Europarecht

Gesundheitliche Unbedenklichkeit eines Badezusatzes in Gestalt kleiner Törtchen

Aktenzeichen  29 U 470/18

Datum:
22.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MD – 2022, 223
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3, § 3a, § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 8b
LFGB § 3 Nr. 5 , § 5 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 524

 

Leitsatz

Das von einem Produkt ausgehende Risiko für die menschliche Gesundheit muss im Rahmen von § 5 Abs. 2 Nr. 2 LFGB iVm § 3 Nr. 10 LFGB aF bzw. § 3 Nr. 5 LFGB n.F. erheblich sein. Zwar beschränken sich die Risiken für die menschliche Gesundheit nicht auf die Gefahr des Erstickens, der Vergiftung, der Perforation oder des Verschlusses des Verdauungskanals, indes ergibt sich aus diesen Regelbeispielen, dass nur diese und diesen vergleichbare Gefahren erfasst werden (vgl. BT-Drs. 15/3657, 61, rechte Spalte, vierter Absatz). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 HK O 11164/17 2018-01-09 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

A. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 09.01.2018, Az. 1 HK O 11164/17, abgeändert und wie folgt gefasst:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 178,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.09.2017 zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage – soweit sie nicht übereinstimmend für erledigt erklärt wurde – abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 2/3, der Beklagte 1/3.
B. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
C. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 7/9, der Beklagte 2/9.
D. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts in obiger Fassung sind vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
E. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Abänderung des Beschlusses vom 08.11.2018 auf € 90.000,00 festgesetzt.

Gründe

II.
Die Berufung des Beklagten ist – soweit noch über sie zu entscheiden ist – zulässig und überwiegend begründet.
1. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Unterlassung des Inverkehrbringens der „Bio Organic Badetörtchen“ (Antrag I. 3.) aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2; § 3 Abs. 1; § 3a UWG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 2 LFGB i.V.m. § 3 Nr. 10 LFGB a.F. bzw. § 3 Nr. 5 LFGB n.F. zu.
Für den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch, der voraussetzt, dass das Verbot, gegen das verstoßen worden ist, zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch besteht (BGH GRUR 2009, 845 Rn. 38 – Internet-Videorecorder), ist eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage nicht dadurch eingetreten, dass § 3 Nr. 10 LFGB zum 10.08.2021 durch § 3 Nr. 5 LFGB ersetzt wurde. Unerheblich für den Erfolg der Klage ist zudem, ob der Kläger gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG n.F. in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG eingetragen ist, da der Rechtsstreit am 01.09.2021 bereits rechtshängig war (§ 15a Abs. 1 UWG).
Nach durchgeführter Beweisaufnahme lässt sich nicht feststellen, dass bei den „Bio Organic Badetörtchen“ vorhersehbar ist, dass sie aufgrund ihrer Form, ihres Geruchs, ihrer Farbe, ihres Aussehens, ihrer Aufmachung, ihrer Kennzeichnung, ihres Volumens oder ihrer Größe von Verbraucherinnen und Verbrauchern, insbesondere von Kindern, mit Lebensmitteln verwechselt und deshalb zum Mund geführt, gelutscht oder geschluckt werden, wodurch insbesondere die Gefahr des Erstickens, der Vergiftung, der Perforation oder des Verschlusses des Verdauungskanals oder eine vergleichbare Gefahr entstehen kann.
Das von einem Produkt ausgehende Risiko für die menschliche Gesundheit muss im Rahmen von § 5 Abs. 2 Nr. 2 LFGB i.V.m. § 3 Nr. 10 LFGB a.F. bzw. § 3 Nr. 5 LFGB n.F. erheblich sein. Zwar beschränken sich die Risiken für die menschliche Gesundheit nicht auf die Gefahr des Erstickens, der Vergiftung, der Perforation oder des Verschlusses des Verdauungskanals, indes ergibt sich aus diesen Regelbeispielen, dass nur diese und diesen vergleichbare Gefahren erfasst werden (vgl. BT-Drs. 15/3657 S. 61, rechte Spalte, vierter Absatz).
a) Im erholten Sachverständigengutachten vom 26.04.2019 (Bl. 138/142 d.A.) kommt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in vollständig nachvollziehbarer und überzeugender Weise zu dem Ergebnis, dass zwar ein Teil der Verbraucher mit gering ausgeprägter Vorsicht und/oder eingeschränkten, vor allem olfaktorischen Sinnesleistungen die Badetörtchen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Form, Farbe und Größe mit einem süßen Gebäckstück verwechseln könne (Ziffer 1.3), dass aber bei einem zum Mund Führen, Lutschen oder Schlucken der Badetörtchen oder Teilen davon eine erhebliche Gesundheitsgefahr durch ein Ersticken, eine Vergiftung oder eine Perforation oder einen Verschluss des Verdauungskanals nicht angenommen werden könne.
aa) Entsprechend den Ausführungen unter Ziffer 2.3 des Gutachtens ist davon auszugehen, dass ein bloßes zum Mund Führen nicht zu einer relevanten Schädigung der Mund- oder gastrointestinalen Schleimhaut durch oxidative oder pH-abhängige Effekt führen kann, da die Törtchen keine Substanzen enthalten, die oxidative Prozesse bewirken können und sich der pH-Wert im annähernd neutralen Bereich bewegt, so dass auch eine oropharyngeale Reizung insoweit ausscheidet (unter a)).
bb) Auch eine ernsthafte gesundheitliche Wirkung bei einer Aufnahme von Teilen der Badetörtchen durch Lutschen oder Schlucken aufgrund einer Schaumbildung und Aspiration des Schaumes mit anschließendem Erbrechen konnte das LGL in überzeugender Weise ausschließen, weil sich bei einem durchgeführten Aufschäumversuch mangels enthaltener Tenside selbst bei unrealistischen, die Schaumbildung begünstigenden Bedingungen nahezu kein Schaum bildete, da die Törtchen vorliegend lipophile Substanzen enthalten und auch der Zusatz des sprudelnden Natriumbicarbonat („Natron“, „Backsoda“) das Aufschäumen nicht befördert (unter b)).
cc) Auch die mechanischen Wirkungen bei einer Ingestion von Törtchenteilen führen nach dem LGL-Gutachten nicht zu einer relevanten Gesundheitsgefahr, weil die Inhaltsstoffe der Törtchen in der erwartbaren Zufuhrmenge bei akuter Exposition aufgrund ihrer Eignung als Lebensmittelzutaten unkritisch und auch die beigefügten Dekorationsobjekte wie Kornblumenblüten, Orangenteile, Rosenblüten und Zimt völlig schadlos essbar sind (unter c)).
Soweit der Sachverständige im Ausgangsgutachten vom 26.04.2019 im Falle des Dekorationsobjektes des Sternanis mechanische Verletzungen der Schleimhaut als denkbar bezeichnet hat, jedoch davon ausgegangen ist, dass Sternanis schon bei zum Verzehr bestimmten Artikeln als nicht essbare Dekoration erkannt wird, ist im Ergänzungsgutachten vom 07.10.2020 (Bl. 214/215 d.A.) eine präzise und überzeugende Vertiefung des Problems erfolgt. Selbst wenn man im Hinblick auf den Sternanis als Maßstab das Erkennungsvermögen nicht nur kleiner, sondern auch kleinster Kinder unter drei Jahren sowie dasjenige von verwirrten älteren Menschen wie psychiatrischer Patienten oder Demenzpatienten zugrunde legt (vgl. BayVGH BeckRS 2012, 52365 Rn. 17), ist nach den präzisen und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen auf Seite 2 des Ergänzungsgutachtens (Bl. 214 d.A., Rückseite) anzunehmen, dass das haptische Erkennen scharfkantiger Gegenstände im Mund und die dazugehörige Abwehrreaktion des unvollständigen Zubeißens bzw. des Ausspuckens bereits bei sehr kleinen Kindern und auch bei schwer verwirrten älteren Menschen relativ zu den anderen Sinnesbeeinträchtigungen gut ausgeprägt ist, so dass das Erkennen bzw. Ertasten einer potentiellen Gesundheitsgefahr in ähnlichem Maße wie bei gesunden Erwachsenen oder älteren Kindern möglich ist. Dementsprechend ändert sich an dem im Ausgangsgutachten angeführten Ergebnis, wonach der Sternanis ebenso wie bei zum Verkehr bestimmten Artikeln als nicht essbare Dekoration – zumindest haptisch – erkannt wird und deshalb keine Gesundheitsgefahr hervorruft, auch bei Einschluss der genannten besonders verletzlichen Personengruppen nichts. Auf die Überlegung, ob auch ein mit Sternanis verziertes Lebensmittel selbst nicht in Verkehr gebracht werden dürfte (vgl. den Hinweisbeschluss vom 09.01.2020 (Bl. 193/197 d.A.), kommt es mangels potentieller Gesundheitsgefahr auch bei diesen Gruppen nicht an.
Soweit der Kläger nach der ergänzenden Begutachtung weiter meint, der Sternanis könne bei Kleinkindern durch das Verschlucken von Kleinteilen die Gefahr des Erstickens bzw. des Eindringens in die Lunge oder in die Bronchien hervorrufen (Seiten 2 bis 4 des Schriftsatzes vom 15.01.2021, Bl. 220/222 d.A.), ist dem nicht zu folgen. Wie oben ausgeführt ist aufgrund der widerspruchsfreien und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten davon auszugehen, dass auch kleinste Kinder und schwer verwirrte ältere Menschen aufgrund ihrer insoweit nahezu unbeeinträchtigten Sinnesleistung gegenüber gesunden Erwachsenen und älteren Kindern den Sternanis haptisch im Mund erkennen, so dass die natürliche Abwehrreaktion des unvollständigen Zubeißens bzw. Ausspuckens einsetzt. Infolgedessen kommt es nicht zu einem Verschlucken bzw. Aspirieren des Sternanis bzw. Teilen davon, so dass eine Gesundheitsgefahr in Form des Erstickens oder des Eindringens in die Lunge oder die Bronchien nicht entstehen kann.
b) Soweit der Kläger seinen Unterlassungsanspruch in der Berufungsinstanz nunmehr auch damit begründen möchte, dass das untersuchte Produkt andere Inhaltsstoffe enthalte als auf dem Etikett angegeben und der entsprechende Farbstoff unzulässig sowie die Liste der Bestandteile gemäß Anlage K 5 unvollständig seien, verhilft das seiner Klage nicht zum Erfolg.
aa) Sowohl bei den Ausführungen des Klägers, dass das Produkt auf der Verpackung einen Farbstoff CI 77005 deklariere, bei dem es sich um C. I. Pigment Red 231 handle, den es nach der VO (EG) Nr. 1223/2009 nicht enthalten dürfe, als auch bei denjenigen dazu, dass die Liste der Bestandteile (Anlage K 5) mangels Angabe der Blütenblätter und der Dekorationen mit Lebensmitteln wie Sternanis oder Kaffeebohnen bzw. Blüten und Pflanzenteilen wie Lavendel und Rosen unvollständig sei, handelt es sich gegenüber seinem ursprünglichen Vorbringen, wonach die Badetörtchen aufgrund ihrer Verwechselbarkeit mit Lebensmitteln beim entsprechenden Konsum zu Gesundheitsgefahren führten, um zwei neue Lebenssachverhalte. Infolgedessen liegen bei deren Geltendmachung gegenüber dem ursprünglichen Streitgegenstand, aufgrund des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs zwei weitere neue Streitgegenstände vor. Es handelt sich folglich um eine Klageerweiterung.
bb) Da der Kläger in erster Instanz obsiegt hat, aber keine Anschlussberufung nach § 524 ZPO eingelegt hat, ist die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz unzulässig.
Der Zweck einer Anschlussberufung ist unter anderem, prozessuale Waffengleichheit zu schaffen, indem sie den Berufungsbeklagten in den Stand setzt, auf eine Berufung des Gegners ohne verfahrensrechtliche Fesseln reagieren und die Grenzen der neuen Verhandlung mitbestimmen zu können (BGH NJW 1984, 2951, 2952). Will er die Grenzen neu bestimmen und sich nicht auf die Abwehr der Berufung beschränken, kann er dies grundsätzlich nur im Wege der Anschlussberufung erreichen. Dementsprechend muss sich der in erster Instanz obsiegende Kläger der Berufung der Gegenseite anschließen, wenn er eine Klageerweiterung vornehmen oder neue Ansprüche einführen und sich damit nicht nur auf die Abwehr der Berufung beschränken will. Danach ist auch im Fall der Klageerweiterung die Einlegung einer Anschlussberufung erforderlich (BGH BeckRS 2018, 18197 Rn. 17; NJW 2015, 2812 Rn. 27 ff.; GRUR 2012, 45 Rn. 56 – Diglycidverbindung; NJW 2009, 1870). Lediglich wenn in der Berufungsinstanz gemäß § 264 Nr. 3 ZPO ohne Änderung des Klagegrundes statt des ursprünglich geforderten Gegenstands wegen einer späteren Veränderung ein anderer Gegenstand gefordert wird, ist die Einlegung einer Anschlussberufung entbehrlich. Das Begehren des in erster Instanz erfolgreichen Kläger geht in diesem Fall nicht über eine Abwehr der Berufung hinaus (BGH NJW-RR 2006, 669; NJW-RR 2011, 1093 Rn. 10 ff.).
Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor, da der Kläger zwei neue Streitgegenstände aufgrund zweier neuer Lebenssachverhalte, der vermeintlich unzulässigen Verwendung eines Farbstoffs sowie der vermeintlich unvollständigen Liste der Bestandteile, einzuführen versucht und damit den Klagegrund geändert hat. Ob im vorliegenden Fall eine Ausnahme von der Befristung des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO zuzulassen wäre (vgl. BGH NJW 2015, 2812 Rn. 33), weil der Kläger jedenfalls von dem verwendeten Farbstoff erst durch das Gutachten vom 26.04.2019 erfahren hat, kann dahinstehen, weil er auch danach keine Anschlussberufung eingelegt, sondern anwaltlich beraten im Schriftsatz vom 31.12.2019 (Bl. 149 d.A.) vielmehr eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung ausgesprochen und die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe ausdrücklich nur für die Zukunft in Aussicht gestellt hat.
2. Der Kläger kann als nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. klagebefugter Verband die Abmahnkostenpauschale auch dann in voller Höhe beanspruchen, wenn die Abmahnung nur teilweise berechtigt war, da sie sich nach den Kosten des Verbandes richten (vgl. BGH GRUR 2008, 1010 Rn. 50 – Payback; GRUR 2009, 413 Rn. 31 – Erfokol-Kapseln). Dies war hinsichtlich der Cremes „ByeByeCellulite“ und „3 D Bodylift“ der Fall (dazu sogleich unter Ziffer 3. a)).
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 Abs. 1, 91a Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Hinsichtlich der übereinstimmend für erledigt erklärten Teile des Rechtsstreits entspricht es gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO billigen Ermessen, die Kosten für die mit den Anträgen I. 1. („ByeByeCellulite“) und I. 2. („3 D Bodylift“) geltend gemachten Unterlassungsansprüche dem Beklagten aufzuerlegen, diejenigen für den Unterlassungsantrag I. 4. („Kinderbadetörtchen Bio Organic“) dagegen dem Kläger.
a) Im Hinblick auf die Cremes „ByeByeCellulite“ und „3 D Bodylift“ standen dem Kläger die Unterlassungsansprüche bis zum Wegfall der Wiederholungsgefahr durch die entsprechende strafbewehrte Unterlassungserklärung der Beklagten zu. Das Inverkehrbringen der Cremes mit der beanstandeten Verpackungsgestaltung ist als geschäftliche Handlung, die gegen Art. 19 Abs. 1 lit. g) VO (EG) Nr. 1223/2009 verstößt, gemäß § 3a UWG unlauter und war deshalb gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 a.F.; § 3 Abs. 1; § 3a UWG zu unterlassen.
aa) Nach Art. 19 Abs. 1 lit. g) VO (EG) Nr. 1223/2009 dürfen kosmetische Mittel nur auf dem Markt bereitgestellt – mithin in den Verkehr gebracht (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. g) VO (EG) Nr. 1223/2009) – werden, wenn ihre Verpackungen unverwischbar, leicht lesbar und deutlich sichtbar eine Liste der Bestandteile tragen.
Dieser Anforderung genügen die beanstandeten Verpackungen der Cremes „ByeByeCellulite“ und „3 D Bodylift“ nicht. Der Beklagte räumt ein, dass die Kartonfaltung, die zur teilweisen Abdeckung der Bestandteilliste führt, fehlerhaft ist. Diese Abdeckung führt dazu, dass die Liste nicht insgesamt deutlich gesehen werden kann. Das hindert die Transparenz, die nach Erwägungsgrund 46 der VO (EG) Nr. 1223/2009 mit dem Erfordernis der Angabe der Bestandteile erreicht werden soll. Ob der Verbraucher die Liste vollständig sichtbar machen kann, ist insoweit ohne Belang. Zum einen kann dem Verbraucher nicht zugemutet werden, die Verpackung zu manipulieren, etwa die Bodenfaltung einzudrücken, um sich die erforderliche Kenntnis zu verschaffen, und dadurch Gefahr zu laufen, die Verpackung zu beschädigen; zum anderen obliegt es nicht dem Verbraucher, sondern gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1223/2009 der Beklagten als verantwortlicher Person im Sinne des Art. 4 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1223/2009, die Liste deutlich sichtbar zu machen.
Die Verpflichtung zur deutlich sichtbaren Angabe der Bestandteile besteht unabhängig von der Art und Weise, in der ein kosmetisches Mittel vertrieben wird. Es ist deshalb unerheblich, ob der Beklagte die Cremes lediglich über das Internet vertrieb oder auch im Wege des Direktmarketings auf sogenannten Homeparties.
bb) Die Vorschriften der VO (EG) Nr. 1223/2009 zur Kennzeichnung kosmetischer Mittel stellen Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a UWG dar (vgl. BGH GRUR 2016, 418 Rn. 11 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl., § 3a, Rn. 1.201).
cc) Der Verstoß ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern spürbar im Sinne des § 3a UWG zu beeinträchtigen. Der Kläger hat vorgetragen, dass der Verstoß spürbar sei, weil er dem Verbraucher die Prüfung nicht ermögliche, ob das Produkt einen unerwünschten oder unverträglichen Bestandteil enthält (vgl. Seite 13 der Klageschrift). Dem ist der Beklagte lediglich mit der Berufung darauf entgegengetreten, ein Erfordernis, die Umverpackung leicht einzudrücken oder aufzufalten, um verdeckte Angaben zu lesen, könne offensichtlich keine spürbare Beeinträchtigung ergeben. Damit ist sie der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast (vgl. BGH GRUR 2017, 922 Rn. 32 – Komplettküchen; GRUR 2018, 1258 Rn. 51 – YouTube-Werbekanal II) nicht nachgekommen. Diese Einwendung stellt kein tragendes substantiiertes Vorbringen dar, weil sie zu Unrecht unterstellt, der Verbraucher zögere nicht, die Verpackung einzudrücken oder aufzufalten. Für Warenstücke, die er vor dem Kauf in Augenschein nehmen kann, liegt auf der Hand, dass er Bedenken haben kann, fremde Waren zu manipulieren und dadurch Gefahr zu laufen, die Verpackung zu beschädigen. Auch beim Kauf über das Internet kann es dem Verbraucher angelegen sein, Waren, hinsichtlich derer er ein Widerrufsrecht gemäß § 356 BGB hat, nicht zu beeinträchtigen.
b) Nach dem Parteivorbringen bestand zwischen den „Bio Organic Badetörtchen“ und den „Kinderbadetörtchen Bio Organic“ kein wesentlicher Unterschied. Es entspricht daher der Billigkeit, die Kostenentscheidung insoweit (Antrag I. 4.) der Kostenentscheidung zur Hauptsache nach dem verbliebenen Antrag I. 3. folgen zu lassen.
c) Im Rahmen der Kostenquotelung und der Streitwertfestsetzung war die ohne zulässige Anschlussberufung gemäß § 524 ZPO vorgenommene Klageerweiterung zu berücksichtigen. Im Rahmen von § 3 ZPO erscheint es angezeigt, für den ersten Streitgegenstand betreffend die vermeintlich unzulässige Verwendung eines Farbstoffs € 20.000,00 anzusetzen, da hiermit ebenso wie bei den jeweils entsprechend bewerteten Badetörtchen eine fehlende Verkehrsfähigkeit des Produkts insgesamt geltend gemacht werden sollte. Im Hinblick auf den zweiten Streitgegenstand, die fehlende Angabe der Blütenblätter und Dekorationsartikel, sind wie bei den beiden Cremes € 10.000,00 anzusetzen, da es hier ebenfalls nur um einen vermeintlichen Deklarationsverstoß geht, der durch Berichtigung der Verpackung beseitigt werden könnte. Zum Ursprungsstreitwert von € 60.000,00 sind folglich aufgrund der Klageerweiterung in der Berufungsinstanz € 30.000,00 hinzuzurechnen. Eine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung braucht nicht zu erfolgen (vgl. OLG München NJW-RR 2017, 700).
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat aufgrund ihres Einzelfallcharakters keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor.


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