Europarecht

Keine Rückabwicklung im Abgasskandal für Käufe ab Herbst 2015

Aktenzeichen  27 U 5086/19

Datum:
17.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 45817
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 522 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei einer Haftung des Herstellers gegenüber dem Gebrauchtwagenkäufer im Abgasskandal muss dessen Vermögensverletzung als sittenwidrig zu bewerten sein und der Verkäufer sittenwidrig vom Täter zur schädigenden Handlung veranlasst worden sein (so OLG Frankfurt BeckRS 2019, 27981). (Rn. 14 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Täuschung des Hersteller über eine möglicherweise gefährdete Nutzbarkeit seiner Fahrzeuge entfällt mit der Adhoc-Mitteilung vom September 2015, Information der Presse und auf der Homepage, Weisung an die Händler, alle Gebrauchtwagenkäufer auf die Problematik hinzuweisen. (Rn. 20 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unerheblich ist, ob der Hersteller mit seiner Aufklärung sämtliche Kunden erreicht hat. Denn der Vorwurf sittenwidriger Handlung entfällt bereits dann, wenn die ursprüngliche Täuschung durch Maßnahmen mit demselben Wirkungsgrad rückgängig gemacht wird (so OLG Frankfurt BeckRS 2019, 27981). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Aufspielen eines Software-Updates mit der Folge eines „Thermofensters“ liegt keine weitere sittenwidrige Täuschung. Das Software-Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt nach Überprüfung zur Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung freigegeben. (Rn. 30 und 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

082 O 3617/18 2019-07-30 Urt LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 30.07.2019, Az.: 082 O 3617/18, gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung eines Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Kraftfahrzeuges wegen einer behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung im Motor.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Augsburg vom 30.07.2019 verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, dass ein Schädigungsvorsatz der Beklagten wie auch eine Täuschung des Klägers aufgrund der Offenlegung der Dieselabgasproblematik im Herbst 2015 zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrages am 01.06.2017 nicht mehr angenommen werden könne.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung vom 28.08.2019.
Er beantragt im Berufungsverfahren:
I. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 21.750,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Euro pro gefahrenen Kilometer seit dem 01.06.2017, die sich nach folgender Formel berechnet: (21.750,00 € x gefahrene Kilometer) : 500.000 km Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw Audi Q5 2.0 TDI Quattro, Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) …, nebst Fahrzeugschlüssel.
II. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.171,67 € freizuhalten. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten mit der Rücknahme des Pkw Audi Q5 2.0 27 U 5086/19 – Seite 3 – TDI Quattro, Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) …, in Annahmeverzug befinden.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, an den Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Pkw Audi Q5 2.0 TDI Quattro, Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) …, mit illegaler Motorsoftware resultieren.
Zur Begründung seines Rechtsmittels führt der Kläger u.a. aus, dass entgegen der Annahme des Landgerichts eine sittenwidrige Täuschung durch die Beklagten vorliege. Diese ende erst, wenn der Geschädigte im Einzelfall Kenntnis von der Schädigungshandlung erlange bzw. erlangen könne. Der Klagepartei sei erst nach dem Erwerb des Kraftfahrzeuges durch die Beklagte zu 2) konkret mitgeteilt worden, dass der PKW von der sogenannten Dieselproblematik betroffen und das Aufspielen eines „Updates“ erforderlich sei. Daneben hätten die Beklagten kollusiv mittels des vorgenommenen Software-Updates bei dem streitgegenständlichen Kraftfahrzeug dessen Abgasreinigung dergestalt programmieren lassen, dass sich ein sog. Thermofenster ergebe. Die mutmaßlich verwendeten Abschalteinrichtungen seien unzulässig, weshalb das Fahrzeug des Klägers seit Abschluss des Kaufvertrages bis zum heutigen Tag stilllegungsgefährdet sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 02.12.2019 Bezug genommen.
II.
Das Urteil des Landgerichts Augsburg entspricht der Sach- und Rechtslage.
Die angefochtene Entscheidung weist weder entscheidungserhebliche Rechtsfehler auf noch rechtfertigen die nach § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu.
1. Vertragliche Ansprüche sind nicht gegeben, weil der Kläger das streitgegenständliche Kraftfahrzeug unstreitig nicht von einem der beiden Beklagten erworben hat.
Bezüglich § 826 BGB fehlt es neben dem Nachweis eines Schädigungsvorsatzes bereits an einem kausalen sittenwidrigen Verhalten der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrages (vgl. hierzu BGH NJW-RR 2013, 1448; OLG Celle, Beschluss vom 01.07.2019 – 7 U 33/19 -, Rz. 20, juris; BeckOK BGB/Förster, 51. Ed. 01.08.2019, BGB, § 826 Rn. 23 m. w. N.).
a) Grundsätzlich ist der entscheidende Zeitpunkt für die Beurteilung des Verhaltens der Anspruchsgegnerin als sittenwidrig der Zeitpunkt der Tathandlung (OLG Stuttgart – Urteil v. 07.08.2019, 9 U 9/19 -, juris Rn. 41; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 826 Rn. 6).
Eine Ausnahme hiervon ist dann anzunehmen, wenn nicht der unmittelbar durch die Tathandlung Verletzte, sondern eine dritte – mittelbar geschädigte – Person Schadensersatzansprüche geltend macht. In diesem Fall muss die Vermögensverletzung im Verhältnis zwischen dem Verursacher und dem mittelbar Geschädigten ebenfalls als sittenwidrig zu bewerten sein (OLG Frankfurt a. Main, Urteil vom 06.11.2019 -13 U 156/19 -, juris m.w.N.).
Entsprechend kommt der Anspruch eines mittelbar Geschädigten aus § 826 BGB nur dann in Betracht, wenn der Anspruchssteller die für ihn schädigende Handlung gerade deswegen vorgenommen hat, weil er dazu sittenwidrig vom Täter veranlasst worden ist (OLG Frankfurt a. M. a.a.O. m.w.N).
Dies zugrundelegend ist der Kläger, der den streitgegenständlichen Pkw gebraucht erworben hat, als mittelbar Geschädigter anzusehen, weshalb als maßgeblicher Zeitpunkt der Abschluss des Kaufvertrages am 01.06.2017 anzunehmen ist.
b) Eine objektive Sittenwidrigkeit lag zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vor.
Objektiv sittenwidrig ist nach obergerichtlicher Rechtsprechung ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzukommen, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil v. 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 -, juris Rn. 16 m.w.N.).
Durch ihre Adhoc-Mitteilung vom 22. September 2015, die sich ausdrücklich auch auf andere Fahrzeuge des Konzerns und damit vorliegend auch auf die der Beklagten zu 2) bezieht, hat die Beklagte zu 1) auf „Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Dieselmotoren“ aufmerksam gemacht, Aufklärung sowie Beseitigung der „auffälligen Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realen Fahrbetrieb“ in Abstimmung mit dem deutschen Kraftfahrtbundesamt angekündigt. Daneben nahm sie weitreichende Aufklärungsmaßnahmen vor, wie z.B. die Information ihres Händlernetzes unter Anweisung, alle Gebrauchtwagenkäufer auf die bestehende Problematik hinzuweisen, sowie die Schaltung einer Informationsmaske auf ihrer Homepage und der ihrer Konzernfirmen Anfang Oktober 2015, auf der jeder mittels Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer überprüfen konnte, ob ein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist. Sämtliche Maßnahmen wurden durch umfangreiche Pressemitteilungen begleitet.
Angesichts dieser Information an die Öffentlichkeit, mit der ein Fehler bei der Abgasrückführung der betreffenden Motoren offengelegt wurde, kann ein verwerfliches Verhalten der Beklagten jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nicht mehr angelastet werden.
Die Gründe, die das Verhalten der Beklagten bis zum Herbst 2015 gegebenenfalls als sittenwidrig erscheinen ließen (Täuschung potentieller Kunden über eine möglicherweise gefährdete Nutzbarkeit ihrer Fahrzeuge im Straßenverkehr mit dem Ziel der Kostensenkung und Gewinnmaximierung) sind jedenfalls damit weggefallen.
Die Beklagte zu 1) hat es durch ihre Adhoc-Mitteilung vielmehr dem Verantwortungs- und Entscheidungsbereich des potentiellen Gebrauchtwagenkäufers überlassen, selbst darüber zu entscheiden, ob er ungeachtet des „Dieselskandals“ Vertrauen in ihre Dieselfahrzeuge oder die ihres Konzerns hat oder ob er wegen möglicherweise offen gebliebener Fragen Abstand von dem Kauf eines ihrer Fahrzeuge nimmt.
