Überstimmungserklärung stellt insoweit eine Erklärung des Fahrzeugherstellers dar, in der er dem Fahrzeugkäufer versichert, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmte.
Zum anderen beruht die Annahme einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch die Beklagte nicht primär und ausschließlich auf einem Verstoß gegen diese Rechtsnormen, sondern, wie vorstehend dargestellt, auf einer Gesamtwürdigung einer Vielzahl von Umständen. Ein zentraler die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten begründender Gesichtspunkt ist dabei die geschilderte Verletzung von Interessen der Käufer. Das sittenwidrige Verhalten der Beklagten berührt damit auch die Rechtssphäre des Klägers.
dd) Dem Kläger ist durch das Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden.
(1) Ein Schaden ist nicht nur dann anzunehmen, wenn sich bei dem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch dann, wenn die Differenzhypothese vordergründig nicht zu einem rechnerischen Schaden führt, die Annahme eines Vermögensschadens auf einer anderen Beurteilungsgrundlage nicht von vornherein ausgeschlossen. Denn die Differenzhypothese muss stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie für sich genommen zunächst eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Dabei ist einerseits das konkrete haftungsbegründende Ereignis als Haftungsgrundlage zu berücksichtigen. Andererseits ist die darauf beruhende Vermögensminderung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände sowie der Verkehrsauffassung in die Betrachtung einzubeziehen. Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Deshalb kann jemand auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass er durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, und die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (BGHZ 161,361, 366 f.).
(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellt sich der Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug für den Kläger als Schaden dar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Fahrzeug infolge der Ausstattung mit der rechtswidrigen Motorsteuerung oder infolge der anschließenden Nachrüstung einen objektiven Minderwert oder andere Nachteile, etwa bei Motorleistung, Verbrauch, Emissionsverhalten oder Haltbarkeit, aufweist. Der Abschluss des Vertrages als solcher ist für den Kläger schon deshalb ein Schaden, weil dieser ein Fahrzeug erhalten hat, das den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht entsprach und von dem im Zeitpunkt des Kaufs – allein auf diesen Zeitpunkt kommt es für die Beurteilung des Schadens an – nicht absehbar war, ob die zuständigen Behörden die Typgenehmigung entziehen würden und ob es der Beklagten gelingen werde, eine solche Entscheidung durch geeignete Nachrüstungsmaßnahmen zu verhindern. Wegen dieser Ungewissheit war das Fahrzeug für den Kläger nicht uneingeschränkt brauchbar. Denn üblicherweise erwartet der Käufer eines Kraftfahrzeugs, dass er dieses nicht nur zum Zeitpunkt des Kaufs, sondern langfristig zulässigerweise im Straßenverkehr nutzen und sich darauf auch verlassen kann.
Zudem wäre auch nach dem Aufspielen eines etwaigen Updates – neben etwaigen weiteren streitigen technischen Defiziten infolge des Updates – jedenfalls von einem verbleibenden Minderwert auszugehen. Denn das streitgegenständliche Fahrzeug wäre als vom sog. Abgasskandal betroffenes Fahrzeug weiter mit einem nicht unerheblichen Makel behaftet, der zur Überzeugung des Gerichts auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens besteht. Das Fahrzeug ist auch mit aufgespieltem Update weniger wert als ein gleiches Fahrzeug, das nicht vorher die Abschalteinrichtung aufgewiesen hatte. Davon ist das Gericht mit dem Oberlandesgericht Köln (Beschluss vom 20.12.2017 – 18 U 112/17) überzeugt, welches zum Minderwert ausgeführt hat: ,,(…) Zu diesem zuletzt genannten Umstand hat es schon deshalb keines weiteren Vortrages der Klägerin und keiner Beweisaufnahme seitens des Landgerichts bedurft, als es in der Natur der Sache liegt und allgemein bekannt ist, dass ein Pkw, dessen Zulassung auf dem Einsatz einer Manipulatians-Software sowie einer entsprechenden Täuschung seitens des Herstellers beruht und dessen fortgesetzter Betrieb im Straßenverkehr der Entwicklung sowie des Einsatzes einer bis dahin noch nicht vorhandenen Software und der Freigabe der Software seitens des Kraftfahrzeug-Bundesamtes bedarf, am Fahrzeug-Markt schwerer absetzbar ist als ein Pkw, der keinen Unsicherheiten dieser Art ausgesetzt ist. Wollte die Beklagte anderes behaupten, müsste sie der letztlich in Frage stehenden Zulassung eines Fahrzeugs für den Betrieb im Straßenverkehr und den hierfür maßgebenden Faktoren jede Bedeutung für den Verkehrswert eines doch für den Betrieb im Straßenverkehr bestimmten Pkw absprechen.“
(3) Der Umstand, dass sich das Risiko eines Entzugs der Typgenehmigung in der Folge nicht verwirklichte, weil es der Beklagten gelang, eine solche Maßnahme der zuständigen Behörden durch die Entwicklung – insoweit streitig – geeigneter Nachrüstungsmaßnahmen zu verhindern, steht der Annahme eines Schadens nicht entgegen. Denn für den Eintritt eines Schadens kommt es auf den Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses und damit hier auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Der Schaden ist auch nicht nachträglich entfallen. Denn der Schaden liegt, dies ist die Konsequenz der Abweichung von einer strengen Anwendung der Differenzhypothese, nicht in einem Minderwert oder einer konkreten Funktionsbeeinträchtigung des Fahrzeugs, sondern im Abschluss des Vertrages als solchem. Die Bindung an den Vertrag, deren Beseitigung der Kläger im Rahmen des Schadensersatzes beanspruchen kann, würde auch mit der Nachrüstung des Fahrzeugs nicht entfallen.
