Europarecht

Gezielte Behinderung von Mitbewerbern durch massenhafte Hinweise auf sogenannte “Error Fares” für Flugreisen

Aktenzeichen  37 O 14236/17

Datum:
11.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MDR – 2018, 880
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 4 Nr. 4, § 5 Nr. 1, § 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Animiert die Betreiberin eines Internetportals ihre Nutzer zur Buchung von “Error Fares” für Flugreisen, kann hierin eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern liegen. (Rn. 34)
2. Mit der Veröffentlichung und Verbreitung von Error Fares provoziert ein Internetportalbetreiber missbräuchliches Verhalten seiner Nutzer gegenüber der betroffenen Fluggesellschaft. (Rn. 39)
3. Bei der Frage der gezielten Behinderung durch “Error Fares” im Sinne des § 4 Nr. 4 UWG fand Berücksichtigung, dass es nicht um vereinzelte Buchungen eines Error Fare ging, sondern die Portalbetreiberin als Markführerin im Bereich “Reiseschnäppchenportal” Millionen von Nutzern erreicht und über das Vorliegen Error Fares informiert, so dass es binnen weniger Stunden zu einer Vielzahl von Buchungen kam. (Rn. 45)

Tenor

1. Der Verfügungsbeklagten wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann und zu vollziehen am Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten – wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
geschäftlich handelnd Dritte auf fehlerhafte Preisauszeichnungen („Error Fares“) der Verfügungsklägerin hinzuweisen und/oder hinweisen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der beigefügten Anlage AS 1 wiedergegeben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsbeklagte.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat Erfolg.
A. Verfügungsanspruch
Der Verfügungsklägerin steht ein Unterlassungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte aus § 8 Abs. 1 UWG iVm §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG zu.
1. Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin
Die Verfügungsklägerin ist zur Geltendmachung von Ansprüchen aus § 8 Abs. 1 UWG als Mitbewerberin nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert.
Die Parteien sind Mitbewerber iSd § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, denn zwischen der Verfügungsklägerin und der Verfügungsbeklagten besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis.
An das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses sind im Interesse eines wirksamen wettbewerbsrechtlichen Individualschutzes keine hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist keine Branchengleichheit erforderlich (BGH NJW 2006, 3490). Für die Annahme genügt es daher, wenn zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen versucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (BGH GRUR 2014,1114).
So besteht zwischen dem Betreiber eines Hotels und dem Anbieter eines Online-Reisebüros, das mit einem Hotelbewertungsportal verknüpft ist, im Hinblick auf den Betrieb des Hotelbewertungsportals ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG (BGH, 19.03.2015, I ZR 94/13, Rn. 19, zitiert nach juris). Zwischen der vorteilhaften Wirkung des Hotelbewertungsportals für die Attraktivität des Online-Reisebüros und dem Absatznachteil, der einem Hotelbetreiber aus einer im Bewertungsportal verzeichneten negativen Hotelwerbung zu erwachsen droht, besteht eine für die Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses hinreichende Wechselwirkung in dem Sinne, dass der Wettbewerb des Online-Reisebüros gefördert wird und derjenige des Hotelbetreibers beeinträchtigt werden kann (vgl. BGH, 19.03.2015, I ZR 94/13, Leitsatz 1).
Eine solche hinreichende Wechselwirkung besteht auch hier.
Die Verfügungsklägerin ist eine Fluggesellschaft, die ihre Beförderungsscheine auch online anbietet und die Verfügungsbeklagte betreibt ein Informationsportal, auf dem sich Nutzer über Reiseangebote informieren und diese vergleichen können. Beide richten sich – zumindest teilweise – an die gleichen Adressaten bzw. Kunden, nämlich Flugreisende. Darauf, ob die Verfügungsbeklagte selbst Flüge vermittelt, kommt es schon deshalb nicht an.
Die Verfügungsbeklagte und die Verfügungsklägerin befinden sich – auch ohne komplette Branchengleichheit – in einem Wettbewerbsverhältnis.
Die Verfügungsbeklagte hat mit dem streitgegenständlichen Verhalten jedenfalls die Nutzer des von ihr betriebenen Internetportals auf preislich fehlerhafte Angebote der Verfügungsklägerin aufmerksam gemacht. Als Internetportal, das über Werbeeinnahmen von einer hohen Anzahl an Nutzern profitiert, kann sie mit der Information über besonders günstige Angebote ihre Bekanntheit und Attraktivität für potentielle Nutzer, die Urlaubsreisen buchen wollen, sowie Werbekunden steigern und so durch die Mitteilung von Error Fares der Verfügungsklägerin Vorteile für sich generieren.