Unerheblich ist auch, ob die Beklagten mit ihren Aufklärungsmaßnahmen tatsächlich sämtliche Gebrauchtwagenkunden erreicht haben. Denn der Vorwurf einer sittenwidrigen Handlung entfällt bereits dann, wenn die Anspruchsgegnerin – gleichsam in Rückgängigmachung ihrer ursprünglichen Täuschungshandlung – gleichwertige, an die Öffentlichkeit gerichtete Maßnahmen mit demselben Wirkungsgrad ergriffen hat, um den potentiellen Erwerberkreis aufzuklären (OLG Frankfurt a. M., a.a.O.).
c) Daneben fehlt es – der wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. OLG Oldenburg, Urteil v. 28.05.2019 – 2 U 34/19 m.w.N.) folgend – an einer erforderlichen Täuschungsabsicht bzw. einem Schädigungsvorsatz der Beklagten ab dem Zeitpunkt der Adhoc-Mitteilung.
Im Hinblick auf die Adhoc-Mitteilung im September 2015 und die sich anschließenden Aufklärungsmaßnahmen kann jedenfalls bezüglich dem streitgegenständlichen Kaufvertrag vom 01.06.2017 nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagten bzw. deren verfassungsmäßig berufene Vertreter eine Schädigung des Anspruchstellers für möglich oder billigend in Kauf genommen haben (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 -, juris Rn. 25).
d) Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es auch an der erforderlichen Kausalität eines vermeintlich sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten für den streitgegenständlichen Kauf fehlen würde.
Der insoweit vom Kläger erhobene pauschale Einwand, er habe erst nach dem Kauf Kenntnis von der Fahrzeugmanipulation erlangt, vermag im Hinblick auf die umfassende mediale Aufbereitung der Thematik nicht zu überzeugen.
Wie die Beklagtenseite insoweit ausführlich dargelegt hat, hat die Abgasthematik in den auf die Adhoc-Mitteilung folgenden Monaten sämtliche regionalen, überregionalen und internationalen Medien beherrscht. Gegenstand der Berichterstattung war dabei insbesondere auch die Erstreckung der Problematik auf die Konzernmarken der Beklagten zu 1) und die Möglichkeit der Information auf den entsprechenden Websiten.
2. Soweit der Berufungsführer geltend macht, im Aufspielen des Software-Updates mit der Folge eines „Thermofensters“ liege eine weitere sittenwidrige Täuschung, kann dem nicht gefolgt werden.
Der Kläger trägt hierzu vor, er habe zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses weder von einem Software-Update noch von dessen möglichen negativen Auswirkungen gewusst. Entsprechend scheidet ein diesbezüglicher Irrtum des Klägers bereits nach seinem eigenen Vortrag aus.
Daneben ist auch eine relevante Täuschungshandlung der Beklagten zu verneinen. Das Software-Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt nach Überprüfung zur Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung freigegeben.
Ein dieser Wertung entgegenstehender substantiierter Vortrag des Klägers liegt nicht vor.
So ist beispielsweise unklar, worauf sich seine Behauptung stützt, das erworbene Kraftfahrzeug sei trotz des aufgespielten Updates nicht gesetzeskonform. Der Kläger äußert diesbezüglich nur Vermutungen und spricht insoweit von „mutmaßlichen Abschalteinrichtungen“.
Die pauschalen Vorwürfe des Klägers zur Widerlegung des Inhalts der Freigabeerklärung durch das Kraftfahrtbundesamt vermögen jedenfalls den erforderlichen Tatsachenvortrag insbesondere im Hinblick auf den notwendigen Schädigungsvorsatz nicht zu ersetzen.
3. Ein möglicher Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB scheitert entsprechend den obigen Ausführungen angesichts der Adhoc-Mitteilung vom September 2015 an einer zum Zeitpunkt des Kaufs des Kraftfahrzeuges (30.07.2019) fortwirkenden Täuschungshandlung der Beklagten (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 01. Juli 2019, – 7 U 33/19 -, juris) wie auch am Nachweis eines diesbezüglich erforderlichen subjektiven Tatbestands.
Gleiches gilt für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (vgl. auch OLG Dresden, Endurteil v. 24.07.2019 – 9 U 2067/18) oder aus § 831 BGB.
III.
Aus den dargelegten Gründen hat die Berufung – unter keinem Gesichtspunkt – Aussicht auf Erfolg.
Der Senat rät daher – auch aus Kostengründen – zur Rücknahme der Berufung. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des KV zum GKG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben