Europarecht

Heranziehung zu Kosten der Zurückschiebung

Aktenzeichen  M 25 K 18.3432

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12221
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 57, § 66 Abs. 1, § 67 Abs. 1
AsylVfG § 18 Abs. 3, § 27, § 29

 

Leitsatz

Eine Kostenhaftung für eine Zurückschiebung besteht nur, wenn die ihr zu Grunde liegende Amtshandlung (hier: die Zurückschiebungsverfügung) rechtmäßig war. Unbeachtlich ist dabei, ob die Zurückschiebungsverfügung bereits in Bestandskraft erwachsen war.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Der Bescheid der Beklagten vom 7. November 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 7. Juni 2018 wird aufgehoben.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Auf Grund der Zustimmung der Beteiligten konnte gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 21. Juli 2020 und der Kläger mit Schreiben vom 17. August 2020 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
2. Der Bescheid der Beklagten vom 7. November 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. Juni 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
a. Rechtsgrundlage für den Leistungsbescheid vom 7. November 2014 ist § 66 Abs. 1 i.V.m. § 67 Abs. 1 AufenthG. Die Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheides richtet sich nach der im Zeitpunkt seines Erlasses geltenden Rechtslage (vgl. BVerwG, U.v. 16.10.2012 – 10 C 6/12 – beckonline). Der Leistungsbescheid hat seine abschließende Fassung durch den Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2018 erhalten. Maßgeblich sind daher die §§ 66, 67 AufenthG in ihrer Fassung vom 26. November 2011 (BGBl. I S. 2258).
Nach § 66 Abs. 1 AufenthG (Fassung vom 26. November 2011) hat der Ausländer die Kosten seiner Zurückschiebung zu tragen. Allerdings besteht eine Kostenhaftung nur, wenn die ihr zu Grunde liegende Amtshandlung (hier: die Zurückschiebungsverfügung vom 10. April 2011) ihrerseits den Ausländer nicht in seinen Rechten verletzt, also rechtmäßig war (BVerwG, U.v. 16.10.2012 – 10 C 6/12 – juris Rn. 21; VGH Kassel, B.v. 4.1.21 – 5 A 199/19 – beckRS 2021, 1205 Rn. 12). Unbeachtlich ist dabei, ob eine Zurückschiebungsverfügung wie hier in Bestandskraft erwachsen ist (vgl. Kluth in: Kluth/Heusch, BeckOK – Ausländerrecht, 28. Edition, Stand: 1.1.2021, § 66 Rn. 3). Die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung beurteilt sich nach der im Zeitpunkt ihrer Durchführung geltenden Rechtslage (vgl. BVerwG, U.v. 16.10.2012 – 10 C 6/12 – beckonline). Damit gilt für die Zurückschiebung § 57 AufenthG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juli 2009 (BGBl. S. 2437)).
Dabei ist bereits zweifehlhaft, ob der von der Beklagten angeführte § 57 Abs. 1 AufenthG als Rechtsgrundlage die vorliegende Zurückschiebungsverfügung vom 10. April 2011 überhaupt trägt. Nach § 57 Abs. 1 AufenthG (Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008) soll ein Ausländer, der unerlaubt eingereist ist, innerhalb von 6 Monaten nach dem Grenzübertritt zurückgeschoben werden. Abweichend hiervon ist die Zurückschiebung zulässig, solange ein anderer Staat auf Grund einer zwischenstaatlichen Übereinkunft zur Übernahme des Ausländers verpflichtet ist.
Der Kläger ist zwar unerlaubt i.S.d. § 14 AufenthG in die Bundesrepublik Deutschland am … April 2011 eingereist, da er weder über einen Aufenthaltstitel noch über einen Pass bzw. Passersatz verfügte, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 3, § 4 AufenthG. Jedoch hat der Kläger gem. §§ 13, 18 AsylVfG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586)) bei der Grenzbehörde um Asyl nachgesucht. Ein Asylantrag/Asylgesuch liegt vor, wenn sich dem schriftlich oder mündlichen oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder Schutz vor Abschiebung sucht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer das Wort „Asyl“ benutzt, sondern es ist anhand seiner Äußerungen festzustellen, was der Ausländer wirklich will (vgl. Haderlein in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 28. Ausgabe, Stand 1.1.2021, § 18 AsylG Rn. 14). Da asylrelevante und asylirrelevante Gründe bisweilen nur schwer abgrenzbar sind und das Vorbringen eines anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers in der Regel nicht derart klar und eindeutig ist, dass es mit Sicherheit nicht dem Asylrecht oder dem Bereich des internationalen Schutzes zuzuordnen ist, ist im Zweifel immer von einem Asylgesuch auszugehen, wenn das Vorbringen des Ausländers zumindest auch auf die Gefahr politischer Verfolgung oder drohendem Schaden hindeutet (vgl. Houben in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 28. Ausgabe, Stand 1.1.2021, § 13 AsylG Rn. 11).
Der Kläger hat bei seiner Befragung am 10. April 2011 gegenüber der Bundespolizei auf die Frage, was er in Deutschland wolle, geäußert, dass er aus seiner Heimat geflüchtet sei, weil er Jeside sei und sie verfolgt würden. Dies kann bei laienhafter Auslegung als ein Schutzbegehren i.S.d. § 13 AsylVfG verstanden werden. Darauf, ob der Ausländer mit seinem Schutzbegehren Erfolg haben wird oder ein anderer Staat für die Bearbeitung zuständig ist, kommt es hierbei nicht an, da der Bundespolizei hierfür die Prüfungsbefugnis fehlt. Diese steht nur dem Bundesamt zu (vgl. Haderlein in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 28. Ausgabe, Stand 1.1.2021, § 18 AsylG Rn. 14). Unabhängig davon hat der damalige Bevollmächtigte des Klägers jedenfalls am 15. April 2011 schriftlich für den Kläger Asyl beantragt, so dass sich eine Zurückschiebung nach den spezielleren Regelungen des AsylVfG, in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586) gerichtet hätte und eine Zurückschiebung nach § 57 AufenthG nicht möglich war (vgl. OVG NRW, B.v. 26.2.2013 – 18 B 572/12 – BeckRS 2013, 51232; Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 7. Auflage, 2009, § 18 Rn. 2; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand Mai 2013, § 57 AufenthG Rn. 14).
b. Aber auch eine Umdeutung der Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 AufenthG in eine Zurückschiebung nach § 18 Abs. 3 und 2 AsylVfG führt nicht zur Rechtmäßigkeit der Maßnahme, denn die Voraussetzungen einer Zurückschiebung nach den Regelungen des § 18 Abs. 3 und 2 AsylVfG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798) geändert durch Art. 18 FGG-ReformG v. 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586)) lagen weder im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 10. April 2011 noch im Zeitpunkt der tatsächlichen Abschiebung am 9. Juni 2011 vor.
Offen bleiben kann dabei, ob die §§ 66, 67 AufenthG bei einer Zurückschiebung nach den Vorschriften des AsylVfG überhaupt anwendbar sind (vgl. dazu Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage, 2016, § 66 Rn. 2, offen gelassen VG Freiburg, U.v. 20.12.2018 – 8, K 10705/17 – BeckRS 2018, 43435 Rn. 22f.).
Gem. § 18 Abs. 3 AsylVfG ist der Ausländer zurückzuschieben, wenn er von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird und die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Nach Abs. 2 Nr. 2 der Vorschrift ist dem Ausländer die Einreise zu verweigern, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird. Insofern wird auf die Dublin-II VO (VO/EG Nr. 343/2003) Bezug genommen (Haderlein in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 28. Ausgabe, Stand 1.1.2021, § 18 AsylG Rn. 22 zu Dublin-III VO).
Vorliegend ist der Kläger unerlaubt eingereist (s.o). Er wurde auch im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Einreise angetroffen, da der Kläger am 10. April 2011 auf der Bundesautobahn * … an der Anschlussstelle O* … aus Richtung Österreich kommend von der Beklagten aufgegriffen und kontrolliert wurde.
Zudem lagen auf Grund des EURODAC-Treffers Anhaltspunkte dafür vor, dass Italien für die Bearbeitung des Asylbegehrens des Klägers zuständig ist. Jedoch war im Zeitpunkt des Bescheidserlasses kein Auf- oder Wiederaufnahmeersuchen im Hinblick auf Italien gem. Art. 20 Dublin-II VO (VO (EG) Nr. 343/2003) durchgeführt. Dieses wurde erst mit Schreiben vom 29. April 2011 vom Bundesamt eingeleitet.
c. Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine Zurückschiebung als Realakt keiner vorhergehenden Grundverfügung bedarf (so OVG NRW, B.v. 26.2.2013 – 18 B 572/12 – BeckRS 2013, 51232), sind im Zeitpunkt der Zurückschiebung am 9. Juni 2011 die Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 und 2 AsylVfG ebenfalls nicht erfüllt, da sich weder aus den Akten des Bundesamtes noch aus denen der Bundespolizei ergibt, dass die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. e) Unterabs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO vorgesehene Mitteilungspflicht, wonach der ersuchende Mitgliedstaat (hier: die Bundesrepublik Deutschland) dem Asylbewerber die Entscheidung des zuständigen Mitgliedstaats (hier: Italien) über seine Wiederaufnahme mitzuteilen hat, erfüllt wurde (vgl. OVG NRW, B.v. 26.2.2013 – 18 B 572/12 – BeckRS 2013, 51232; VG München, U.v. 16.5.2003 – M 24 K 12.4569 – BeckRS 2013, 53471). Zwar findet sich ein entsprechendes Schreiben in der Akte des Bundesamtes vom 31. Mai 2011, jedoch geht aus ihr nicht hervor, dass der Kläger das Schreiben auch tatsächlich erhalten hat. Denn das Schreiben wurde zunächst nur an die Bundespolizei mit der Bitte um Weiterleitung versandt. Ob eine Weiterleitung erfolgt ist, lässt sich nicht nachvollziehen. Das Schreiben des Bundesamtes vom 4. Mai 2011 gegenüber dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers kann nicht als Mitteilung nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. e) Unterabs. 1 Satz 1 Dublin-II-Verordnung angesehen werden, da es lediglich als Antwort auf eine entsprechende Anfrage des Bevollmächtigten erging und das Bundesamt am 31. Mai 2011 eine Mitteilung nach Art. 20 Abs. 1 Buchtst. e) Unterabs. 1 Satz 1 Dublin-II-Verordnung versandte.
Vor diesem Hintergrund sind sowohl die Zurückschiebungsverfügung vom 10. April 2011 und auch die Zurückschiebung am 9. Juni 2011 rechtswidrig. Auf Grund der Rechtswidrigkeit der Zurückschiebung ist auch der Kostenbescheid vom 7. November 2014 nach §§ 66, 67 VwGO rechtswidrig. Der Leistungsbescheid ist daher aufzuheben.
3. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben