Europarecht

Keine Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufs im Abgasskandal

Aktenzeichen  18 U 4044/19

Datum:
3.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41966
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 280, § 311 Abs. 3, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGZ § 6, § 27

 

Leitsatz

1. Ein Fahrzeughersteller haftet gegenüber dem Käufer aus § 311 Abs. 3 BGB für Mängel nur, wenn er an Vertragsverhandlungen teilgenommen und durch sein Auftreten eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität des Geschäfts oder die Erfüllung des Vertrages übernommen hat . (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Betracht kommen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB, wenn der Hersteller  bestimmungswidrig ein Abgasrückführungssystem in Kraftfahrzeuge einbaut, die an Endkunden verkauft werden sollen, ohne die Funktionsweise des Abgasrückführungssystems offenzuleben. (Rn. 28 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erfolgte der Kauf nach Erörterung der Abgasmanipulationen in den Medien ab September 2015, muss der Käufer die Kausalität beweisen und nachvollziehbar darlegen, weshalb er annahm, das von ihm erworbene Fahrzeug sei von der Problematik nicht betroffen ist. (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. §§ 6, 27 EG-FGV sind keine Schutzgesetze iSd § 823 Abs. 2 BGB. Ihr Ziel ist die Vollendung des europäischen Binnenmarktes und Harmonisierung der technischen Anforderungen in Rechtsakten, nicht aber der Schutz individueller Vermögensinteressen. (Rn. 41 – 44) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 O 2580/18 2019-06-25 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 25.6.2019 dahin abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

II.
Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist auch begründet und führt zur vollständigen Abweisung der Klage, denn der eingeklagte Schadensersatzanspruch steht dem Kläger schon dem Grunde nach nicht zu.
1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 3 BGB, auf die sich der Kläger selbst gar nicht beruft, liegen entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht vor. Der Kläger hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die Beklagte, die unstreitig nicht seine Vertragspartnerin geworden ist, in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hätte. Diese Voraussetzungen sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur erfüllt, wenn der Dritte unmittelbar oder mittelbar – durch eine für ihn handelnde Person – an den Vertragsverhandlungen teilgenommen und dabei durch sein Auftreten eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität des Geschäfts oder die Erfüllung des Vertrages übernommen hat (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 311 Rn. 63 m.w.N.). Der Kläger hat den streitgegenständlichen gebrauchten Audi A4 jedoch ohne Mitwirkung der Beklagten von einem nicht mit dieser verbundenen KFZ-Händler gekauft.
2. In Betracht kommt allerdings ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826, § 31 BGB, weil das Handeln der Beklagten sittenwidrig war und auf eine Schädigung der Erwerber von Kraftfahrzeugen abzielte, in denen ein Dieselmotor der Baureihe EA189 eingebaut war, also auch auf eine Schädigung des Klägers. Das Handeln der Beklagten war für den geltend gemachten Schaden aber nicht kausal.
a) Die Schädigungshandlung der Beklagten ist darin zu sehen, dass sie den Dieselmotor der Baureihe EA189 entwickelt und in Verkehr gebracht hat, der mit dem im Tatbestand des angefochtenen Urteils näher beschriebenen, vom KBA als unzulässig angesehenen Abgasrückführungssystem ausgestattet war, der bestimmungsgemäß in ein Kraftfahrzeug eingebaut und sodann an einen Endkunden verkauft werden sollte, dem gegenüber die Funktionsweise des Abgasrückführungssystems nicht offengelegt wird. Ein solcher Motor ist in den streitgegenständlichen PKW eingebaut worden. Das Inverkehrbringen eines derartigen Fahrzeugs stellt eine konkludente Täuschung des Endkunden dar.
b) Auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nach § 826 BGB, nämlich Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen, liegen vor.
Die deliktische Haftung einer juristischen Person gemäß § 31 BGB setzt voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinn des § 31 BGB persönlich die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.6.2016 – VI ZR 536/15 -, NJW 2017, 250). Insoweit trifft die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast, weil der primär darlegungsbelastete Kläger außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann, während der Beklagten die erforderliche tatsächliche Aufklärung möglich und zumutbar ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28.6.2016 – VI ZR 559/14, Rn. 18, NJW 2016, 3244). Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht ausreichend nachgekommen.
Zudem besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Vorstand oder Repräsentant der Beklagten den Einsatz der beanstandeten Motorsteuerungssoftware gekannt und gebilligt hat, weil ein „Verhaltensexzess eines untergeordneten Mitarbeiters“, der den Vorstand bzw. Repräsentanten, der den Einsatz der Motorsteuerungssoftware genehmigt hat, ebenfalls getäuscht haben müsste, höchst unwahrscheinlich wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 – 13 U 142/18, BeckRS 2019, 3395, Rn. 58).
c) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht der Schaden im Falle einer durch arglistige Täuschung verübten sittenwidrigen Schädigung regelmäßig in der eingegangenen Verpflichtung, die der Getäuschte bei Kenntnis der Umstände nicht eingegangen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2004 – VI ZR 306/03 -, Rn. 14 ff., zit nach juris, BGHZ 161, 361).
d) Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen, dass eine Täuschung seitens der Beklagten für seine Entscheidung zum Erwerb des streitgegenständlichen PKW kausal geworden ist und er diesen nicht erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug vom sogenannten Diesel-Abgasskandal betroffen ist.
aa) Der Kläger kann sich entgegen seiner Ansicht nicht auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens berufen, die bei Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung vertraglicher Beratungs- oder Aufklärungspflichten gilt (Palandt/Grüneberg a.a.O. § 280 Rn. 39 m.w.N.). Bei einem – im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden – deliktischen Anspruch trifft die Darlegungs- und Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und eingegangener Verpflichtung den Geschädigten; auf den Nachweis der konkreten Kausalität der Täuschung für den Willensentschluss des Getäuschten kann nicht verzichtet werden (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 826 Rn. 18; BGH, Urteil vom 4.6.2013 – VI ZR 288/12 -, NJW-RR 2013, 1448). Dabei kann es aber genügen, dass der Getäuschte Umstände darlegt, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (vgl. BGH, Urteil vom 12.5.1995 – V ZR 34/94 -, NJW 1995, 2361).
bb) Das Oberlandesgericht Karlsruhe stellt in seinem vorerwähnten Hinweisbeschluss unter anderem darauf ab, dass nach der Lebenserfahrung niemand ein Kraftfahrzeug in Kenntnis einer nicht bestehenden Genehmigung oder Genehmigungsfähigkeit käuflich erwerben würde (a.a.O., Rn. 23). Dieser Gedanke erscheint allerdings nur dann uneingeschränkt tragfähig, wenn der Käufer – wie in dem vom Oberlandesgericht Karlsruhe beurteilten Fall – den PKW vor Bekanntwerden des Abgasskandals erworben hat. Hatte der Käufer dagegen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von den Abgasmanipulationen, was angesichts der breiten Erörterung dieses Themas in den Medien ab September 2015 regelmäßig anzunehmen ist, muss er nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er davon ausgegangen ist, dass das von ihm erworbene Fahrzeug von der Problematik nicht betroffen ist. Einer Kausalität der Täuschung für den Vertragsschluss steht im Regelfall bereits entgegen, dass der Käufer es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass der PKW betroffen sein könnte, aber keine Veranlassung gesehen hat, diese Frage vor Vertragsschluss zu klären.
cc) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe fehlt es im vorliegenden Fall an einer für den Erwerb des streitgegenständlichen PKW durch den Kläger kausalen Täuschungshandlung der Beklagten.
Der Kläger hat bei seiner informatorischen Anhörung in erster Instanz (Protokoll vom 26.3.2019, S. 2/3, Bl. 289/290 d.A.) auf den Vorhalt, dass zum Kaufzeitpunkt im Dezember 2015 „die Abschaltproblematik bereits publik“ gewesen sei, nicht bestritten, davon gewusst zu haben, sondern lediglich erklärt, es sei aus seiner Sicht nicht „ausreichend konkretisiert“ und „das Ausmaß nicht bekannt“ gewesen. Bei seiner Anhörung vor dem Senat (Protokoll vom 3.12.2019, S. 2/3, Bl. 475/476 d.A.) hat der Kläger eingeräumt, vor dem Kauf gewusst zu haben, dass VW vom Dieselskandal betroffen sei, aber nicht, dass auch Audi davon betroffen sei und in dem von ihm erworbenen Auto überhaupt ein VW-Motor verbaut sei. Mit dem Verkäufer habe er darüber nicht gesprochen. Er habe aber „Probleme am Lack“ gefunden, die noch beseitigt werden sollten, außerdem sei ein Tuning-Chip, mit dem das Fahrzeug in der Vergangenheit versehen gewesen sei, ausgebaut gewesen. Hierzu enthält der als Anlage K 1 vorgelegte Kaufvertrag vom 8.12.2015 auch ausführliche Angaben.
Wie allgemein bekannt ist, wurden jedoch bereits im September 2015 Informationen darüber veröffentlicht, dass die mit der Abschaltsoftware ausgestatteten Motoren auch in den Fahrzeugen anderer zum VW-Konzern gehörender Hersteller wie Audi eingebaut waren. Zum Kaufzeitpunkt konnte dieses Wissen angesichts der intensiven Berichterstattung in den Medien allgemein vorausgesetzt werden. Wenn der Kläger sich dennoch über die Gegebenheiten bei dem von ihm gewählten PKW nicht informierte, obwohl er sich im Übrigen vor dem Kauf eingehend mit dessen Zustand befasste, lässt dies erkennen, dass es ihm zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages letztlich gleichgültig war, ob das von ihm erworbene Fahrzeug von dem ihm bekannten Diesel-Abgasskandal betroffen war oder nicht. Eine konkludente Täuschung seitens der Beklagten hat sich deshalb auf seine Entscheidung für den Erwerb des streitgegenständlichen PKW nicht ausgewirkt. Verbleibende Zweifel gehen jedenfalls zum Nachteil des beweisbelasteten Klägers.
3. Entsprechendes gilt für einen auf die Verwirklichung des Straftatbestandes des Betrugs gestützten Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB. Denn auch der Betrugstatbestand setzt – unter anderem – voraus, dass der Vermögensschaden durch eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung des Getäuschten verursacht worden ist (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 823 Rn. 81).
4. Auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann der Kläger seinen Anspruch schon deshalb nicht stützen, weil es sich bei diesen Vorschriften nicht um Schutzgesetze zugunsten der Käufer der betreffenden Fahrzeuge handelt.
a) Der Schutz eines Einzelnen ist von einer Rechtsnorm nicht bereits dann bezweckt, wenn er als Reflex einer Befolgung der Norm objektiv erreicht wird, sondern nur dann, wenn der Gesetzgeber dem Einzelnen selbst die Rechtsmacht in die Hand geben wollte, mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen vorzugehen, der das Verbot übertritt und sein Rechtsinteresse beeinträchtigt (vgl. BGH, Urteile vom 10.2.2011 – I ZR 136/09 -, BGHZ 188, 326-351, und vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10 -, BGHZ 192, 90-118). Danach wohnt den § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FVG eine individualschützende Wirkung nicht inne.
b) Die Richtlinie 2007/46/EG, die durch die Vorschriften der EG-FGV in nationales Recht umgesetzt ist, berücksichtigt den Schutz individueller Interessen nicht. Aus den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) der Richtlinie ergibt sich eindeutig, dass ihr Ziel in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist; darüber hinaus sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finden darin keine Erwähnung.
Auch sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie auf den Schutz des Vermögens des Autokäufers abstellt, ergeben sich nicht (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.2.2019 – 7 U 134/17; OLG Celle, Beschluss vom 1.7.2019 – 7 U 33/19; OLG München, Beschluss vom 29.8.2019 – 8 U 1449/19 -, alle zitiert nach juris).
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die streitentscheidenden Rechtsfragen sind bereits höchstrichterlich geklärt. Eine Divergenz zu der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 10.9.2019 (Az. 13 U 149/18, juris), die ebenfalls einen Kauf nach Herbst 2015 betrifft, besteht nicht. Im dortigen konkreten Einzelfall konnte sich das Gericht auf Grund einer Parteivernehmung von der Kausalität der Täuschungshandlung für den eingetretenen Schaden überzeugen.


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