(4) Ein Schaden des Klägers ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil diesem gegenüber der Verkäuferin Ansprüche aus kaufrechtlicher Gewährleistung zustanden. Derartige Ansprüche sind nicht geeignet, den im Abschluss des Vertrages liegenden Schaden zu kompensieren. Das Vertragsrecht mit Ansprüchen gegenüber dem Vertragspartner und das Deliktsrecht mit Ansprüchen gegenüber einem vom Vertragspartner verschiedenen Schädiger sind voneinander unabhängige Haftungsgrundlagen, die einander nicht ausschließen. Dieses Nebeneinander ist durch die besonderen einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen der deliktsrechtlichen Normen gerechtfertigt. Deren Regelungszweck würde unterlaufen, wenn der deliktsrechtlich relevante Schaden durch Gewährleistungsansprüche kompensiert und damit ausgeschlossen würde. ee)
Die schädigende Handlung ist der Beklagten gemäߧ 31 BGB zuzurechnen. Denn es ist als unstreitig anzusehen, dass die Mitglieder des Vorstands der Beklagten von Entwicklung und Vertrieb der Dieselmotoren mit der rechtswidrigen Motorsteuerung wussten und diese billigten. Der Kläger hat eine entsprechende Kenntnis auf Vorstandsebene der Beklagten hinreichend substantiiert behauptet. Er hat unter konkreter Bezugnahme auf die Berichterstattung in den Medien diejenigen Anhaltspunkte vorgetragen, die für ihn als außenstehende Person erkennbar waren und für eine Kenntnis sprechen können. Der Beklagten obliegt demgegenüber eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht hinreichend nachgekommen ist. Eine solche sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner der darlegungspflichtigen Partei darf sich in dieser Situation nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGHZ 140, 156, 158 f.). Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat keinen Einblick in die Entscheidungs- und Organisationsstruktur der Beklagten, während es dieser selbst angesichts ihrer unternehmerischen Struktur zwanglos möglich ist, mitzuteilen, wie die Entscheidungs- und Informationswege, die zu Entwicklung und Vertrieb der Motoren geführt haben, beschaffen waren. Der Vortrag des Klägers, der Vorstand der Beklagten habe Entwicklung und Vertrieb der Motoren angeordnet oder zumindest gebilligt, ist demnach hinreichend substantiiert, während das Bestreiten der Beklagten diesbezüglich nicht ausreicht. Die Beklagte beruft sich nur allgemein darauf, dass der Vorstand nicht involviert gewesen sei und damit letztlich darauf, dass die hier maßgeblichen Entscheidungen auf in der Unternehmenshierarchie niedriger gelagerten Ebenen getroffen worden seien. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, wer konkret bei ihr Kenntnis über den Einsatz der Motorsteuerung gehabt habe und wie die maßgeblichen Entscheidungswege verlaufen seien. Der Hinweis auf noch laufende, bereits länger andauernde und noch nicht abgeschlossene Ermittlungen im eigenen Unternehmen genügt insoweit nicht, zumal kaum nachvollziehbar ist, dass ein derart wichtiger Entwicklungs- und Produktionsschritt ausschließlich im Verborgenen und in 1 Kenntnis nur weniger untergeordneter Mitarbeiter geschehen sein soll.
ff) Das Verhalten der Beklagten war schließlich kausal für den Vertragsschluss des Klägers und damit den ihm entstandenen Schaden. Dabei ist es unerheblich, ob es dem Kläger beim Kauf gerade auf den Erwerb eines schadstoffarmen Fahrzeugs ankam. Für die Beurteilung der Kausalität ist nicht allein entscheidend, dass das Fahrzeug aufgrund seiner Motorsteuerung die auf dem Prüfstand ermittelten Emissionswerte im regulären Fahrbetrieb nicht erreichte. Maßgeblich ist vielmehr die Ausstattung mit der rechtswidrigen Motorsteuerung als solcher, aufgrund deren das Fahrzeug den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht entsprach und damit eine behördliche Entziehung der Typgenehmigung drohte. Denn auch ohne konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall kann als sicher angenommen werden, dass der Käufer eines Kraftfahrzeugs vom Kauf Abstand genommen hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Bestand der Typgenehmigung und damit die dauerhafte Nutzbarkeit im öffentlichen Straßenverkehr nicht sicher war.
b) Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs ist der Anspruch auf Zahlung von 34.358,61 Euro Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Die Beklagte hat im Wege der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB das Fahrzeug, obwohl sie nicht dessen Verkäufer ist, zurückzunehmen, weil nur so der im Abschluss des Vertrages liegende Schaden beseitigt werden kann.
Der Betrag von 34.358,61 Euro ergibt sich aus der Differenz des Kaufpreises von 45.000 Euro und einer mit 10.641,39Euro zu bemessenen Nutzungsentschädigung. Diese ist zu Lasten des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Bereicherungsverbots im Deliktsrecht als Vorteilsausgleichung anzusetzen. Denn der Kläger hat das Fahrzeug tatsächlich genutzt und damit Gebrauchsvorteile gezogen, denen ein eigenständiger Vermögenswert zukommt. Bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung ist die durch den Gebrauch des Klägers entstandene Laufleistung ins Verhältnis zu setzen zu der zu erwartenden Gesamtlaufleistung eines derartigen Fahrzeugs.
Der Kläger hat das streitgegenständliche, mit Kilometerstand von 26.500 km erworbene Fahrzeug seit der Auslieferung genutzt und mit demselben zum Zeitpunkt bis der mündlichen Verhandlung 91.176 km zurückgelegt. Dieser aktuelle Kilometerstand wurde in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt. Für die Ermittlung der Nutzungsentschädigung ist eine lineare Abschreibung im Verhältnis der zurückgelegten Fahrleistung zur zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs durchzuführen. Die Gesamtlaufleistung schätzt das Gericht auf 300.000 km. Angesichts technischer Neuerungen von Dieselfahrzeugen in dem letzten Jahrzehnt hält das Gericht dies für sachgerecht und gerechtfertigt. Eine solche Fahrleistung ist von einem mit einem erfahrungsgemäß langlebigen Dieselmotor ausgestatteten Fahrzeug eines namhaften Herstellers bei durchschnittlicher Pflege und Wartung zu erwarten. Demgegenüber ist die vermeintliche Lebensdauer moderner Dieselmotoren, die (mit bis zu 500.000 km) durchaus höher sein mag, nicht in Ansatz zu bringen, sondern die gewöhnliche Gesamtnutzungsdauer (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 16.12.2013 – 17 U 141/12, juris; Kaiser, in Staudinger BGB, 2012, § 346 Rn. 259), die beim Kauf mit dem vereinbarten Kaufpreis einhergeht. Dabei kommt es nicht auf die bei sorgfältiger Pflege und zuverlässiger Wartung technisch mögliche Gesamtlaufleistung an, sondern auf die üblicherweise zu erwartende Nutzungsdauer, von der beim Kauf gewöhnlich ausgegangen wird und die mit dem vereinbarten Kaufpreis abgegolten wird.
Die Berechnung des Nutzungsvorteils der Klagepartei geschieht mit der Formel (welche auch eine geeignete Schätzgrundlage darstellt):
bezahlter Kaufpreis x gefahrene Kilometer: Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs.
Vorliegend also: 45.000 € x (91.176 km -26.500 km) : (300.000 km -26.500 km)= 10.64,139 €.
Die Klagepartei hat daher damit einen Anspruch auf Zahlung von 34.358,61 €, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Klageantrags war die Klage abzuweisen.
2. Der zugehörige Zinsanspruch ergibt sich gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Sofern der Kläger Zinsen ab dem 11.07.2020begehrt, ist dies nicht substantiiert dargelegt worden. Der Kläger führt auf S. 114 der Klageschrift selbst aus, dass Rechtshängigkeitszinsen geltend gemacht werden. Rechtshängig wurde die Klage jedoch erst mit Zustellung der Klage am 09.12.2020.
3. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzug ist ebenfalls begründet. Die Beklagte befindet sich gern. § 293 BGB im Annahmeverzug. Der Kläger hat mit Schreiben vom 13.06.2020 die faktische Rückabwicklung des Kaufvertrags geltend gemacht und die Herausgabe des Fahrzeugs Zug um Zug gegen die Zahlung des Kaufpreises angeboten. Hierbei wurde auch ein Abzug eines Nutzungsersatzes angeboten (NJW 2019, 2237 Rn. 93, beck-online).
4. Der Antrag auf Feststellung unter Ziff. 4 ist ebenfalls begründet. Der Anspruch ergibt sich wie oben ausgeführt aus § 826 BGB.
5. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind Teil des Schadensersatzes und damit der Klageseite ebenfalls zu erstatten. Allerdings nur unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes im tenorierten Umfang.
Bei einem Gegenstandswert von 34.358,61 € ergibt sich damit eine Geschäftsgebühr gemäß § 13, § 14 RVG, Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 1.219,40 € (Faktor 1,3) zuzüglich der Pauschale für Post und Telekommunikation gemäß Nummer 7002 VV RVG sowie der Umsatzsteuer gemäß Nummer 7008 VV RVG ergibt sich damit den Anspruch in Höhe von 1.474,89 €.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach§ 709 Satz 1, 2 ZPO.


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