Europarecht

Kein Anspruch auf Wertminderung gegen Hersteller eines Fahrzeugs mit verbotener Abschalteinrichtung

Aktenzeichen  18 U 4793/19

Datum:
2.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35659
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 241 Abs. 2, § 249, § 311 Abs. 3, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Steht einem arglistig getäuschten Käufer gegen einen Dritten, der die Täuschung verübt hat, ein deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB zu, so ist dieser Anspruch darauf gerichtet, dass der Käufer so gestellt wird, wie er stünde, wenn er nicht getäuscht worden wäre (Ersatz des Differenzschadens). Davon zu unterscheiden ist der Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Dieses ist zu ersetzen, wenn der Geschädigte verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Deshalb kann der Käufer eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs von dem Hersteller keine Wertminderung verlangen, sondern (nur) Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung für die tatsächlich gefahrenen Kilometer Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs. (Rn. 4 – 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 O 4056/18 2019-07-19 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 19.07.2019, Az. 6 O 4056/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 30.10.2019.

Gründe

I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 19.07.2019 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat die in erster Instanz gestellten und mit der Berufung im Kern weiterverfolgten Klageanträge vielmehr mit zutreffender Begründung abgewiesen.
1. Der Kläger verlangt Schadensersatz in Höhe der angeblichen Wertminderung des von ihm erworbenen, vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Pkw.
a) Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, macht er damit gegen die Beklagte, die das Fahrzeug hergestellt und in Verkehr gebracht hat, aber nicht seine Vertragspartnerin geworden ist, das Erfüllungsinteresse geltend. Die zur Begründung herangezogenen Anspruchsgrundlagen § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB bzw. § 826 BGB – von denen jedenfalls letztere nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall grundsätzlich in Betracht käme – sind jedoch auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen stünde dem Kläger deshalb lediglich ein Anspruch darauf zu, so gestellt zu werden, als ob er den Kaufvertrag über den vom Abgasskandal betroffenen Pkw nicht abgeschlossen hätte. Danach könnte er Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung für die tatsächlich gefahrenen Kilometer Zug um Zug gegen Übereignung des Pkws bzw. des dafür erhaltenen Kaufpreises an die Beklagte verlangen.
Auf die in der Berufungsbegründung zitierte Kommentarliteratur zu § 249 BGB kann der Kläger seine gegenteilige Rechtsansicht nicht stützen. Er verkennt, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich des Umfangs des im Rahmen des negativen Interesses zu ersetzenden Schadens ein grundlegender Unterschied zwischen einer (vor-) vertraglichen und einer – im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden – deliktischen Haftung des Schädigers besteht:
b) Steht einem arglistig getäuschten Käufer gegen einen Dritten, der die Täuschung verübt hat, ein deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB zu, so ist dieser Anspruch darauf gerichtet, dass der Käufer so gestellt wird, wie er stünde, wenn er nicht getäuscht worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 10.1.2011 – VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78, Leitsatz). Der nach den genannten Vorschriften zum Schadensersatz Verpflichtete hat lediglich den sogenannten Differenzschaden zu ersetzen. Davon zu unterscheiden ist der Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Dieses ist zu ersetzen, wenn der Geschädigte verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre (vgl. BGH a.a.O., Rn. 8).
Dies gilt für die deliktische Haftung grundsätzlich auch dann, wenn sie neben einer vertraglichen Schadensersatzpflicht besteht. Der durch eine unerlaubte Handlung Geschädigte hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, besser zu stehen, als er stünde, wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung nicht begangen hätte. Dieser Grundsatz findet bei einem Kaufvertrag jedenfalls dann Anwendung, wenn dieser aufgrund falscher Angaben eines Dritten zustande gekommen ist. Die im Gewährleistungsrecht verankerte Besserstellung des Käufers ist nur gerechtfertigt, weil sie auf einem Rechtsgeschäft beruht; denn nur dieses, nicht aber die unerlaubte Handlung, kann den Käufer besser stellen, als er vorher stand. Der Käufer kann deshalb nur von dem Verkäufer Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Die unerlaubte Handlung eines Dritten kann dagegen nicht dazu führen, dass dieser haftungsrechtlich wie ein Verkäufer behandelt wird (vgl. BGH a.a.O., Rn. 9 m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesgerichtshof in der vorgenannten Entscheidung, die einen dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt betrifft, zwar einen auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gestützten Schadensersatzanspruch des Immobilienkäufers gegen einen Dritten, der ihn über den tatsächlichen Umfang der durchgeführten Dacharbeiten getäuscht hatte, auf Rückabwicklung des Kaufvertrages für möglich erachtet. Den stattdessen geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten hat er aber verneint, weil dieser Anspruch auf das Erfüllungsinteresse gerichtet sei (a.a.O., Rn. 11). Der VI. Zivilsenat hat dem damaligen Kläger auch ausdrücklich den ihm in erster Instanz zuerkannten Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der nach § 472 Abs. 1 BGB a.F. berechneten Minderung versagt, weil auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung nicht die Regeln des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts Anwendung fänden (a.a.O., Rn. 12).
Für den ebenfalls deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB kann zumindest dann nichts anderes gelten, wenn die Schädigungshandlung – wie im vorliegenden Fall – in einer konkludenten Täuschung des Käufers durch den vom Verkäufer verschiedenen Hersteller der Kaufsache zu sehen ist (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14, Rn. 25, NJW-RR 2015, 275).
c) Bei einer Haftung auf Schadensersatz wegen Verletzung (vor-)vertraglicher Pflichten besteht dagegen nach der – allerdings nicht ganz einheitlichen – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch in Drei-Personen-Verhältnissen grundsätzlich ein Wahlrecht desjenigen, der im Vertrauen auf die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Angaben eines mit ihm vertraglich verbundenen Schädigers enttäuscht wurde und in diesem Zusammenhang eine vertragliche Bindung mit einem Dritten eingegangen ist. Danach kann der Anspruchsinhaber einerseits wählen, im Wege des Schadensersatzes vom Schädiger „Rückgängigmachung“ der Folgen des mit dem Dritten abgeschlossenen Vertrages zu verlangen, hierzu das Erlangte dem Schädiger zur Verfügung zu stellen und seine Aufwendungen ersetzt zu bekommen. Andererseits kann er auch an dem Vertrag mit dem Dritten insgesamt festhalten und vom Schädiger lediglich Entschädigung seines enttäuschten Vertrauens fordern; er kann also verlangen, so gestellt zu werden, wie es der von ihm aufgrund des pflichtwidrigen Verhaltens des Schädigers angenommenen Situation entsprochen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14, Rn. 28, NJW-RR 2015, 275).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Wahlrechts sind im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt, weil zwischen dem Kläger und der Beklagten weder ein Vertrag, noch ein vertragsähnliches Schuldverhältnis besteht, kraft dessen die Beklagte dem Kläger wegen Verletzung (vor-)vertraglicher Pflichten haften könnte. Der Kläger hat den streitgegenständlichen Pkw nicht von der Beklagten, sondern vom Autohaus J. R. erworben. Eine Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss (§ 311 Abs. 3, § 241 Abs. 2 BGB) kommt nicht in Betracht, weil der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Beklagte in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hat (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 311 Rn. 60 m.w.N.).
d) Der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestehende inhaltliche Unterschied zwischen einer (vor-)vertraglichen und einer rein deliktischen Haftung lässt sich damit rechtfertigen, dass die Haftung aus culpa in contrahendo im Regelfall allein den Partner des angebahnten Vertrages trifft (Palandt-Grüneberg a.a.O.), der – als solcher – dem Geschädigten auf Erfüllung haftet. Soweit § 311 Abs. 3 BGB diese Haftung ausnahmsweise auf Dritte erstreckt, muss stets ein Sachverhalt vorliegen, der es rechtfertigt, den Dritten insoweit dem (künftigen) Vertragspartner gleichzustellen. Diesem Personenkreis ist die Beklagte nicht zuzurechnen.
Ein allgemeiner rechtlicher Grundsatz des Inhalts, dass vertragliche und gesetzliche Haftung stets den gleichen Inhalt haben müssen, ist nicht anzuerkennen (BGH, Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14, Rn. 32, NJW-RR 2015, 275). Jeder Anspruch ist seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seiner Durchsetzung nach selbständig zu beurteilen und folgt seinen eigenen Regeln. Abweichungen von diesem Grundsatz kommen nur ganz ausnahmsweise in Betracht und beschränken sich typischerweise auf Fallgestaltungen, in denen die – unmodifizierten – deliktischen Ansprüche den Zweck einer für den vertraglichen Anspruch geltenden Vorschrift vereiteln und die gesetzliche Regelung im Ergebnis aushöhlen würden (vgl. BGH a.a.O.). Ein solcher Fall liegt nicht vor, zumal sich deliktische und vertragliche Ansprüche des Klägers gegen verschiedene Haftungssubjekte richten.
e) Unabhängig davon – und ohne dass es für die Entscheidung hierauf ankäme – hat der Kläger auch den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der sittenwidrigen Täuschung und der als Schaden geltend gemachten Wertminderung des streitgegenständlichen Pkw nicht nachvollziehbar dargelegt. Denn bei seiner informatorischen Anhörung hat er angegeben, dass er das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug „eine solch unerlaubte Abschalteinrichtung hat“ (Protokoll vom 22.5.2019, S. 2, Bl. 146 d.A.). Damit hat der Kläger nicht einmal behauptet, dass ohne die unerlaubte Handlung ein günstigerer Vertrag abgeschlossen worden wäre, was nach der von ihm zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung Voraussetzung dafür wäre, dass er bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Vertrages den durch die Täuschung verursachten Mehraufwand ersetzt verlangen könnte, geschweige denn, dass er in diesem Fall ein dem bezahlten Kaufpreis im Wert entsprechendes, mangelfreies Fahrzeug erhalten hätte. Letzteres ist schon deshalb fernliegend, weil die ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über die in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Abschaltautomatik am Zustand des Fahrzeugs nichts geändert hätte.
2. Dahinstehen kann, ob der auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klageantrag 2. auch nach seiner Änderung in der Berufungsbegründung schon deshalb unzulässig ist, weil er nicht hinreichend bestimmt ist. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet, weil der Kläger – wie dargelegt – aus § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB gegen die Beklagte nur einen Anspruch auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages über den streitgegenständlichen Pkw ableiten kann. Dem Hilfsantrag liegt aber ebenfalls der Wunsch des Klägers zugrunde, den streitgegenständlichen Pkw zu behalten.
3. Aus diesem Grund ist auch ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – zu verneinen. Denn auch vorgerichtlich wurde nicht die Rückgängigmachung des Kaufvertrages, sondern wiederum die Zahlung von Schadensersatz bei Behalten des Fahrzeuges begehrt. Die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung einer nicht bestehenden Forderung kann jedoch nicht als erforderlich und zweckmäßig angesehen werden.
II.
Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).
OberlandesgerichtMünchen
München, 02.10.2019

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