Europarecht

Inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung

Aktenzeichen  VI ZB 68/19

Datum:
21.7.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:210720BVIZB68.19.0
Normen:
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 3 ZPO
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 5. August 2019, Az: 19 U 4246/18vorgehend LG München II, 23. Oktober 2018, Az: 14 O 336/18

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 5. August 2019 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 15.245 €.

Gründe

I.
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen eines von ihr am 16. Juni 2013 erworbenen Fahrzeugs der Marke Seat Ibiza geltend, das mit einem Motor der Baureihe EA189 ausgerüstet war.
2
Das Landgericht hat die auf Schadensersatz in Höhe von 15.245 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren gerichtete Klage mit einem sechs Seiten umfassenden Urteil abgewiesen, weil die Beklagte lediglich den Motor, nicht aber das streitgegenständliche Fahrzeug hergestellt habe. Lediglich ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass auch ein Schaden der Klägerin nicht schlüssig dargelegt sei. Die Klägerin habe ein voll funktionsfähiges Fahrzeug erhalten, das durch die verwendete Software nicht in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei.
3
Die Klägerin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese mit einem 16 Seiten umfassenden Schriftsatz vom 1. Februar 2019 (im Folgenden: “Schriftsatz”) begründet. Mit Beschluss vom 5. August 2019 hat das Berufungsgericht den Antrag der Klägerin, die Frist zur Stellungnahme auf den zuvor erteilten Hinweis des Senats vom 8. Juli 2019 zu verlängern, zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil die Begründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht genüge. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4
Die Rechtsbeschwerde ist, soweit sie die Zurückweisung des Fristverlängerungsantrags zum Gegenstand hat, nicht statthaft, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 225 Abs. 3 ZPO. Soweit sie sich gegen die Verwerfung der Berufung richtet, ist sie gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Klägerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281, juris Rn. 9 mwN; BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2020 – IX ZB 62/18, juris Rn. 9; vom 7. Juni 2018 – I ZB 57/17, MDR 2018, 1142 Rn. 10).
5
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Schriftsatz der Klägerin setze sich mit dem Ersturteil und den tragenden Gründen (überhaupt) nicht auseinander, sondern argumentiere mit Bausteinen, die auf das angegriffene Urteil nicht zuträfen.
6
So habe das Landgericht – anders als vorgetragen – einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung vom 3. Februar 2011 (BGBl. I S. 126; im Folgenden EG-FGV) abgelehnt, weil die Genehmigung gemäß § 3 Abs. 5 EG-FGV grundsätzlich dem Hersteller des Fahrzeuges erteilt werde, die Beklagte jedoch nicht Herstellerin des Fahrzeugs sei. Das greife die Klägerin aber nicht an. Sie rüge ausschließlich, das Landgericht habe den Anspruch abgelehnt, da es rechtsirrig meine, bei § 27 EG-FGV handele es sich nicht um eine drittschützende Norm im Sinne des § 823 BGB. Gleiches gelte für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007 S. 1 ff.; im Folgenden: VO 715/2007/EG).
7
Auch hinsichtlich des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB liege keine ordnungsgemäße Berufungsrüge vor. Die Begründung des Erstgerichts, eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung komme nur durch den Hersteller des Fahrzeugs in Betracht, es sei nicht ersichtlich, warum sich die Beklagte ein etwaiges Verhalten der Seat S.A. zurechnen lassen müsste, greife die Berufung (gar) nicht an. Die Klägerin stelle wohl auf ein in einem anderen Verfahren verkündetes Urteil ab und zitiere die auf dessen Seite 13 enthaltene Begründung. Diese Seite weise das hiesige Urteil (gar) nicht auf. Die in diesem Zusammenhang dargelegten Ausführungen des Landgerichts fänden sich in dem hier angegriffenen Urteil nicht.
8
Soweit die Berufung schließlich rüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, der Schaden werde durch das Software-Update beseitigt, und darauf abstelle, die Beklagte habe die Klägerin durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs geschädigt und der relevante Schaden sei in der Belastung mit der ungewollten kaufvertraglichen Verpflichtung zu sehen, vermische sie erneut Textbausteine aus Parallelverfahren und greife die tragende Begründung des Landgerichts nicht an.
9
2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 1. Februar 2019 inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO an eine Berufungsbegründung entspricht, ist nicht zu beanstanden.
10
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 11. Februar 2020 – VI ZB 54/19, MDR 2020, 626 Rn. 5; vom 3. März 2015 – VI ZB 6/14, VersR 2016, 480 Rn. 5 mwN; BGH, Beschluss vom 7. Mai 2020 – IX ZB 62/18, juris Rn. 11). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Februar 2020, aaO Rn. 6 mwN; vom 3. März 2015, aaO Rn. 6 mwN).
11
b) Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 1. Februar 2019 diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Er setzt sich aus Textbausteinen zusammen, die ein anderes Verfahren betreffen. Das lässt sich zum einen dem Umstand entnehmen, dass der Schriftsatz von dem hier nicht gegebenen Sachverhalt ausgeht, die Beklagte sei Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und habe dieses in den Verkehr gebracht. Es ergibt sich zum anderen daraus, dass die in dem Schriftsatz an verschiedenen Stellen wiedergegebenen (vermeintlichen) Ausführungen des Landgerichts in dem angegriffenen Urteil durchgängig gar nicht enthalten sind. Auf die tragende Begründung des Landgerichts, die Beklagte könne nicht in Anspruch genommen werden, weil sie nicht Herstellerin des Fahrzeugs sei, geht er dagegen nicht ein. Aus alledem ergibt sich, dass der Schriftsatz nicht auf den zur Entscheidung stehenden Fall, sondern auf einen anderen Fall zugeschnitten ist.
12
Soweit die Rechtsbeschwerde meint, den Ausführungen in dem Schriftsatz sei die Aussage zu entnehmen, dass die Ansicht des Landgerichts rechtsfehlerhaft sei, geht das nicht über die pauschale Behauptung hinaus, der Anspruch bestehe. Das allein reicht indes – wie oben ausgeführt – nicht aus. Auch der Umstand, dass der Schriftsatz auf eine Entscheidung des Landgerichts Mönchengladbach (Urteil vom 11. Juli 2017 – 1 O 320/16, juris) Bezug nimmt, die die hier streitgegenständliche Fallkonstellation betrifft, vermag der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Er führt das genannte Urteil zum Beleg einer anderen Rechtsansicht – Einbeziehung der Kunden in den Schutzbereich der verletzten (Sitten-)Pflicht -, nicht aber dafür an, die Beklagte hafte auch für das Inverkehrbringen des Motors mit der unzulässigen Abschalteinrichtung, ohne Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu sein.
13
Da sich der Schriftsatz nach alledem bereits mit der ersten tragenden Begründung des Landgerichts nicht ausreichend auseinandersetzt, kommt es nicht darauf an, ob eine ausreichende Auseinandersetzung mit der weiteren tragenden Begründung, jedenfalls sei ein Schaden nicht gegeben, erfolgt ist.
Seiters     
      
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