Europarecht

Gerichtliche Überprüfbarkeit einer Auswahlentscheidung eines Sportverbandes betreffend ein Olympia-Qualifikationsturnier

Aktenzeichen  14 O 648/16

Datum:
27.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
SpuRt – 2016, 225
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
ZPO § 91, § 708 Nr. 6, § 711
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Die gerichtliche Kontrolle betreffend die Auswahlentscheidung eines Sportverbandes in Bezug auf die Entsendung von Sportlern zu einem Olympia-Qualifikationsturnier unterliegt nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, da dem Verband, der einen unmittelbaren Eindruck von den sportlichen Leistungen der miteinander konkurrierenden Athleten hat, ein sportartspezifischer Beurteilungsspielraum zukommt, der unter anderem die Einschätzung der Leistungsstärke der Athleten betrifft. (Rn. 19 und 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat sich ein Verband in seinen Nominierungsrichtlinien auferlegt, den leistungsstärksten Kandidaten zu den Olympischen Spielen zu entsenden, begegnet es keinen Bedenken, wenn sich auch die Entsendung zu einem Qualifikationsturnier danach richtet und die Entscheidung, wer an dem Qualifikationsturnier teilnehmen darf, unter Berücksichtigung des Leistungsstandes der miteinander konkurrierenden Sportler von den zuständigen Gremien getroffen wird. (Rn. 20 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich kein Anspruch auf Berücksichtigung bei einem Olympia-Qualifikationsturnier im Sinne eines unbedingten Zugangs herleiten. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag des Verfügungsklägers vom 18. April 2016, in der letztgestellten Fassung vom 27. April 2016, auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger kann die Vollstreckung des Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Ungeachtet der Frage, ob die Zuständigkeit des Landgerichts Würzburg gegeben ist oder der Rechtstreit in die Zuständigkeit eines deutschen Sportgerichts oder des Verwaltungsgerichts fällt, hat der Antrag in Sache jedenfalls keinen Erfolg.
I.
Dem Verfügungskläger steht gegen den Verfügungsbeklagten kein Anspruch auf Nominierung zu dem Olympia-Qualifikationsturnier der Männer Freistil Gewichtsklasse 97 kg in … im Zeitraum vom 06. Mai 2016 bis zum 08. Mai 2016 zu.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung muss dem Verfügungskläger unter Berücksichtigung von Artikel 19 Abs. 4 GG zwar grundsätzlich der Rechtsweg offen stehen, um die sportlich-konkurrierende Nominierungsentscheidung des Verfügungsbeklagten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gerichtlich überprüfen zu lassen. Allerdings verbleibt der nominierenden Stelle bei sogenannten sportartspezifischen Wertungen ein die gerichtliche Kontrolle einschränkender Beurteilungsspielraum, soweit komplexe sportartspezifische Bewertungen, zum Beispiel die Einschätzung der Leistungsstärke der um die Nominierung konkurrierenden Athleten, im Gesamtzusammenhang des Nominierungsverfahrens getroffen werden müssen und sich nicht ohne Weiteres im nachfolgenden Rechtsstreitverfahren für sich isoliert betrachtet nachvollziehen lassen. Insofern ist die gerichtliche Prüfung unter anderem darauf beschränkt, ob Verfahrensfehler oder Verstöße gegen anzuwendendes Recht vorliegen, ob die nominierende Stelle von einem unrichtigen. Sachverhalt ausgegangen ist, gegen allgemein gültige Bewertungsgrundsätze verstoßen hat oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder sonst willkürlich gehandelt hat (vgl. grundlegend BVerfGE 84,34).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Ablehnung der Nominierung des Verfügungsklägers zum Olympia-Qualifikationsturnier in … Anfang Mai 2016 durch den Verfügungsbeklagten nicht zu beanstanden.
Der Verfügungsbeklagte hat sich in seinen Nominierungsrichtlinien auferlegt, die leistungsstärksten Athleten zu den Olympischen Spielen zu entsenden. Dabei muss diese Vorgabe – konkludent, da die Nominierungsrichtlinien zu dieser Frage keine gesonderte Regelung beinhalten – auch für die Entsendung der Athleten zu den sogenannten Qualifikationsturnieren in ihrer jeweiligen Gewichtsklasse gelten. Unter anderem unter Berücksichtigung des aktuellen Leistungsniveaus des Athleten, des Gesundheits- und Fitnesszustandes, seine Einsatzbereitschaft sowie einer positiven Leistungsentwicklung und Ressourcen zur Leistungssteigerung erfolgt die Auswahl zur Teilnahme am jeweiligen Turnier.
Gemessen an diesen Maßstäben bestehen gegen die Nominierungsentscheidung des Verfügungsbeklagten für das Turnier in … Anfang Mai 2016 keine rechtlichen Bedenken. Die von dem Verfügungskläger im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen Rechtschutz geltend gemachten Einwendungen begründen keinen Anspruch auf seine Nominierung zu dem Qualifikationsturnier, anstelle der Nominierung des konkurrierenden weiteren Athleten ….
Der präsente Zeuge …, der Sportdirektor des Verfügungsbeklagten, hat glaubhaft dem Gericht in detaillierter und nachvollziehbarer Weise geschildert, dass die Entscheidung, den Athleten … für das letzte Qualifikationsturnier in … Anfang Mai 2016 zu nominieren in einer aktuellen Gremienentscheidung zwischen dem Vorstand des Verfügungsbeklagten, ihm selbst als Sportdirektor des Verfügungsbeklagten sowie dem Koordinator des … gefallen sei. Dabei habe man die strategischen Vorgaben des …, die in einem im November 2015 stattgefundenen sogenannten Meilensteingespräch verbandsbindend festgehalten worden seien, sowie insbesondere den Umstand berücksichtigt, dass der Athlet … momentan der leistungsstärkste Athlet in der streitgegenständlichen Gewichtsklasse/Stilart sei. Der Verfügungskläger befinde sich aufgrund seiner Verletzung, welche eine Operation nach sich gezogen habe, sowie dem darauf nachfolgendem Trainingsrückstand aktuell nicht in körperlicher Bestform. Zu dieser Einschätzung sei das vorgenannte Gremium unter Berücksichtigung einer aktuellen Beurteilung des Verfügungsklägers gekommen. Der Athlet … sei momentan derjenige Athlet, der nach Einschätzung der Trainer am leistungsstärksten und mit dem größten Leistungspotential für die nächsten Jahre ausgestattet sei. Eine solche positive Leistungsentwicklung auf internationaler Ebene sei aufgrund der strategischen Vorgaben des … für die Olympischen Spiele im Jahr 2020 und 2024 unabdingbar.
Diese Wertung des Gremiums unterliegt einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, da sie auf sportartspezifischen Wertungen und dem unmittelbaren Eindruck der sportlichen Leistungen des Verfügungsklägers und der weiteren konkurrierenden Athleten in Trainings- und Turniersituationen beruht, die von dem Gericht naturgemäß nur in beschränktem Maße nachvollzogen werden können.
Angesichts des im vorliegenden einstweiligen Verfahren gewonnenen Beweisergebnisses lässt diese Bewertung des Gremiums indes keine Überschreitung des ihm zustehenden Beurteilungsspielraumes erkennen. Dies gilt auch insbesondere im Hinblick auf den vom Verfügungskläger geltend gemachten Einwand, es sei aus Gleichbehandlungsgründen angezeigt, jedem der drei konkurrierenden Athleten die Teilnahme an einem Qualifikationsturnier zu ermöglichen. Der Zeuge … hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass man sich anhand der aktuellen Leistungen des Athleten …, insbesondere unter Berücksichtigung seiner Leistungen bei der Europameisterschaft 2016, letztendlich dazu entschlossen habe, den Athleten für zwei Qualifikationsturnieren zu nominieren und die Nominierung für das weitere dritte Turnier nach einer Einschätzung der aktuellen Leistungsstärke des Athleten … im Vergleich zu dem Verfügungskläger Anfang April 2016 vorzunehmen. Zu diesem Entschluss sei der Verfügungsbeklagte in seiner Gremienentscheidung im Zusammenwirken mit dem … auf Grundlage aller festgestellten Wettkampf- und Trainingsleistungen der drei konkurrierenden Athleten … und … und einer Gesamteinschätzung unter Maßgabe der strategischen Ausrichtungsvorgaben der … gekommen. Anhaltspunkte für Verstöße gegen anzuwendendes Recht oder allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe, die Zugrundelegung eines unrichtigen Sachverhalts durch die Beteiligten, sachfremde Erwägungen oder ein sonst willkürliches Handeln bestehe vor diesem Hintergrund nicht und sind zur Überzeugung des Gerichts auch nicht erkennbar.
Selbst wenn man jedoch davon ausgehen will, dass kein der gerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt unterliegender Beurteilungsspielraum des Verfügungsbeklagten, sondern ein gerichtlich überprüfbares Ermessen vorliegt, vermag das Gericht gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler bei der Entscheidung, den Verfügungskläger nicht für das streitgegenständliche Qualifikationsturnier in … zu nominieren, zu erkennen.
Ein Ermessensausfall, ein Ermessensfehlgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung des Verfügungsbeklagten liegen fern.
Ein Ermessensfehler ergibt sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Sinne einer Ermessensreduzierung des Verfügungsbeklagten durch Selbstbindung (§ 242 BGB i.V.m. Artikel 3 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung der Nominierungsrichtlinien des Verfügungsbeklagten). Der Zeuge … hat glaubhaft angegeben, dass es keine bindende Zusage des Bundestrainers des Verfügungsbeklagten oder einer sonstigen Person gegenüber dem Verfügungskläger gegeben habe, dass jeder der drei konkurrierenden Athleten, damit auch der Verfügungskläger, an einem Qualifikationsturnier im Jahr 2016 teilnehmen dürfe. Vielmehr habe dies aufgrund der aktuellen Entwicklungen jeweils kurzfristig entschieden werden müssen.
Eine solche Handhabung ist zur Überzeugung des Gerichts mit Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar. Aus Artikel 3 Abs. 1 GG lässt sich kein Anspruch des Verfügungsklägers dergestalt herleiten, dass er in jedem Fall Zugang zu einem der drei Qualifikationsturniere im Jahr 2016 haben müsste. Insbesondere besteht kein Anspruch des Verfügungsklägers auf „gleiche Teilhabe“ mit den anderen konkurrierenden Athleten im Sinne eines unbedingten Zugangs zu einem der drei Qualifikationsturniere unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Zeuge … hat zur Überzeugung des Gerichts die Nominierungskriterien für ein Qualifikationsturnier sowie die aktuelle Einschätzung der drei konkurrierenden Athleten untereinander dargelegt. Die Vorgehensweise des Verfügungsbeklagten beruht zur Überzeugung des Gerichts auf einleuchtenden Gründen; ihre Handhabung ist deshalb nicht willkürlich anzusehen.
Dies gilt ungeachtet der Frage, ob der Verfügungskläger unter rechtlichen Gesichtspunkten sein mit dem Antrag verfolgtes Ziel auf Nominierung zu dem Qualifikationsturnier in … Anfang Mai 2016 – und damit im Ergebnis eine Leistungsverfügung zu Lasten Dritter ohne deren förmliche Beteiligung (nämlich …) – im Wege des einstweiligen Rechtschutzes vor den ordentlichen Gerichten überhaupt erreichen könnte.
II.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 6, 711 ZPO.


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