Europarecht

Kein Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Überstellung von Griechenland nach Deutschland

Aktenzeichen  AN 14 E 17.51345

Datum:
9.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4411
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
Dublin III-VO Art. 17 Abs. 2, Art. 22 Abs. 1, Abs. 7, Art. 29 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein Asylbewerber, der sich in einem unzuständigen Dublin-Mitgliedstaat (hier: Griechenland) befindet, hat gegen die aufnahmebereite Bundesrepublik Deutschland als zuständigen Mitgliedstaat keinen Anspruch auf Überstellung innerhalb der Frist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO. Es besteht hierfür keine Rechtsgrundlage. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Überstellung der Asylbewerber aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat steht allein im Verantwortungsbereich des ersuchenden Mitgliedstaates (hier: Griechenland), der sich mit dem zur Aufnahme verpflichteten Mitgliedstaat lediglich abstimmt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller haben die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren mit ihrem Antrag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Mitteilung der Antragsgegnerin an die griechische Dublin-Einheit, dass sie bis zum Ablauf des 6. Dezember 2017 in die Bundesrepublik Deutschland zu überstellen sind.
Die Antragsteller sind syrische Staatsangehörige und befinden sich derzeit in Griechenland. Der Ehemann der Antragstellerin zu 1) bzw. Vater der Antragstellerin zu 2), Herr … und die beiden gemeinsamen Kinder bzw. Geschwister, … und …, leben in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Antragsgegnerin wurde am 20. März 2017 von der griechischen Dublin-Einheit ersucht, die Antragsteller zu übernehmen und mit den oben genannten Familienangehörigen (Ehemann und zwei gemeinsame Kinder) zusammenzuführen. Die Antragsgegnerin teilte den griechischen Behörden mit Schreiben vom 6. Juni 2017 mit, dass dem Übernahmeersuchen gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO entsprochen werde. Eine Überstellung der Antragsteller ist bislang nicht erfolgt.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. November 2017, bei Gericht per Telefax eingegangen am gleichen Tag, haben die Antragsteller einen Antrag nach § 123 VwGO gestellt.
Sie beantragen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, der griechischen Dublin-Einheit mitzuteilen, dass die Antragsteller bis zum Ablauf des 6. Dezember 2017 in die Bundesrepublik Deutschland zu überstellen sind.
Hilfsweise beantragen sie,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, der griechischen Dublin-Einheit im Rahmen der zwischen den griechischen und deutschen Behörden vereinbarten Abstimmung der jeweiligen Maßnahme für die einzelnen zu überstellenden Personen durch die Liaisonsbeamtin des Bundesamtes für … in Griechenland oder auf anderem Wege mitzuteilen, dass
1. die Antragsteller von den vereinbarten Regelungen zur Priorisierung bestimmter Personengruppen ausgenommen sind;
2. das einzige Kriterium zur Bestimmung des Überstellungstermins der Familienangehörigen des Antragsteller somit der Fristablauf am 6.12.2017 ist;
3. die Antragsgegnerin wegen des subjektiven Rechts der Antragsteller auf fristgemäße Überstellung davon ausgeht, dass diese vor dem 6.12.2017 in die Bundesrepublik Deutschland überstellt werden;
4. die Antragsgegnerin sich für den Fall des Überschreitens der Überstellungsfrist hierauf nicht berufen wird, sondern die Einreise der Familienangehörigen des Antragstellers zum Zwecke der Zusammenführung mit dem Antragsteller auch zu einem späteren Zeitpunkt gestatten wird.
Die Bevollmächtigte der Antragsteller verweist unter anderem auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 15. September 2017 (6 L 4438/17.WI), des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. November 2017 (23 L 836.17A) sowie des Verwaltungsgerichts Halle vom 14. November 2017 (5 B 858/17 HAL). Die Antragsteller hätten gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Überstellung in die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist. Dieser Anspruch ergebe sich aus Art. 22 Abs. 7, 29 Abs. 1 Dublin III-VO i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Dublin III-DurchführungsVO. Die Überstellungsfrist ende am 6. Dezember 2017. Der Anspruch auf Überstellung gehe grundsätzlich mit dem Ablauf der Überstellungsfrist unter. Um eine effektive Umsetzung der Dublin III-Verordnung zu erreichen, vermitteln derartige Fristen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union subjektive Rechte (EuGH, Urteil vom 26.7.2017 – C-670/16 -, Rn. 58). Die vom Gerichtshof der Europäischen Union zu Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO vorgenommenen Erwägungen ließen sich ohne weiteres auf die in Art. 29 Dublin III-VO enthaltene Frist erstrecken.
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt. Sie führt aus, sie habe dem Übernahmeersuchen Griechenlands betreffend die Antragsteller am 21. Mai 2017 durch Fristablauf nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO entsprochen. Die Überstellungsfrist sei nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO am 21. November 2017 abgelaufen. Sobald die Zustimmung aus Deutschland in Griechenland vorliege, führe die Dublin-Unit in Griechenland die weiteren Maßnahmen für die Überstellung nach Deutschland durch. Das Bundesamt sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in den Organisationsprozess eingebunden und werde durch die Dublin-Unit in Griechenland nur noch über den Überstellungstermin informiert. Ein Überstellungstermin sei bisher noch nicht mitgeteilt worden. Das Bundesamt sei im Hinblick auf die Durchführung der Dublin-Verfahren und auf die Überstellungen in engem Kontakt mit der griechischen Asylbehörde. Dabei würden auch mögliche Verfristungen für die Dublin-Überstellungen mit berücksichtigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint.
1. Im vorliegenden Fall spricht Vieles dafür, dass der Antrag bereits unzulässig ist.
Zum einen ist die Überstellungsfrist bereits am 21. November 2017 und nicht – wie von den Antragstellern geltend gemacht – am 6. Dezember 2017 abgelaufen. Die Antragsgegnerin hat auf das Aufnahmegesuch Griechenlands nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO reagiert, so dass nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen ist, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird. Die sechsmonatige Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO begann mit Annahme des Aufnahmegesuchs, also am 21. Mai 2017 und endete damit am 21. November 2017.
Unabhängig davon, dass die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen ist, kann durch die von den Antragstellern mit ihrem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO begehrte Mitteilung ihr eigentliches Rechtsschutzziel, nämlich ihre Überstellung in die Bundesrepublik Deutschland, nicht erreicht werden. Die Durchführung der Überstellung fällt allein in den Verantwortungsbereich Griechenlands. Es bestehen insoweit erhebliche Bedenken hinsichtlich des Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses. Dies gilt sowohl für die mit dem Hauptantrag begehrte Mitteilung als auch für die mit dem Hilfsantrag begehrten Mitteilungen (Nrn. 1 – 4).
2. Jedenfalls ist der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht begründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der zugrunde liegende materiell-rechtliche Anspruch und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Ein Anspruch der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin auf Überstellung in die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Frist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ergibt sich weder aus Art. 22 Abs. 7, 29 Abs. 1 Dublin-III-VO i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Dublin III-Durchführungsverordnung noch aus einer anderen Rechtsgrundlage (so: VG Würzburg, B.v. 2.11.2017 – W 2 E 17.50674 -, juris; a.A. VG Wiesbaden, B.v. 15.9.2017 – 6 L 4438/17.WI.A -, juris; VG Berlin, B.v. 23.11.2017 – 23 L 836.17 A -, juris; VG Halle, B.v. 14.11.2017 – 5 B 858/17 HAL -, juris).
Nachdem die Antragsgegnerin auf das Aufnahmegesuch Griechenlands nicht innerhalb der zweimonatigen Frist nach Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO reagiert hat, ist sie verpflichtet, die Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für ihre Ankunft zu treffen (vgl. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO). Hierzu war die Antragsgegnerin auch bereit und hat ihre Bereitschaft auch mit Schreiben vom 6. Juni 2017 explizit erklärt. Die Überstellung der Asylbewerber aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats und liegt damit eindeutig im Verantwortungsbereich des ersuchenden Mitgliedstaates, der sich mit dem zur Aufnahme verpflichteten Mitgliedstaat lediglich abstimmt.
Zwar kann sich ein Asylbewerber nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf den Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO festgelegten sechsmonatigen Frist berufen (EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 –, juris). Diese Rechtsprechung betrifft allerdings die Fallkonstellationen, in denen die Asylbewerber ihr subjektives Recht auf Durchführung des Asylverfahrens gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat beanspruchen, der seinerseits die sechsmonatige Überstellungsfrist nicht eingehalten hat und infolgedessen nunmehr für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Situation im vorliegenden Fall ist damit nicht vergleichbar, da die deutschen Behörden seit 21. Mai 2017 zur Übernahme der Antragsteller bereit waren, die griechischen Behörden jedoch eine Überstellung innerhalb der Überstellungsfrist nicht durchgeführt haben.
Im Übrigen kann die zum Schutz von Ehe und Familie und des Kindeswohls grundsätzlich anzustrebende Zusammenführung der Antragsteller mit ihren in Deutschland lebenden Familienangehörigen – wie es Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO auch ausdrücklich vorsieht – im Einzelfall auch nach Ablauf der Überstellungsfrist verwirklicht werden.
3. Die Kostentragung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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