Europarecht

Inhaltliche Anforderungen an die Berufungsbegründung bei Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung

Aktenzeichen  VI ZB 47/20

Datum:
8.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:080621BVIZB47.20.0
Normen:
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO
§ 31 BGB
§ 249 BGB
§§ 249ff BGB
§ 826 BGB
Art 3 Nr 10 EGV 715/2007
Art 5 Abs 1 EGV 715/2007
Art 5 Abs 2 S 1 EGV 715/2007
§ 6 EG-FGV
§ 27 EG-FGV
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).

Verfahrensgang

vorgehend OLG Hamm, 23. Juni 2020, Az: I-28 U 2/20vorgehend LG Paderborn, 28. November 2019, Az: 4 O 289/19

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. Juni 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis 95.000 €.

Gründe

I.
1
Die Klägerin begehrt von dem beklagten Fahrzeughersteller Schadensersatz wegen eines von ihr im Oktober 2014 als Neufahrzeug von der T. GmbH erworbenen Porsche Macan S Diesel V6 TDI 3.0 (EU 6). Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs, den dort eingebauten Dieselmotor hat sie von der Audi AG zugekauft. Die Klägerin behauptet, die Abgasreinigung des Motors sei mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ausgestattet, wovon die Beklagte Kenntnis gehabt habe.
2
Das Landgericht hat die auf Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen fristgerecht erhobene Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht als unzulässig verworfen, weil ihre Begründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht genüge.
3
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
5
1. Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung der Klägerin den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.
6
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zur Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2020 – VI ZB 81/19, juris Rn. 7; vom 21. Juli 2020 – VI ZB 7/20, NJW 2020, 3728 Rn. 7; jeweils mwN).
7
b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin noch gerecht.
8
aa) Das Landgericht hat einen Anspruch der Klägerin aus §§ 826, 31 BGB verneint, weil diese eine der Beklagten zurechenbare Täuschungshandlung nicht hinreichend substantiiert dargelegt habe. Es mangele bereits an einem substantiierten und belastbaren Vortrag der darlegungsbelasteten Klägerin, ob und in welchem Umfang die Beklagte bzw. ihr Vorstand Kenntnis von den Manipulationen an dem von der Audi AG hergestellten Motor gehabt haben soll. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte gemeinsam mit der Audi AG den streitgegenständlichen Motor (fort)entwickelt und anschließend in das Fahrzeug der Klägerin eingebaut habe. Allein die Zugehörigkeit der Beklagten und der Audi AG zum Konzern der VW AG vermöge nicht die Annahme zu begründen, dass die vertretungsberechtigten Organe der Beklagten Kenntnis von dem Einsatz der Manipulationssoftware in dem von ihr zugekauften Motor hatten. Soweit die Klägerin lediglich pauschal behaupte, der Vorstand der Beklagten habe gewusst, dass die von ihr vertriebenen Fahrzeuge mit einer Manipulationssoftware ausgestattet seien, handele es sich um eine reine Mutmaßung. Auch verhelfe der Klägerin nicht die Überlegung zum Erfolg, es müsse sich um eine Entscheidung des Vorstands der Beklagten gehandelt haben, weil es sich um eine weitreichende wirtschaftliche Entscheidung gehandelt habe. Denn auch dies stelle lediglich eine Behauptung ins Blaue hinein dar, die sich einer tatsächlichen Grundlage entziehe.
9
bb) Diese Erwägungen hat die Klägerin in der Berufungsbegründung angegriffen und unter der Überschrift “Verantwortlichkeit der Beklagten” ausgeführt, das Landgericht gehe fehl in der Annahme, es sei nicht substantiiert dargelegt, dass die vertretungsberechtigten Organe der Beklagten Kenntnis von dem Einsatz der Manipulationssoftware in dem von ihr bei der Audi AG gekauften Motor gehabt haben. Das Landgericht habe in diesem Zusammenhang entscheidende Aspekte übersehen, die das Landgericht Bochum in seinem Urteil vom 8. Februar 2019 (Az. 4 O 101/18) zutreffend formuliert habe und die sich die Klägerin zu eigen mache. Die nachfolgend im Wortlaut in die Berufungsbegründung eingerückten Passagen des genannten Urteils, das ebenfalls einen sog. Dieselfall zum Gegenstand hat, betreffen die sekundäre Darlegungslast eines beklagten Fahrzeugherstellers zu seiner Kenntnis von der Softwaremanipulation des Motorenherstellers. Daran anschließend führt die Berufungsbegründung fort, die Klägerin habe erstinstanzlich vorgetragen, auf Grund welcher Anhaltspunkte zwingend davon auszugehen sei, dass die Beklagte bzw. ihre vertretungsberechtigten Organe Kenntnis vom Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtungen hatten. Es sei im Übrigen auch völlig lebensfremd, davon auszugehen, die Beklagte als Premiumhersteller habe unbesehen Bauteile ohne Kenntnis von deren Beschaffenheit in ihre Fahrzeuge eingebaut.
10
cc) Damit hat die Klägerin die tragende Erwägung des erstinstanzlichen Urteils gezielt angegriffen und noch hinreichend deutlich gemacht, aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen sie – anders als das Landgericht – eine Kenntnis der Beklagten vom Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung annimmt. Eine Wiederholung der hierzu erstinstanzlich von ihr vorgetragenen Anhaltspunkte im Einzelnen war insoweit nicht erforderlich.
11
2. Die Rechtsbeschwerde ist somit auch begründet.
III.
12
Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO.
Seiters     
        
von Pentz     
        
Klein 
        
Allgayer      
        
Linder      
   


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