Der Vorteil der Verfügungsbeklagten durch die Präsentation der Error Fares wirkt sich zugleich als Nachteil für die Verfügungsklägerin aus: Durch die gezielte Information über preislich fehlerhafte Angebote der Verfügungsklägerin werden diese Error Fares erheblich schneller entdeckt, als wenn sie nur auf der Internetseite der Verfügungsklägerin sichtbar wären und dem entsprechend häufiger gebucht, was nach Vortrag der Verfügungsklägerin mit wettbewerblichen Nachteilen bezüglich der betroffenen Flüge verbunden (siehe Ziff. A. 2.) und damit geeignet ist, den Wettbewerb der Verfügungsklägerin zu beeinträchtigen. Eine Wechselwirkung ist demnach gegeben.
2. Verstoß gegen §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG
Indem die Verfügungsbeklagte ihre Nutzer zur Buchung von Error Fares animiert, verstößt sie gegen §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG.
Das streitgegenständliche Verhalten der Verfügungsbeklagten ist unlauter und stellt eine nicht hinnehmbare Behinderung des Wettbewerbs der Verfügungsklägerin iSd § 4 Nr. 4 UWG dar.
Eine unlautere Behinderung von Mitbewerbern iSd § 4 Nr. 4 UWG setzt die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der Mitbewerber voraus, die über eine mit jedem Wettbewerb verbundene Beeinträchtigung hinausgeht und bestimmte Unlauterkeitsmerkmale aufweist. Unlauter ist die Beeinträchtigung nicht nur, wenn gezielt der Zweck verfolgt wird, Mitbewerber an ihrer Entfaltung zu hindern und dadurch zu verdrängen, sondern auch dann, wenn die Behinderung dazu führt, dass die beeinträchtigten Mitbewerber ihre Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können (Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Auflage 2017, § 4, Rn. 4.10). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf Grund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstiger Marktteilnehmer sowie Interessen der Allgemeinheit zu beurteilen (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Auflage 2017, § 4, Rn. 4.11; BGH GRUR 2014, 785 mwN).
a) Unlauterkeit der Behinderung
Die Verfügungsbeklagte handelt unlauter, weil sie bewusst einen erkennbaren Fehler der Verfügungsklägerin ausnutzt und damit einen deutlichen Wettbewerbsnachteil für die Verfügungsklägerin schafft.
Unlauter ist eine Maßnahme dann, wenn sie sich zwar (auch) als Entfaltung des eigenen Wettbewerbs darstellt, aber das Eigeninteresse des Handelnden unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Wettbewerbsfreiheit weniger schutzwürdig ist, als die Interessen der üblichen Beteiligten und der Allgemeinheit (BGH WRP 2014, 424). Entscheidend ist, ob die Auswirkungen der Handlung auf das Wettbewerbsgeschehen so erheblich sind, dass sie unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Gesetzes von den Marktteilnehmern nicht hingenommen werden müssen (BGH GRUR 2007, 800). Dabei ist die Marktmacht des handelnden Unternehmens im Verhältnis zum behinderten Mitbewerber zu berücksichtigen, sowie, ob der Handelnde seine Ziele mit weniger einschneidenden Wirkungen erreichen könnte (Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Auflage 2017, § 4, Rn. 4.11).
Es läuft den Interessen der Verfügungsklägerin als Mitbewerberin in erheblichem Maße zuwider, dass die Verfügungsbeklagte, indem sie ihre Nutzer zur Buchung von Error Fares animiert, auch rechtsmissbräuchliches Verhalten der Nutzer gegenüber der Verfügungsklägerin provoziert.
Das Ausnutzen eines Error Fares kann, entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten, nicht nur dann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellen, wenn die Buchung erfolgt, um den Anbieter für die Nichtinanspruchnahme der gebuchten Leistung zu einer (Vergleichs-) Zahlung zu veranlassen (vgl. OLG München NJW 2003, 367). Vielmehr können auch Nutzer, die auf Vertragserfüllung bei Angeboten bestehen, welche für sie erkennbar fehlerhaft erheblich unterhalb der üblichen Bepreisung liegen, rechtsmissbräuchlich handeln (bspw. OLG Nürnberg NJOZ 2010, 1733 und AG Dortmund MMR 2017, 497 zu Bestellung in Onlineshops sowie AG München v. 4.11.2009, Az. 163 C 6277/09 zur Buchung eines sog. error fare).
Zumindest in diesem Fall geht die Kammer vom Vorliegen einer fehlerhaften Preisauszeichnung in Form eines Error Fares aus – dies auch vor dem Hintergrund als die Verfügungsbeklagte den Preis selber als „waschechten Error Fare“ bei ihrer Veröffentlichung beworben hat (Anlage AS 1). Insofern handelt es sich hier nicht um einen Zweifelsfall. Die Fehlerhaftigkeit des Preises war für die Nutzer klar erkennbar.
Auch wirbt die Verfügungsbeklagte generell nicht nur mit günstigen Angeboten, die unerkannt Error Fares sein könnten, sondern zumindest bei Werbung für die Nutzung ihres WhatsApp-Alarms explizit auch mit der Mitteilung von (erkennbaren) Error Fares (Anlage AS 8). Damit nutzt sie die Fehler der Verfügungsklägerin gezielt als prominentes Marketing-Instrument für sich.
Der Verfügungsklägerin entstehen durch die flächendeckende Verbreitung eines Error Fares nicht nur erhöhte Rechtsverfolgungskosten, sondern sie hat auch nachvollziehbar dargelegt, und glaubhaft gemacht, dass ihr durch die sich anschließende Rückabwicklung ein Imageschaden in der Öffentlichkeit droht. Zudem hat sie schlüssig vorgetragen, dass sich eine Rückabwicklung zeitnah zum Flugangebot, um dieses sodann noch zum angemessenen Preis zu verkaufen, wegen des Zeitablaufs äußerst schwierig gestaltet. Bleibt die Verfügungsklägerin an den Vertrag mit dem Nutzer gebunden, muss sie diesen für einen Bruchteil des üblichen Preises befördern, wodurch ihr ein Schaden zumindest in der Differenz zwischen dem marktüblichen und dem fehlerhaft ausgeschriebenen Preis entsteht. Schafft sie es, sich wieder von dem Vertrag zu lösen, kann sie ggf. wegen Zeitablaufs den Flug zum regulären Preis nicht mehr erneut verkaufen.
Bereits bei einer sehr viel geringeren Buchungszahl eines Error Fares sind der Verfügungsklägerin in der Vergangenheit mit Rechtsverfolgung und Rückabwicklung Wettbewerbsnachteile (wie zwei Jahre Rückabwicklungszeit sowie Rechtsanwaltskosten) entstanden. Die Rückgängigmachung der durch die Ausnutzung des streitgegenständlichen Error Fare zustande gekommenen 600 Buchungen ist für die Verfügungsklägerin demnach mit rechtlichen Unwägbarkeiten und mit erheblichem Mehraufwand verbunden, den sie auch als größte deutsche Fluggesellschaft nicht hinzunehmen hat.
Dabei ist mit zu berücksichtigen, dass es vorliegend nicht um vereinzelte Buchungen eines Error Fare geht, sondern die Verfügungsbeklagte als Markführerin im Bereich „Reiseschnäppchenportal“ Millionen von Nutzern erreicht und über das Vorliegen Error Fares informiert, so dass es – wie im vorliegenden Fall – binnen weniger Stunden zu einer Vielzahl von Buchungen kommt. Der Marktmacht der Verfügungsbeklagten kommt daher ein zusätzliches Gewicht bei der Bewertung des (parasitären) Ausnutzens hinzu.
b) Kein gleichwertig schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit oder der Verfügungsbeklagten
Demgegenüber besteht kein gleichwertiges schutzwürdiges Interesse seitens der Allgemeinheit bzw. der Verbraucher. Zwar kann die Vergleichsmöglichkeit verschiedener Angebote sowie die Information über besonders günstige Angebote die Interessen der Verbraucher fördern. Diese Interessen können jedoch nicht die Information über preislich fehlerhafte Angebote umfassen, deren Wahrnehmung ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellen kann und auch für die Verbraucher letztendlich zumindest mit rechtlichen Unwägbarkeiten verbunden ist.
Das berechtigte wirtschaftliche Interesse der Verfügungsbeklagten, ihre Nutzerzahl zu erhöhen, indem sie möglichst umfassend und detailliert über „Schnäppchenangebote“ informiert, darf ebenfalls nicht dazu führen, ihre Nutzer flächendeckend und zum Nachteil der Verfügungsklägerin zur Ausnutzung von erkennbaren Error Fares zu animieren. Die Verfügungsbeklagte kann ihr legitimes Ziel, die Nutzerzahlen durch „Schnäppchenangebote“ zu erhöhen, auch ohne die Bewerbung eines erkennbaren Error Fares weiterverfolgen, indem sie andere, günstige Flugangebote bewirbt, die keinen klar erkennbaren Error Fare darstellen.
Das streitgegenständliche Verhalten der Verfügungsbeklagten stellt sich in der Gesamtschau nicht mehr als bloße Folge eines freien Wettbewerbs dar, welchen die Verfügungsklägerin hinzunehmen hat. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich die Verfügungsbeklagte auf Preisvergleiche und die Information über besonders günstige Angebote beschränken würde, kann jedoch nicht die Aufforderung des Marktführers im Bereich „Reiseschnäppchenportal“ mit einem derart hohen Verbreitungsgrad umfassen, gezielt erkennbare Fehler der Verfügungsklägerin auszunutzen.
B.
Wiederholungsgefahr, § 8 Abs. 1 Satz 2 UWG
Wiederholungsgefahr iSd § 8 Abs. 1 Satz 2 UWG ist gegeben. Mit der Veröffentlichung des Error Fare am 01.9.2017 hat die Verfügungsbeklagte gegen §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG verstoßen, womit eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr begründet ist.
C.
Verfügungsgrund, §§ 935, 940 ZPO
Auch ein Verfügungsgrund gem. § 935, 940 ZPO ist gegeben. Die Verfolgung der streitgegenständlichen Unterlassungsansprüche ist dringlich. Die Antragstellung erfolgte am 29.09.2017, d.h. binnen eines Monats nach Kenntnis von der Bewerbung des streitgegenständlichen Error Fares.
Die Vermutung des § 12 Abs. 2 UWG ist nicht widerlegt.
D.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.


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