Europarecht

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Passat)

Aktenzeichen  45 O 1594/21

Datum:
4.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 19
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 434, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
StGB § 263

 

Leitsatz

1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch OLG Koblenz BeckRS 2020, 6348; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 10519; BeckRS 2020, 41726; OLG München BeckRS 2020, 1062; BeckRS 2020, 49213; BeckRS 2020, 51829; OLG Frankfurt BeckRS 2020, 2626; BeckRS 2020, 46880; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 47034; OLG Köln BeckRS 2019, 50034; OLG Bamberg BeckRS 2020, 51271; BeckRS 2021, 19821; BeckRS 2021, 18115; BeckRS 2021, 18113; BeckRS 2021, 28926; aA: OLG Celle BeckRS 2020, 19389; LG München I BeckRS 2020, 19602; LG Offenburg BeckRS 2021, 187; LG Aachen BeckRS 2021, 3360; BeckRS 2021, 10842; LG Traunstein BeckRS 2021, 18986. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Thermofenster verfolgt nicht das Ziel, bewusst die Überwachungsbehörde zu täuschen und so die Typengenehmigung herbeizuführen, so dass es für sich eine sittenwidrige Schädigung nicht zu begründen vermag. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird die Behauptung der Ausstattung des Motors EA 288 mit einer Prüfstandserkennung (Umschaltlogik) ausschließlich auf Vermutungen, die in Analogie zur VW-Motorgattung EA189 vorgetragen werden, gestützt, ist hierin ein Vortrag „ins Blaue hinein“ zu sehen, für den keine hinreichenden tatsächlichen Umstände angegeben werden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Klage ist nicht begründet, weil ein Anspruch aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 831 BGB oder auch aus sonstigen Anspruchsgrundlagen nicht besteht. Die hierfür erforderliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) bzw. ein Betrug (§ 263 StGB) liegen nämlich nach dem Vortrag der Klagepartei nicht vor. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die hier in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche gegenüber dem Hersteller unter weit strengeren Voraussetzungen stehen als Gewährleistungsrechte, die bei einem Mangel des Fahrzeugs gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht werden könnten.
Im vorliegenden Fall mag zwar das sogenannte Thermofenster nach dem klägerischen Vortrag einen Mangel i.S.d. § 434 BGB darstellen. Für die strengeren Voraussetzungen einer deliktischen Haftung auf der Grundlage der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB bietet schon der klägerische Vortrag aber keine hinreichende Grundlage, wie im Folgenden auszuführen ist.
3. Die Fallkonstellation ist bezüglich des Thermofensters nicht vergleichbar mit derjenigen, bei welcher die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 25. Mai 2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19; abzurufen unter der Internetseite des Bundesgerichtshofes; die nachfolgend genannten Randnummern beziehen sich auf diese Fundstelle) Schadensersatzansprüche in sogenannten VW-Dieselfällen bejaht hat.
Dort wurde für die Fälle der Ausstattung von Fahrzeugen mit dem Dieselmotor der Baureihe EA 189 das Verhalten der dortigen Beklagten objektiv als sittenwidrig qualifiziert, da die Beklagte dort auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA 189 in siebenstelligen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (RdNr. 16).
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes beruht insbesondere auch darauf, dass dort (unstreitig) eine verstärkte Abgasrückführung bei erkanntem Prüfstandlauf aktiviert wurde und bei Erlangung der jeweiligen Typengenehmigungen dem KBA durch die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgespiegelt wurde, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben würde, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, wodurch die Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte getäuscht worden sei, um die Typengenehmigung auf kostengünstigem Weg zu erhalten (RdNr. 17, 18). Dies wiederum hat der Bundesgerichtshof dann für verwerflich gehalten, wenn auf Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungsund Marktüberwachungsbehörde (KBA) die Erhöhung des Gewinns erreicht werden soll, und dies mit der Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer von möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt (RdNr. 23).
4. Nach diesen, für die Bejahung von Ansprüchen durch den Bundesgerichtshof wesentlichen, Umständen, kann das Thermofenster für sich eine sittenwidrige Schädigung nicht begründen (so auch Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2021, Aktenzeichen VI ZR 433/19; abzurufen unter der Internetseite des Bundesgerichtshofes). Die Klägerseite stellt das Thermofenster zwar als unzulässig und nicht dem Stand der Technik entsprechend dar. Es hat (für sich allein) aber auch nach ihrer Darstellung nicht das Ziel, bewusst die Überwachungsbehörde zu täuschen und so die Typengenehmigung herbeizuführen. Der wesentliche Vorwurf, aus dem nach Ansicht des Bundesgerichtshofes, welcher auch das hier entscheidende Gericht folgt, die Annahme einer betrügerischen Erlangung der Betriebsgenehmigung und somit einer sittenwidrigen Gewinnerzielungsabsicht folgt, ist jedoch gerade die softwareprogrammierte Veränderung des auf dem Prüfstand gegenüber dem Realbetrieb erzielbaren Schadstoffausstoßes.
Eine sittenwidrige oder betrügerische Handlung kann demnach in der Installation des sogenannten Thermofensters nicht gesehen werden. Dass es sich dabei nach dem Klägervortrag um ein Abweichen von der zu erwartenden und technisch möglichen Beschaffenheit, also einen Mangel im Sinne des Gewährleistungsrechts nach § 434 BGB, handelt, spielt für die strenge Beurteilung der deliktischen Haftung gegenüber dem Hersteller, der nicht Verkäufer ist, keine Rolle (s.o.).
5. Soweit dagegen die Klage ergänzend auch auf die Ausstattung mit einer Prüfstandserkennung (Umschaltlogik) gestützt wird, welche geeignet wäre, objektiv eine Sittenwidrigkeit zu begründen (s.o.), handelt es sich seitens der Klagepartei um Vermutungen, die in Analogie zur VW-Motorgattung EA189 vorgetragen werden. Insofern handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um Vermutungen „ins Blaue hinein“, für die keine hinreichenden tatsächlichen Umstände angegeben werden.
6. Darüber hinaus fehlt jedenfalls ein über die Behauptung „ins Blaue hinein“ hinausgehender Vortrag, dass der Vorstand der Beklagten Kenntnis von einer solchen Ausstattung und sittenwidrige Beweggründe hatte. Die Klägerin nimmt erkennbar auf die Fälle des VW-Motors EA189 Bezug; dies ist zwar nachvollziehbar, stellt aber für die hier gegenständliche Motorgattung keinen hinreichend konkreten Vortrag dar. Insbesondere führt dieser Vortrag auch nach den Kriterien der BGH-Rechtsprechung (Urteil vom 25. Mai 2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19; hier Rn. 39) noch nicht zur sekundären Darlegungslast der Beklagtenseite.
7. Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht besteht, war die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Finanzierungskosten und Nebenforderungen abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
III. Der Streitwert war auf 20.172,38 EUR festzusetzen. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1295 f.).


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