Europarecht

Kein Schadensersatz wegen Aufspielenlassens des Software-Updates bei vom Kraftfahrt-Bundesmat als unzulässig angesehenem Thermofenster

Aktenzeichen  1 U 1433/20

Datum:
12.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 45928
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) 715/2007 Art. 5 Abs. 2
StGB § 263 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Lässt der Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs das Software-Update auf das Motorsteuergerät aufspielen, weil seinem Fahrzeug ansonsten keine HU-Prüfplakette ausgestellt worden wäre, ist eine Täuschung darüber, dass das Software-Update zu einer ordnungsgemäßen Abgasreinigung führen würde und es keine nachteiligen Auswirkungen auf Kraftstoffverbrauch und Motorverschleiß gäbe, für seine Vermögensverfügung (= Aufspielenlassen des Updates) nicht ursächlich. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Abschalteinrichtungen, die prinzipiell im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motor- und Bauteilschutzes ernsthaft angeführt werden können, kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass den verantwortlich Handelnden bewusst war, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist kein Schaden ersichtlich, wenn der Käufer wegen eines – unterstellten – Gesetzesverstoßes durch Aufspielen des Software-Updates auf sein Fahrzeug nicht mit Maßnahmen des Kraftfahrbundesamtes und der Verkehrsbehörden konfrontiert wurde und es auch keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass dies in Zukunft der Fall sein wird. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 U 1433/20 2020-04-28 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 06.02.2020, Aktenzeichen 5 O 3912/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieser Beschluss und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 28.229,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Traunstein vom 06.02.2020 Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin:
1. Unter Abänderung des Urteils vom 06.02.2020, Az. 5 O 3912/18 wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 28.229,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.10.2014 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges Skoda Superb Kombi 2.0 TDI, FIN …68 zu bezahlen.
2. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Traunstein vom 06.02.2020, Az. 5 O 3912/18 wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Rücknahme des Fahrzeuges in Verzug befindet.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 06.02.2020, Aktenzeichen 5 O 3912/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Auch das Vorbringen im Schriftsatz vom 04.06.2020 rechtfertigt keine andere Beurteilung:
Einen Prospektfehler, der einen Anspruch aus „Prospekthaftung im weiteren Sinne“ begründen könnte, legt die Klägerin weiterhin nicht dar.
Soweit die Klägerin nunmehr vorträgt, sie habe im Rahmen der Rückrufaktion gegen ihren ausdrücklichen Willen am 20.01.2020 das Software-Update auf das Motorsteuergerät aufspielen lassen, weil ihrem Fahrzeug ansonsten keine HU-Prüfplakette ausgestellt worden wäre, hat sie einem nach ihrer Auffassung gegebenen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB die Grundlage entzogen. Denn sie bringt damit eindeutig zum Ausdruck, dass die behauptete Täuschung darüber, dass das Software-Update zu einer ordnungsgemäßen Abgasreinigung führen würde und es keine nachteiligen Auswirkungen auf Kraftstofverbrauch und Motorverschleiß gäbe, für ihre Vermögensverfügung (= Aufspielenlassen des Updates) nicht ursächlich war.
Die Klägerin hat wegen der jedenfalls im Grundsatz unstreitigen Implementierung eines sog. Thermofensters im Zuge des auf ihr Fahrzeug aufgespielten Software-Updates auch keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB. Unabhängig von der Frage, ob die Beklagte als Importeurin mit ihren Aufforderungsschreiben (Anlagen K7-K10) die „volle Verantwortung für das Software-Update übernommen“ hat, wie die Klägerin meint, käme eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Verantwortliche der Beklagten insoweit nur in Betracht, wenn diesen bewusst war, dass die Programmierung des Thermofensters gegen gesetzliche Vorschriften (hier: Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007) verstößt, und sie einen solchen Verstoß zumindest billigend in Kauf nahmen. Bei Abschalteinrichtungen, die prinzipiell im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motor- und Bauteilschutzes – wie vorliegend, vgl. Berufungserwiderung S. 6 f – ernsthaft angeführt werden können, kann indes ohne konkrete Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass den verantwortlich Handelnden bewusst war, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (vgl. ebenso OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18, juris-Rn. 6 ff; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.07.2019 – 10 U 134/19, juris-Rn. 81 ff; OLG München, Beschluss vom 10.02.2020 – 3 U 7524/19). Wie die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a EG-VO 715/2007 zeigt, ist die Gesetzeslage an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig. Nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im Bericht der Kommission zur Auslegung der vorerwähnten Ausnahmevorschrift ausdrücklich (Bericht Stand April 2016, Seite 123): „Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die VO (EG) Nr. 715/2007. Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein“. In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass das KBA das streitgegenständliche Software-Update genehmigt hatte, und in der Folge weder ein Rückruf angeordnet wurde noch eine Aufforderung an die VW AG erging, die Abgasreinigung in anderer Weise vorzunehmen. Die Klägerin hätte bei dieser Sachlage konkrete Umstände vortragen müssen, die den Rückschluss auf einen Schädigungsvorsatz auf Seiten des Personals der Beklagten zulassen. Daran fehlt es indes vollständig, weshalb die Beklagte insoweit auch keine sekundäre Darlegungslast trägt. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob das im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Im Übrigen ist auch kein Schaden ersichtlich, wenn die Klägerin bis heute wegen eines – unterstellten – Gesetzesverstoßes durch Aufspielen des Software-Updates auf ihr Fahrzeug nicht mit Maßnahmen des Kraftfahrbundesamtes und der Verkehrsbehörden konfrontiert wurde und es auch keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass dies in Zukunft der Fall sein wird.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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