Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Spanien

Aktenzeichen  W 2 S 19.50245

Datum:
3.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5157
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 21 Abs. 2

 

Leitsatz

In Spanien bestehen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen, so dass Dublin-Rückkehrer nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begeht die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Anordnung ihrer Abschiebung nach Spanien.
Die Antragstellerin, eine nach eigenen Angaben am … … 2000 in Abidjan/Elfenbeinküste geborene Staatsangehörige der Elfenbeinküste, reiste am 14. Dezember 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am 17. Dezember 2018 schriftlich Kenntnis erlangte. Am 2. Januar 2019 stellte sie einen förmlichen Asylantrag.
Eine Eurodac-Suche ergab, dass die Antragstellerin in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden war.
Auf das daraufhin im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens am 15. Januar 2019 an Spanien gerichtete Aufnahmegesuch ging innerhalb der Frist von zwei Monaten keine Antwort ein.
Mit Bescheid vom 19. März 2019, der Antragstellerin am 25. März 2019 übergeben, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Der Asylantrag sei gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Asylgesetzes (AsylG) i.d.F. d. Bek. v. 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 2 d. Ges. v. 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780), unzulässig. Spanien sei aufgrund der illegalen Einreise der Antragstellerin über die spanische Außengrenze vor weniger als zwölf Monaten gem. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Am 27. März 2019 erhob die Antragstellerin zur Niederschrift des Urkundsbeamten beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage gegen den Bescheid vom 19. März 2019 und beantragte zugleich im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bescheides vom 19. März 2019 anzuordnen.
Zur Begründung trug sie vor, sie könne nicht nach Spanien zurückkehren, da sie dort niemanden kenne und nicht wisse, wohin sie gehen könne. Sie fürchte, in Spanien zur Prostitution gezwungen zu werden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie bezog sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren der Hauptsache (W 2 K 19.50244) sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamtes, welche dem Gericht in elektronischer Form vorliegen, Bezug genommen.
II.
Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung ist zulässig (§ 34a Abs. 2 AsylG), insbesondere fristgerecht (§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 74 Abs. 1, § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG).
Er ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 19. März 2019 erweist sich bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse der Antragstellerin, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Soll ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Das Bundesamt hat den Asylantrag der Antragstellerin zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG als unzulässig abgelehnt, weil ein anderer Staat – hier Spanien – aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Bezüglich der Begründung wird auf den Bescheid vom 19. März 2019 verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Spanien ist aufgrund der durch Eurodac-Treffer nachgewiesenen illegalen Grenzüberschreitung gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig. Spanien hat nicht innerhalb der Fristen des Art. 21 Abs. 2 Dublin III-VO auf das gestellte Aufnahmegesuch geantwortet, so dass nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags mit dem 16. März 2019 auf Spanien überging. Spanien ist daher verpflichtet ist, die Antragstellerin innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Zuständigkeitsübergang wiederaufzunehmen. Diese Frist (hier der 16. September 2019), nach deren Ablauf die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), ist noch nicht abgelaufen.
Es liegt auch kein Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO vor. Die Überstellung an Spanien ist nicht rechtlich unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (z.B. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 411/10 u.a. – juris). Danach ist die Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedsstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der rücküberstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 GK-Charta zur Folge hätten.
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin vorgetragenen aber nicht näher belegten Schmerzen in den Ohren, Brüsten und im Bauch – nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Spanien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die hier relevante Gruppe der Dublin-Rückkehrer (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, B.v. 28.11.2018 – W 8 S 18.50542; B.v. 14.9.2018 – W 2 S 18.50435; B.v. 4.10.2017 – W 3 S 17.50558 sowie VG Aachen, B.v. 13.8.2018 – 4 L 1065/18.A – juris; VG München, B.v. 22.2.2018 – M 2 S 18.50431 – juris; VG Köln, B.v. 19.12.2017 – 14 L 3557/17.A – juris; VG Cottbus, B.v. 27.9.2017 – 5 L 570/17.A – juris; jeweils m.w.N.), zumal die Antragstellerseite nichts Gegenteiliges substantiiert vorgebracht hat.
Zwar stellt nach Angabe der Europäischen Kommission unter Berufungen auf die nationalen Behörden in Spanien die Mehrheit der überstellten Dublin-Rückkehrer in Spanien keinen (weiteren) Asylantrag, sondern verlässt das Land (vgl. Evaluation of the Implementation of the Dublin III Regulation, März 2016, S. 61). Jedoch bestätigte das spanische Innenministerium auf Anfrage der österreichischen Botschaft in Madrid, dass Dublin-Rückkehrer ein eventuelles Asylverfahren in Spanien fortsetzen bzw. einen neuen Asylantrag stellen können (vgl. Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Spanien, Stand: 6.7.2018, S. 6). Das Asylverfahren wie es übereinstimmend im Human Rights Report 2017 und 2016 des US State Department oder dem Country Report von AIDA geschildert wird, deutet in Bezug auf Dublin-Rückkehrer nicht auf Mängel im Asylverfahren hin. Auch seitens der EU Kommission wurde der Umgang Spaniens mit Dublin-Rückkehrern nicht beanstandet (vgl. a.a.O.). Es wird lediglich festgestellt, dass Spanien zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch keine Daten für das Jahr 2014 zur Erstellung der Dublin-Statistik geliefert habe (vgl. a.a.O., S. 39). Soweit Kollektivabschiebungen an den Grenzübergängen von Ceuta und Melilla nach Marokko beispielsweise von Amnesty International beanstandet werden (Länderbericht 2017, S. 5 und 6) oder AIDA auf die Schwierigkeit der Antragstellung bei einem illegalen Grenzübertritt hinweist (Country Report Spain 2016, Update Feb. 2017, S. 16), betrifft dies die Antragstellerin als Dublin-Rückkehrerin nicht. Im Einklang mit der Auskunft des spanischen Innenministeriums an die österreichische Botschaft in Madrid (s.o.) führt die Europäische Kommission Spanien bei den Ländern auf, bei denen es im Überstellungsfall keine Ausnahme von der Durchführung einer persönlichen Anhörung gibt (European Commission, a.a.O., S. 13).
Auch im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer kann das Gericht anhand der vorliegenden Erkenntnismittel keine systemischen Mängel feststellen. Zwar sieht Amnesty International das Aufnahmesystem für Asylsuchende nach wie vor als unzureichend an (Länderreport 2017, S. 5): Es gäbe zu wenig Plätze in den offiziellen Aufnahmezentren und nur unzureichend Unterstützung für jene, die außerhalb offizieller Zentren untergebracht seien. Asylbewerber hätten nicht überall im Land den gleichen Zugang zu den ihnen zustehenden Unterstützungsleistungen. AIDA hingegen stellt die Ausweitung der Aufnahmekapazitäten, die finanzielle Aufstockung und die Erweiterung der Einbeziehung von Nicht-Regierungs-Organisationen seit 2015 in den Vordergrund (a.a.O., S. 40). Für Dublin-Rückkehrer ist der Zugang zu Versorgung, wie sie auch anderen Asylbewerbern offensteht, garantiert (Österreich. Bundesamt, a.a.O.). Die Erkenntnismittel berichten übereinstimmend, dass Asylbewerber, die über keine finanziellen Mittel verfügen, das Recht auf Unterbringung und Versorgung zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse haben und diese Versorgung in den Unterbringungseinrichtungen auch tatsächlich gewährleistet ist (statt vieler: AIDA, a.a.O., S. 39). Das spanische Recht sieht für alle Asylbewerber den vollen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem wie für spanische Bürger vor, einschließlich Zugang zu spezialisierter Behandlung für Personen, die Folter, schwere körperliche oder seelische Misshandlungen oder Traumatisierung erlitten haben (vgl. Österreich. Bundesamt a.a.O.).
Nach alledem liegen im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt auch unter Berücksichtigung des Antragsvorbringens keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Spanien systemische Schwachstellen aufweisen.
Individuelle außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung eines Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Die vorgetragenen Beschwerden nicht belegt und würden im Übrigen auch nicht den notwendigen Schweregrad erreichen.
Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin bei einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG selbst zu berücksichtigten hat, sind nicht erkennbar.
Eine Reise- oder Transportunfähigkeit wurde von der Antragstellerin nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Bei der im einstweiligen Rechtschutz alleine möglichen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Damit liegen die Voraussetzungen für den Erlass der Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG vor.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung war daher abzulehnen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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