Europarecht

Fehlende Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters – Schuhsohlen

Aktenzeichen  29 U 2824/16

Datum:
20.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2016, 130613
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GGV Art. 3 lit. b), Art. 10 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 1, Art. 36 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes ist beim eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon; ausgehend davon und von der gewählten Erzeugnisangabe beanspruchen die Streitmuster Schutz für Schuhsohlen und nicht nur für Teile davon wie etwa der Zwischensohle. (Rn. 5) (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Vergleich der Streitmuster mit der beanstandeten Ausführungsform ergibt, dass die beanstandete Ausführungsform einen anderen Gesamteindruck als die Streitmuster erweckt; der Gesamteindruck der beanstandeten Ausführungsform, der vor allem durch die im unteren Sohlenteil verwandte Kontrastfarbe Rot geprägt wird, unterscheidet sich deutlich von demjenigen der Streitmuster. (Rn. 17 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

17 HK O 6239/16 2016-06-30 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Auf die Berufung der Antragsgegnerinnen werden das Urteil des Landgerichts München I vom 30. Juni 2016 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu-rückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe

I.
Von einem Tatbestand wird in entsprechender Anwendung der Vorschriften § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GGV nicht zu. Ungeachtet der weiteren Angriffe der Antragsgegnerinnen auf das landgerichtliche Urteil verletzt die beanstandete Sohlengestaltung jedenfalls weder das von der Antragstellerin in erster Linie zur Stützung des Anspruchs herangezogene Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 001286116-0005 (im Folgenden: Streitmuster 1) noch das hilfsweise herangezogene Ge-meinschaftsgeschmacksmuster Nr. 001286116-0006 (im Folgenden: Streitmuster 2), weil sie beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck als die beiden Streitmuster erweckt (vgl. Art. 10 Abs. 1 GGV) und deshalb nicht in deren Schutzbereiche fällt.
1. Bei der Bestimmung des durch die Streitmuster vermittelten jeweiligen Gesamteindrucks ist Folgendes zugrunde zu legen:
a) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin beanspruchen die Streitmuster Schutz für Schuhsohlen, nicht nur für Teile davon wie eine Zwischensohle.
aa) Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes ist beim eingetragenen Gemeinschaftsge-schmacksmuster die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Er-zeugnisses oder eines Teils davon (vgl. BGH GRUR 2012, 1139 – Weinkaraffe Tz. 14).
Der Schutzgegenstand ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Anmeldung eines Geschmacks-musters ist nicht nur eine Verfahrenshandlung, sondern auch eine Willenserklärung. Der An-melder bringt damit sein Begehren zum Ausdruck, für die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon Geschmacksmusterschutz zu erlangen. Bei Unklarheiten der Anmeldung ist daher der Wille des Anmelders durch Auslegung zu ermitteln. Dabei muss auf den Empfängerhorizont der Fachkreise des betreffenden Sektors abgestellt werden. Denn bei der Auslegung muss das Interesse des Verkehrs berücksichtigt werden, klar erkennen zu können, wofür der Anmelder Schutz beansprucht (vgl. BGH, a. a. O., – Weinkaraffe Tz. 22 f. m. w. N.).
bb) Danach nehmen die Streitmuster Schutz für Schuhsohlen und nicht nur Teile davon in An-spruch.
Die Erzeugnisangabe gemäß Art. 36 Abs. 2 GGV kann zur Bestimmung des Schutzgegenstands herangezogen werden (vgl. BGH, a. a. O., – Weinkaraffe Tz. 25 a. E.). In den Streitmustern lau-tet diese Angabe soles for footwear, also Sohlen für Fußbekleidungen. Sie besagt nicht, dass Schutz für eine Zwischensohle als Bestandteil einer Gesamtsohle beansprucht werde; vielmehr ist ihr zu entnehmen, dass das Erzeugnis, für dessen Erscheinungsform Schutz beansprucht wird, jeweils eine ganze Sohle als Einzelteil des komplexen Erzeugnis i. S. d. Art. 3 lit. b) GGV ist, das ein Schuh darstellt.
Streitmuster 1 Streitmuster 2
Auch den nachstehend wiedergegebenen Abbildungen zu den Streitmustern kann nicht entnom-men werden, dass Schutzgegenstand nur Zwischensohlen seien:
Diese Abbildungen zeigen jeweils nicht nur das Sohlenerzeugnis selbst, für dessen Gestaltung Schutz beansprucht wird, sondern gestrichelt auch den zugehörigen Oberschuh. Bei der gebote-nen Würdigung vom Empfängerhorizont der angesprochenen Fachkreise aus ist damit das ge-samte komplexe Erzeugnis wiedergegeben, dessen durch die fotografische Wiedergabe dargestellter Bestandteil die geschützte Gestaltung aufweist. Da eine gesonderte Unter- oder Außen-sohle nicht sichtbar ist, geht ein Angehöriger der angesprochenen Fachkreise davon aus, dass sich der Schutz nur auf Sohlengestaltungen erstreckt, die keine sichtbare Untersohle aufweisen. Dieser Würdigung steht nicht entgegen, dass nach dem Vorbringen der Antragstellerin zumin-dest Laufschuhe regelmäßig mit einer gesonderten Untersohle versehen sein mögen; denn diese können so gestaltet sein, dass sie in der Perspektive, welche die Abbildungen bieten, nicht sichtbar sind, wie die Antragstellerin selbst auf Seite 39 ihrer Berufungserwiderung vom 31. August 2016 (= Bl. 541 d. A.) vorträgt und nicht zuletzt die von ihr dort auf den Seiten 7 und 45 (= Bl. 509 u. 547 d. A.) wiedergegebenen Abbildungen belegen. Geschützt sind damit nur Sohlen, die in der verwendeten Perspektive keine gesonderte Untersohle erkennen lassen.
b) Die Streitmuster weisen folgende den Gesamteindruck prägenden Merkmale auf:
– Die Sohle verjüngt sich vom Hackenbereich zur Schuhspitze;
– sie ist im vorderen Bereich leicht nach oben gekrümmt;
– sie hat eine Oberflächenstruktur, die nebeneinander liegende, einige Millimeter durchmessende Einzelmodule aufweist, wobei die Einzelmodule
– beim Streitmuster 1 dicht aneinander liegen;
– beim Streitmuster 2 in eine dunklere Matrix eingebettet sind;
– die Einzelmodule sind weiß;
– die genannte Struktur erstreckt sich einheitlich über die gesamte Seitenansicht der Sohle.
2. Für die Verletzungsprüfung nach Art. 10 Abs. 1 GGV kommt es darauf an, ob der Gesamt-eindruck der beanstandeten Ausführungsform mit dem Gesamteindruck des eingetragenen Mus-ters übereinstimmt; dabei sind nicht nur die Übereinstimmungen, sondern auch die Unterschiede der Muster zu berücksichtigen (vgl. BGH GRUR 2013, 285 – Kinderwagen II Tz. 30).
Da die Streitmuster nur Schutz für einen Teil des Gesamterzeugnisses – des Laufschuhs – beanspruchen, ist bei der Prüfung des übereinstimmenden Gesamteindrucks auch bei der beanstan-deten Ausführungsform nur der entsprechende Teil zugrunde zu legen (vgl. BGH GRUR 2011, 1112 – Schreibgeräte Tz. 56; Eichmann in: Eichmann/von Falckenstein/Kühne, DesignG, 5. Aufl. 2015, § 38 Rz. 38). Der Vergleich hat sich deshalb auf die jeweiligen Sohlen zu be-schränken.
Beanstandete Ausführungsform Bild 3 Es stehen sich folgende Gestaltungen gegenüber:
b) Der Vergleich ergibt, dass die beanstandete Ausführungsform einen anderen Gesamteindruck erweckt als die Streitmuster.
aa) Die Gewichtung eines Merkmals für den Gesamteindruck hängt davon ab, inwieweit es bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Erzeugnisses für den informierten Benutzer sichtbar ist. Merkmale an abgewandten, schlecht wahrnehmbaren oder kaum sichtbaren Stellen sind aus der Sicht des informierten Benutzers für den Gesamteindruck regelmäßig weniger bedeutend als Merkmale an exponierten Stellen, die bei der Benutzung besondere Beachtung finden (vgl. BGH GRUR 2016, 803 – Armbanduhr Tz. 42 m. w. N.). Im Streitfall ist bei der Benutzung der Sohlen regelmäßig nur deren Seitenansicht zugänglich; Unterschiede in deren Gestaltung sind daher von hohem Gewicht für den Gesamteindruck.
bb) Danach erweckt die beanstandete Ausführungsform einen anderen Gesamteindruck als die Streitmuster.
(1) Zwischen den sich gegenüberstehenden Gestaltungen bestehen maßgebliche Unterschiede.
aaa) Insbesondere unterscheiden sie sich wesentlich in der Farbgestaltung.
Die Streitmuster sind zwar unter Verwendung von Farbfotografien angemeldet worden; diese weisen jedoch keine farblichen Eigenheiten auf, sondern geben lediglich äußerst geringfügige farbliche Schattierungen der abfotografierten, überwiegend weißen Vorlagen wieder und ent-sprechen daher im Wesentlichen einer schwarz-weißen Darstellung. In einem solchen Fall ist bei der Verletzungsprüfung grundsätzlich die beanstandete Form von der farblichen Gestaltung zu abstrahieren und die Frage der Übereinstimmung des Gesamteindrucks der Muster anhand einer einheitlichen Farbgebung zu beantworten. Etwas anderes hat allerdings zu gelten, wenn gegenüber der Darstellung eines Streitmusters, durch die eine einheitliche Farbgebung bean-sprucht wird, beim angegriffenen Muster Kontrastfarben Verwendung finden; durch eine kon-trastierende Farbgebung kann ein gegenüber dem in Schwarz-Weiß dargestellten Streitmuster abweichender Gesamteindruck beim angegriffenen Muster erzielt werden (vgl. BGH, a. a. O., – Schreibgeräte Tz. 52; Eichmann, a. a. O., § 38 Rz. 45; Auler in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz – Urheberrecht – Medienrecht, 3. Aufl. 2015, § 37 Design Rz. 4).
So liegt der Fall bei der beanstandeten Ausführungsform. Deren in Kontrast zum Weiß des oberen Teils der Sohle stehende Rotfärbung des unteren Teils der Sohle unterscheidet sich augenfällig von den einheitlich hell und homogen gehaltenen Gestaltungen der Streitmuster.
bbb) Hinzu kommt, dass auch die Oberflächenstruktur bei der beanstandeten Ausführungsform – anders als bei den Streitmustern – uneinheitlich ausgestaltet ist. Die aus Einzelmodulen zusammengesetzte Oberfläche findet sich bei ihr im unteren Teil der Sohle nicht; diese ist vielmehr nicht nur farblich abgesetzt, sondern weist auch eine andere, glatte Oberfläche auf.
(2) Auch wenn den Streitmustern mangels entgegenstehenden vorbekannten Formenschatzes ein großer Gestaltungsspielraum und damit ein weiter Schutzbereich beigemessen wird, ist der vor allem durch die Kontrastfarbe Rot des unteren Sohlen teils geprägte Gesamteindruck der beanstandeten Ausführungsform derartig verschieden von demjenigen der Streitmuster, dass er als anderer i. S. d. Art. 10 Abs. 1 GGV zu erachten ist.
3. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin erweitert der Senat mit seiner Würdigung, die Streitmuster seien nicht verletzt, den Streitgegenstand nicht. Er geht wie das Landgericht davon aus, dass sich das beantragte Verbot auf die bildlich dargestellte Ausführungsform einschließ-lich der als vierte Abbildung wiedergegebenen abstrakten Darstellung der Zwischensohle be-zieht. Er kommt lediglich zu dem Ergebnis, dass der so umrissene Unterlassungsanspruch nicht besteht, weil die beanstandete Ausführungsform unter Berücksichtigung auch der Untersohle nicht in den Schutzbereich der Streitmuster fällt.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.


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